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Nr. 215a Vortrag über die Grundzüge der neuen politischen, kommunalen, administrativen und judiziellen Organisation der Kronländer, dann über die Attribute der Zentralbehörden und des Reichsrates – Entwurf Gołuchowskis [2. Oktober 1860] (Beilage zu: MRP-1-4-02-0-18601002-P-0215.xml) - Retrodigitalisat (PDF)

  • Lithographiertes Exemplar als Beilage zum MKProt. v. 2. 10. 1860; die in der Konferenz besprochenen und vom Kaiser angeordneten oder gebilligten Änderungen sind im Entwurf eingetragen und im folgenden ausgewiesen. Um die Debatte in der Ministerkonferenz verfolgen zu können, sind die Seitenzahlen des Entwurfs fortlaufend ausgewiesen. Ein weiteres lithographiertes Exemplar HHSTA., PA. I 531, Nachlaß Rechberg 7 .

MRZ. – KZ. keine –

Der von Ew. Majestät einberufene verstärkte Reichsrat hat sich aus Anlaß der bei Beratung des Staatsvoranschlages gewonnenen Anschauungen für berufen erachtet, seine Ansichten über die innere Organisation der Monarchie in allgemeiner Richtung anzudeuten, dabei aber sich enthalten, in die Art der Verwirklichung dieser Richtung näher einzugehen, um nicht in die der eigentlichen Regierungsgewalt zugehörigen Funktionen überzugreifen.

Die tg. Minister Ew. Majestät halten es für ihre Pflicht, nun auch ihrerseits den Standpunkt, den nach ihrer gewissenhaften Überzeugung die Regierung Ew. Majestät in den angeregten, für das Wohl des ganzen Reiches höchst bedeutungsvollen Fragen einzunehmen habe, bestimmt und offen darzulegen.

Die Völker Österreichs sind mit gespannter Aufmerksamkeit den diesfälligen Kundgebungen im öffentlichen Leben gefolgt und harren mit Sehnsucht der Entschließungen, welche [Seite 2] Ew. Majestät in Allerhöchstihrer Weisheit darüber zu fassen geruhen.

Diese Entschließungen werden in nächster Zukunft der Gestaltung der inneren Zustände des Reiches Ziel und Maß geben und den Grundplan veranschaulichen, nach welchem die Organisation der Monarchie ins Werk gesetzt werden soll. Die klare Einsicht in das, was die Regierung will und tut, wird Beruhigung gewähren und jenes Vertrauen erwecken, welches den Organen der Regierung auf dem ihnen durch den landesväterlichen Ratschluß Ew. Majestät vorgezeichneten Wege die Mitwirkung aller Vaterlandsfreunde und hiemit den gedeihlichen Erfolg selbst verbürgt. Ew. Majestät tg. Minister werden durch jene Ah. Entschließungen in die Lage gesetzt sein, die für den inneren Bau des Reiches notwendigen legislativen und organisatorischen Arbeiten wieder aufzunehmen und mit Ah. Genehmigung kraftvoll und konsequent durchzuführen, mit welchen sie einstweilen innegehalten [Seite 3] haben, um den Erwägungen und Ratschlägen des verstärkten Reichsrates den freiesten Raum zu lassen und den hierüber von Ew. Majestät gewärtigten Entscheidungen in keiner Beziehung vorzugreifen.

In dem Manifeste vom 15. Juli 1859 ist der kaiserliche Wille kundgegeben worden: „Österreichs innere Wohlfahrt und äußere Macht durch zweckmäßige Entwicklung seiner reichen geistigen und materiellen Kräfte wie durch zeitgemäße Verbesserungen in Gesetzgebung und Verwaltung dauernd zu begründen.“

Die tg. Minister, bald darauf zur Leitung der Staatsgeschäfte berufen, waren in der Lage:

die Ordnung der Finanzen und die Herstellung einer wirksamen Kontrolle des Staatshaushaltes;

die Regelung der Verhältnisse der gesetzlich anerkannten nichtkatholischen Religionsgenossen­schaften und der Israeliten;

die Reform der Gemeindegesetzgebung;

|| S. 441 PDF || die Aktivierung der Landes[Seite 4]vertretungen,

und die Übertragung eines wesentlichen, bisher von lf. Behörden besorgten Teiles von Geschäften an autonome, den Beteiligten selbst angehörige Organe,

als die nächstvorliegenden Aufgaben ihrer Tätigkeit zu bezeichnen.

Manches wichtige ist bereits in dieser Richtung geschehen, mehr und wichtigeres ist zum Abschlusse vorbereitet.

