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Nr. 219 Ministerkonferenz, Wien, 16. Oktober 1860 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet (RS. Klaps); VS. Kaiser; BdE. und anw. (Rechberg 17. 10.), Gołuchowski 18. 10., Thierry 18. 10., Apponyi, Plener 19. 10., Szécsen, Mailáth 20. 10. Als Mantelbogen für dieses Protokolls wurde nicht der sonst übliche Vordruck mit dem Wort Ministerkonferenz verwendet, ebensowenig für den ersten Bogen der Vordruck Ministerkonferenzprotokoll. Der Mantelbogen ist überschrieben mit Konferenzprotokoll vom 16. Oktober 1860. Das Protokoll wurde aber in der Kabinettskanzlei unter den ordentlichen Ministerkonferenzprotokollen indiziert und hinterlegt. Druck: Redlich , Staats- und Reichsproblem 1/1, 616–622 .

MRZ. – KZ. 3557 –

Protokoll der am 16. Oktober 1860 unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers abgehaltenen Konferenz.

[I.] Die Ah. Erlässe über die neue politische und administrative Organisation der Kronländer

Der ao. Reichsrat Graf Szécsen referierte über die Form, in welcher die Ah. Beschlüsse bezüglich der neuen politisch-administrativen Organisierung des Reiches und der Kronländer zu veröffent­lichen wären1. Anfänglich habe man die Erlassung eines Ah. Manifestes zugleich mit mehreren Ah. Handschreiben über die fraglichen Gegenstände im Auge gehabt. Da jedoch Manifeste in der Regel nur eine kaiserliche Ansprache an die Untertanen Sr. Majestät, nicht aber dispositive Anordnungen enthalten, um welche es sich doch gegenwärtig handelt, so wäre eine andere Form, allenfalls wie jene bei Annahme des Titels „Kaiser von Österreich“ durch Se. Majestät Kaiser Franz I.2, ein feierlicher kaiserlicher Erlaß, den man etwa „Diplom“ oder „Deklaration“ nennen könnte, angezeigt.

Über Ah. Aufforderung las Graf Szécsen aus seinem diesfälligen Entwurfe vorerst die Ungarn, Kroatien, Slawonien und Siebenbürgen betreffenden Absätze3.

Über Antrag des Ministerpräsidenten wurde in dem Passus wegen des landtäglichen Einflusses auf die ungarische Gesetzgebung die Einschaltung des ausdrücklichen Vorbehaltes der Ah. Sanktion von Sr. Majestät angeordnet4.

Der geheime Rat Graf Georg Apponyi machte aufmerksam, daß die gesetzliche Mitwirkung des Landtages nicht bloß bei Erlassung und Aufhebung von Gesetzen, || S. 462 PDF || sondern auch bei deren Interpretation auszusprechen wäre, da eine authentische Auslegung auch nur vom Gesetzgeber ausgehen könne, dessen Funktionen aber in Ungarn zwischen der Krone und dem Landtage geteilt werden. Se. Majestät geruhten die Ergänzung des Textes in diesem Sinne Ah. zu befehlen5.

Graf Apponyi glaubte ferner, daß von der Bestellung der siebenbürgischen Hofkanzlei vorderhand Umgang genommen werden dürfte, um die Frage der Vereinigung Siebenbürgens mit Ungarn, welche die Gemüter in Ungarn und Siebenbürgen seit Jahren tief bewegt, durch die Bildung dieses Organs nicht von vornherein negativ zu entscheiden. Die politischen Verhältnisse dieses Kronlandes seien nämlich noch sehr unklar, und Se. Majestät dürften sich vor einer Ah. Entscheidung noch genau zu informieren geruhen, was durch die Ah. Vernehmung des Ah. zu ernennenden Gouverneurs mit etwa 20 Vertrauensmännern in Wien erzielt werden könnte. Die Magyaren sowohl als die Sachsen Siebenbürgens blicken nicht ohne Besorgnis auf die große Zahl der Romanen im Lande und wünschen sich durch den Anschluß an Ungarn zu bekräftigen, während auch in Ungarn die völlige Einverleibung des Nachbarlandes ein allgemein gehegter Wunsch ist. Drei siebenbürgische Komitate und zwei Distrikte sind in Erfüllung dieses Wunsches nach vieljährigen landtäglichen Verhandlungen in beiden Ländern vor 1848 reintegriert worden6. Graf Szécsen war gleichfalls des Erachtens, daß jetzt noch nicht die Bildung der Hofkanzlei, sondern bloß ein Ah. Ausspruch über die Abhaltung des siebenbürgischen Landtages und die Einberufung der Vertrauensmänner nach Wien nötig erscheine. Der ao. Reichsrat v. Mailáth hält die Reinkorporierung des gesamten Landes, insbesondere auch mit Hinblick auf die Anziehungskraft der moldowalachischen Bevölkerung auf die siebenbürgischen Romanen für politisch angezeigt.

