Nr. 147 Ministerrat, Wien, 5. November 1861 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Schurda; VS.Vorsitz Erzherzog Rainer; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Erzherzog Rainer 5. 11.), Rechberg, Mecséry, Degenfeld, Schmerling, Lasser, Plener, Wickenburg, Esterházy; außerdem anw.anwesend Rizy; abw.abwesend Forgách, Pratobevera; BdR.Bestätigung des Rückempfangs Erzherzog Rainer 16. 11.
MRZ. 951 – KZ. 3581 –
- I. Interpellation wegen Verurteilung mehrerer Krakauer und Lemberger Bürger
- II. Veröffentlichung der Vorlagen an den Reichsrat
- III. Schreiben des Abgeordneten Dr. Franz Smolka an die ungarischen Munizipien
- IV. Interpellation über den Prozeß gegen den Redakteur des „Głos“
- V. Vorschlag Frankreichs, ein Darlehen bei der österreichischen Nationalbank aufzunehmen
Protokoll des zu Wien am 5. November 1861 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. kaiserlichen Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer.
I. Interpellation wegen Verurteilung mehrerer Krakauer und Lemberger Bürger
Der Staatsminister referierte, er habe die in der Sitzung am 3. Oktober l. J. an ihn gerichtete Interpellation des Reichsratsabgeordneten Dr. Zyblikiewicz bezüglich der Verurteilung mehrerer Krakauer und Lemberger Bürger aus Anlaß der Sperrung von Verkaufsläden zu beantworten1. Die vom Staatsminister hierauf verlesene Interpellation enthält folgende drei Fragepunkte: 1. ob der von der Polizeidirektion berufene Erlaß des Lemberger Statthaltereipräsidiums vom 13. August l. J. dem Staatsminister bekannt ist; 2. ob und welche Vorkehrungen der Staatsminister zu treffen gedenke, um die Bürger vor ähnlichen Übergriffen der Landesbehörden zu schützen; 3. ob der Staatsminister zu veranlassen gedenke, daß die Urteile der Polizeidirektion an den gedachten Bürgern nicht in Vollzug gebracht werden. Der Staatsminister gedenkt diese Interpellation dahin zu beantworten, daß ihm der Statthaltereipräsidialerlaß vom 13. August l. J. nicht bekannt sei und ihm auch nicht zur Kenntnis zu bringen war, indem dessen Hinausgabe innerhalb des eigenen Wirkungskreises des genannten Präsidiums erfolgen konnte, ferner, daß er weder hierin noch in der später erfolgten wirklichen Anwendung der geltenden Gesetze gegen die im voraus gewarnten und doch renitenten Kauflädenbesitzer einen Übergriff der Landesbehörde erblicken könne und daß endlich über die Beschwerden gegen Aburteilungen der Unterbehörden in 3. Instanz das Staatsministerium als solches entscheide und er auf diesen Urteilsspruch keinen Einfluß nehmen2 und ebensowenig den Vollzug rechtskräftiger Erkenntnisse hemmen könne.
Dem Ministerrate ergab sich hierwegen keine Erinnerung3.
II. Veröffentlichung der Vorlagen an den Reichsrat
Der Staatsminister referiert über eine Note des Präsidiums des Abgeordnetenhauses vom 27. Oktober l. J. an das Ministerratspräsidium, worin gebeten wird, die Anfrage der k. k. Staatsdruckerei, ob die Regierungsvorlagen, die an das Abgeordnetenhaus gelangen, ferner Anträge, Kommissionsberichte und Sitzungsprotokolle dieses Hauses durch den Ärarialdrucksortenverschleiß der Staatsdruckerei im Wege des Verkaufes an das Publikum veröffentlicht und verbreitet werden dürfen, der Schlußfassung des Ministerrates zuzuführen und hievon das Präsidium des Abgeordnetenhauses in Kenntnis zu setzen. Die Anfrage der Staatsdruckerei gründet sich auf ein diesfalls an sie von dem böhmischen Landtagsabgeordneten Dr. Hanisch gerichtetes Verlangen. Der Staatsminister bemerkt, daß von einer Geheimhaltung der Gegenstände, die einmal im Hause der Abgeordneten zur Verteilung gekommen sind, wohl keine Rede sein kann, und er ist somit des Erachtens, es wäre dem Präsidium des Abgeordnetenhauses zu antworten, daß alle jene Vorlagen, die im Hause angekündigt sind und verlesen wurden, auch gedruckt werden können und deren Veröffentlichung durch den Ärarialdrucksortenverschleiß im Wege des Verkaufes keinem Anstande unterliegen.
