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Nr. 159a Votum des Kultusministers Graf Leo Thun zum Entwurf einer Landgemeinde­ordnung, o.O., o. D. [Wien, 22. 5. 1860] (Beilage zu: MRP-1-4-02-0-18600522-P-0159.xml) - Retrodigitalisat (PDF)

  • Beilage 3 zum Ministerkonferenzprotokoll v. 8., 10., 12. und 22. 5. 1860; RS. (Klaps).

MRZ. – KZ. keine –

Die Beratung des Entwurfes der Landgemeindeordnung ist in die Tage gefallen, in denen ich durch die neueste Krisis der ungarischen Protestantenfrage so in Anspruch genommen war, daß ich weder für dieselbe mich ernstlich vorbereiten, noch daran unausgesetzt teilnehmen konnte. Ich sehe mich deshalb genötigt, nachträglich folgende Bemerkungen beizufügen.

Die weitere Entwicklung der Gemeindeangelegenheiten wird offenbar als ein Gegenstand der Landes-, nicht der Reichsgesetzgebung unter Mitwirkung der Landtage, daher für jedes Kronland abgesondert, vor sich gehen. Deshalb scheint es nur angemessen, auch jetzt schon die Frage durch Spezialgesetze für jedes Land zu regeln, selbst in dem Falle, wenn diese Gesetze für einige Länder gleichlautend sein sollten. Übrigens kann ich darauf, daß formelle Übereinstimmung angestrebt werde, keinen Wert legen, sondern sehe vielmehr einen Gewinn darin, daß die Vorlagen der in den Ländern abgehaltenen Kommissionen, insoweit sie dem Inhalte nach zweckmäßig befunden werden und nicht etwa meritorischer Gründe wegen eine gänzliche Umarbeitung erheischen, soviel als möglich beibehalten werden.

Was die Wesenheit der Sache anbelangt, kann ich nicht umhin, folgende Punkte als die Grundlagen anzusehen, auf welchen die Landgemeindeordnung beruhen muß, wenn sie den Zweck erreichen soll, der allmählig fortschreitenden Auflösung, von welcher unsere Zustände auf dem Lande bedroht sind, Einhalt zu tun, statt der Revolution in die Hände zu arbeiten:

1. daß die Gemeinde auf ihre naturgemäße Gestalt in Beziehung auf ihren Umfang und auf ihre Bestandteile zurückgeführt werde, daher: Ausscheidung der vormals herrschaftlichen Gutsbesitzer und Festhaltung des Unterschiedes von Bauern und nicht zu dem Bauernstande gehörigen Dorfbewohnern;

2. daß ein selbsttätiges Kommunalleben angebahnt werde, daher Beseitigung behördlicher Ingerenz von Amtswegen, möglichst freie Bewegung im eigenen Haushalte und Beschränkung des Einflusses höherer Instanzen auf Gewährung des Schutzes, wo darum von einzelnen oder bedrückten Minoritäten angesucht wird, endlich keine beengende Detailinstruktionen.

3. Bewahrung der einfachen Dorfgemeinden vor dem verderblichen Einflusse von Gemeindeämtern und Beamten, daher Vermeidung von solchen Anforderungen in Beziehung auf öffentliche Angelegenheiten, die nicht der Ortsrichter mit den Geschwornen auf kurzem Wege besorgen kann.

Diese Grundsätze haben in dem Elaborate der böhmischen Kommission am meisten ihren Ausdruck gefunden, obwohl selbst dieses meines Erachtens zum Teil noch zu doktrinär und theoretisch gehalten ist.

Ich würde daher wünschen, daß zunächst dieses zur Grundlage näherer Beratung genommen würde; nur unter dieser Bedingung vermag ich meine Ansichten und positiven Anträge zu formulieren. Der vorliegende Entwurf des Ministers des Inneren steht || S. 194 PDF || mit den obigen Grundsätzen vielfach in so wesentlichem Widerspruche, daß ich ihm gegenüber mich darauf beschränken muß anzudeuten, welche Bestimmungen derselben es mir unmöglich machen, mich damit einverstanden zu erklären.

