Nr. 35 Ministerrat, Wien, 22. März 1861 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Marherr; VS.Vorsitz Kaiser; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Erzherzog Rainer 22. 3.), Mecséry, Vay, Schmerling, Szécsen 25. 5., Apponyi 27. 3., Szőgyény; BdR.Bestätigung des Rückempfangs Erzherzog Rainer 31. 3.
MRZ. – KZ. 1001 –
Protokoll der Ministerkonferenz am 22. März 1861 unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers.
I. Anträge des Judex Curiae zur Reorganisierung der Gerichtspflege in Ungarn
Se. k. k. apost. Majestät geruhten, aus Anlaß des zur Ah. Kenntnis gebrachten Resultates der Beratung vom 21. d. M. über die Vorschläge des Judex Curiae wegen Wiederherstellung der früheren Justizgesetze und Gerichte in Ungern denselben zur Abgabe der Äußerung aufzufordern, ob dadurch 1. in die Privatrechtsverhältnisse nicht störend eingegriffen werde; 2. ob gegen politische Verbrechen und Vergehen eine genügende Garantie in der früheren Gesetzgebung und Gerichtsverfassung gegeben sei; 3. ob das finanzielle Interesse bezüglich der Gebühren von Rechtsgeschäften nicht benachteiliget sei.
Der Judex Curiae Graf v. Apponyi bemerkte: Ad 1. Es sei bei diesen Anträgen der Grundsatz festgehalten, daß Privatrechtsverhältnisse überall gesichert werden. Nirgends werde den Gesetzen, welche nach seinem Antrage wiederhergestellt werden sollen, eine rückwirkende Kraft auf Rechtsgeschäfte, welche unter dem Schutze der bisherigen Gesetze geschlossen worden, eingeräumt, dieselben würden vielmehr nach diesen Gesetzen beurteilt werden, und es sei auch dafür Sorge getragen, daß keine Stockung in der Rechtspflege eintreten könne, mithin die vollkommene Rechtskontinuität verbürgt. Ad 2. Gegen politische Verbrechen und Vergehen seien die österreichischen Strafbestimmungen wohl wirksamer und umfassender als die ungrischen. Allein auch die letzteren seien in dieser Beziehung ausreichend, und er könne verbürgen, daß sie sicher werden ausgeführt werden, während es gewiß ist, daß keines der itzt in den Komitaten bestellten gerichtlichen Organe nach anderen als nach vaterländischen Gesetzen werde urteilen wollen. Ad 3. Für die Finanzen sei aus der Durchführung der Anträge kein Ausfall zu besorgen. Zwar werden die nirgends, am allerwenigsten in Ungern, beliebten Verlassenschaftsabhandlungen durch die vorliegenden Anträge wieder auf die frühere Beschränkung zurückgeführt, wornach nur dann eine Abhandlung gepflogen wird, wenn Pupillen oder Kuranden dabei beteiligt sind oder die Verlassenschaft streitig ist. Allein dies hindere die Abnahme der Gebühren von dem Verlassenschaftsvermögen nicht, weil das Gebührengesetz drei Jahre vor der Einführung des österreichischen adeligen Richteramts in Ungern zur Geltung und Anwendung gekommen ist, mithin auch fortan in Anwendung gebracht werden kann, zumal die Grundbücher, welche bleiben, für das unbewegliche Eigentum, dann die eidesstättigen Fassionen und Inventuren für das bewegliche Vermögen sichere Anhaltspunkte zur Bemessung der Gebühren bieten1. Bei sonstigen Rechtsgeschäffen || S. 209 PDF || werden die Gebühren wie bisher abgenommen werden. Eine effektive Ersparung von mehr als 500.000 f. in der Justizadministration selbst werde durch die Ausführung der Anträge bewirkt.