Der Minister des Äußern rügte das Vorgehen der Staatsdruckerei, daß sie sich unmittelbar an das Abgeordnetenhaus gewendet habe, und besorgt, daß dieses leicht eine Nachahmung anderer Unterbehörden hervorbringen könnte, was doch ader Folgen halbera nicht zu dulden wäre, bindem das Prinzip, daß nur allein die Ministerien mit dem Reichsrate in geschäftliche Verbindung treten, aufrechterhalten werden müsseb, 4. Der Finanzminister fand diesen Vorgang allerdings ordnungswidrig, glaubte aber deshalb der Staatsdruckerei keine ämtliche Erinnerung machen, sondern sich bloß auf eine mündliche Bemerkung gegenüber dem Vorstande beschränken zu sollen, und es wurde sodann beschlossen, daß die weitere Erledigung der fraglichen Angelegenheit in der vom Staatsminister beantragten Weise von dem Finanzminister übernommen werde5.
III. Schreiben des Abgeordneten Dr. Franz Smolka an die ungarischen Munizipien
Der Staatsminister referierte, daß er das von dem Reichsratsabgeordneten Dr. Smolka an die ungarischen Munizipien gerichtete und damals von allen Zeitschriften veröffentlichte Schreiben, welches bei allen honetten Leuten Ärgernis erregte, der Oberstaatsanwaltschaft zur Amtshandlung zugewiesen habe, deren Bericht nun vorliegt6. In diesem von dem Staatsminister seinem ganzen Inhalte nach vorgelesenen Berichte werden die verfänglichen Stellen dieses Briefes einer eingehenden Kritik unterzogen und zuletzt die Äußerung abgegeben, daß es nicht ratsam || S. 5 PDF || erscheinen dürfte, hier eine strafgerichtliche Behandlung eintreten zu lassen, zumal alles zusammen doch nur ein Vergehen nach § 3057 involviere und eine Verurteilung des Smolka bei den gegenwärtigen Verhältnissen kaum zu erwarten sei.
Der hierüber zuerst zur Abgabe seiner Meinung aufgeforderte Sektionschef Dr. Rizy bemerkte, daß der von der Oberstaatsanwaltschaft in dieser Angelegenheit eingenommene Standpunkt nicht der richtige sei, indem dieselbe nicht gefragt wurde, ob sie es für angemessen halte, daß eine strafgerichtliche Verhandlung eingeleitet werde, und ob dabei mit Erfolg durchzukommen sei, sondern ob im vorliegenden Falle das Landesgericht zum gesetzlichen Einschreiten kompetent sei. Er halte überhaupt die Auffassung des Oberstaatsanwaltes für ganz irrig. Daß mit diesem Briefe gemeint ist, die ungarische Sache mit der polnischen so zu verbinden, daß durch das Zusammenwirken dieser beiden Nationen die Losreißung von Österreich bewirkt wird, kann jedermann leicht einsehen. Über den Erfolg eines solchen Prozesses läßt sich nicht gleich absprechen, obgleich es ganz richtig ist, daß alle solche Prozesse äußerst schwierig sind, weil die gegenwärtigen Verhältnisse sehr beirrend einwirken. In dieser Beziehung müsse also auch hier der Erfolg immer als zweifelhaft angesehen werden, und in dieser Erwägung stimme er