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Nr. 211 Ministerkonferenz, Wien, 10. September 1860 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Marherr; VS. Rechberg; BdE. und anw. (Rechberg 10. 9.), Thun 11. 9., Nádasdy 11. 9., Gołuchowski 11. 9., Plener 12. 9., FML. Schmerling 12. 9., Breisach; abw. Thierry.

MRZ. – KZ. 2984 –

Protokoll der zu Wien am 10. September 1860 abgehaltenen Ministerkonferenz unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, Ministers des kaiserlichen Hauses etc. Grafen v. Rechberg.

[I.] Maßregeln zur Verteidigung der adriatischen Küsten

Gegenstand der Beratung waren die Vorschläge Sr. k. k. Hoheit des Herrn Erzherzogs Marineober­kommandanten zur Verteidigung der adriatischen Küsten gegen einen Angriff1.

Als Zentralpunkt derselben wird die Insel Lissa bezeichnet, da dieselbe, wie Oberst Breisach versicherte, hierzu die geeignetste Lage hat; die k. k. Flotte würde dort ihre Hauptstation haben und von dort aus kreuzen. Zur vollständigen Ausführung haben Se. k. k. Hoheit Höchstihre Anträge in 16 Punkten formuliert, von denen einige den Wirkungskreis anderer Zentralstellen berühren, in welcher Beziehung Oberst Breisach beauftragt ist, die Zustimmung der betreffenden Chefs und der Konferenz einzuholen. Diese Punkte sind:

a) die Verstärkung der Besatzung von Lissa um ein Jägerbataillon, eine Infanteriedivision und eine aRaketenbatterie und der nötigen Artilleriemannschafta, Errichtung eines Blockhauses, Abgabe weittragender Geschütze.

Hierwegen ist bereits an das Armeeoberkommando geschrieben worden, welches in der Rücksicht, daß Lissa wohl ein vorzüglicher Beobachtungspunkt, aber zur Verteidigung nicht geeignet ist, sich in der Hauptsache gegen die angesprochene Verstärkung erklärt und nur zugegeben hat, daß das militärische Kommando auf der Insel ganz auf den Marinekommandanten übergehe und daß, nebst den Beiträgen für die Errichtung des Blockhauses, einige disponible Geschütze und ein kleiner Teil der angesprochenen Landmannschaft werde abgegeben werden können2.

FML. Ritter v. Schmerling , welcher sich auf die schriftliche Äußerung des Armeeober­kommandos bezog, erklärte übrigens, über das Maß der in Aussicht gestellten Zugeständnisse erst dann eine Äußerung abgeben zu können, wenn über den eben erst eingelaufenen Bericht des FML. Baron Mamula wegen Verstärkung der Truppenmacht bund dergleichenb in Dalmatien überhaupt vom Armeeoberkommando wird entschieden worden sein, || S. 411 PDF || cwas in der kürzesten Zeit geschehen soll. Im allgemeinen sei bisher der Grundsatz festgehalten, dem genannten Feldmarschalleutnant es zu überlassen, die zugewiesenen Truppen, Geschütze etc. nach eigenem Ermessen zu verwenden. Dies müsse also auch betreff Lissas der Fall sein.c was in der kürzesten Zeit geschehen soll3. Im allgemeinen sei bisher der Grundsatz festgehalten, dem genannten Feldmarschalleutnant es zu überlassen, die zugewiesenen Truppen, Geschütze etc. nach eigenem Ermessen zu verwenden. Dies müsse also auch betreff Lissas der Fall sein. Hiergegen erinnerte Oberst Breisach , daß Lissa gegen eine große Seemacht zwar nicht zu halten sei, wohl aber gegen die selbst vereinigte piemontesisch-neapolitanische Flotte behauptet werden könne und darum dder Besitz derselben unserseits nicht nur für die Marine, sondern auch für die Landarmee von der größten Wichtigkeit sein müssed, weil, wenn es in Feindes Hände gerät, von dort aus alle Operationen gegen unsere Inseln und Küsten geleitet werden können. eAuch sei er überzeugt, daß der Besitz der Insel Lissa nicht nur für den uns gegenwärtig androhenden Feind, sondern selbst für jede andere neutrale Seemacht von solch großer Bedeutung sei, daß sie den Besitz derselben gewiß auch mit Aufopferung von großen Geldsummen sich verschaffen würden.e Es muß daher für dessen ausgiebige Verteidigung gesorgt werden, und würde es auch von Seite des Marineoberkommandos selbst, wenn es ihm gestattet wird, die Marineinfanterie auf den Kriegsfuß zu setzen, fund die erforderlichen Geldmittel für alle diese vermehrten Auslagen angewiesen würden.f