Der Ministerpräsident entgegnete, daß, wenn man in Ungarn auf den historischen Boden vor 1848 zurückgeht, es sehr inkonsequent wäre, von vornherein diesen Boden in Siebenbürgen aufzugeben, und es schiene ihm daher nicht rätlich, vom Throne aus den Streit über die Inkorporierung Allerhöchstselbst wachzurufen. Der Minister der Polizei trat der Vorstimme mit dem Bemerken bei, daß das Offenlassen dieser Frage neue Agitationen hervorrufen würde. Reichsrat v. Plener fand die Union Siebenbürgens mit Ungarn vom Standpunkte des Gesamtstaates keineswegs wünschenswert, sowie er auch andererseits glaube, daß die Romanen derselben keineswegs geneigt sind.

Se. Majestät geruhten Allerhöchstsich dafür zu erklären, daß der Ausspruch über die Bildung der siebenbürgischen Hofkanzlei sofort erfolge, um den vorhandenen falschen Ansichten und unberechtigten Wünschen vornweg zu begegnen7.

Der ao. Reichsrat Graf Szécsen las hierauf den Eingang der „Deklaration“8, welcher jedoch noch nicht definitiv redigiert wurde. Man habe geglaubt, in dieser || S. 463 PDF || Staatsschrift unmittelbar an die Pragmatische Sanktion Karls VI., durch welche die Einheit und Unteilbarkeit der Monarchie zum Grundgesetz erhoben wurde9, anknüpfen zu sollen, zumal ein solches Grundgesetz sich nicht bloß auf die zur Zeit der Erlassung desselben bereits verbundenen Länder, sondern auch auf die späteren Akquisitionen beziehen muß. Da sich jedoch vielleicht in Krakau, Galizien und in Venedig gegen diese Anschauung Stimmen erheben dürften und man auch nicht sagen kann, daß die Stände aller Kronländer die Pragmatische Sanktion explizit anerkannt haben, zumal auch nicht alle Kronländer bis jetzt Stände hatten, wurde es von der Konferenz nach reifer Erwägung für angezeigt befunden, nicht bloß auf die Pragmatische Sanktion, sondern auch auf die späteren völkerrechtlichen und staatsrechtlichen Grundlagen hinzuweisen10.

Se. Majestät der Kaiser geruhten im Eingange den Ausdruck „europäische Ordnung“ zu beseitigen, und Reichsrat v. Plener machte darauf aufmerksam, daß Österreich nicht erst durch die Pragmatische Sanktion zur Großmacht geworden sei, wie es nach dem Entwurfe scheinen würde.

Se. Majestät der Kaiser geruhten den Satz, „die bestandene Ungleichheit der Rechte und der Mangel einer verfassungsmäßigen Ordnung für das Reich“ zu beanständen, und es wird daher bei der Schlußredaktion als das angestrebte Ziel „die möglichste Annäherung“ der Kronländer bezeichnet werden11.

Nachdem von den Ministern bemerkt worden war, daß der Stil des Entwurfes durch seinen künstlichen Periodenbau und die ungewöhnlich langen Sätze das Verständnis der Ah. Bestimmungen für die überwiegende Mehrzahl der Leser bedeutend erschweren würde, äußerte der ao. Reichsrat Graf Szécsen , daß man sich bei der Verfassung dieses Entwurfes die Feierlichkeit des Stils älterer kaiserlicher Diplome zum Vorbilde genommen habe. Se. Majestät der Kaiser geruhten anzuordnen, daß bei der Schlußredaktion nach möglichster Klarheit und Kürze zu streben sei, ohne jedoch darum etwas Wesentliches wegzulassen.

Über die Ah. gestellte Frage, ob es angezeigt ist, der Deliberation des verstärkten Reichsrates12 die Salz- und Tabakverschleißpreise vorzubehalten, äußerte der Leiter des Finanzministeriums , daß in Absicht auf den Salzpreis dagegen kein erheblicher Anstand bestehen dürfte; dagegen wäre es ein Hemmschuh für die Administration, jede, selbst dringend gewordene Preisbestimmung der zahlreichen und oft wechselnden Tabaksorten von der Vorberatung des verstärkten Reichsrates abhängig zu machen, der dadurch auch mit vielen kleinlichen Details belästigt werden würde. Se. Majestät geruhten zu befehlen, daß die Gegenstände des Tabakmonopols aus den reichsrätlichen Agenden wegzulassen seien13.

|| S. 464 PDF || Reichsrat v. Plener machte auch aufmerksam, daß in unserer Gesetzessprache der Ausdruck „indirekte Abgaben“ (nicht [indirekte] Steuern) eingeführt sei, dann daß statt „Beratung mit den Reichsräten“ zu setzen wäre „mit dem verstärkten Reichsrate“14.