dafür, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Der Staatsratspräsident teilt nicht die Ansicht des Oberstaatsanwaltes, daß hier bloß ein Vergehen begründet ist. Wenn man die ganzen Verhältnisse und Umstände in das Auge faßt, wenn man das ganze Benehmen des Smolka bedenkt, so werde man wohl darin das Verbrechen der Störung der öffentlichen Ruhe finden8. Baron Lichtenfels zweifelt auch nicht, daß die hiesigen Gerichte so eingerichtet sind, um den Mut zu haben, auch das Rechte auszusprechen. Anders sei es aber angesichts des vor kurzem sanktionierten Immunitätsgesetzes9, welches vor allem die Zustimmung des Hauses zur gerichtlichen Verfolgung eines Deputierten fordert. Wenn nun die Regierung diese Zustimmung nicht durchsetzt, würde sie sich offenbar kompromittieren, und daß die Erlangung einer solchen Zustimmung bei der dermaligen Zusammenstellung des Hauses nicht zu hoffen ist, liege klar am Tage, und deshalb ist er ebenfalls dafür, die Sache nicht weiter zu verfolgen. Derselben Ansicht waren auch der Polizeiminister, Minister Ritter v. Lasser, der Finanzminister, der Handelsminister und Minister Graf v. Esterházy10.
Der Minister des Äußern , welcher es ebenfalls für sehr bedenklich hält, irgendeinen Schritt zu tun, bevor man sich nicht der Zustimmung des Reichsrates versichert, glaubte, daß man vorläufig unter der Hand durch verläßliche Abgeordnete dahin wirken könnte, die Majorität des Reichsrates für die Zustimmung zu gewinnen, und erst wenn dieser Versuch mißlingt, die ganze Sache fallenzulassen wäre. cEr hebt hervor, wie es die Pflicht des Oberstaatsanwaltes gewesen wäre, sich ex officio mit der Sache zu befassen, aber wegen der politischen Seite, die sie biete, mit dem Ministerium der Justiz sich ins Einvernehmen zu setzen.c Er hebt hervor, wie es die Pflicht des Oberstaatsanwaltes gewesen wäre, sich || S. 6 PDF || ex officio mit der Sache zu befassen, aber wegen der politischen Seite, die sie biete, mit dem Ministerium der Justiz sich ins Einvernehmen zu setzen. Der Kriegsminister wäre auch für diesen Versuch, glaubte sich aber übrigens der allgemeinen Ansicht des Ministerrates anschließen zu sollen.
IV. Interpellation über den Prozeß gegen den Redakteur des „Głos“
Minister Ritter v. Lasser eröffnete, daß er die in der Sitzung am 1. Oktober l. J. an den Justizminister gerichtete Interpellation11 bezüglich der von dem Lemberger Landesgerichte in der Prozeßsache des wegen Hochverrates angeklagten Redakteurs der polnischen Zeitung „Głós“ getroffenen Anordnung, die Schlußverhandlung mit Ausschluß der Öffentlichkeit vorzunehmen, dahin zu beantworten gedenke, daß die Gerichte hier ganz vorschriftsmäßig vorgegangen sind und das Ministerium durchaus keinen Anlaß habe, diesen Gerichten etwas zu erinnern. Der Ministerrat war mit dieser Antwort einverstanden12.
