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Nr. 205 Ministerkonferenz, Wien, 23. August 1860 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Marherr; VS. Rechberg; BdE. und anw. (Rechberg 23./28. 8.), Thun 25. 8., Nádasdy 26. 8., Thierry 26. 8., Plener 26. 8., FML. Schmerling 27. 8.; abw. Gołuchowski.

MRZ. – KZ. 2800 –

Protokoll der zu Wien am 23. August 1860 abgehaltenen Ministerkonferenz unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, Ministers des kaiserlichen Hauses etc. Grafen v. Rechberg.

I. Vorschläge Dalmatien betreffend

Der Ministerpräsident brachte einige Vorschläge des zeitlichen Reichsrates C[onte] Borelli zur Kenntnis der Konferenz1. Sie betreffen die Aufrufung der Landesverteidigung in Dalmatien; die Schleifung der dortigen Festungen, die mehr gegen das Land als gegen die See gerichtet seien; die Zulassung der Errichtung zweier Fakultäten, der philosophischen und juridischen, in Zara zur Hebung der Stimmung; endlich die Mitteilung über die unter den Bewohnern der Bocche di Cattaro herrschende üble Stimmung.

Nach der Ansicht des Ministerpräsidenten [sei] der erste Vorschlag unter den gegenwärtigen Verhältnissen allerdings sehr berücksichtigungswert; die Initiative jedoch müsse dem Gouverneur überlassen werden. Gegen die Schleifung der Festungen erklärte sich FML. Ritter v. Schmerling , da selbe in neuerer Zeit auch gegen die See hin besser verwahrt wurden. Ebenso bemerkte der Unterrichtsminister , daß ein früherer Antrag wegen Errichtung einer Rechtsakademie wenig Anklang im Lande gefunden habe; auch sei nicht abzusehen, was davon für die Volksstimmung zu erwarten wäre. Für die Aufrechthaltung der Ruhe in den Bocche endlich dürfte durch den Kommandanten in Cattaro gesorgt werden.

Die Konferenz fand daher in diese Andeutungen des Proponenten nicht weiter einzugehen2.

II. Petition des griechisch-nichtunierten Patriarchen in Karlowitz

Der Minister für Kultus und Unterricht referierte über ein Majestätsgesuch des griechisch-nichtunierten Patriarchen in Karlowitz, worin zwölf Bitten im Interesse der griechisch-nichtunierten Kirche und der serbischen und romanischen Nation gestellt wurden3.

Indem der Minister sich vorbehielt, die Bitten 1–5 in einem abgesonderten Vortrage zu würdigen4, glaubte er über die folgenden [Bitten 6–12] nachstehende Anträge stellen zu sollen:

|| S. 384 PDF || 6. Errichtung einer eigenen Abteilung im Kultus- und Unterrichtsministerium für die griechisch-nichtunierten Kirchen und Schulangelegenheiten, besetzt mit nationalen Glaubensgenossen, nach Art der für die Evangelischen getroffenen Einrichtung5.

Dieses Begehren fände der Kultusminister zur Gewährung nicht geeignet, denn die Analogie mit den Evangelischen besteht nicht; diese haben keine so feste kirchliche Gliederung wie eine bischöfliche Kirche, bei welcher alle an die Regierung gelangenden kirchlichen Angelegenheiten nur im Einvernehmen mit den Bischöfen verhandelt werden müssen. Auch praktische Schwierigkeiten ergeben sich gegen die Erfüllung des Wunsches. Bei der notorischen Ignoranz des größten Teils des griechisch-nichtunierten Klerus würde es schwer sein, geeignete Individuen für das beabsichtigte Ministerialdepartement zu finden. Fände sich wirklich einer, so würde ihn der Minister zwar nicht ausschließen, jedoch besorgen, daß durch dessen Aufnahme die zwischen den Glaubensgenossen der serbischen und romanischen Nation bestehende Spaltung noch vergrößert werden würde, indem, wäre dieses Individuum ein Serbe, die Romanen, wäre es ein Romane, die Serben sich für beeinträchtigt halten würden.

Der Kultusminister gedächte daher Sr. Majestät den Antrag zu machen, daß diesem Begehren zwar keine Folge gegeben, aber erklärt werde, die Agenda der griechisch-nichtunierten Kirche werde von den Regierungsbehörden so verhandelt werden, wie es die Stellung der bischöflichen Kirche erfordert.