Se. Majestät geruhten, hierauf die Opportunitätsfrage erörtern zu lassen. In dieser Beziehung bemerkte der Hofkanzler Freiherr v. Vay : Dafür, daß die Anträge schon itzt, wenn auch nur kurz vor dem Zusammentritt des Landtages, ausgeführt werden, spreche vornehmlich die Rücksicht, daß bei der Anfechtung, welche die gegenwärtigen Justizgesetze im Lande erfahren, und bei der Ohnmacht der mit ihrer Handhabung beauftragten Gerichtsbehörden ein zwar provisorischer, aber solcher Zustand geschaffen werde, der eine geregelte Justizpflege möglich macht und bei eintretenden schwierigen Verhältnissen der Regierung den erforderlichen Beistand zur Erhaltung der Ruhe und Ordnung leistet, ohne daß sie genötigt wäre, zu außerordentlichen Mitteln, zum Belagerungszustande und zu Kriegsgerichten, zu schreiten. Die Erfüllung jener Aufgabe sei bei den gegenwärtigen Zuständen äußerst dringend und nur dann zu erreichen, wenn die vaterländischen Gesetze in der Wesenheit wiederhergestellt und deren Anwendung vaterländischen, mit ihnen vertrauten und verläßlichen Organen übertragen würde. Hofkanzler v. Szőgyény bemerkte: Gegenwärtig handle es sich nicht sowohl um ein politisches Moment als vielmehr um die Herstellung einer geordneten, die Sicherheit der Person und des Eigentums verbürgenden Rechtspflege. Diese werde nach den Anträgen in erster Instanz durch Gerichtshöfe mit zwar gewählten, jedoch stabilen Mitgliedern, in zweiter Instanz durch ein Appellationsgericht mit einer den bisherigen Oberlandesgerichten entsprechenden Anzahl von Senaten besorgt werden. Das materielle ungrische bürgerliche Recht, das in Ungern Jahrhunderte lang gegolten, sei nicht so mangelhaft, daß dessen Wiederherstellung als ein Unglück für den gesicherten Rechtszustand im Lande angesehen werden könnte; es enthalte anerkannt vortreffliche Partien, wie z. B. im Wechselrechte und Konkursprozesse, und sei dort, wo es die im Laufe der Zeit entstandenen neuen Verhältnisse erforderten, wie z. B. bei der Erbfolge infolge der Aufhebung des Avitizitätsrechtes, diesen Verhältnissen angepaßt worden. Nirgends werde ihm eine rückwirkende Kraft auf Rechtsverhältnisse zugestanden, welche während der Herrschaft des österreichischen bürgerlichen Rechts eingegangen wurden. Im ungrischen Strafrechte gebe das Gewohnheitsrecht allerdings der Willkür vielen Spielraum, aber auch das österreichische Strafgesetz räume dem Richter in dem Ausmaß der Strafe die ausgedehntesten Befugnisse ein, so daß ein wesentlicher Unterschied hierwegen nicht bestehe. Wohl werden die Stuhlrichter nicht überall ganz korrekt vorgehen. Allein da wird das aus königlichen Räten zusammengesetzte Appellationsgericht Abhilfe treffen. Politische Verbrechen und Vergehen werden in den Gesetzesartikeln von 1717 und 1723 hinreichend berücksichtigt. Es komme nur darauf an, tüchtige Kronanwälte zu bestellen, und die Regierung könne sich dann beruhigen darüber, daß kein erhebliches politisches Vergehen ungeahndet bleiben werde. Der Antrag, den Judex Curiaea zu ermächtigen, die so vorbereiteten Gesetze und Einrichtungen zum Vollzuge hinauszugeben, || S. 210 PDF || sei zwar ein außerordentlicher, jedoch in der Geschichte der Legislation nicht neuer Vorgang. Habe doch der Justizminister im Laufe der letzten elf Jahre so viele Gesetze und Verordnungen für Ungern provisorischb erlassen. Warum sollte nicht ein Gleiches vom Judex Curiae geschehen können, der als Präsident der Septemviraltafel, der anerkannt legalen Autorität in Justizsachen, unter Mitwirkung der tüchtigsten Juristen ein den Wünschen des Landes entsprechendes Elaborat geliefert hat, das im Lande zuverlässig mit Vertrauen und Befriedigung