Der ao. Reichsrat Graf Szécsen definierte über Anfrage des Reichsrates v. Plener den Ausdruck „innere Gesetzgebung“ dahin, daß er zu derselben jene Gesetze rechne, welche nicht alle Kronländer gemeinsam betreffen15.

Der Minister des Inneren fand, daß die dem verstärkten Reichsrate eingeräumte „Mitwirkung“ bei der Gesetzgebung über die Kronländer außer Ungarn zu vag sei, indem man nicht zu erkennen vermag, ob darin die Zustimmung, der Beirat oder was sonst gemeint sei. Diese Undeutlichkeit wäre zu beheben. Graf Szécsen erklärte, daß unter Mitwirkung azwar nicht die volle Zustimmung, doch mehr als der bloße Beirat gemeint sei; man habe den Ausdruck „Mitwirkung“ angewendet, um den auch in dieser Weise noch immer vorhandenena Gegensatz mit den legislativen Rechten Ungarns minder stark hervortreten zu lassen. Der tatsächliche Unterschied zwischen Ungarn und den übrigen Kronländern werde aber allerdings darin bestehen, daß in den letzteren zur Giltigkeit der Gesetze keine eigentlicheb Vereinbarung zwischen der Krone und den Landtagen oder dem verstärkten Reichsrate notwendig ist. Es bleibt ferner der Ah. Schlußfassung anheimgestellt, gewisse Gesetze nicht von den vielen Landtagen, sondern bloß vom verstärkten Reichsrate begutachten zu lassen.

Übrigens müsse Graf Szécsen bemerken, daß es seiner Meinung nach wünschenswert wäre, wenn die legislativen Attribute der Länder der ungarischen Krone im Prinzipe – wenn auch nicht in der Form – gleichfalls den übrigen Kronländern Ah. zuerkannt würden. Reichsrat Graf Apponyi hält ebenfalls den Erfolg der im Zuge begriffenen großen Maßregel durch die minder günstige Behandlung der deutschslawischen Länder gefährdet. In Ungarn ist die allgemeine Stimmung gegen eine solche Ungleichheit. Reichsrat v. Mailáth bedauert, daß durch die ungleiche Behandlung dieser Länder der alte Dualismus und Gegensatz der Kronländer wieder hervorgerufen wird.