Der Entwurf hält impliciter (§ 1) an der Katastralgemeinde fest, ein administrativer Begriff, der nie in der Absicht konstruiert worden ist, die Grundlage der politischen Ortsgemeinde zu werden; er geht von der Voraussetzung aus (vgl. den Entwurf über die Gutsgebiete), daß in der Regel die vormaligen Grundherren in die Gemeinde einbezogen werden, und trifft, um das nach meiner Überzeugung unlösliche Problem ihrer Stellung in der Gemeinde zu lösen, Bestimmungen, welche die natürlichen Verhältnisse des Einflusses der Gemeindeglieder verrücken; er will unter diesen keinen Unterschied, als den der höheren oder minderen Besteuerung, gelten lassen, § 23 etc., eine stets willkürliche Scheidung; er nötiget allen Landgemeinden durch die teils schon getroffenen (§ 58 Voranschlag; der böhmische Entwurf § 45 schreibt einen solchen wenigstens nicht allen Gemeinden vor), teils vorbehaltenen Bestimmungen (§§ 58 und 71 Geschäftsordnung – Instruktionen) Administrations­formen auf, die für eine große Menge von Gemeinden gar kein Bedürfnis sind, sie vielmehr in unnötige Kosten verwickeln und ihnen das Gemeindewesen verleiden müssen; er beengt durch die §§ 64 und 68 die Selbstbesteuerung weit mehr als mir notwendig scheint (vergleiche §§ 51, 56 und 57 des böhmischen Entwurfes); er hält an der bisherigen, von den Behörden von Amts wegen zu übenden Überwachung und Ingerenz in die Gemeindegebarung fest (§ 71).

In Beziehung auf den sogenannten übertragenen Wirkungskreis wird sich zwar nicht deutlich darüber ausgesprochen, daß von der Gemeinde mehr gefordert werden solle, als was der Ortsrichter mit den Geschworenen ohne Kanzlei, Registratur und allem bürokratischen Zugehör zu leisten vermag; allein aus dem Erwähnten lässt sich bereits entnehmen, daß eine Geschäftsführung vorschwebt, die sich mit dem, was ohne obligate Gemeindeschreiber oder dergleichen geleistet werden kann, nicht begnügt, und bei der Diskussion des § 52 hat der Minister des Inneren laut des Konferenzprotokolles offen erklärt, daß „der übertragene Wirkungskreis von einfachen Landleuten ohne Beihilfe eines doch einigermaßen geschäftskundigen Beamten kaum wird versehen werden können“.

Auf solche Weise kann nach meiner Überzeugung das Ziel nicht erreicht werden, den Landgemeinden eine Einrichtung zu geben, unter welcher die Elemente, welche sie bisher bilden, wieder zu einem Gefühle von Befriedigung gelangen und indirekt veranlaßt werden, aus sich heraus ein regeres kommunales Leben zu entwickeln; eine Einrichtung, die es zugleich möglich machen soll, zu einer einfacheren und lebendigeren Behandlung der öffentlichen Geschäfte zurückzukehren und infolge dessen auch die Staatsverwaltung einfacher und minder kostspielig zu machen. Vielmehr muß, wenn auf diesem Wege fortgegangen wird, das Mißbehagen unter der Landbevölkerung, namentlich unter dem Bauernstande, immer mehr Nahrung finden, den Einfluß in den Dörfern immer mehr von denen, die ihn bis 1848 unbestritten besaßen, auf Menschen ganz anderer Qualität übergehen, infolge dessen die Ingerenz der Behörden bis in jedes Dorf hinein erst notwendig [wird], und es müssen so die Zustände immer ungesunder, verwickelter und kostspieliger werden. Wenn damit fortgefahren wird, auf solchen Grundlagen Versammlungen gewählter Volksvertreter neben die lf. Beamten und Behörden zu stellen, so wird lediglich die Idee durchgeführt, die im Jahre 1849 als ein integrierender || S. 195 PDF || Bestandteil der damals erlassenen Konstitution aufgestellt worden war, und wir kehren unvermeidlich in die Bahn zurück, die bald darauf als unzulässig und verderblich erkannt worden ist. Modifikationen der Detailbestimmungen über Wahlzensus und dergleichen können an der daraus notwenig hervorgehenden Umwandlung der sozialen Verhältnisse, an der progressiven Abschwächung der monarchischen Ideen und der konservativen Elemente für die Dauer nichts ändern.