Nr. 138 Ministerkonferenz, Wien, 14. April 1860 – Protokoll I - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Marherr; VS.Vorsitz Rechberg; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Rechberg 14. 4.), Bruck 21. 4. Nádasdy 21. 4., Gołuchowski 23. 4., FML. Schmerling 24. 4.
MRZ. – KZ. 1218 –
Protokoll I der zu Wien am 14. April 1860 abgehaltenen Ministerkonferenz unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, Ministers des kaiserlichen Hauses etc. Grafen v. Rechberg.
I. Kontrollmaßregeln bei der Tabakblättereinlösung
Der Finanzminister referierte über die mit Ah. Entschließung vom 7. d.M. nachträglich zu der kaiserlichen Verordnung vom 27. März d. J. über den Tabakbau und -handel in Ungern angeordnete Bestellung eines Schiedsgerichts aus einem Obmann und je zwei von den Finanzbeamten und den Pflanzern gewählten Personen bei Streitigkeiten über die Klassifizierung des zur Einlösung gebrachten Tabaks1.
Diese Bestimmung sollte in eine besondere, vom Sektionschef v. Hock ohne Vorwissen des Finanzministers bei der Tabakenquetekommission in Antrag gebrachte und von der Mehrheit derselben befürwortete Ministerialverordnung über das Verfahren bei der Einlösung aufgenommen werden. Allein, nicht nur haben sich schon bei der Kommission gewichtige Stimmen, namentlich der Präsident Freiherr v. Baumgartner, dagegen ausgesprochen, sondern es wurde auch in der reichsrätlichen Beratung2 jene Bestimmung bekämpft, und der Finanzminister könnte sich damit umso weniger einverstanden erklären, als durch die Zulassung von Händlern zum freien Tabakankauf die Stellung der Ärarialregie gegen früher wesentlich verändert ist. Wenn nämlich dem Händler freie Hand gelassen ist, so muß dies im gleichen Maße auch für die Ärarialregie in Anspruch genommen werden, welche ihren Bedarf unter allen Umständen von den Pflanzern decken muß. Die Händler selbst bilden die wirksamste Kontrolle gegen vermeintliche Benachteiligungen der Pflanzer durch die Finanzorgane bei Bestimmung der für die abgelieferten Blätter zu zahlenden Beträge. Alles, was der Finanzminister zur Beruhigung der Pflanzer über Zugestehung billiger Einlösungspreise zuzugeben vermöchte, wäre, daß ein politischer Kommissär gleich beim Beginn der Einlösung und unausgesetzt während derselben anwesend sei, um, wenn ein Pflanzer Beschwerde erhebt, nach Einholung der Meinung der anwesenden Ortsvorsteher und anderer Pflanzer vorerst eine Ausgleichung versuche und, mißlingt sie, das Protokoll aufnehme und von den Einlösungsbeamten sowie den Pflanzern mehrere Tabakbuschen wählen lasse, || S. 111 PDF || welche die Qualität der Blätter im Durchschnitt erkennen lassen. Die Buschen sind von ihm versiegelt samt Protokoll an das Einlösungsinspektorat zur Entscheidung einzusenden. Falls die Partei mit dieser Entscheidung sich nicht befriedigte, steht ihr noch die Berufung an die Zentraldirektion frei.
Die eminente Mehrheit der Konferenz erklärte diesen Vorschlag für vollkommen ausreichend und trat demselben mit der einzigen, vom Justizminister angetragenen und sofort auch vom Finanzminister angenommenen Modifikation bei, daß der Rekurs gegen die Entscheidung des Inspektorats nicht an die Zentraldirektion, sondern an das Finanzministerium selbst zu gehen habe, weil, wie der Justizminister bemerkte, darin mehr Beruhigung für die beschwerdeführende Partei liegen dürfte, wenn in letzter Instanz nicht ein mit dem Einlösungsgeschäfte unmittelbar betrautes Organ, sondern die höchste Finanzinstanz selbst entscheidet. Vom rechtlichen Standpunkte würde übrigens der Justizminister das Schiedsgericht vorgezogen haben, weil damit aller Verdacht, daß die Finanzverwaltung Richter in eigener Sache sei, entfiele.
Der Minister des Inneren dagegen erklärte sich für die Beibehaltung des Schiedsgerichts, denn seiner Ansicht nach tritt durch die Konkurrenz der Händler mit der Regie eine wesentliche Änderung in der Stellung der letzteren zu den Pflanzern nicht ein. Die Ärarialregie ist, wie der Privathändler, Käufer des Erzeugnisses. Dem letzteren gegenüber kann sich der Pflanzer gegen Übervorteilung verwahren, er muß also auch der Finanzverwaltung gegenüber den nötigen Schutz genießen, umso mehr, als er sich schon im vorhinein zur Ablieferung seines Erzeugnisses verpflichten muß. Es liegt im eigenen Interesse der Regierung, eine Maßregel zu treffen, welche jeden Verdacht einer Übervorteilung des Pflanzers durch die Ärarialregie unmöglich macht. Als solche aber vermöchte der Minister des Inneren nur das Schiedsgericht zu erkennen3.
Wien, am 14. April 1860. Rechberg.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 15. April 1860.