Ohne in eine detaillierte Besprechung des Geschehenen einzugehen, wird es zum dermalen vorliegenden Zwecke genügen, jene Punkte, die zu den vom verstärkten Reichsrate entwickelten Ansichten in nächster Berührung stehen, umständlicher zu beleuchten und hiedurch das Bild dessen, was noch und wie es zu geschehen hat, darzustellen.

Es war vor allem, um den Staatshaushalt zu ordnen, das Bestreben der tg. Minister darauf gerichtet, dem vorhandenen Übel und dessen Quellen auf den Grund zu sehen, durch rückhaltlose Klarstellung der Finanzlage [Seite 5] die Erforschung und Erkenntnis der Abhilfsmittel zu befördern und wo nur immer möglich die Ausgaben der Zivil- und Militärverwaltung zu vermindern.

Um den Staatsschatz in seiner Bedrängnis je eher desto besser zu erleichtern, wurde mit den Ersparungsmaßregeln nicht bis zum Reifwerden umfassender Reformpläne zugewartet.

Selbst die nur allmählig durchgeführten und im einzelnen oft minder erheblichen Ersparungen bilden aber in ihrer Gesamtheit bereits eine sehr namhafte Summe und rechtfertigen den Vorgang der tg. Minister durch Erfolge, denen im allgemeinen auch der verstärkte Reichsrat die Anerkennung nicht versagen konnte.

Die speziellen Andeutungen, welche der Reichsrat bei der Beratung des Budgets in Absicht auf weitere Ausgabenverminderung zu machen fand und denen die tg. Minister fast durchgehends sich anschlossen, verbunden mit dem unablässigen und redlichen Bestreben, auch sonst überall und namentlich selbst [Seite 6] an den präliminierten Ausgabsposten jede irgend mögliche Ersparung eintreten zu lassen, werden, verbunden mit der erspießlichen Rückwirkung der weiter unten zu besprechenden allgemeinen Reformen, ohne Zweifel noch eine sehr ergiebige Erleichterung des Staatsbudgets zur Folge haben.

Betreffend die unabhängige und wirksame Kontrolle des Staatshaushaltes genügt es, auf die von Ew. Majestät verfügte Einsetzung der Staatsschuldenkommission und auf die Berufung des verstärkten Reichsrates zur Prüfung der Vorlagen dieser Kommission und der Staatsrechnungsabschlüsse und zur Feststellung des Staatsvoranschlages und endlich auf das Ah. Handschreiben vom 17. Juli d. J. hinzuweisen, womit Ew. Majestät die wesentlichsten Finanz- und Steuerfragen von der Zustimmung des verstärkten Reichsrates abhängig zu machen geruhten.

Übergehend zu denjenigen Gegenständen, welche nach den allgemeinen Erörterungen des verstärkten Reichsrates [Seite 7] für die innere Organisation des Reiches zumeist maßgebend sein werden, nämlich die Gemeindeordnung, die Landesvertretung und die Bestellung von autonomen, außerhalb der eigentlichen Regierungskreise stehenden Organen, erlauben sich die tg. Minister vor allem auf die im Ah. Handschreiben vom 19. April d. J. kundgegebene Willensmeinung Ew. Majestät hinzuweisen, daß das Prinzip der Selbstverwaltung durch Orts-, Bezirks- oder Komitatsgemeinden und durch Landtage und Landtagsausschüsse in den Kronländern eingeführt werden soll.

|| S. 442 PDF || Diese Ah. Bestimmungen bilden den Rahmen eines organisatorischen Systems, welches, folgerichtig durchgeführt, alle Kreise des öffentlichen Lebens und die sämtlichen Einrichtungen des Staatsdienstes durchdringen wird und dessen Inslebentreten sich die tg. Minister mit Ah. Zustimmung zur unabweichlichen Richtschnur ihres Handelns zu machen entschlossen sind.

[Seite 8] Das Prinzip der Selbstverwaltung fordert, daß Angelegenheiten, welche nicht in den Bereich der Regierungsgewalt einschlagen, von direkter Einflußnahme der Regierungsorgane freigehalten und ohne Bevormundung und Kontrolle jenen Organen zur selbständigen Beschlußfassung und Ausführung überlassen werden, um deren Interessen es sich zunächst handelt und die ihre Bedürfnisse und die Art der am meisten zusagenden Befriedigung derselben am besten zu kennen und zu beachten vermögen.

Das Prinzip der Selbstverwaltung läßt die Wirkungssphäre der Regierungsgewalt unangetastet. Es entbindet abera einerseits die Regierungsorgane nicht der Verpflichtung, den durch Gesetzesverletzung Bedrängten zu schützen, und schließt andererseits nicht aus, daß die autonomen Organe in öffentlichen Angelegenheiten der Regierungsgewalt über ihr Verlangen helfend und mitwirkend zur Seite stehen.