Bei dieser Meinungsverschiedenheit der beiden militärischen Autoritäten, bemerkte der Justizminister , fällt es den übrigen Mitgliedern der Konferenz schwer, sich über die Notwendigkeit oder das Maß der Truppenverstärkung auszusprechen. Nur so viel glaubte der Ministerpräsident andeuten zu sollen, daß es ein Fehler wäre, wenn man, um alle Punkte zu besetzen, die Streitkräfte zersplittern wollte, statt sie für den auf dem italienischen Festlande zu führenden entscheidenden Schlag zu konzentrieren. Wird dieser glücklich geführt, so fällt das Küstenland, wenn es auch zeitweilig aufgegeben worden wäre, wieder dem Reiche zu4.

b) Übergabe der politischen Gewalt an den Marinekommandanten in Lissa und Aufstellung von Polizeiexposituren in Lissa und Lussin piccolo.

Ersteres kann nach der Bemerkung des Ministers des Inneren beim Eintritt der Gefahr durch Erklärung des Belagerungszustandes vom Statthalter im Einvernehmen mit dem Militärkom­mandanten verfügt werden, gwozu die Ah. Bewilligung alsogleich eingeholt werden wird, sobald in der fraglichen Angelegenheit das Ministerium des Inneren seitens des Marineoberkommandos begrüßt worden sein wird.g

|| S. 412 PDF || Belangend die Polizeiexposituren erklärte der Minister des Inneren selbe für ganz überflüssig. Sollte das Bezirksamt, das mit der Verwaltung der Polizei betraut ist, die durch die militärische Besetzung etwa vermehrten Agenden nicht bestreiten können, so würde durch angemessene Vermehrung seines Personals gesorgt werden. Die Aufstellung besonderer Polizeiorgane gäbe nur zu Kompetenz­konflikten Anlaß.

c) Errichtung eines elektrischen unterseeischen Telegrafen von Lissa nach dem Festlande.

Da der Aufwand für denselben von Oberst Breisach auf 50.000 f. angeschlagen wird, so erklärte sich der Leiter des Finanzministeriums gegen dessen Errichtung, indem er nicht glaubt, daß dieselbe binnen so kurzer Zeit werde stattfinden können, um den mit dem hsehr bedeutendenh Aufwande dafür im Verhältnis stehenden Nutzen zu gewähren. Ohnehin besteht ein optischer Telegraf, iund es müsse bei den stets um sich greifenden Mehrauslagen im Militäretat sich gegen weitere nicht vollkommen gerechtfertigte Auslagen mit Entschiedenheit ausgesprochen werden, daher sich gegen die Errichtung des submarinen Telegrafen erklärt wird.i Dieser [der optische Telegraf] ist aber, entgegnete Oberst Breisach , nicht in allen Fällen verwendbar, und es ist von großer Wichtigkeit, Wahrnehmungen über feindliche Bewegungen mit Sicherheit und Schnelligkeit mitteilen zu können, jda sonst der Fall leicht eintreten könnte, daß man die Annäherung des Feindes erst in dem Augenblicke am Zentralpunkt erführe, wenn er schon nahe am beabsichtigten Landungspunkte sich befindet, wo dann die zu treffenden Maßregeln als zu spät eingeleitet wirkungslos werden könnten. Auch müßten sonst solche Wahrnehmungenj durch einen eigenen Avisodampfer überbracht werden, dessen Unterhaltung, bei offenbar geringerer Leistung, fast ebenso viel wie der Telegraf kosten würde. Aus dieser Rücksicht erklärte sich der Justizminister für die Errichtung, und auch FML. Ritter v. Schmerling fand dagegen nichts einzuwenden, insofern selbe nicht etwa auf Rechnung des Armeebudgets käme.

Die übrigen, also mehreren Stimmen, schlossen sich der Ansicht des Leiters des Finanzministeriums an5.

d) Verhaltung der nach Dalmatien verkehrenden Lloydschiffe zum Anlegen in Lissa.

Gegen dieses Begehren erhob der Leiter des Finanzministeriums keinen Anstand, behielt sich aber vor, über die Details noch einige Erkundigungen einzuziehen.

e) Auch andere Einrichtungen für Spitäler etc. unterlägen, falls sie notwendig sind, nach dem Erachten des Leiters des Finanzministeriums keinem Bedenken, der übrigens nur bedauert, daß durch fortwährende neue Anforderungen der in dem Finanzbericht in Aussicht gestellte Barbestand am Schlusse des Verwaltungsjahres 1860 so wesentlich vermindert werden wird6.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Schönbrunn, 17. September 1860.