MRP-1-5-01-0-18610302-P-0021.xml

|

Nr. 21 Ministerrat, Wien, 2. März 1861 — Protokoll II - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Marherr; VS. Erzherzog Rainer; BdE. und anw. (Erzherzog Rainer 2. 3.), Rechberg, Mecséry, Degenfeld, Schmerling, Lasser, Szécsen 3. 2., Plener, Wickenburg, Pratobevera; abw. Vay; BdR. Erzherzog Rainer 11. 3.

MRZ. – KZ. 729 –

Protokoll II der zu Wien am 2. März 1861 abgehaltenen Ministerkonferenz unter dem Vorsitze Sr. k. k. Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erherzogs Rainer.

I. Auflösung bzw. Neukonstituierung der Wiener Handelskammer anläßlich der Landtagswahl

Der Finanzminister hat teils aus öffentlichen Blättern, teils durch direkte Mitteilung erfahren, daß die Wiener Handelskammer eine Deputation an ihn mit der Anfrage abzuordnen gedenke, ob sie sich aus Anlaß der bevorstehenden Landtagswahlen nicht aufzulösen und durch Neuwahlen zu konstituieren habe. Er glaubte, hierwegen vorläufig die Wohlmeinung der Konferenz einholen, seine Ansicht aber dahin aussprechen zu sollen, daß, nachdem die Handelskammer legal konstituiert ist, die bevorstehenden Landtagswahlen keinen Anlaß zu einer in den Kammerstatuten nicht begründeten Erneuerung bieten, sie sich daher lediglich darauf zu beschränken hätte, etwaige Lücken durch Neuwahlen der abgängigen Mitglieder auszufüllen.

Hiermit war die Konferenz einverstanden, nachdem der Polizeiminister bemerkt hatte, daß eine aus der Erneuerung des Wiener Gemeinderates etwa abgeleitete Analogie nicht bestehe, weil bei dem Gemeinderate der Umstand eintrat, daß er seine Funktion weit über die gesetzmäßige Dauer beizubehalten bemüßigt gewesen ist. Der Handelsminister machte übrigens darauf aufmerksam, daß dem Vernehmen nach die Mitglieder der Linzer Handelskammer resignieren und eine Neuwahl herbeiführen wollen.

II. Rekrutierungsprobleme in Ungarn

Der Kriegsminister teilte mit, daß bei der heurigen Rekrutierung in Ungern, welche im ganzen ein befriedigendes Resultat gegeben, einige Stellungsbezirke mit ihrem Kontingent im Rückstande geblieben seien, weshalb er es angemessen fände, gegen dieselben mit Zwangsmaßregeln vorzugehen, nachdem das diesfällige Einschreiten der Militärbehörden bei den betreffenden Komitaten bisher erfolglos gewesen ist.

Minister Graf Szécsen bemerkte: Die Angelegenheit sei bei dem im ganzen günstigen Resultate der Rekrutierung wohl nicht dringend. Er spreche sonach seine individuelle Ansicht dahin aus: Man möge vor der Anwendung der materiellen Gewalt die Versuche zu einer gütlichen Verständigung erschöpfen und vor allem das Gutachten der von Sr. Majestät nach Wien entbotenen Chefs der ungrischen || S. 121 PDF || Landesbehörden darüber einholen. Hiernach behielt sich der Kriegsminister vor, diese Angelegenheit nach dem Eintreffen der gedachten Chefs wieder in Vortrag zu bringen.

III. Aufnahme der Mitglieder des Ah. Kaiserhauses in das Wählerverzeichnis zu den Landtagen

Der Staatsminister referierte über die Anfrage zweier Statthalter, ob die Mitglieder des Ah. Kaiserhauses, welche einen zur Landtagswahl berechtigenden Grundbesitz haben, in das Wählerverzeichnis der betreffenden Kategorie aufzunehmen seien. In dem für Niederösterreich bereits publizierten Wählerverzeichnisse für den Großgrundbesitz ist dieses nicht geschehen, indem man der Ah. Willensmeinung Sr. Majestät vorzugreifen sich nicht getraute. Wäre es erlaubt, hierwegen seine Meinung auszusprechen, so würde der Staatsminister die Aufnahme der gedachten Herrschaften in das Verzeichnis beantragen, indem Höchstdenselben aus dem Titel des Großgrundbesitzes das Wahlrecht zweifellos zusteht, sie es durch Bevollmächtigte gesetzlich ausüben können und hiermit der Großgrundbesitz vollständig vertreten sein würde.

Der Minister des kaiserlichen Hauses , hiermit in thesi einverstanden, würde nur wünschen, daß in dem Verzeichnisse nicht die Namen der Besitzer, sondern die Namen der zum Wahlrecht zugelassenen Güter vorangestellt würden, welche Ansicht auch der Polizeiminister mit dem Bemerken teilte, daß es namentlich mit Bezug auf die Ah. Person Sr. Majestät des Kaisers Ferdinand einigen Bedenken unterliegen dürfte, Allerhöchstdenselben als Souverän in dem Verzeichnisse der Wähler einzureihen. Der Kriegsminister fände in der Einreihung der höchsten Herrschaften in das Verzeichnis keine Verletzung der schuldigen Ehrerbietung, und Minister v. Lasser glaubte, daß deren Weglassung vielmehr einen ungünstigen Eindruck machen würde, daher er mit alleinigem Ausschluß Sr. Majestät des regierenden Kaisers für die Aufnahme aller in dem gedachten Falle befindlichen Allerhöchsten und Höchsten Personen stimmte.

Nachdem endlich auch Minister Graf Szécsen auf die diesfalls früher in Ungern bestehende Einrichtung hingewiesen hatte, vereinigten sich alle übrigen Stimmen mit dem Antrage des Staatsministers.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, am 10. März 1861. Empfangen 11. März 1861 Erzherzog Rainer.