Durch das Prinzip der [Seite 9] Selbstverwaltung, ernstgemeint und wohlverstanden, wird der Staat von dem beträchtlichen Aufwande für Besorgung von Angelegenheiten, die er, weil sie ihn nicht unmittelbar angehen, nicht zu besorgen braucht, erleichtert; die Teilnahme der Bevölkerung an den öffentlichen Angelegenheiten wird geweckt und in gesetzliche Bahnen geleitet, und mit dem Interesse daran bildet sich auch die Kenntnis dafür aus; die Regierungsorgane endlich können ihre Tätigkeit vollständig ihrer eigentlichen Aufgabe widmen.

Die tg. Minister legen daher den größten Wert darauf, daß bei der inneren Organisierung des Reiches in den verschiedenen Abstufungen des öffentlichen Lebens, der Ortsgemeinde, der Bezirks- oder Kreis- und Komitatsgemeinde und des Kronlandes autonome, d. h. die eigenen Angelegenheiten selbständig verwaltende Organe bestellt und dieser Einrichtung entsprechend auch der Organismus der Regierungsbehörden umgestaltet werde.

Die Regelung des [Seite 10] Gemeindewesens ist von unaufschiebbarer Wichtigkeit.

Die lange Dauer des bisherigen provisorischen Zustandes hat die Tätigkeit der Kommune ins Stocken gebracht und die Autorität ihrer Organe abgeschwächt.

Seit Jahren ist einstimmig aus den Kronländern der Wunsch nach einer neuen Einrichtung der Gemeinden immer lauter und dringender geworden.

Diese neue Einrichtung ist auch die unentbehrliche Vorbedingung und notwendigerweise der erste Schritt zu allen weiteren Organisationen. Ohne die Konstituierung des untersten autonomen Organes können keine Geschäfte aus dem Bereiche der überbürdeten Behörden dahin abgetreten werden, und nur auf dem festbegründeten Unterbaue der Gemeinden läßt sich der Organismus der Bezirks- und Komitatsgemeinden aufbauen.

Selbst die Landesvertretungen bedürfen für ihre Zusammensetzung und für ihr autonomes Wirken der Grundlage der Gemeinden, in welchen durch Neugestaltung [Seite 11] || S. 443 PDF || der Gemeinsinn und die Tätigkeit für allgemeinere Interessen geweckt sein muß. Mit Genehmigung Ew. Majestät wurde das Gemeindegesetz vom 24. April 1859 in den Kronländern von besonderen, durch Zuziehung von Vertrauensmännern aus der Bevölkerung verstärkten Kommissionen zum Zwecke der Vereinfachung sowohl als der Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse und Bedürfnisse der einzelnen Länder beraten. Das hiedurch gewonnene, sehr umfassende Materiale ist bereits für neue Entwürfe bearbeitet worden, welche teils schon zur Ah. Schlußfassung vorliegen, teils demnächst Ew. Majestät unterbreitet werden können. Im allgemeinen wird darin der Grundsatz der Wahl der Vertreter und Organe der Gemeinden durch die am Gemeinwohle wesentlich interessierten Gemeindeglieder und das Recht der Gemeindevertretung, die inneren Gemeindeangelegenheiten in freier Selbstbestimmung zu schlichten, durchgeführt. Die Gemeinde[Seite 12]tutel für besonders wichtige Fälle wird den autonomen Organen höherer Ordnung vorbehalten, die Regierung schützt das Individuum gegen Gesetzesverletzung und nimmt bbei der Einhebung der Steuernb und für andere öffentliche Leistungen sowie für die Vollziehung der Gesetze in bestimmten Grenzen die Mitwirkung der Gemeindeorgane in Anspruch.

Als autonome Organe höherer Ordnung werden Bezirksausschüsse oder je nach den besonderen Landesverhältnissen Kreis- oder Komitatsausschüsse oder Kongregationen ins Leben zu rufen sein, deren Wirksamkeit in der selbständigen Besorgung der inneren Angelegenheiten des Bezirkes, Kreises oder Komitates mit Inbegriff der Tutel über die Ortsgemeinden und in der durch das Gesetz bestimmten Mitwirkung zu gewissen Regierungsgeschäften, insbesondere für Angelegenheiten der direktenc Besteuerung, bestehen wird.

[Seite 13] In der Zusammensetzung und Kompetenz dieser Organe wird sich die Verschiedenheit der einzelnen Länder des Reiches abspiegeln.