Der Justizminister fände es dagegen aus politischen Rücksichten sehr wünschenswert, wenn dem billigen Wunsche des Patriarchen wenigstens einige Berücksichtigung zuteil würde. Auch dem Kultusministerium selbst müsse es erwünscht sein, wenn es sich bei Bearbeitung der griechisch-nichtunierten Kirchenangelegenheiten einer damit bereits vertrauten Person bedienen kann. Hat doch, setzte der Ministerpräsident hinzu, in protestantischen Ländern die katholische Kirche ihre Vertreter im Ministerium; mit eben dem Rechte können wohl auch bei uns die griechischen Christen eine solche Vertretung ansprechen. Wird sie ihnen verweigert, so werfen sie sich vollends in die Arme der Russen. Diese und die übrigen Votanten waren daher der Ansicht, daß dem Patriarchen die Zusicherung erteilt werde, es werde im Ministerio für Kultus und Unterricht wenigstens ein Beamter bestellt sein, welcher der griechisch-nichtunierten Kirche angehört6.

7. Unentgeltliche Überlassung eines Bauplatzes in Wien und Gestattung einer Sammlung in der ganzen Monarchie für eine griechisch-nichtunierte Kirche und Schule für die slawische Nation. Der Kultusminister würde für die Gewährung der Sammlung stimmen, über die unentgeltliche Überlassung des Bauplatzes aber erst dann absprechen können, wenn nähere Nachweisungen über die Anzahl der in Wien wohnenden griechisch-nichtunierten Slawen, also über das Maß ihrer diesfälligen Bedürfnisse vorliegen werden7.

|| S. 385 PDF || 8. Errichtung zweier orientalischer orthodoxen Hochschulen, einer für Serben, einer für Romanen. Die Unzulässigkeit dieses Begehrens bedarf wohl keiner ferneren Erörterung8.

9. Abstellung der Proselytenmacherei für die Union. Hierwegen wäre auf die bestehenden Vorschriften zu verweisen. Wird dagegen verstoßen, so mögen die Beteiligten sich um Abhilfe an die Behörden wenden. Hierwegen befindet sich auch ein Vortrag von 1858 in Ah. Händen9.

10. Gewährung der Steuerfreiheit für die griechisch-nichtunierten Klöster. Hierüber ist eine besondere Verhandlung im Zuge10.

11. Änderung des Namens des „walachisch-banater“ in „serbisch-banater“ Grenzregiment. Dieses Begehren wird der Kultusminister an das Armeeoberkommando zur Erledigung abtreten11.

12. Erteilung der Rechte eines aöffentlichen Gymnasiumsa an die Gymnasien zu Karlowitz und Neusatz. Solange die gegenwärtige Studieneinrichtung besteht, können diesen Gymnasien die Rechte der Staatsgymnasien nur dann erteilt werden, wenn sie sich jenen Vorschriften konformieren, bwährend beide Gymnasien, von denen übrigens jenes zu Karlowitz in der Militärgrenze liegt, in einem ganz ungenügenden Zustande sich befindenb . Der Unterrichtsminister würde sich cjedoch, um der Bildung der griechisch-nichtunierten Serben und Romanen zu Hilfe zu kommen,c die Ah. Ermächtigung erbitten, eine Verhandlung darüber einleiten zu dürfen, daß das gedachte Gymnasium dzu Neusatzd und jenes zu Kronstadt (damit auch für die Romanen gesorgt sei) ein die Hände der Regierung übergeben und durch die erforderliche Unterstützung aus Staatsmitteln in einen guten Zustand gesetzt würdee .12

Gegen die Anträge des Kultusministers ad 7. bis 12. fand die Konferenz nichts zu erinnern.

III. Entfernung des „Elysiums“ aus dem Sankt-Anna-Gebäude in Wien

Der Unterrichtsminister referierte über die Entfernung des sogenannten „Elysiums“ aus dem St.-Anna-Gebäude in Wien13.

Sein Verbleiben daselbst über die bereits abgelaufene Pachtzeit ist infolge Ah. Entschließung vom 8. Dezember 1859 auf Vortrag des Finanzministers auf unbestimmte Zeit, jedoch gegen wechselseitige halbjährige Kündigung zugestanden worden14. Der Unterrichtsminister hat nun die Übelstände, welche ihn bestimmten, schon beim Ablauf der Pachtzeit auf die Entfernung des Elysiums aus diesem Studienfondsgebäude zu dringen, neuerlich durch Vernehmung des Schulenoberaufsehers, des Direktors der Akademie der bildenden Künste und des Inspektors des anstoßenden Malteserhauses konstatieren lassen, und auf Grundlage der vorgelesenen Äußerungen derselben, welche jene Übelstände für die Moralität und Gesundheit der schulbesuchenden Jugend auf das schlagendste dartun, beabsichtigt er die Auflösung des Bestandverhältnisses für den Georgstermin 1861 herbeizuführen15. Um jedoch gegen Einsprachen des Unternehmers16 gesichert zu sein, behielt er sich vor, dieses Vorhaben zur Ah. Kenntnis zu bringen und zu bitten, Se. Majestät geruhen zu befehlen, daß solchen Einsprachen keine Folge gegeben werden dürfe.

Die Konferenz fand dagegen nichts zu erinnern17.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Schönbrunn, 31. August 1860.