Reichsrat v. Plener äußerte, daß man ungeachtet des mildernden Ausdruckes in den deutsch-slawischen Ländern sehr bald die den Ungarn eingeräumte Bevorzugung erkennen werde. Daß sich daran der Wunsch nach Gleichstellung knüpfen wird, ist vorauszusehen. Über die Form dieser Gleichstellung könne man allerdings sehr verschiedene Ansichten haben, und nur soviel ist gewiß, daß man nicht die zahlreichen Landesvertretungen, jede mit einer großen legislativen Gewalt ausstatten könne. Allein, die legislativen Attribute des verstärkten Reichsrates dürften dagegen eine Erweiterung erfahren. || S. 465 PDF || cDer Reichsrat Plener erklärte ferner, daß, so tief beklagenswert auch der vielleicht nicht ganz vermeidliche Dualismus in der Form in Absicht auf die den Volksvertretungen zu gewährenden Rechte zwischen Ungarn und den übrigen Kronländern sei, so sollte doch in der Sache, im Wesen, eine vollkommene Gleichstellung und Gleichberechtigung in dem Zustande diesseits und jenseits der Leitha sein. So viel er aus dem enorm reichen Materiale des flüchtig Vorgelesenen entnommen zu haben glaube, beabsichtige Se. k. k. Majestät, künftig in Ungarn nicht mehr als absoluter Landesherr, sondern mit der Teilung des Gesetzgebungsrechtes zwischen Ah. Seiner Person und dem Landtage, d. h. in kurzen Worten als konstitutioneller König zu regieren. Ungarn hat seine Konstitution gehabt und soll sie nach dem Vortrage des Herrn Grafen Szécsen wieder erhalten. Wenn dies der Fall ist, so fordere es die Gleichberechtigung aller Völker Österreichs, so fordere es die Erfüllung der kaiserlichen Worte „gleiche Rechte und gleiche Pflichten für alle Untertanen“, daß im Wesen der Berechtigung, in der Art der Teilnahme an der Gesetzgebung den nichtungarischen Kronländern das nämliche gewährt werde wie den ungarischen. Es genügt demnach nicht die Gewährung einer Beiratsstellung, sondern einer zustimmenden Mitwirkung, welche bereits in Finanz- und Kreditsachen dem Reichsrate eingeräumt wurde und wahrlich nicht bloß auf die Fälle, wo man Geld notwendig hat, zu beschränken, sondern auf alle Gesetzgebungszweige auszudehnen wäre. Man stelle doch nicht den Reichsrat niedriger und minder berechtigt als den ungarischen Landtag. Eine Verteilung der gesetzgeberischen Mitwirkung auf 21 Landtage sei ein Unding, werde außer von einigen aristokratischen Fraktionen von niemandem in Österreich gewünscht; vielmehr gehe der allgemeine Wunsch – wenigstens der gesamten deutsch-slawischen Bevölkerung in der großen Menge des Mittel- und Bürgerstandes und wohl auch des rationelleren Teils des Bauernstandes – nach einer Gesamtvertretung im Zentrum, nach einem konstitutionellen Reichsorgan, durch dessen Einsetzung den nichtungarischen Untertanen nur dasselbe gewährt würde, was für Ungarn geschehen solle. Die aus den vorgelesenen Entwürfen und aus den Erklärungen über die eigentliche Bedeutung des Wortes „Mitwirkung bei der Gesetzgebung“ zu entnehmende Ungleichheit der Behandlung wird bei der deutsch-slawischen Bevölkerung eine schwere Verstimmung verursachen und die schon jetzt ziemlich laut werdende Volksmeinung bestärken, daß man agitieren, sich gegen die Regierung auflehnen, ihr drohen und Verlegenheiten bereiten müsse, wenn man seine Wünsche durchsetzen wolle, indem den ruhig und treu verbleibenden Völkern nichts oder nur weniger gewährt werde. Übrigens sind die Ausdrücke „Mitwirkung bei der Gesetzgebung“, „innere Gesetzgebung“ usw. viel zu vag, insbesondere könne von einer äußeren Gesetzgebung als Gegensatz einer inneren vernünftigerweise ohnehin keine Rede sein. Auch ist die Abgrenzung dessen, was in der Gesetzgebung dem Reichsrate künftig auch noch vorbehalten und dem ungarischen Landtage entnommen sein soll, nicht hinreichend genau gefaßt. Auch sei es ihm nach der Anhörung des flüchtig Vorgelesenen gar nicht möglich, ein sicheres Urteil namentlich über die etwa in finanzieller Beziehung aus der allgemeinen Restituierung der alten ungarischen Verfassung und des dortigen Staatsrechtes erwachsenden Nachteile und Gefahren sich zu bilden. Um in der Sache und über die gewählten Ausdrücke mit Besonnenheit ein Urteil abgeben zu können, wäre die der