Auf Grundlage eindringlicher Verhandlungen wurden umfassende Vorarbeiten darüber gemacht und die bezüglichen Entwürfe sind teils in Ah. Händen, teils zur Vorlage an Ew. Majestät reif.

Nachdem für Ungarn durch das Ah. Handschreiben vom 19. April d. J. die Einrichtung von Komitatskongregationen nach Art des vormals bestandenen Systemes mit den den gegenwärtigen Verhältnissen entsprechenden Zusammensetzungen und Wirkungskreisen angeordnet wurde, sind die tg. Minister der Ansicht, daß diese Einrichtung auch in Siebenbürgen, Kroatien mit Slawonien und in der serbischen Woiwodschaft mit dem Temescher Banate durchzuführen wäre.

[Seite 14] Wenn bei den Bestimmungen über die Bezirks- und Kreisausschüsse und Komitatskongregationen oder bei den Landgemeinde- und Städteordnungen nach der Aktivierung derselben sich Mängel herausstellen oder Änderungen als wünschenswert zeigen sollten, so wird es zunächst Sache der Landesvertretung sein, darauf gerichtete Anträge vor den Ah. Thron zu bringen.

Die oberste Stufe der autonomen Vertretungskörper in den Kronländern werden die Landtage einnehmen.

|| S. 444 PDF || Die Zusammensetzung und mehr noch die Wirksamkeit derselben ist für die innereGestaltung des Reiches von höchster Tragweite.

Bei der Zusammensetzung der Landesvertretungen ist nach der Ansicht der tg. Minister darauf zu sehen, daß die Grundsätze der Gleichberechtigung der Volksstämme und der politischen Gleichstellung der Staatsbürger tunlichst [Seite 15] gewahrt, zugleich aber auch an die historischen Überlieferungen und noch lebensfähigen früheren Einrichtungen angeknüpft werde.

Was im Lande durch hervorragende soziale Stellung, durch Teilnahme an den öffentlichen Lasten, durch Besitz und Erwerb einen Anspruch hat auf aktive Beteiligung im politischen Leben überhaupt und auf Vertretung seiner Interessen insbesondere, soll im Landtage seinen Ausdruck erhalten. Finden sich darunter Elemente früherer Berechtigungen, so sollen sie dieses Rechtes wegen nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern vielmehr mit Vorzug in der neuen Körperschaft zur Geltung gebracht werden. Bei Festhaltung dieser leitenden Gesichtspunkte wird im übrigen hinsichtlich der Gestaltung und inneren Einrichtung der Landesvertretungen, insbesondere auch hinsichtlich der etwaigen Abteilung der Vertretungskörper und der Bildung ständiger Ausschüsse aus [Seite 16] ihnen, alles dasjenige sorgfältig zu benützen und in die künftige Institution aufzunehmen sein, was von früher her der Anschauung der betreffenden Länder wert geblieben und den besonderen Verhältnisse derselben entsprechend ist.

Bei der Wirksamkeit der Landtage ist es notwendig, das Verhältnis der Länder zum Gesamtreiche und die autonome Stellung der Landtage gegenüber den Regierungsbehörden im Lande in das Auge zu fassen.

Den obersten Grundsatz in betreff der Beziehungen der Kronländer zum Reiche haben Ew. Majestät durch die bedeutungsvollen, an den verstärkten Reichsrat gerichteten Worte ausgesprochen, „daß der gleiche Schutz allen Stämmen und Ländern des Reiches gesichert und daß sie gleichberechtigt und gleichverpflichtet in brüderlicher Eintracht zu einem mächtigen Ganzen verbunden sein sollen“.

Der Reichsrat hat den einheitlichen Gesamtverband [Seite 17] der Länder des Reiches, wodurch die einzelnen Teile als lebenskräftige Stütze des Ganzen und das Gesamtreich als schützende Garantie des Bestandes der einzelnen Teile sich darstellt, als eine politische Notwendigkeit anerkannt, hervorgehend aus den Wechselbeziehungen der Länder und Stämme des Reiches unter sich und zum Ah. Throne und unerläßlich für Österreichs Großmachtstellung nach außen und seinen Forschritt im Inneren.

Vollkommen durchdrungen von dieser Wahrheit betrachten es die tg. Minister als die wichtigste Aufgabe der Organisierung des Reiches, die Einheit des großen Ganzen mit der Selbständigkeit seiner Teile, die freie Selbstbestimmung der Kronländer mit der notwendigen Stärke der Reichsgewalt in Einklang zu bringen.

