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Nr. 248 Ministerkonferenz, Wien, 20. Dezember 1860 – Protokoll I - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet (RS. Klaps); VS. Rechberg; BdE. und anw. (Rechberg 21. 12.), Mecséry 23. 12., Degenfeld 23. 12., Schmerling vidit, Plener 22. 12., Lasser 22. 12., Szécsen 25. 12.; abw. Vay.

MRZ. – KZ. 4204 –

Protokoll I vom 20. Dezember 1860 unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten und Ministers des kaiserlichen Hauses und des Äußern Grafen Rechberg.

I. Änderung des Wahlmodus für die Landtage

Der Staatsminister brachte den Wahlmodus für die Landtage zur Sprache, wie er in den bisher veröffentlichten Landesstatuten festgesetzt wurde1.

Derselbe hat allenthalben Unzufriedenheit erregt und – nicht mit Unrecht – die schärfsten Kritiken erfahren. Allein, nebst den dagegen in den Journalen bemerkten Anständen hat der Wahlmodus noch einen wesentlichen Nachteil im Gefolge, der im Interesse der Gemeinden sowohl als auch aus höheren politischen Rücksichten eine Abänderung desselben notwendig macht. Der Umstand, daß man, um die Wählbarkeit für den Landtag und eventuell den verstärkten Reichsrat zu erhalten, Mitglied einer Gemeindevertretung sein muß, hat zur Folge, daß Personen, die der sogenannten Intelligenz angehören oder sonst eine politische Rolle spielen wollen, sich jetzt um jeden Preis in die Gemeindevertretung hineindrängen, obgleich sie für die eigentlichen Gemeindeinteressen gar keinen Sinn und zur Verwaltung der Kommunalangelegenheiten keine Zeit oder keine Fähigkeit besitzen. Die Persönlichkeiten, welche den nächsten und wahren Beruf für den Gemeinderat haben, werden dergestalt verdrängt, und es kommt in denselben vorwiegend ein neues Element, welches daraus einen politischen Körper machen und der Regierung manche Verlegenheiten bereiten wird – ein Element, das überdies wegen der Permanenz des Gemeinderates nicht mehr beseitigt werden kann. Über politische Agitationen werden die Gemeindezwecke häufig ganz beiseite geschoben werden. Es erscheint daher geboten, das Motiv, welches diese Elemente in den Gemeinderat treibt, zu beseitigen, und das läßt sich ganz einfach dadurch erreichen, daß in allen Landesstatuten von der Eigenschaft eines Mitgliedes einer Gemeindevertretung als Bedingung der passiven Wahlfähigkeit Umgang genommen wird und daß man für die Wahlen in den Landtag eigene Wahlkörper bildet.

|| S. 183 PDF || Diese Wahlkörper hätten zu bestehen: 1. aus den nach dem Gemeindegesetze durch ihre persönliche Eigenschaften dazu Berufenen; 2. aus den Höchstbesteuerten, und 3. aus den in die obere Hälfte der zweiten Steuerklasse fallenden Kontribuenten (z. B. wenn die Steuersumme dieser zweiten Klasse 4000 fl. beträgt, so wären die Höchstbesteuerten dieser Klasse, sofern sie in die erste Hälfte per 2000 fl. fallen, wahlberechtigt.) Die übrigen Steuerpflichtigen dieser Klasse und die Gemeindeglieder der dritten Klasse würden an diesen Wahlen keinen Anteil nehmen. Übrigens hätten die Wahlen in den kleinen Städten und auf dem Lande indirekt zu sein.

Die Konferenz stimmte dem Staatsminister in bezug auf die Nachteile einer auf die Gemeindevertretungen beschränkten Wahl sowie rücksichtlich der Zweckmäßigkeit der Bildung besonderer Wahlkörper für die Landtage vollkommen bei.

Das vom Ministerpräsidenten angedeutete Bedenken, daß doppelte Wahlen auch eine doppelte Agitation herbeiführen, wurde durch die Bemerkung des Staatsministers behoben, daß die Wahlen für den Landtag sich bloß von sechs zu sechs Jahren wiederholen werden. Gegen die vom Ministerpräsidenten ferner geäußerte Besorgnis, daß die Landtage bei diesem Wahlmodus politische Körper werden, machte Minister Graf Szécsen geltend, daß dies unter allen Umständen nicht zu umgehen sein wird, daß jedoch die Aktion der Landtage durch die ihnen zugewiesene Kompetenz und durch die Stellung des Reichsrates begrenzt sein wird. Minister Ritter v. Lasser bemerkte, der Festsetzung der Wahl durch die Gemeindevertretung liege das ader ständischen Auffassung innewohnendea Prinzip zum Grunde, bdie Gemeinde als solche durchb das Organ der Gemeinden im Landtage vertreten zu lassen, während der gegenwärtig vorgeschlagene, allerdings zweckmäßige Modus eine Interessenvertretung zu erzielen beabsichtigt cund daher, weil die Interessenvertretung sich am deutlichsten durch die Teilnahme an den Staatslasten, namentlich an den Steuern, kundgebe, nicht die Gemeinden, sondern die Steuerträger zur Repräsentation im Landtage beruftc .