Konferenz vorausgehende Mitteilung der Entwürfe (wie es selbst bei den kleinsten Gesetzesfragen geschehe) umso mehr hier erforderlich gewesen, wo es sich um ein Staatsgrundgesetz von der ungeheuersten Bedeutung und Tragweite und von den außerordentlichsten und unwiderruflichsten Folgen handle.c Der Reichsrat Plener erklärte ferner, daß, so tief beklagenswert auch der vielleicht nicht ganz vermeidliche Dualismus in der Form in Absicht auf die den Volksvertretungen zu gewährenden Rechte zwischen Ungarn und den übrigen Kronländern sei, so sollte doch in der Sache, im Wesen, eine vollkommene Gleichstellung und Gleichberechtigung in dem Zustande diesseits und jenseits der Leitha sein. So viel er aus dem enorm reichen Materiale des flüchtig Vorgelesenen entnommen zu haben glaube, beabsichtige Se. k. k. Majestät, künftig in Ungarn nicht mehr als absoluter Landesherr, sondern mit der Teilung des Gesetzgebungsrechtes zwischen Ah. Seiner Person und dem Landtage, d. h. in kurzen Worten als konstitutioneller König zu regieren. Ungarn hat seine Konstitution gehabt und soll sie nach dem Vortrage des Herrn Grafen Szécsen wieder erhalten. Wenn dies der Fall ist, so fordere es die Gleichberechtigung aller Völker Österreichs, so fordere es die Erfüllung der kaiserlichen Worte „gleiche Rechte und gleiche Pflichten für alle Untertanen“16, daß im Wesen der Berechtigung, in der Art der Teilnahme an der Gesetzgebung den nichtungarischen Kronländern das nämliche gewährt werde wie den ungarischen. Es genügt demnach nicht die Gewährung einer Beiratsstellung, sondern einer zustimmenden Mitwirkung, welche bereits in Finanz- und Kreditsachen dem Reichsrate eingeräumt wurde und wahrlich nicht bloß auf die Fälle, wo man Geld notwendig hat, zu beschränken, sondern auf alle Gesetzgebungszweige auszudehnen wäre. Man stelle doch nicht den Reichsrat niedriger und minder berechtigt als den ungarischen Landtag. Eine Verteilung der gesetzgeberischen Mitwirkung auf 21 Landtage sei ein Unding, werde außer von einigen aristokratischen Fraktionen von niemandem in Österreich gewünscht; vielmehr gehe der allgemeine Wunsch – wenigstens der gesamten deutsch-slawischen Bevölkerung in der großen Menge des Mittel- und Bürgerstandes und wohl auch des rationelleren Teils des Bauernstandes – nach einer Gesamtvertretung im Zentrum, nach einem konstitutionellen Reichsorgan, durch dessen Einsetzung den nichtungarischen Untertanen nur dasselbe gewährt würde, was für Ungarn geschehen solle. Die aus den vorgelesenen Entwürfen und aus den Erklärungen über die eigentliche Bedeutung des Wortes „Mitwirkung bei der Gesetzgebung“ zu entnehmende Ungleichheit der Behandlung wird bei der deutsch-slawischen Bevölkerung eine schwere Verstimmung verursachen und die schon jetzt ziemlich laut werdende Volksmeinung bestärken, daß man agitieren, sich gegen die Regierung auflehnen, ihr drohen und Verlegenheiten bereiten müsse, wenn man seine Wünsche durchsetzen wolle, indem den ruhig und treu verbleibenden Völkern nichts oder nur weniger gewährt werde. Übrigens sind die Ausdrücke „Mitwirkung bei der Gesetzgebung“, „innere Gesetzgebung“ usw. viel zu vag, insbesondere könne von einer äußeren Gesetzgebung als Gegensatz einer inneren vernünftigerweise ohnehin keine Rede sein. Auch ist die Abgrenzung dessen, was in der Gesetzgebung dem Reichsrate künftig auch noch vorbehalten und dem ungarischen Landtage entnommen sein soll, nicht hinreichend genau gefaßt. Auch sei es ihm nach der Anhörung des flüchtig Vorgelesenen gar nicht möglich, || S. 466 PDF || ein sicheres Urteil namentlich über die etwa in finanzieller Beziehung aus der allgemeinen Restituierung der alten ungarischen Verfassung und des dortigen Staatsrechtes erwachsenden Nachteile und Gefahren sich zu bilden. Um in der Sache und über die gewählten Ausdrücke mit Besonnenheit ein Urteil abgeben zu können, wäre die der Konferenz vorausgehende Mitteilung der Entwürfe (wie es selbst bei den kleinsten Gesetzesfragen geschehe) umso mehr hier erforderlich gewesen, wo es sich um ein Staatsgrundgesetz von der ungeheuersten Bedeutung und Tragweite und von den außerordentlichsten und unwiderruflichsten Folgen handle.