Unverkennbar groß sind die Schwierigkeiten dieser Aufgabe. Der erste und wichtigste Schritt zur Lösung ist [Seite 18] aber getan, sobald es überall klar erkannt wird, daß die Länder des Reiches selbständig nebeneinander bestehend dund keines dem anderen dienstbard in der Gesamtmonarchie die unlösbare Vereinigung zu finden haben und daß sie, wie sie immer auch ihre eigenen, die übrigen Länder nicht berührenden Angelegenheiten || S. 445 PDF || autonom verwalten und schlichten mögen, doch bezüglich der das Reich betreffenden gemeinsamen Angelegenheiten sich den aus der Kräftigung der Monarchie und der Reichseinheit ergebenden Notwendigkeiten nicht entziehen dürfen.

Der Umfang und die Grenze dieser Notwendigkeiten kann von autonomen Landesorganen einzelner Teile des Reiches für sich nicht entschieden werden, denn dies hieße, das Gesetz eines Teiles der Gesamtheit aller unter sich Gleichberechtigten aufnötigen. Die Entscheidung kann nur von der Ah. Machtvollkommenheit [Seite 19] Ew. Majestät mit dem Beirate desjenigen Organes ausgehen, welches Ew. Majestät zur Vertretung der Interessen der Gesamtmonarchie in dem verstärkten Reichsrate eingesetzt haben.

Damit soll übrigens nach der Ansicht der tg. Minister nicht gemeint sein, die Landesvertretungen von jeder Anregung und Einflußnahme auf Reichsangelegenheiten gänzlich auszuschließen. Es erscheint vielmehr, weil alles, was das Reich betrifft, naturgemäß auf die einzelnen Teile zurückwirkt, zulässig und zweckmäßig, denselben das Recht zu erteilen, bezüglich des Einflusses allgemeiner Gesetze und Einrichtungen auf die Wohlfahrt des betreffenden Landes oder auf die Beziehungen der Kronländer untereinander zu beraten und Vorstellungen und Anträge hierüber Ew. Majestät vorzulegen.

Auch dürften Ew. Majestät Sich bewogen finden, den Entwurf eines Reichsgesetzes, wenn es für bestimmte Länder von besonderer Bedeutung ist, von den betreffenden Landesvertretungen beraten zu lassen, [Seite 20] bevor derselbe der Beratung des Reichsrates unterzogen wird.

Überhaupt glauben die tg. Minister, in der praktischen Behandlung der das Verhältnis der Landesvertretung zum Reiche betreffenden Fragen den Grundsatz festhalten zu sollen, daß, wenn nur das für den Gesamtverband und die Reichsgewalt Unerläßliche überall gewahrt bleibt, im übrigen so viel wie möglich eden Kronlandesorganen zu überlassen, dabei jedoch auch, ohne allseitige Gleichförmigkeit zu verlangen, die verschiedenen Verhältnisse und Wünsche der Länder selbst zu berücksichtigen seiene .

In den eigenen Landesangelegenheiten werden die Landesvertretungen das Prinzip der Selbstverwaltung zur Geltung bringen. Die Landtage selbst oder die aus ihnen hervorgehenden oder durch sie bestellten Organe werden daher die Oberaufsicht über die unteren autonomen Körperschaften ausüben. Sie werden das Vermögen und die Fonds des Landes, die aus Landesmitteln und für Landeszwecke bestehenden oder zu errichtenden Anstalten und Stiftungen verwalten, die hiefür nötige Bedeckung insbesondere durch Zuschläge zu den direkten Steuern innerhalb der durch die Rücksicht auf die Staatsbe[Seite 21]dürfnisse gebotenen Grenzen beschließen und überhaupt in dem, was das Land allein und seine geistige und materielle Wohlfahrt betrifft, sowohl bei der Erlassung oder Änderung von Gesetzen als bei der Ausführung derselben und bei der Beschaffung der dem Lande obliegenden Leistungen für die Bedürfnisse des Reichesf mitwirken.

Die Landesvertretungen werden ermächtiget sein, in Ausübung des Petitionsrechtes die das Land und seine Interessen betreffenden Wünsche und Beschwerden Ew. Majestät || S. 446 PDF || vorzutragen und die bei den Regierungsorganen im Lande etwa wahrgenommenen Mißbräuche und Gesetzwidrigkeiten den vorgesetzten Behörden derselben zur Untersuchung und Abhilfe bekannt zu geben.

Wenn Ew. Majestät die hier entwickelten Ansichten über Landesvertretungen im allgemeinen genehmigen, werden die tg. Minister außer den bereits zur Ah. Schlußfassung vorgelegten sogleich [Seite 22] auch die Entwürfe der übrigen Landesstatute, wozu umfassende Materialien und Vorarbeiten vorhanden sind, in rascher Aufeinanderfolge Ew. Majestät unterbreiten, damit die Landesvertretungen sobald als möglich ins Leben gerufen werden können.