V. Vorschlag Frankreichs, ein Darlehen bei der österreichischen Nationalbank aufzunehmen
Der Finanzminister brachte zur Kenntnis des Ministerrates, daß ihm ein hier erschienener Vertrauungsagent Frankreichs die Insinuation gemacht habe, ein Darlehen im Wege der hiesigen Nationalbank zu effektuieren, welches in sechs Monaten zurückzuzahlen wäre. Obwohl diese Insinuation keinen offiziellen Charakter hat und dieser Agent eigentlich nur beabsichtigt zu erfahren, ob, wenn von Seite Frankreichs dieses Ersuchen gestellt wird, darauf eingegangen würde, habe der Finanzminister dennoch diesfalls mit dem Bankgouverneur geheime Besprechungen gepflogen, welche das Resultat gaben, daß sich aus dem Barschatze der Nationalbank höchstens nur 10 Millionen hiezu verwenden ließen, während nach den Andeutungen des Agenten wenigstens 40 Millionen verlangt werden würden. Der Finanzminister bespricht in einer längeren Rede die Verhältnisse der Nationalbank nach innen und außen, deutet an, daß selbst die eigene Regierung es um jeden Preis zu vermeiden sucht, die Bank in dieser Weise in Anspruch zu nehmen, und setzt weitläufig die Gründe auseinander, welche gegen das fragliche Geschäft sprechen, und ist endlich der Meinung, daß es umso weniger angezeigt wäre, eine Geneigtheit hiezu auszusprechen, als eigentlich keine offizielle Verhandlung hierwegen eingeleitet ist und der bisherige Schritt nur als eine Art „Fühler“ anzusehen ist, was sich machen ließe. Als eine feindselige Handlung von Seite Österreichs könnte ddie Ablehnungd nicht angesehen werden, da es weltbekannt sei, daß Österreich selbst geldbedürftig eund die Bank in Österreich eben wegen des im Verhältnisse zu ihrem Notenumlaufe zu geringen Silberbestandes an dem hohen Disagio krank und insolvent ist und daher, unvermögend sich von diesem Übel zu helfen, keine Ursache hat, mit ihren Mitteln eine ausländische Bank vor dem gleichen Übel zu rettene und die Bank in Österreich eben wegen des im Verhältnisse zu ihrem Notenumlaufe zu geringen Silberbestandes an dem hohen Disagio krank und insolvent ist und daher, unvermögend sich von diesem Übel zu helfen, keine Ursache hat, mit ihren Mitteln eine ausländische Bank vor dem gleichen || S. 7 PDF || Übel zu retten. Seines Erachtens wäre daher dem Agenten in einer artigen Form zu erklären, daß man nicht in der Lage ist, auf dieses Geschäft einzugehen.
Der Minister des Äußern erinnerte, daß die Mission der gedachten Vertrauensperson nicht zweifelhaft sei, indem dieselbe seines Wissens nicht nur von der französischen Regierung, sondern von der höchsten Spitze derselben abgesendet ist, sowie es auch gewiß ist, daß die französische Regierung dabei die Garantie geben würde, bei einer allfälligen Anleihe Österreichs allen möglichen Vorschub zu leisten. Von großer Wichtigkeit sei aber die politische Seite dieser Sache, denn es würde gewiß großes Aufsehen erregen, wenn das als finanziell ruiniert verschrieene Österreich dem mächtigen Frankreich mit Geld aushelfen würde. Aber auch von der finanziellen Seite lasse sich bedenken, daß, wenn Frankreich in eine Finanzkrisis kommt, hiedurch ein großer Rückschlag für Österreich eintreten wird. Nachdem aber nach der Versicherung des Finanzministers bei der verlangten großen Summe dieses Geschäft nicht möglich ist, würde er doch wünschen, daß die Antwort sehr vorsichtig abgefaßt werde, damit allen politischen Folgen vorgebeugt werde. Minister Graf Esterházy pflichtete dieser Ansicht bei. Allen übrigen Stimmführern schienen hier vorzugsweise nur die finanziellen Gründe maßgebend zu sein, und dieselben schlossen sich dem Antrage des Finanzministers vollkommen an, welcher schließlich erklärte, die Antwort in sehr vorsichtiger und kulanter Weise zu geben.
Wien, am 5. November 1861. Erzherzog Rainer.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, am 15. November 1861. Empfangen 16. November 1861. Erzherzog Rainer.