Der Minister des Inneren erwiderte, daß die Landesstatute Maß und Ziel über die Teilnahme der deutsch-slawischen Kronländer an der Legislation geben werden. In Böhmen, Galizien, Tirol, Venetien usw. wird man es sich nicht gerne gefallen lassen, seine Gesetze bloß von dem wechselnden Spiele der Majorität im verstärkten Reichsrate diktiert zu sehen.

Se. Majestät der Kaiser geruhten zu erklären, Allerhöchstdieselben seien nicht gewillt, über die wichtigsten Interessen Allerhöchstihrer deutsch-slawischen Kronländer durch eine oft von Parteien, manchmal selbst vom Zufall gebildete Majorität im verstärkten Reichsrate entscheiden zu lassen. In den Fällen aber, wo es das Wohl der Länder oder der verschiedenen Volksstämme wünschenswert machte, würde Se. Majestät die Ah. Entschließungen gerne nach dem Beirat der Majorität zu fassen geruhen. Den Ausdruck „Mitwirkung“ fanden Se. Majestät nicht zu beanständen17.

Nachdem in Venedig bei den dermaligen Verhältnissen von dem Einführen derselben Institutionen wie in den übrigen Kronländern keine Rede sein kann, wird auf Ah. Befehl in der „Deklaration“ von jenem Kronlande keine Erwähnung zu machen sein18.

Reichsrat Graf Szécsen las hierauf den Absatz über den Wirkungskreis der einzelnen Landtage mit der Bemerkung, es sei nötig, hiebei als staatsrechtlichen Grundsatz für die ganze Monarchie auszusprechen, daß von nun an kein Gesetz ohne landtägliche oder reichsrätliche Mitwirkung giltig sei19.