Sollte es ungeachtet des redlichsten Bestrebens der tg. Minister vorkommen, daß in einem oder dem anderen Landesstatute die besonderen Verhältnisse oder Wünsche des Landes nicht durchgehends die befriedigende Beachtung fanden, so wird der betreffende Landtag selbst am besten in der Lage sein, solche Wahrnehmungen zur Sprache und die gewünschten Änderungen in Antrag zu bringen, und Ew. Majestät werden in landesväterlicher Huld gewiß geneigt sein, begründeten Vorstellungen jede mit den Rechten des Thrones und mit der Rücksicht auf das Gesamtreich vereinbarliche Beachtung zu gewähren.

[Seite 23] Im Vorstehenden haben sich die tg. Minister erlaubt, die Art der Durchführung des von Ew. Majestät ausgesprochenen Grundsatzes der Autonomie in den Gemeinden, Bezirken, Kreisen und Komitaten und bei den Landesvertretungen umständlich auseinanderzusetzen.

Die nachfolgende Darstellung nun hat zur Aufgabe, den Einfluß jenes Prinzipes auf die Stellung der Regierungsbehörden zu beleuchten.

gEs ist zwar selbstverständlich, daß, was immer für eine Mitwirkung bei der Gesetzgebung von den Landtagen und dem Reichsrate verlangt werde, die vollziehende Regierungsgewalt nur allein durch die von Ew. Majestät dazu berufenen Behörden und Organe ausgeübt werden könne.g

Allein, einerseits der Umstand, daß viele bisher von Regierungsbehörden besorgte, aber nicht zu den eigentlichen Regierungsangelegenheiten gehörige Geschäfte künftig den selbstverwaltenden Körperschaften zugewiesen werden, und andererseits [Seite 24] die nach den obigen Erörterungen zulässige Inanspruchnahme der Tätigkeit dieser autonomen Organe zur Unterstützung der Regierungsbehörden wirkt sowohl auf den Geschäftsbereich als auf die Einrichtung dieser Behörden zurück.

Die autonome Stellung der Gemeinden und der Landesvertretungen führt notwendig zur Ausscheidung der eigentlichen Justizgeschäfte aus dem Bereiche administrativer Organe und zu einer einfacheren Gliederung der Verwaltungsbehörden mit einem kürzeren Geschäftszuge und einer mehr dezentralisierenden Feststellung ihrer Wirkungskreise.

hDie Einheit des Rechtes, nämlich die Gleichheit, wenn auch nicht Gleichförmigkeit in den Grundsätzen der Zivil- und Strafgesetzgebung ist im gemeinschaftlichen Interesse aller Teile des Reiches gelegen, und die Handhabung dieser Gesetzeh – das Richteramt – || S. 447 PDF || kann als ein Ausfluß des höchsten Majestätsrechtes nur von den durch Ew. Majestät dazu bestellten Organen verwaltet werden.

Dabei versteht es sich jedoch, [Seite 25] daß Geschäfte namentlich der freiwilligen Rechtspflege, bei denen es sich nicht um eine Rechtsprechung handelt, sowie jene Gesetzesübertretungen, die mehr der Disziplinargewalt als dem Strafrecht anheim fallen, nicht von lf. Richtern behandelt zu werden brauchen.

Die Behören für das eigentliche Richteramt, bei welchem die Maximen der Öffentlichkeit und Mündlichkeit des Verfahrens die tunlichste Anwendung finden sollen, wären nach der Ansicht der tg. Minister in der Art einzurichten, daß, abgesehen von den für geringfügige Streite zu bestellenden Ortsgerichten als erste Instanzen Kollegialgerichte mit den dazu gehörigen, nach Erfordernis exponierten Einzelnrichtern und als zweite und in der Regel letzte Instanzen die Obergerichte bestimmt werden, sodaß die endgültige Rechtsprechung in den Kronländern selbst erfolgen und nur durch Bestellung eines Obersten Kassationshofes für die Wahrung [Seite 26] der Rechtseinheit und der richtigen Anwendung des Gesetzes gesorgt sein würde.