Ritter v. Lasser glaube jedoch auf den Übelstand aufmerksam machen zu müssen, daß durch die Scheidung der zweiten Steuerklasse in zwei Teile, wovon der eine – und zwar gerade der zahlreichere – von der Wahl ausgeschlossen bleibt, eine Verstimmung der Majorität dder Steuerträgerd erzeugt werde, welche umso größer sein wird, als diese Teilung einer Klasse auf rein willkürlichen und zufälligen Zahlverhältnissen beruht, die Zurückgesetzten daher keinen plausiblen Grund dafür auffinden werden und als in benachbarten Gemeinden sich diesfalls oft die grellsten Ungleichheiten ergeben dürften. Die Steuerdifferenz zwischen der ersten und zweiten Hälfte würde zudem auf dem Lande häufig nicht mehr als einen Gulden ausmachen, eund da im großen Durchschnitte genommen die mittlere Steuerklasse an Besitz, Erwerb, Steuerlast ganz homogene Mitglieder aufzuweisen hat, während namhafte Differenzen im Steuerausmaße der ersten und dritten Klasse anheimfallen, wäre es nicht zweckmäßig, diese homogen gestaltete zweite Klasse der Kontribuenten bloß der Landtagswahlen wegen mittelst einer arithmetischen Formel zu entzweiene .

|| S. 184 PDF || Unter diesen Umständen schiene es angezeigt, den Unterschied finnerhalb der zweiten Klassef fallen zu lassen und bloß die dritte Klasse von der Wahl auszuschließen.

Nachdem der Staatsminister sich in Erwägung dieser Rücksichten mit der von der Vorstimme vorgeschlagenen Modifikation seines Antrages einverstanden erklärt hatte, traten auch alle übrigen Stimmen dem dergestalt amendierten Vorschlage bei, und Minister v. Schmerling gedenkt hierüber demnächst Sr. Majestät au. Vortrag zu erstatten.

Der Ah. Beschluß, welcher auch für die Kronländer, die bereits Landesstatute erhalten haben, maßgebend wäre, dürfte in der Form eines Ah. Handschreibens erlassen werden, womit man allseitig einverstanden war2.

II. Vermehrung des Truppenstandes in Ungarn und Siebenbürgen

Der Kriegsminister referierte, daß die bedrohlichen Ansammlungen von ungarischen Revolutionärs und Waffen in den Donaufürstentümern und der Umstand, daß Fürst Cusa außer Stand sein dürfte, eine revolutionäre Schilderhebung gegen Österreich daselbst wirksam zu unterdrücken, die dringende Notwendigkeit herausgestellt haben, unsere Truppen in Ungarn und Siebenbürgen zu verstärken. Se. k. k. apost. Majestät haben Allerhöchstsich dafür entschieden, die dortige Infanterie auf den Kriegsstand zu bringen, wobei der angestrebte Zweck mit dem relativ geringsten Kostenaufwande erzielt werden wird. FZM. Graf Degenfeld bringe diese Verfügungen gemäß Ah. Befehls zur Kenntnis der Ministerkonferenz3.

Übrigens dränge sich dem Kriegsminister die Frage auf, ob es denn zur Verhinderung eines revolutionären Angriffes nicht das Beste wäre, dem Fürsten Cusa, der sich zur Erhaltung der Ordnung geneigt zeigt, in seiner bedrängen Lage durch Einmarsch in die Walachei zu Hilfe zu kommen. Der Minister des Äußern erwiderte, daß eine solche Intervention nicht ohne Zustimmung der Großmächte stattfinden könne, von denen eine sich wohl dagegen erklären wird. Jedenfalls werde sich die Verhandlung darüber in die Länge ziehen. FZM. Graf Degenfeld äußerte hierauf, daß eine an sie zu richtende Frage über diesen Punkt wenigstens dazu dienen werde, das falsche Spiel dort, wo es etwa stattfindet, zu demaskieren. Minister Graf Szécsen stimmte dieser Meinung vollkommen bei4.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, 29. Dezember 1860.