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Nr. 149 Ministerkonferenz, Wien, 11. Mai 1860 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet; VS. Kaiser, BdE. und anw. Erzherzog Wilhelm, Erzherzog Rainer, (Rechberg 13./21. 5.), Thun 16. 5., Nádasdy 17. 5., Gołuchowski 18. 5., Thierry 19. 5., Benedek 24. 5., Plener 19. 5., FML. Schmerling 19. 5.

MRZ. – KZ. 1673 –

Protokoll der Ministerkonferenz am 11. Mai 1860 unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers.

[I.] Die Maßregeln zur Behebung der Agitation unter den Evangelischen Ungarns (1. Beratung)

Der Kultusminister referierte über die Maßregeln, welche ain Beziehung auf die Angelegenheiten der Protestanten in Ungarn zu ergreifen wären, nachdem die fortwährende Abhaltung für illoyal und verboten erklärter Konvente, namentlich unter den Kalvinern, die von denselben ausgeübte Agitation und infolgedessen die steigende Beirrung und Beunruhigung der Gemüter, endlich die dadurch veranlaßten zahlreichen Prozesse einen Zustand erzeugt haben, welcher ohne große Verlegenheiten für die Regierung nicht länger fortdauern, dem aber unter den obwaltenden Umständen nicht mit Gewalt entgegengetreten werden kann, und nachdem FZM. Benedek mit gutem Grunde erklärt, daß er den Gehorsam im Lande nicht herstellen könne, ehe nicht in dieser Angelegenheit dem Widerstande der Vorwand religiöser Pflichtgefühle benommen sei. Unter diesen Verhältnissen haben Se. Majestät es für notwendig erkannt, in dieser Angelegenheit Wege einzuschlagen, welche die Regierung der Anwendung von Zwangsmaßregeln zur Durchführung des Ah. Patentes vom 1. September v. J. möglichst entheben. Der Kultusminister hatte nach den ihm vorliegenden Berichten gehoffta in Beziehung auf die Angelegenheiten der Protestanten in Ungarn1 zu ergreifen wären, nachdem die fortwährende Abhaltung für illoyal und verboten erklärter Konvente, namentlich unter den Kalvinern, die von denselben ausgeübte Agitation und infolgedessen die steigende Beirrung und Beunruhigung der Gemüter, endlich die dadurch veranlaßten zahlreichen Prozesse einen Zustand erzeugt haben, welcher ohne große Verlegenheiten für die Regierung nicht länger fortdauern, dem aber unter den obwaltenden Umständen nicht mit Gewalt entgegengetreten werden kann, und nachdem FZM. Benedek mit gutem Grunde erklärt, daß er den Gehorsam im Lande nicht herstellen könne, ehe nicht in dieser Angelegenheit dem Widerstande der Vorwand religiöser Pflichtgefühle benommen sei. Unter diesen Verhältnissen haben Se. Majestät es für notwendig erkannt, in dieser Angelegenheit Wege einzuschlagen, welche die Regierung der Anwendung von Zwangsmaßregeln zur Durchführung des Ah. Patentes vom 1. September v. J. möglichst entheben. Der Kultusminister hatte nach den ihm vorliegenden Berichten gehofft, in den Verhandlungen des jüngsten Debrecziner Konventes Anhaltspunkte für diesen Akt der Ah. Milde zu finden; bdiese Hoffnung sei jedochb nicht in Erfüllung gegangen, da – wie die vorgelesenen Stellen aus dem Konventsprotokoll zeigen – die Richtung „auf die Verteidigung ihrer bestehenden Rechte“ festgehalten wird cund ein guter Wille, sich mit der Regierung zu verständigen, keinen Ausdruck gefunden habec .2 Unter diesen Umständen müsse das, was Allerhöchstenortes gewährt wird, lediglich durch den Wunsch, die Gemüter zu beruhigen, motiviert werden.

