Nr. 209 Ministerkonferenz, Wien, 6. September 1860 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend: Thierry keine BdE.
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Marherr; VS.Vorsitz Rechberg; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Rechberg 6. 9.), Thun 11. 9., Nádasdy 11. 9., Gołuchowski 15. 9. [bei I. abw.abwesend], Thierry [BdE.Bestätigung der Einsicht fehlt], Plener 17. 9., FML. Schmerling 18. 9.
MRZ. – KZ. 3052 –
Protokoll der zu Wien am 6. September 1860 abgehaltenen Ministerkonferenz unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, Ministers des kaiserlichen Hauses etc. Grafen v. Rechberg.
I. Wegen persönlichen Erscheinens des Hauptmannes Stoičević vor dem Mantuaner Tribunal
Bei der Weigerung des k. k. Armeeoberkommandos, das persönliche Erscheinen des pensionierten Hauptmanns Georg v. Stoičević zu der vor dem Tribunale in Mantua bei verschlossenen Türen abzuhaltenden Schlußverhandlung wider den des Mißbrauchs der Amtsgewalt beschuldigten Munizipaldiurnisten Johann Ferdinand Rocca wegen möglicher Kompromittierung der Standesehre des erstgenannten Offiziers zu gestatten, sieht sich der Justizminister genötigt, Se. Majestät in einem au. Vortrage zu bitten, Allerhöchstdieselben geruhen im Sinne des § 120 der Strafprozeßordnung1 das Erscheinen [des] Stoičević vor Gericht anzubefehlen, indem dessen persönliche Gegenstellung mit dem Beschuldigten zur Überweisung des letzteren unerläßlich und die Standesehre durch die geheime Sitzung gewahrt ist2.
FML. Ritter v. Schmerling bezog sich auf die hierwegen vom k.k. Armeeoberkommando abgegebene Äußerung. Die übrigen Votanten fanden gegen das Vorhaben des Justizministers nichts einzuwenden3.a
II. Passiver Widerstand bei Steuerexekutionen in Ungern
Der Leiter des Finanzministeriums brachte zur Kenntnis der Konferenz, daß sich nach den ihm zugekommenen Berichten in Ungern eine Art passiven Widerstandes bei Exekutionen zur Einbringung der direkten Steuern zu organisieren beginne, der die Entfaltung ernsterer Maßregeln notwendig machen dürfte. Er behielt sich vor, auf diesen Gegenstand wieder zurückzukommen, sobald weitere Berichte werden eingelangt sein, || S. 401 PDF || obwohl der Minister des Inneren bemerkte, daß er die Erfolglosigkeit der Exekutionen eher dem Mangel an Energie von Seite der Beamten als einer vorbedachten und allgemeinen Opposition zuschreiben würde4.
III. Unterrichtssprache an den galizischen Universitäten und Gymnasien
Nachdem baus Anlaß gewisser Stellen in dem Budgetkomiteeberichte des verstärkten Reichsrates die Behauptung zu erwarten stehtb, daß der gegenwärtige Zustand der höheren Lehranstalten, Universitäten und Gymnasien Galiziens weder den ursprünglichen Stiftungen noch den Traktaten entspricht, so hielt der Unterrichtsminister für nötig, daß sich das Ministerium über die Grundsätze einige, nach welchen diese Anstalten bezüglich der Unterrichtssprache, auf welche obige Bemerkung abzielt, zu behandeln wären5.