aufgenommen werden wird? In finanzieller Beziehung teile der Hofkanzler die Ansicht des Judex Curiae und lege ein besonderes Gewicht auf dessen Erklärung, daß das Gebührengesetz aufrechtzubleiben habe. Der Erfolg davon werde für die Finanzen wenigstens nicht ungünstiger als bisher sein. Belangend die Opportunitätsfrage, so scheine es eine Anomalie zu sein, wenn wenige Tage vor dem Landtage mit einem solchen Gesetze hervorgetreten werde. Allein diese Anomalie sei wirklich nur scheinbar, denn der Landtag werde sich nicht gleich anfangs mit den diesfälligen Vorlagen beschäftigen können oder wollen, und selbst wenn er könnte oder wollte, so würde die Verhandlung längere Zeit, wahrscheinlich Monate lang, dauern. Inzwischen aber würde der bedauerliche Zustand, in den die Justizpflege im Lande geraten ist und dessen Behebung mit den vorliegenden Anträgen beabsichtigt wird, zum größten Nachteil der Regierung sowohl als der Recht suchenden Parteien fortdauern. Zwischen zwei Übeln müsse gewählt werden, und das größere sei gewiß die Fortdauer des gegenwärtigen Zustandes der Rechtsunsicherheit, wo einerseits Gerichte ohne Wirksamkeit, andererseits Gesetze ohne Gerichte, die sie ausüben wollen, bestehen. Der Staatsminister beleuchtete den Gegenstand der Frage nach drei Richtungen hin: in Beziehung auf den materiellen Teil der Vorschläge, in Beziehung auf die staatsrechtlichen Verhältnisse und in Beziehung auf die Finanzverhältnisse. Über den materiellen Teil der Anträge ein Urteil abzugeben, fällt ihm schwer, da er dieselben nur in den allgemeinsten Umrissen vernommen, aber schon aus diesen die Überzeugung geschöpft hat, daß die ganze österreichische Justizgesetzgebung mit wenigen Ausnahmen fallen soll. Trotz seiner natürlichen Vorliebe für die österreichische Justiz, deren Dienste er sich so lange gewidmet, will er zugeben, daß für Ungern ungrisches Recht und ungrische Gerichtsverfassung zuträglicher seien. Allein die Umstaltung des bisherigen soll durch ein Vertrauensvotum an den Judex Curiae ohne Eingehen in das Meritum der Anträge geschehen. Dazu aber könnte er niemals raten, weil auch der Justizminister bezüglich der in den letzten elf Jahren in Ungern eingeführten Gesetze niemals eine solche Ermächtigung gehabt, vielmehr immer derlei Gesetze von Sr. Majestät nach vorläufiger Prüfung ihres meritorischen Inhalts durch den Ministerrat und beziehungsweise den Reichsrat erlassen worden sind. Nach dem Diplom vom 20. Oktober kann das Recht, Gesetze zu geben oder abzuändern, nur unter Mitwirkung der Landtage geübt werden, und in dem an den ungrischen Hofkanzler erlassenen Ah. Kabinettsschreiben heißt es, daß, indem die verfassungsmäßigen Einrichtungen Ungerns wieder ins Leben treten, die zivil- und kriminalrechtlichen Bestimmungen und Einrichtungen jeder || S. 211 PDF || Art in voller Kraft fortzubestehen haben, bis sie nicht im Wege landtäglicher Beratung und Vereinbarung modifiziert sein werden2. Hiernach kann eine Änderung der bisherigen Justizgesetze, wie sie im Vorschlage des Judex Curiae liegt, nicht oktroyiert, sondern sie muß auf dem verfassungsmäßigen Wege bewirkt werden. Oder glaubt man, daß eine Nation, welche sich immer auf den verfassungsmäßigen Boden stellt und von diesem aus sogar den Rechtsbestand der Gesetze des letzten Dezenniums bestreitet, die Anträge des Judex Curiae ohneweiters als Gesetz werde annehmen wollen? Er, Staatsminister, würde, wäre er Mitglied des Landtages, dieses selbst bestreiten. Um so mehr ist es vom ungrischen Landtage zu erwarten, als überdies die alten Gesetze nicht in ihrer Gänze wiederhergestellt werden sollen, sondern darin Änderungen vorgenommen