Hierauf wurden die Entwürfe der gleichzeitig mit dem kaiserlichen Erlasse zu publizierenden Ah. Handschreiben vorgelesen, wie folgt:

1. die Ah. Handschreiben wegen Aufhebung der Ministerien des Inneren, der Justiz und des Kultus als allgemeine Reichsbehörden, dann wegen Bildung des „Staatsministeriums“, welche neue Benennung gewählt wurde, um ersichtlich zu machen, daß das bisherige Verhältnis Ungarns zum Ministerium des Inneren aufgehört habe20.

|| S. 467 PDF || Reichsrat v. Plener besorgt, daß die Aufhebung des Justiz- und des Kultusministeriums in den sogenannten deutschen Ländern nicht gut wird aufgenommen werden. Man werde sofort erkennen, daß dies bloß nach dem Wunsche Ungarns geschehen sei, denn in den anderen Kronländern habe ja keine Stimme sich gegen den Bestand dieser zwei Zentralstellen erhoben; dieselben haben vielmehr manches Gute geschaffen, und es wird mißliebig empfunden werden, daß die deutschen Länder wegen des Verbandes mit Ungarn selbst vorhandener guter administrativer Einrichtungen beraubt werden! Man kehrt im Grunde jetzt einfach zur vereinigten Hofkanzlei und Obersten Justizstelle zurück und gibt ohne vorhandene Nötigung gerade die zwei Ministerien auf, welche am meisten die geistigen Interessen vertreten. Dieses dürfte im Inlande sowie in Deutschland keinen guten Eindruck machen, und die üble Stimmung kann dem Staatskredite nur abträglich sein. dDiese Partie des Organisierungswerkes läßt es als ein ungarisches erkennen, als welches es auch von der deutsch-slawischen Bevölkerung gekennzeichnet werden wird. Er erlaube sich die au. Frage, ob in den deutsch-slawischen, selbst in den italienischen Kronländern Bedürfnisse, Bitten und Meinungen für die Aufhebung dieser Ministerien laut geworden sind. Diese Frage dürfte wohl verneinend beantwortet werden. Im Gegenteil, die wohltätigen Folgen des Bestandes dieser Ministerien und namentlich jenes für Unterricht wurden außer Ungarn dankbar empfunden, nun sollen diese Institutionen auch der deutsch-slawischen Bevölkerung genommen werden, weil es den Ungarn, eigentlich einigen ungarischen Stimmen im Reichsrate, nicht gefiel, den Bestand solcher Institutionen in Österreich aufrecht zu sehen. Dies ist doch wahrlich mehr als jede Majorisierung durch konstitutionelle Stimmenmehrheiten! Die Sonderbestrebungen Ungarns sind an sich ein großes Unglück für das gesamte Österreich, indem sie abweichende, den Einheitsstaat störende Einrichtungen und Zustände in Ungarn bedingen. Daß aber dieser Separatismus auch noch über die Grenzen Ungarns auf die Gebiete der übrigen Monarchie hinüberwirken und dort für den Bestand oder Nichtbestand zeitgemäßer Institutionen maßgebend sein soll, übersteigt doch alles Maß. Österreich kehrt mit der hier vorgeschlagenen Regierungsorganisierung entschieden vor das Jahr 1848 zurück, es opfert die Einrichtungen, mit welchen es gleichberechtigt in die Familie der europäischen und namentlich der deutschen Kulturstaaten eingetreten ist. Die Errichtung der Ministerien für Unterricht, für Justiz und für Handel wurde im In- und Auslande als reelle Fortschritte mit Freude begrüßt, nun kehren wir auf das Alte in der Sache und in der Form ganz entschieden zurück. Der Eindruck, namentlich in Deutschland, wird ein deprimierender sein und den feindlichen Beurteilern Österreichs willkommene Waffen in die Hände geben. Es dränge sich die Frage hier überhaupt auf, ob denn die Einrichtungen vor dem Jahre 1848 und namentlich die ungarische Konstitution und die übrigen ständischen Landtagsverfassungen, an welche angeknüpft und von welchen die ungarische Konstitution beibehalten wird, ob sich diese Einrichtungen im Sturme des Jahres 1848 als Schutz für die Dynastie, für Ordnung und Recht bewährt haben. Nein, sie wurden vielmehr hinweggefegt im Sturme jener Zeit und haben namentlich in Ungarn die allbekannten traurigen geschichtlichen Ereignisse entstehen lassen, wo nicht herbeigeführt. Das Jahr 1848 war ein berechtigtes, die Unhaltbarkeit der damaligen Zustände haben die Ereignisse dieses Jahres bringen müssen. Eine Rückkehr in so vielen Beziehungen hinter dieses Jahr ist höchst gefährlich und dürfte leicht ein zweites Jahr 1848 von weit furchtbareren Folgen heraufbeschwören. In finanzieller Beziehung ist der voraussichtliche Dualismus, dessen Weitergreifen unvermeidlich wird, von der schädlichsten Wirkung für Kredit und richtiges Eingehen der Steuern. Jede Finanzoperation, jede Steuermaßregel wird darunter leiden. Hier könne nur die Bestellung eines zeitgemäß zusammengesetzten kräftigen Reichsorgans, unter dessen die Staatseinheit sichernder Garantie und Kontrolle die Staatsschuld gesetzt werde, die unerläßliche Bedingung gedeihlicher Gebarung sei.d Diese Partie des Organisierungswerkes läßt es als ein ungarisches erkennen, als welches es auch von der deutsch-slawischen Bevölkerung gekennzeichnet werden wird. Er erlaube sich die au. Frage, ob in den deutsch-slawischen, selbst in den italienischen Kronländern Bedürfnisse, Bitten und Meinungen für die Aufhebung dieser Ministerien laut geworden sind. Diese Frage dürfte wohl verneinend beantwortet werden. Im Gegenteil, die wohltätigen Folgen des Bestandes dieser Ministerien und namentlich jenes für Unterricht wurden außer Ungarn dankbar empfunden, nun sollen diese Institutionen auch der deutsch-slawischen Bevölkerung genommen werden, weil es den Ungarn, eigentlich einigen ungarischen Stimmen im Reichsrate, nicht gefiel, den Bestand solcher Institutionen in Österreich aufrecht zu sehen. Dies ist doch wahrlich mehr als jede Majorisierung durch konstitutionelle Stimmenmehrheiten! Die Sonderbestrebungen Ungarns sind an sich ein großes Unglück für das gesamte Österreich, indem sie abweichende, den Einheitsstaat störende Einrichtungen und Zustände in Ungarn bedingen. Daß aber dieser Separatismus auch noch über die Grenzen Ungarns auf die Gebiete der übrigen Monarchie hinüberwirken und dort für den Bestand oder Nichtbestand zeitgemäßer Institutionen maßgebend sein soll, übersteigt doch alles Maß. Österreich kehrt mit der hier vorgeschlagenen Regierungsorganisierung entschieden vor das Jahr 1848 zurück, es opfert die Einrichtungen, mit welchen es gleichberechtigt in die Familie der europäischen und namentlich der deutschen Kulturstaaten eingetreten ist. Die Errichtung der Ministerien für Unterricht, für Justiz und für Handel wurde im In- und Auslande als reelle Fortschritte mit Freude begrüßt, nun kehren wir auf das Alte in der Sache und in der Form ganz entschieden zurück. Der Eindruck, namentlich in Deutschland, wird ein deprimierender sein und den feindlichen Beurteilern Österreichs willkommene Waffen in die Hände geben. Es dränge sich die Frage hier überhaupt auf, ob denn die Einrichtungen vor dem Jahre 1848 und namentlich die ungarische Konstitution und die übrigen ständischen Landtagsverfassungen, an welche angeknüpft und von welchen die ungarische Konstitution beibehalten wird, ob sich diese Einrichtungen im Sturme des Jahres 1848 als Schutz für die Dynastie, für Ordnung und Recht bewährt haben. Nein, sie wurden vielmehr hinweggefegt im Sturme jener Zeit und haben namentlich in Ungarn die allbekannten traurigen geschichtlichen Ereignisse entstehen lassen, wo nicht herbeigeführt. Das Jahr 1848 war ein berechtigtes, die Unhaltbarkeit || S. 468 PDF || der damaligen Zustände haben die Ereignisse dieses Jahres bringen müssen. Eine Rückkehr in so vielen Beziehungen hinter dieses Jahr ist höchst gefährlich und dürfte leicht ein zweites Jahr 1848 von weit furchtbareren Folgen heraufbeschwören. In finanzieller Beziehung ist der voraussichtliche Dualismus, dessen Weitergreifen unvermeidlich wird, von der schädlichsten Wirkung für Kredit und richtiges Eingehen der Steuern. Jede Finanzoperation, jede Steuermaßregel wird darunter leiden. Hier könne nur die Bestellung eines zeitgemäß zusammengesetzten kräftigen Reichsorgans, unter dessen die Staatseinheit sichernder Garantie und Kontrolle die Staatsschuld gesetzt werde, die unerläßliche Bedingung gedeihlicher Gebarung sei.