Der behördliche Organismus für die politische Verwaltung wird in den Kronländern sich in der Regel und soweit es die notwendige Rücksicht auf die Schonung des Staatsschatzes zuläßt, nach den Gebieten zu richten haben, für welche die autonomen Körper wirksam sind. Unter der Landesstelle werden daher dort, wo Kreis- oder Komitatsausschüsse oder Kongregationen bestehen, lf. Kreis- oder Komitatsorgane, und wo Bezirksausschüsse fungieren, lf. Bezirksorgane die Regierungsgeschäfte besorgen, was gegenüber der bisher nur teilweise beseitigten Kumulierung von Kreis- und Bezirksbehörden und im Vergleiche mit der jetzigen großen Anzahl von Bezirksbehörden, jedenfalls eine ebenso beträchtliche Kostenverminderung als Geschäftsvereinfachung zur Folge haben wird.

Für Ungarn haben Ew. Majestät bereits die Einrichtung [Seite 27] von Komitatsverwaltungen angeordnet.

Nach dem oben über die Komitatskongregationen Gesagten werden nach dem Ermessen der tg. Minister auch in Siebenbürgen, Kroatien und Slawonien, der serbischen Woiwodschaft mit dem Banate Komitatsverwaltungen oder nach Umständen Stuhlverwaltungen zu bestehen haben. Für jene Kronländer, in welchen dermalen keine Kreisämter mehr bestellt sind, wird die Unterteilung in Bezirke und – um die den tg. Ministern vorschwebende Idee mit einem Worte kurz zu bezeichnen – die Wiedereinführung der auch bei der Bevölkerung im guten Andenken verbliebenen Bezirkshauptmannschaften die passendste Organisation bilden. Sie wird sich auch vom Kostenpunkte aus umso mehr empfehlen, als viele der vormals den Bezirkshauptmannschaften obgelegenen Geschäfte künftig den Orts- und Bezirksgemeinden und deren eigenen Organen zufallen werden.

[Seite 28] Bezüglich der anderen Länder wird es Gegenstand der weiteren Erwägung sein, ob mit Rücksicht auf die Größe des Gebietes und die Bedürfnisse des Dienstes entweder der Bezirks- oder der Kreisorganismus für die Einrichtung sowohl der Regierungs- als der autonomen Organe zur Grundlage zu dienen habe.

iWas die lombardisch-venezianischen Provinzen anbelangt, so erscheint eine Reorganisation nicht notwendig, nachdem die Justiz von der Verwaltung getrennt ist und die Delegationen (Kreisbehörden) mit den exponierten Kommissariaten neben autonomen Kongregationen bestehen.i Was die lombardisch-venezianischen Provinzen anbelangt, so erscheint eine Reorganisation nicht notwendig, nachdem die Justiz von der Verwaltung getrennt ist und die || S. 448 PDF || Delegationen (Kreisbehörden) mit den exponierten Kommissariaten neben autonomen Kongregationen bestehen.

In betreff der Gestaltung und Einrichtung der Zentralbehörden für diejenigen Dienstzweige, welche in den Kronländern bei der politischen Verwaltung vereint besorgt werden, können sich die tg. Minister nicht erlauben, der Ah. Erwägung und Entscheidung Ew. Majestät vorzugreifen.

[Seite 29] Sie beschränken sich hier nur auf zwei ehrerbietigste Bemerkungen, wovon die eine das Personale, die andere die Kompetenz jener Zentralbehörden betrifft.

In ersterer Beziehung dürften Ew. Majestät unbeschadet des unantastbaren Majestätsrechtes der freisten Wahl Allerhöchstihrer Diener doch der Geneigtheit Raum geben, bei den Besetzungen in den Zentralbehörden auf die einzelnen Länder tunlichst Bedacht zu nehmen, weil die genaue Kenntnis der Landesverhältnisse vorzugsweise bei demjenigen, der dem betreffenden Kronlande entstammt, sich vorfindet, und weil die Länder selbst mit mehr Beruhigung der Entscheidung ihrer Angelegenheiten im Zentrum entgegensehen, wenn Landesangehörige hiebei mitgewirkt haben.

Für die Kompetenz der Zentralbehörden wäre im allgemeinen als Richtschnur festzuhalten, daß von den administrativen Regierungs[Seite 30]geschäften so viel wie möglich im Bereiche der Landesbehörden endgültig abgetan, für Parteisachen der Instanzenzug abgekürzt und in der Regel die zweite Instanz als letzte bestellt und die Tätigkeit der Zentralbehörden nicht auf geringfügige Angelegenheiten oder unfruchtbare Schreibereien vergeudet, sondern vielmehr für die oberste Leitung und Überwachung und für solche Angelegenheiten verwendet werde, die wegen ihrer inneren Wichtigkeit und Bedeutung, wegen des Einflusses auf das Reich oder auf die Interessen von zwei oder mehreren Kronländern zugleich oder endlich deshalb der Behandlung einer Landesbehörde nicht überlassen werden dürfen, weil die Entscheidung nur von Ew. Majestät selbst auszugehen hat.