sind, die den österreichischen Gesetzen entstammen und schon darum auf lebhaften Widerstand stoßen werden. Die Dringlichkeit der Herstellung eines geordneten Rechtszustandes ist kein Grund zur Abweichung vom verfassungsmäßigen Wege, der binnen wenigen Tagen geöffnet sein wird. Wäre sie noch so groß und wäre die Zustimmung des Landes zu den angetragenen Reformen wirklich so sicher zu erwarten, wie behauptet wird, nun, so möge das Land durch seine am 2. April versammelten Vertreter diese Zustimmung aussprechen und durch Annahme der vorliegenden Anträge in Bausch und Bogen dem Judex Curiae selbst das Vertrauensvotum geben, das hier vom Kaiser und seinen Ministern angesprochen wird. Dies kann in den ersten Tagen des Landtages geschehen. Der geringe Verzug ist von gar keiner Bedeutung, denn in Ausführung könnte die Maßregel vor dem Landtage doch nicht mehr gebracht werden. Sie wäre bloß dekretiert, und die Ausführung würde erst nach dem Zusammentritt des Landtages bewerkstelligt werden. Träte aber der entgegengesetzte Fall ein, daß der Landtag das Vertrauensvotum nicht geben, die Anträge nicht in Bausch und Bogen annehmen, sondern sich in eine meritorische Würdigung derselben einlassen wollte, so läge darin der unumstößliche Beweis, daß das Land keine Oktroyierung wolle, sondern die Einhaltung des gesetzlichen Weges. Offenbar aber würden bei einer solchen Tendenz des Landtages die Protestationen und Einwendungen gegen die Bestimmungen des neuen Gesetzes mit verdoppelter Gewalt erhoben werden, wenn dasselbe von der Regierung mit Umgehung des Landtages erlassen worden wäre, und es würde ihr überdies mit Recht der Vorwurf gemacht werden, daß sie selbst von dem Wege abgewichen sei, den sie in den Oktobererlässen vorgeschrieben hat. Unter diesen Umständen zu erwarten, daß die Gerichte dem neuen Gesetze mehr Folgsamkeit beweisen werden als den zur Zeit noch bestehenden, beruht wohl nur auf einer Täuschung. Denn die Gerichtsorgane, welche auf dem Standpunkte der alten Verfassung die bisherige Gesetzgebung bestreiten, weil sie nicht auf dem verfassungsmäßigen Wege zustande kamen, müßten aus dem gleichen Grunde die ihnen vom Judex Curiae oktroyierten verwerfen und würden es um so gewisser tun, als einzelne Bestimmungen oder Teile der mittlerweiligen Gesetze und insbesondere das Gebührengesetz beibehalten werden sollen, welches wohl den meisten Anstoß erregt. Nur wenn dieses und überhaupt alles, was aus der letzten || S. 212 PDF || Periode herrührt, entfernt würde, dürfte die Maßregel mit Befriedigung aufgenommen werden. Ob und welcher finanzielle Vorteil zu erwarten sei, ist sehr zweifelhaft. Die Ersparung wird zum Teil von den Pensionen, die den abtretenden Beamten gewährt werden müssen, verschlungen. Die Gebührenbemessung dürfte schwerlich mit derjenigen Ordnung und Genauigkeit nach den ungrischen Gesetzen erfolgen können wie nach österreichischen, und für die Steuerpflichtigen wird sich aus der Änderung der Justizverfassung kaum eine Erleichterung ergeben. Sie werden im ganzen dasselbe nur an verschiedene Kassen, Staats- und Domestikalkasse, abzuführen haben. Der Staatsminister bittet daher, diese Anträge des Judex Curiae nicht im Verordnungswege zur Ausführung bringen, sondern als königliche Proposition auf dem Landtage praeferenter verhandeln zu lassen. Graf Apponyi erwiderte: Die Einwendungen des Staatsministers wären begründet, wenn es sich bei seinen Anträgen um ein förmliches Gesetz handelte. Dem sei nicht so. Ihm ward zufolge Ah. Kabinettsschreibens vom 20. Oktober die Aufgabe, im Sinne der Ah. Absicht, die gesamte Gerichtsverwaltung des Königreiches Ungern wieder innerhalb dieses