Minister Graf Thun las hierauf die von ihm verfaßten Entwürfed der Ah. Handschreiben an ihn selbst und an den FZM. Ritter v. Benedek, welche er jedoch ausdrücklich als noch nicht definitiv redigiert bezeichnete. || S. 146 PDF || Der Kultusminister gab sofort nähere Andeutungen über die Durchführung der Maßregeln bei beiden Konfessionen. Was die Evangelischen helvetischer Konfession betrifft, so werden die 24 Deputierten, ederen Wahl von den Konventen bereits beschlossen und zum Teile vollzogen ist,e ihre Vorschläge über die Grenzen der Superintendenzen und bezüglich eines Provisoriums über die Abhaltung von Konventen – unter Nachweisung der bestehenden Übung – zu erstatten haben. Die Details müssen vom FZM. Ritter v. Benedek mit Baron Vay vorläufig besprochen und muß unter Verpfändung des Ehrenwortes von Vay erwirkt werden, daß die Geistlichen, welche sich den Anordnungen der Regierung willig unterzogen haben, von allen Behelligungen und Verfolgungen aus diesem Titel verschont bleiben und der gegen einige derselben ausgesprochene Amtsverlust zurückgenommen werde. Die fsoeben auf dem Konvente vollzogenef Wahl Zsarnays zum Superintendenten könne der Regierung nur sehr unangenehm sein, indes wäre selbe, um den üblen Eindruck ihrer Kassierung zu vermeiden, doch nicht zu beanständen. Man hätte sich mit einer strengen Rüge der Vorgänge Zsarnays pro praeterito zu begnügen. Künftigen Ausschreitungen gund der Wahl anderer Superintendenten vor einer Feststellung der Superintendenzeng werde FZM. Ritter v. Benedek mit Energie zu begegnen haben. Bei den Lutheranern ergaben sich dadurch besondere Schwierigkeiten, daß ein Teil der Gemeinden koordiniert ist. Diese bedürfen eines besondern und energischen Schutzes. Die hin den zwei Superintendenzen, deren Gemeinden und Seniorate bereits fast vollständig koordiniert sind,h werden in der Synode zwar nur eine Minorität, aber doch immerhin ein der Regierung nützliches Element bilden. Bei beiden Konfessionen wäre mit Ah. Erlassung der Amnestie anzufangen, dann wäre der Moment der Unterhandlung mit einflußreichen Männern, bei den Lutheranern z. B. mit Zsédenyi, welcher ebensoviel (oder wenig) vertrauenswürdig sein dürfte als Baron Vay, ium die Erlässe so zu gestalten, daß mit Zuversicht auf die Unterlassung weiterer Ausschreitungen gerechnet werden könne.i Über den Fortbestand des Patents vom 1. September 1859 lasse sich so viel prognostizieren, daß beide Synoden die ihnen darin gebotenen Vorteile annehmen werden, aber auch nichts weiter. Die Bestimmungen über Präventivmaßregeln im Interesse der Regierung werden aufgegeben werden müssen. Auf den durch die Haynauschen Verordnungen geschaffenen Zustand jetzt wieder zurückzukommen, sei unmöglich, man müsse über Formfragen hinausgehen und die Tatsachen akzeptieren3. Darum wären auch die vorgenommenen Wahlen für die Generalkonferenz nicht zu beanständen. Vor allem sei es nämlich nötig, mit Hilfe der Generalkonferenz jeine neue Feststellung der Superintendenzen undj eine neue Feststellung der Superintendenzen || S. 147 PDF || und die Wahlordnung für die Synode zustande zu bringen. Übrigens könne Graf Thun sich nicht verhehlen, daß seine Stellung als Unterrichtsminister – so wie auch jene des Justizministers – durch die in Rede stehende Wendung der evangelischen Angelegenheiten wesentlich geschwächt werden wird. Es ist der Sieg kder agitierenden Oppositionsparteik über die Beschlüsse und Anordnungen der Staatsverwaltung, lund diese werde dem Widerstande auch in anderen Fragen, in denen die bestehenden Vorschriften die öffentliche Meinung in Ungarn gegen sich haben, eine solche Macht verleihen, daß er nicht werde überwunden werden können.l

Der Justizminister fand ebenfalls, daß die bevorstehende Amnestie mit gleichzeitiger Niederschlagung aller noch schwebenden Untersuchungen auf die Gerichte in Ungarn einen demoralisierenden Eindruck üben würden. Sie haben bis jetzt ihre Schuldigkeit – infolge des energischen Impulses von oben – getan. Ungarn – Protestanten – haben als Richter unbefangen ihr Strafurteil gefällt, unbeirrt von der öffentlichen Stimme. Jetzt, wo aus politischen Gründen eine Amnestie eintritt, wird man nicht mehr auf gleiche Hingebung zählen können. Se. Majestät der Kaiser geruhten hierauf zu bemerken, daß diese Amnestie ebensowenig als überhaupt die aus politischen Gründen bewilligten Amnestien eine Kompromittierung der Gerichte begründen, deren Sprüche als zu Recht bestehend nicht beanständet werden, wenngleich ein Gnadenakt eintritt.