Die Chefs sämtlicher Zentralbehörden findenj ihren Vereinigungspunkt in der vom Ministerpräsidenten geleiteten Konferenz. kEin einheitliches und konsequentes Vorgehen [Seite 31] der obersten Organe Ew. Majestät ist nur möglich, wennk alle wichtigeren, im Ressort einer jeden Zentralbehörde vorkommenden Gegenständel in der Ministerkonferenz verhandelt und hiedurch vom Standpunkte eines jeden Dienstzweiges aus beleuchtet und entschieden oder zur Ah. Schlußfassung vorgetragen werden.

Gestatten Ew. Majestät endlich, die Umrisse der künftigen Organisation noch durch einige ehrerbietigste Andeutungen über den neben den obersten Zentralbehörden bestehenden Reichsrat zu vervollständigen.

m Für den ständigen Reichsrat erlauben sich die tg. Minister die Bestimmung zu befürworten, daß Kompetenzfragen zwischen der Justiz und Administration oder zwischen einzelnen Zentralbehörden in dem ständigen Reichsrate mit Zuziehung aller Mitglieder der Ministerkonferenz verhandelt werden sollen.

|| S. 449 PDF || Der tg. Mini[Seite 32]sterpräsident würde, wenn Ew. Majestät diese Erweiterung des reichsrätlichen Wirkungskreises im Grundsatze genehmigen, im Einvernehmen mit dem Reichsratspräsidium den näher formulierten au. Antrag Ew. Majestät vorzulegen sich beeilen.

Der verstärkte Reichsrat bildet das oberste Glied in der Stufenfolge der Vertretungskörper, welche neben den eigentlichen Regierungsorganen an der Besorgung der öffentlichen Angelegenheiten teilnehmen.

So wie den früher besprochenen autonomen Körpern die Vertretung der Gemeinde- und Landesinteressen zukommt, so ist die Vertretung der Interessen der Gesamtmonarchie von Ew. Majestät dem verstärkten Reichsrate anvertraut.

In den Mitgliedern desselben sind alle einzelnen Kronländer mit annähernder Berücksichtigung ihrer Bedeutung und zugleich jene Elemente vertreten, [Seite 33] welche als die Spitzen des sozialen und staatlichen Lebens anzusehen sind.

Schon das kaiserliche Patent vom 5. März d. J. hat diese Körperschaft mit einem sehr wichtigen Wirkungskreise ausgestattet.

Wenn auch die erste Versammlung derselben noch nicht Gelegenheit fand, jene Wirksamkeit in allen Richtungen gleichmäßig auszuüben, so haben doch die eben stattgehabten Beratungen bereits gezeigt, welchen eingreifenden und nachhaltigen Einfluß der verstärkte Reichsrat durch Anregungen und Ratschläge in den wichtigsten organisatorischen und legislativen Fragen, durch Besprechung wahrgenommener Mängel und Übelstände und durch Kundgebung allgemeiner Bedürfnisse und Wünsche zu nehmen in der Lage sei. Seine Wirksamkeit wird sich noch mehr konsolidieren und in bestimmteren Richtungen ausprägen, sobald die in diesem au. Vortrage besprochene Einrichtung [Seite 34] in den Gemeinden und Kronländern nund bei den Regierungsbehördenn durchgeführt und die Tätigkeit im öffentlichen Leben in neue gesetzliche Bahnen gelenkt sein wird.

Seit der Einberufung des verstärkten Reichsrates geruhten Ew. Majestät die Kompetenz desselben durch die beschließende Mitwirkung bei den wichtigsten Finanzangelegenheiten des Reiches in bedeutungsvollster Weise zu erweitern.

oNach den Ag. Intentionen, welche Ew. Majestät bei der Einsetzung des verstärkten Reichsrates geleitet haben, und bei der hohen Bedeutung, welche Ew. Majestät den Anträgen und Beschlüssen desselben beilegen, werden Ew. Majestät gewiß bezüglich der Stellung dieser Körperschaft fortan die maßgebenden Momente im Auge zu behalten und zum Ausgangspunkte der Ah. Entscheidung zu nehmen geneigt sein, damit im Reichsrate dem Prinzipe der Vertretung der [Seite 35] Interessen der Gesamtmonarchie ein allseitiger und vollwichtiger Ausdruck gegeben und der Gesamtverband versinnlicht werde, in welchem alle Länder und Völker des Reiches in angestammter unverbrüch­licher Treue sich um den Ah. Thron zu vereinigen haben.o