Königreiches zu verlegen, Anträge über die Organisierung der ungrischen Justizpflege zu erstatten3. Daß dabei auf die alte ungrische Justizgesetzgebung und Gerichtsverfassung zurückgegangen werden müßte, lag in der Natur der Sache und in dem begründeten Verlangen des Landes, die vaterländischen Gesetze und Einrichtungen im Justizwesen wiederhergestellt zu sehen. Die Aufgabe der Judexcurialkonferenz war daher nachzuforschen, welche von diesen Gesetzen und Einrichtungen mit Rücksicht auf die seither eingetretenen Änderungen so vieler Verhältnisse und Beziehungen noch lebensfähig und anwendbar wären. Die Konferenz hat sich dieser Aufgabe mit aller Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit unterzogen. Sie hat, da nun einmal die allgemeine Meinung, daß mit dem Aufleben der ungrischen Landesverfassung auch die ungrischen Justizgesetze und Einrichtungen wieder ins Leben treten, nicht ignoriert werden konnte, die noch anwendbaren Gesetze zusammengestellt, cwährend sie die Fälle genau bezeichnet hat, in welchen auch fernerhin nach den provisorischen Gesetzeseinrichtungen des letzten Dezenniums vorzugehen sei, aus dem Grunde, weil sie sich auf gänzlich neue Verhältnisse beziehen, für welche die vaterländischen Gesetze keine oder nicht hinreichende Bestimmungen enthalten, und die Kommission sich nicht für kompetent halten konnte, dort, wo ein vaterländisches Gesetz nicht anwendbar ist, ein neues Gesetz zu beantragen. Es kann daher von einer Oktroyierung keine Rede sein. Die Kommission hat nicht einen neuen Codex geschaffen, sondern sie hat mit gewissenhafter Berücksichtigung der Verhältnisse und der bestehenden teils vaterländischen, teils aber oktroyierten Gesetze hinsichtlich ihrer Anwendungc nur die Grundsätze festgestellt, welche die Septemviraltafel bei ihren Entscheidungen beobachten wird und die sonach vermöge der verfassungsmäßigen Autorität dieses obersten Gerichtshofes auch den unteren Gerichten zur Richtschnur zu dienen haben. Ihre Ausarbeitung ist daher kein Gesetzentwurf, der erst der landtäglichen Verhandlung || S. 213 PDF || bedürfte, sondern dteils die Rückkehr zu den früheren Gesetzen und Einrichtungen, die seit dem 20. Oktober mit Sehnsucht erwartet wird, teils die Aufrechterhaltung des Status quo bis zur definitiven und erschöpfenden Verfügung der Gesetzgebungd . Es ist dies das einzige Mittel, das Land zu befriedigen, und Graf Apponyi glaubt, verbürgen zu können, daß seine Anträge, in der von ihm vorgeschlagenen Form als ein freiwilliger Akt der Ah. Gnade und des Vertrauens hinausgegeben, im Lande nicht nur keinen Widerstand finden, sondern mit Dank werden aufgenommen werden. Vielmehr glaubt er, daß das Beharren auf dem Status quo ezu endlosen Konflikten führen, die beklagenswerte Rechtsanarchie vermehren, die gänzliche Impunität der Übelgesinnten sichern, den Staat aber um so mehr gefährden, nebstbei abere Anlaß zu unliebsamen Verhandlungen auf dem Landtage geben würde. fEine Abhilfe vom Landtag sei nicht zu erwarten, und zwar 1. weil dieser mit anderen brennenden Fragen vollauf zu tun haben wird, die ihn in den ersten Monaten gänzlich absorbieren werden, und 2. weil selbst in dem Fall, wenn das schreiende Bedürfnis nach der Regelung der Justizpflege ihn zur Vornahme dieser Aufgabe vermöchte, dies in einer Weise geschehen würde, die nur Nachteile besorgen läßt, nicht nur, weil der Landtag sogleich das Feld der bittersten Rekrimination betreten dürfte, sondern weil daselbst gleich alle die Ideen der modernen Justizpflege auftauchen würden, die rein nur auf die Impunität der politischen Verbrecher berechnet sind. Die Regierung könnte derlei Gesetze nicht annehmen, und