Auf das Meritum der Frage übergehend, äußerte Graf Nádasdy , es sei ihm sehr schwer, in dieser Angelegenheit eine Meinung abzugeben, welche seinem Wirkungskreise fern liegt und allerdings sehr delikater Natur ist. Von den Verhandlungen mit den 24 Deputierten, welche keine Vollmacht zum Abschluß besitzen werden, könne man sich kaum einen nützlichen Erfolg versprechen. Sie werden alles Angebotene ergreifen, aber sich zu nichts verbindlich machen. Bei diesen Verhandlungen sowie bei jenen mit Vay und Zsédenyi werde man nur eine kostbare Zeit verlieren und doch unter den Evangelischen die Meinung hervorrufen, die Regierung wolle Zeit gewinnen und sie hintanhalten. Der Justizminister glaubt daher, es wäre im Ah. Handschreiben beiläufig zu sagen, Se. Majestät hätten das Patent vom 1. September durchführen wollen; allein, nachdem das Gewissen einer großen Zahl Allerhöchstihrer evangelischen Untertanen an dem Vollzuge dieses Gesetzes Anstand nimmt, wollen Se. Majestät Synoden berufen und vorerst deren Wünsche über das ihnen zu publizierende Patent vernehmen. Die Synoden würden allerdings größtenteils schlechte Elemente enthalten, aber bei der Verhandlung mit einem Körper von 80 Mitgliedern sei doch noch in einer oder andern Weise eher zu einem Ende [zu] kommen als mit 1,2 Millionen Menschen. Unter allen Umständen stimme Graf Nádasdy so wie der Kultusminister für einen energischen Schutz der koordinierten Gemeinden und Superintendenzen und für die Unterstützung der ihre Stelle etwa verlierenden Pfarrer von Seite der Regierung. Der Kultusminister bestritt, daß die vorläufige Abhaltung der Generalkonvente einen so großen Zeitverlust bedinge; sie seien aber unumgänglich nötig, insbesondere um die Schwierigkeit zu lösen, daß derzeit bei den Lutheranern keine Superintendenten bestellt sind, || S. 148 PDF || welche in der Synode zu fungieren haben. Der Minister des Inneren findet es außerordentlich schwer, in dieser Angelegenheit ein Votum abzugeben, zumal er an der Zustandebringung des Patents vom 1. September v. J. gar keinen Anteil genommen hat. Die Erteilung einer Amnestie sei zur Notwendigkeit geworden, nicht aber die wiederholte Paktierung mit Leuten von so zweideutiger Haltung wie Vay und Zsédenyi. Graf Gołuchowski stimme mit dem Justizminister, müsse jedoch dringend bevorworten, daß in dieser Angelegenheit die Ah. Absicht, dem Gewissen keinen Zwang aufzulegen, entschieden und ausschließend als Motiv vorangestellt werde, damit diese Restitutio nicht zum Anhaltspunkt einer Restitutio auf dem politischen Felde werde. Der Polizeiminister vereinigte sich mit dem Antrage des Justizministers, unter der Modifikation, daß das Patent mder einzuberufenden Synode nicht zur abermaligen Publikation zuzuweisen, sondern bloß zu dem Ende mitzuteilen wäre, um auf Grund desselben ihre etwaigen Desideria und Petita vorzubringen, da sonst eine wiederholte Ablehnung zu erwarten sein dürfte.m In gleicher Weise sprach sich der Reichsrat v. Plener aus, mit dem Beisatze, daß den bereits koordinierten Gemeinden volle Freiheit einzuräumen wäre, es von der Koordinierung wieder abkommen zu lassen. Der FZM. Ritter v. Benedek erklärte sich für einen möglichst ausgedehnten Gnadenakt und für die Wahrung voller Freiheit derjenigen, welche umkehren wollen. Andererseits sei es Pflicht der Regierung, diejenigen, welche sich koordiniert haben, kräftig zu schützen und die etwa ihres Amts verlustig werdenden Prediger von koordinierten Gemeinden aus dem Staatsschatze zu versorgen. Der Feldzeugmeister gab ferner die feierliche Versicherung, daß unbedingte Treue und Gehorsam gegen Se. Majestät ihm als oberstes Gebot gelten und er daher nur um klare Vorzeichnung der Allerhöchsten Willensmeinung bitte. Der Ministerpräsident schloß sich dem Justizminister an. Ihre kaiserlichen Hoheiten die durchlauchtigsten Herrn Erzherzoge Wilhelm und Rainer stimmten den Ministern Grafen Nádasdy und Gołuchowski bei.

Se. Majestät der Kaiser geruhten den Antrag der Stimmenmehrheit zu genehmigen. Auf dem Wege des Paktierens mit unverläßlichen Personen und des Verhandelns mit Deputierten ohne Mandat werde man nicht mehr erreichen als auf dem vom Grafen Nádasdy vorgeschlagenen kürzeren Wege. Die Form der bezüglichen Ah. Erlässe sei von den Ministern in reife Erwägung zu ziehen.

Der Kultusminister sprach schließlich seine volle Überzeugung von der Unmöglichkeit aus, auf dem von den mehreren Stimmen vorgeschlagenen Wege, nwenn nämlich, wie er diese Stimmen verstanden habe, damit gemeint sei, auch bei den Lutheranern auf die vorbestandene Einteilung zurückzukommen und die Gemeinden und Seniorate, welche den nahezu bereits konstituierten Preßburger und Neuverbaßer Superintendenzen angehören, wieder unter das frühere Übergewicht der oppositionellen Elemente fallen zu lassen,n zu einer gedeihlichen Lösung zu gelangen. || S. 149 PDF || oEin so völliges Preisgeben der angestrebten Ordnung würde nicht nur die öffentliche Meinung in Deutschland in hohem Grade gegen die österreichische Regierung wieder aufregen sondern aucho im Inlande die Existenz von Hunderten treugesinnter Evangelischer gefährden pund eine solche Erbitterung gegen die Regierung erzeugen, ohne doch den oppositionellen Bestrebungen derjenigen, die ihr jetzt entgegenstehen, ein Ende zu machen,p daß Graf Thun au. bitten müßte, von dem Vollzuge solcher Maßregeln Allergnädigst enthoben zu werden.

Der Justizminister übernahm es, den Majoritätsantrag zu formulieren und am folgenden Tage zur Konferenzberatung zu bringen4.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 30. Mai 1860.