Der Ministerpräsident entgegnete, Österreich brauche, wenn es in sich einig und somit stark sei, nicht um das Urteil Deutschlands sich zu kümmern. Reichsrat Graf Szécsen bemerkte, daß Reichsrat v. Plener, welcher überall bloß Rückschritte findet, den großen Gewinn der neuen Einrichtungen übersehe, welcher darin besteht, daß nun erst ein gemeinsames Organ für die Gesamtstaats­angelegenheiten – der Reichsrat –, welches Organ Ungarn bisher als nicht vorhanden betrachtete, seine bindende Kraft äußern wird21. Übrigens verkenne Graf Szécsen nicht die Wichtigkeit der vorgebrachten Gründe für den Fortbestand der Ministerien des Kultus und der Justiz.

2. Die Ah. Handschreiben mit den bereits Ah. erlassenen Landesstatuten für einige Kronländer und mit der Landgemeindeordnung22, dann mit den Ah. Beschlüssen über den Landtag und die Krönung in Ungarn23.

3. Das Ah. Handschreiben wegen der Komitatsverfassung, Bestellung der Obergespäne und wegen der Geschäftssprache in Ungarn24.

Der Leiter des Finanzministeriums machte auf die Unmöglichkeit aufmerksam, die ungarische Sprache beim inneren Dienste der Finanzbehörden einzuführen, enamentlich müsse auf der Notwendigkeit bestanden werden, daß die Komitatsbehörden ihre Gestion in Steuersachen deutsch führen und an die Finanzlandesdirektion in Steuersachen deutsche Berichte erstatten. Es dürfte hier derselbe Modus einzuführen sein, welcher von Sr. k. k. apost. Majestät für Kroatien und Slawonien Ag. genehmigt worden ist. Ohne eine solche Maßregel wird der Finanzdienst gänzlich preisgegeben, und es kann für dessen Fortführung die Verantwortung nicht mehr getragen werden.e namentlich müsse auf der Notwendigkeit bestanden werden, daß die Komitatsbehörden ihre Gestion in Steuersachen deutsch führen und an die Finanzlandesdirektion in Steuersachen deutsche Berichte erstatten. Es dürfte hier derselbe Modus einzuführen sein, welcher von Sr. k. k. apost. Majestät für Kroatien und Slawonien Ag. genehmigt worden ist25. || S. 469 PDF || Ohne eine solche Maßregel wird der Finanzdienst gänzlich preisgegeben, und es kann für dessen Fortführung die Verantwortung nicht mehr getragen werden.

Minister Graf Gołuchowski las hierauf seinen Entwurf in der Sprachenangelegenheit, wonach bei den Finanzbehörden keine Änderung einzutreten habe26.

Se. k. k. apost. Majestät geruhten den ao. Reichsrat Grafen Szécsen anzuweisen, daß er diesen letzten Entwurf bei der Schlußredaktion der Ah. Handschreiben gehörig berücksichtige27.

4. Die Ah. Handschreiben wegen der Unterrichtssprache an den Universitäten zu Pest und Krakau28.

5. Die Ah. Handschreiben wegen Verlegung des Obersten Gerichtshofes in hungaricis nach Pest29, dann wegen der fortdauernden verbindlichen Kraft der bisher erlassenen Gesetze30.

6. Die Ah. Handschreiben wegen Absendung eines kaiserlichen Kommissärs in die serbische Woiwodschaft31.

7. Die Ah. Handschreiben wegen der kroatisch-slawonischen Landesangelegenheiten, wobei Graf Szécsen Ah. beauftragt wurde, bei der Textierung auf die Ersetzung des Ausdruckes „vorderhand“ allenfalls durch „unterdessen“ bedacht zu sein32.

8. Die Ah. Handschreiben wegen Zusammensetzung einer Kommission zur Feststellung der siebenbürgischen Landesvertretung33.

Schließlich geruhten Se. Majestät der Kaiser auch der Ah. beabsichtigten Vermehrung der Zahl der ao. Reichsräte – allenfalls auf 80 – zu gedenken34.

Reichsrat v. Plener bemerkte, es sei sehr fwahrscheinlich, daß wegen Herbeischaffung der Bedeckung für das immer größere Dimensionen annehmende Defizit der verstärkte Reichsrat in kürzester Zeitf wieder werde zusammenberufen werden müssen, || S. 470 PDF || sodaß dessen Reorganisierung zu beschleunigen gund wohl am zweckmäßigsten mit den gegenwärtig hinauszugebenden übrigen Entschließungen für die Landtage gleichzeitig zu erlasseng wäre, wogegen der Minister des Inneren glaubt, daß dermal am Reichsratsstatute noch nichts zu rütteln wäre35.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Ischl, den 4. November 1860.