Die Krakauer Universität ist ihrer Stiftung nach polnisch; sie soll auch, wie sich aus einer Stelle der 1815er Traktate folgern läßt, so eingerichtet sein, daß sie von polnischen Untertanen der drei Staaten besucht werden kann6. Hiernach cwird ihre bisherige Einrichtung als deutsche Universität für nicht haltbar erklärtc, doch kann – wie der Minister des Inneren bemerkte – nicht verlangt werden, daß darum ausschließlich in polnischer Sprache gelehrt werde, indem Krakau nicht mehr ein Freistaat sondern österreichisch ist7, und den polnischen Untertanen des Kaisers Gelegenheit gegeben werden muß, sich zu österreichischen Juristen auszubilden und bezüglich der übrigen wissenschaftlichen Abteilungen sich mit den höheren Leistungen der deutschen Gelehrsamkeit vertraut zu machen. Hiernach würde der Minister des Inneren glauben, daß an der juridischen Fakultät die Gegenstände der allgemeinen Bildung, als Rechtsphilosophie, römisch-kanonisches Recht etc. in polnischer, die speziell österreichischen Gesetzgebungsfächer, als ABGB., Gerichtsordnung etc. in deutscher Sprache, an der medizinischen die klinischen Gegenstände in polnischer Sprache vorzutragen seien. In der philosophischen wäre den Professoren freie Hand zu lassen. Der Unterrichtsminister erklärte sich vorläufig mit diesen Grundsätzen einverstanden, obwohl er insbesondere bezüglich der medizinischen Studien die Schwierigkeit einer Teilung nicht verkennt, || S. 402 PDF || zu welcher kein innerer Grund, wie etwa bei den Fächern der Gesetzgebung, zu bestehen scheint8.
Die Universität in Lemberg dürfte in ihrer dermaligen Einrichtung unverändert bleiben.
Was die Gymnasien anbelangt, so ist für das Krakauer Gebiet bereits die Einrichtung getroffen, daß der Unterricht in den untern Klassen dvorwiegend, in den höheren teilweised polnisch erteilt werde; dies dürfte auch bei den übrigen Gymnasien Westgaliziens zur Richtschnur genommen werden9. In Ostgalizien ist die Bevölkerung überwiegend ruthenisch; die Gymnasien sind dermal in Ermanglung tauglicher ruthenischer Lehrer deutsch, nur in Lemberg ist eines der drei Gymnasien eund zwar ein Naturgymnasiume polnisch. Der Unterrichtsminister äußerte gegen die Vermehrung der polnischen Gymnasien das Bedenken, daß dadurch die Besorgnis der ruthenischen Bevölkerung gegen ihre Polonisierung erregt werden würde, gegen welche sie zu schützen fdie Regierung alle Ursache hatf . Er glaubte daher, die Verhandlung, ob und welche polnische Gymnasien auf dem Lande einzurichten wären, dem gZeitpunkte vorbehalten zu sollen, wo darüber Stimmen von beiden Seiten werden gehört werdeng .
Allein, der Minister des Inneren machte die Berechtigung der im Lande wohnenden 600.000 Polen auf Berücksichtigung ihrer Nationalität und den Umstand geltend, daß die Anzahl der Studierenden beider Nationalitäten fast gleich ist, dann daß sich einige der ostgalizischen Gymnasien, wie jene zu Sambor und Drohobycz in solcher Nähe befinden, daß, falls eines davon polnisch würde, den Ruthenen kaum ein erheblicher Nachteil erwüchse, wenn sie ihre Kinder an das nichtpolnische Gymnasium schicken. Der Minister des Inneren würde daher beantragen, daß das dermal in Lemberg bestehende polnische, unvollständige Gymnasium zu einem vollständigen erhoben hoder richtiger, daß das eine der in Lemberg vorhandenen zwei deutschen Obergymnasien mit polnischer Unterrichtssprache nach dem Muster des Krakauer Obergymnasiums eingerichtet werdeh, eines der beiden Gymnasien in Sambor und Drohobycz polnisch eingerichtet und beispielsweisei in Złoczów, wo die Errichtung eines neuen beantragt ist, wenn es zustande kommt, ebenfalls die polnische Sprache als Unterrichtssprache eingeführt, jüberhaupt