so blieben die Rechtsanarchie und die Impunität, wie sie jetzt faktisch bestehen, als wahre Landplage. Es liegt im höchsten Interesse der öffentlichen Sicherheit, daß die vaterländischen Gesetze, welche auch der Curia die Mittel bieten, politische Vergehen und Verbrechen zu verfolgen, je eher zur Geltung gebracht werden. Doch kann man mit Bestimmtheit sagen, daß dies nur durch den Ausspruch Sr. Majestät des Kaisers bezüglich durch die Ermächtigung des Septemvirates geschehen kann. Denn der Landtag wird diesen Teil der vaterländischen Gesetze gewiß nicht herstellen wollen, obwohl er nichts dagegen einwenden kann, wenn sie wie alle anderen Gesetze faktisch anerkannt werden.f Er bittet daher um die Ah. Ermächtigung zur Erlassung der seinen Anträgen entsprechenden Verfügungen. Der Staatsminister fand sich durch diese Äußerung nicht über seine Bedenken beruhigt. Ja, sie erweckt ihm ein neues, noch gewichtigeres Bedenken. Es wird nämlich damit indirekt zugestanden, daß die ganze Legislation der letzten elf Jahre in Ungern eine unberechtigte gewesen, ein Geständnis von ungeheurer Tragweite auf dem staatsrechtlichen Gebiete, von unberechenbaren Folgen, das die Grundlage aller gesellschaftlichen Ordnung gefährdet, indem es zugibt, daß alles, was seither auf diesem Gebiete getan worden, angegriffen und in Frage gestellt werde. Eher würde er daher für die Oktroyierung eines neuen Gesetzes als für eine solche Konzession stimmen. Der Polizeiminister enthält sich des Urteils über den Vorzug der ungrischen Justizgesetze und Einrichtungen vor den österreichischen und beschränkt sich darauf, den Widerspruch hervorzuheben, in welchem die oktroyierte Änderung der Gesetze || S. 214 PDF || zu den Bestimmungen der Oktobererlässe steht, nach denen diese Änderung im verfassungsmäßigen Wege, d. i. unter Mitwirkung des Landtages, erfolgen kann. Nur wenn der Erfolg der Maßregel ein verbürgter wäre, könnte er sie für annehmbar erklären. Aber hierfür liegt keine Garantie vor. Nicht um die Wiederherstellung der alten ungrischen Rechtsgesetze, sondern um die 1848er Gesetze bewegt sich die Agitation im Lande. Werden diese nicht wiederhergestellt — und das kann denn doch unmöglich geschehen —, so wird alles andere, wie die bisherige Erfahrung gezeigt hat, im Lande nicht befriedigen. Wenn behauptet wird, daß für politisch bewegte Zeiten die ungrischen konstituierten Gerichte gegen politische Verbrecher wirksamer und sicherer vorgehen werden als die itzt bestehenden, so ist dagegen zu erinnern, daß, wenn der Gang der Landtagsverhandlungen — wie zu besorgen ist — eine Wendung nähme, welche die Spaltung der Meinungen über die 1848er Gesetze und das kaiserliche Diplom vergrößert, auch die Gerichte der oppositionellen Strömung nachgeben werden. Sollten sie dann gegen politische Verbrecher wirksamer vorgehen als die bestehenden? Es scheint sonach aus der Genehmigung der vorliegenden Anträge für die Regierung kein Vorteil sich zu ergeben, der nicht von den vom Staatsminister bereits dargestellten Nachteilen in staatsrechtlicher Beziehung überwogen würde. Er teilt daher dessen Ansicht, daß die Annahme der Anträge dem Landtage proponiert werde, um so mehr, als dieser, wenn sie wirklich dem Wunsche und Bedürfnisse des Landes entsprechen, das angesprochene Vertrauensvotum binnen weniger Tage geben kann und als gesetzmäßiger Vertreter der Interessen des Landes geben muß. Minister Graf Szécsen bemerkte: Die vom Staatsminister gegen den Antrag erhobenen staatsrechtlichen Einwendungen sind allerdings gewichtig, und es hätte sonach sein Vorschlag, die Angelegenheit an den Landtag zu weisen, volle theoretische Begründung. Aber dem dringenden praktischen Bedürfnisse wird damit nicht abgeholfen. Der Gang der Landtagsverhandlungen ist entweder ein den Absichten der Regierung günstiger oder ein ungünstiger. Im ersten Falle würde die Beratung der Anträge des Judex Curiae, zu deren Zusammenstellung die aus lauter Fachmännern zusammengesetzte Kommission selbst sechs Wochen brauchte, wegen der vielen materiellen Schwierigkeiten mindestens ebenso viele Zeit, wenn nicht mehr, erfordern, und es würde inzwischen der Rechtsstillstand fortdauern, der durch die Lähmung der Wirksamkeit der bestehenden Gerichte eingetreten ist. Im letzteren, ungünstigen Falle aber ist es um so dringender, durch schnelle Besetzung der Richterstellen mit tüchtigen Männern einen Stock für die gerichtliche Tätigkeit im Lande zu gewinnen, auf den die Regierung unter allen Eventualitäten sicher rechnen kann. Werden die Anträge des Judex Curiae, die sich auf die einhellige Zustimmung aller Mitglieder der unter dessen Vorsitz versammelten Kommission gründen, bei welcher alle ungrischen Autoritäten vertreten waren, von Sr. Majestät sanktioniert und [wird] der Judex Curiae zu deren Ausführung ermächtigt, so kann unverzüglich zur Bildung des gedachten Stockes aus verläßlichen, der Regierung ergebenen Personen geschritten werden. Würde aber der Antrag an den Landtag verwiesen, so könnte die Regierung in dem vorausgesetzten ungünstigen Falle weder auf die bisherigen Gerichte, weil sie gelähmt und nicht respektiert sind, noch auf die zur Zeit faktisch eingesetzten ungrischen || S. 215 PDF || Richter, weil oppositionell, rechnen. Es stellt sich also die Maßregel als eine durch die Verhältnisse gebotene juristische Diktatur dar und dürfte aus diesem Gesichtspunkte der Ah. Genehmigung gewürdigt werden. Die beiden ungrischen Hofkanzler bemerkten übereinstimmend, daß, käme der Antrag an den Landtag, gar nicht zu berechnen sei, wann derselbe von ihm würde in Verhandlung genommen werden. Denn bei dem Widerstande, der die königlichen Propositionen in der Regel schon a priori erwartet, bei der Aufregung und Leidenschaftlichkeit, mit welcher die Deputierten die in ihren Augen dringenderen Fragen voranstellen werden, dürfte es schwerlich durchzusetzen sein, daß sie sich präferenter mit diesem Gegenstande befassen. Inzwischen verrinnt Woche um Woche nutzlos. Es gibt keine Gesetze und keine Richter, die — wie Hofkanzler v. Szőgyény hinzusetzte — einen Deputierten, der sich zu hochverräterischen Äußerungen oder Umtrieben hinreißen ließe, verfolgen und verurteilen könnten, weil dies nur nach vaterländischen Gesetzen und mit vaterländischen Gerichten zulässig wäre, so daß die Regierung, allen Beistandes durch legale Organe beraubt, vielleicht schon im Beginne des Landtages mit außerordentlichen Maßregeln vorgehen müßte.
Über die Ah. Frage Sr. Majestät , ob der beabsichtigte Zweck nicht zu erreichen sei, wenn nur derjenige Teil der vorliegenden Anträge die Ah. Genehmigung erhielte, welcher sich auf die Organisierung der Gerichtsbehörden bezieht, da die Justizgesetze selbst nach der klaren Bestimmung der Ah. Erlässe vom 20. Oktober bis zu deren verfassungsmäßiger Änderung aufrechterhalten werden müssen, erklärten die ungrischen Stimmführer einstimmig, daß nach der nun einmal im Lande leider infolge künstlicher Agitationen herrschend gewordenen Idee von dem Wiederaufleben der alten ungrischen Gesetze mit der Verfassung kein Richter im Lande zu bewegen sein würde, nach anderen als nach diesen Gesetzen Recht zu sprechen4.
Wien, am 22. März 1861. Erzherzog Rainer.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 30. März 1861. Empfangen 31. März 1861. Erzherzog Rainer.