der Grundsatz festgehalten werde, daß in dem Verhältnisse, als die Zahl der ruthenischen Bevölkerung gegenüber der polnischen steht, ein gleicher Teil von Gymnasien mit Festhaltung der polnischen Unterrichtssprache (wie dies in den westlichen Kreisen Galiziens geschieht) eingerichtet werde, was beiläufig einen Dritteil der Gymnasien ausmachen dürfte. In den übrigen Gymnasien des ehemaligen Lemberger Verwaltungsgebietes würde die deutsche Unterrichtssprache beibehalten werden. Das dermalige in den östlichen Teilen Galiziens bestehende System in betreff der Unterrichtssprache in den Gymnasien ist ein anderes und daher gegenüber dem ausgesprochenen Wunsche der polnischen Bevölkerung ein durchaus unhaltbares, denn, wie bekannt, hat das Unterrichtsministerium auszusprechen befunden, daß die kaiserliche Verordnung vom Jahre 1853 in betreff der Unterrichtssprache in den Gymnasien des östlichen Teiles nicht zur Geltung gelangen kann, weil die ruthenische Sprache nicht genug ausgebildet ist, um in derselben den Unterricht zu erteilen, daher bis zum Augenblicke, wo die ruthenische Sprache sich wird herangebildet haben, der Unterricht in diesen Gymnasien in deutscher Sprache erteilt werden soll. Die gedachte Zentralstelle scheint absichtlich ignoriert zu haben, daß über 600.000 Polen in diesem Gebietsteile wohnen, die eine recht gut ausgebildete Sprache besitzen, und diese beträchtliche Anzahl von Insassen muß nun den Ruthenen zum Gefallen, weil diese keine ausgebildete Sprache besitzen, auf die Wohltat verzichten, in ihrer Sprache den Unterricht zu genießen und solche in der deutschen entgegennehmen.j überhaupt der Grundsatz festgehalten werde10, daß in dem Verhältnisse, als die Zahl der ruthenischen Bevölkerung gegenüber der polnischen steht, ein gleicher || S. 403 PDF || Teil von Gymnasien mit Festhaltung der polnischen Unterrichtssprache (wie dies in den westlichen Kreisen Galiziens geschieht) eingerichtet werde, was beiläufig einen Dritteil der Gymnasien ausmachen dürfte. In den übrigen Gymnasien des ehemaligen Lemberger Verwaltungsgebietes würde die deutsche Unterrichtssprache beibehalten werden. Das dermalige in den östlichen Teilen Galiziens bestehende System in betreff der Unterrichtssprache in den Gymnasien ist ein anderes und daher gegenüber dem ausgesprochenen Wunsche der polnischen Bevölkerung ein durchaus unhaltbares, denn, wie bekannt, hat das Unterrichtsministerium auszusprechen befunden, daß die kaiserliche Verordnung vom Jahre 1853 in betreff der Unterrichtssprache in den Gymnasien des östlichen Teiles nicht zur Geltung gelangen kann, weil die ruthenische Sprache nicht genug ausgebildet ist, um in derselben den Unterricht zu erteilen, daher bis zum Augenblicke, wo die ruthenische Sprache sich wird herangebildet haben, der Unterricht in diesen Gymnasien in deutscher Sprache erteilt werden soll11. Die gedachte Zentralstelle scheint absichtlich ignoriert zu haben, daß über 600.000 Polen in diesem Gebietsteile wohnen, die eine recht gut ausgebildete Sprache besitzen, und diese beträchtliche Anzahl von Insassen muß nun den Ruthenen zum Gefallen, weil diese keine ausgebildete Sprache besitzen, auf die Wohltat verzichten, in ihrer Sprache den Unterricht zu genießen und solche in der deutschen entgegennehmen.
Nachdem der Unterrichtsminister sich diesem Antrage in thesi angeschlossen und auch die übrigen Votanten gegen diese vorläufige Vereinbarung der beiden Minister nichts zu erinnern gefunden hatten, behielt er sich vor, die hiernach erforderlichen Bestimmungen im Detail ausarbeiten zu lassen12.
Wien, am 6. September 1860. Rechberg.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Schönbrunn, 20. September 1860.