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Vorwort - Retrodigitalisat (PDF)

|| S. 7 PDF || Der vorliegende zweite Band der Protokolle des Ministeriums Rechberg umfaßt den Zeitraum von März bis Oktober 1860. Am Beginn steht die Einberufung des sogenannten verstärkten Reichsrates, am Ende das Oktoberdiplom, das als Antwort auf die Anträge dieses Gremiums erlassen wurde. Das Jahr 1860 war das Jahr des verstärkten Reichsrates. Ausführlich beschäftigte sich die Ministerkonferenz mit der Einberufung, der Eröffnung, den Verhandlungen und schließlich mit dem Ergebnis dieser Honoratiorenversammlung. Die Absicht der Regierung war es, die Zustimmung zum Staatshaushalt für das Folgejahr 1861 zu erlangen und so, ausgestattet mit dem Vertrauen des verstärkten Reichsrates, die schwere Finanzkrise zu meistern, in die das überbordende Armeebudget des neoabsolutistischen Jahrzehnts und der verlorene Krieg des Jahres 1859 gegen Sardinien-Piemont und Frankreich die Monarchie gebracht hatten. Der verstärkte Reichsrat verweigerte aber unter der geschickten Regie der ungarischen Altkonservativen und der Vertreter des böhmischen Hochadels, der Mehrheitsfraktion im Reichsrat, diese Zustimmung und zwang die Regierung und den Monarchen, sich dem „Staats- und Reichsproblem“ (Josef Redlich) zu stellen. Natürlich hatte sich auch die Regierung selbst schon seit dem Laxenburger Manifest vom Juli 1859 und dem Ministerprogramm vom August 1859, der Arbeitsgrundlage des Ministeriums Rechberg, um „zeitgemäße Institutionen“ bemüht, sie war aber nicht recht weitergekommen. Zu divergierend waren die Ansichten innerhalb des Kabinetts, personifiziert in den Ministern Thun und Gołuchowski.

Die Vorgänge im Zusammenhang mit dem verstärkten Reichsrat verschärften und beschleunigten die Auseinandersetzung, sowohl in der Öffentlichkeit als auch im Kreis der Regierung. Die Protokolle der Schönbrunner Konferenzen, die im Anhang abgedruckt sind, sowie die Protokolle vom 2. Oktober und vom 16. Oktober 1860 sind herausragende Dokumente zur österreichischen Verfassungsentwicklung. Das Ergebnis war, nachdem sich der Kaiser entschieden hatte, das Diplom vom 20. Oktober.

Dieser staatrechtliche Akt war nicht nur, wie es die Literatur darstellt, ein kurzlebiges, gescheitertes Verfassungsexperiment, es war doch auch, bei aller Lückenhaftigkeit, der tatsächliche, nicht mehr zurückgenommene Schritt zur konstitutionellen Monarchie, indem der Herrscher auf das alleinige Gesetzgebungsrecht verzichtete. Franz Joseph tat den folgenden Beschluß kund, als „unwiderrufliches Staatsgrundgesetz zu Unserer eigenen, so auch zur Richtschnur Unserer gesetzlichen Nachkommen“: „Das Recht, Gesetze zu geben, abzuändern und aufzuheben, wird von Uns und Unseren Nachfolgern nur unter Mitwirkung der gesetzlich versammelten Landtage, beziehungsweise des Reichsrates, ausgeübt werden [. . .]“. Der Kaiser gab damit die alleinige Legislative aus der Hand. Schon mit dem Handschreiben vom 17. Juli 1860 hatte er übrigens den Beschluß verkündet, die Erhöhung der Steuern, die Einführung neuer Steuern und die Aufnahme von Anleihen nur mehr mit Zustimmung des verstärkten Reichsrates vorzunehmen, ein weiteres staatsrechtlich bedeutendes Dokument des Jahres 1860, das in der Ministerkonferenz ausführlich beraten wurde.

|| S. 8 PDF || Das Oktoberdiplom war aber noch mehr, es war ein sehr ernst gemeinter Ausgleichsversuch mit Ungarn. Nach der Niederschlagung der ungarischen Revolution 1849 war der Gesprächsfaden zwischen dem König und der Nation zerrissen. Die mehrfachen Wiederanknüpfungsversuche der Magnaten waren bisher gescheitert, zuletzt im Herbst 1859 (siehe dazu Band 1 der Protokolle des Kabinetts Rechberg). Über den Umweg des verstärkten Reichsrates war nun aber doch ein Ausgleich zustande gekommen. Das Diplom unternahm es, die Rechtsanschauungen der Länder und Völker mit den Bedürfnissen der (Gesamt)Monarchie „ausgleichend“ zu verbinden. So stand es im begleitenden Manifest vom 20. Oktober 1860. Zwar sollten jene recht behalten, die diesem Ausgleich wenig Aussicht auf Erfolg zusprachen. Der 1861 einberufene ungarische Landtag wurde bald aufgelöst, das sogenannte Provisorium eingeführt. Dennoch muß dem Versuch von 1860 auf dem mühsamen Weg bis zum endgültigen Ausgleich von 1867 die Anerkennung der Ernsthaftigkeit zugebilligt werden. Viele Positionen wurden – vertraulich in den Konferenzen der Minister und in den Besprechungen mit den Altkonservativen, öffentlich in den Debatten des verstärkten Reichsrates – so klar und scharf formuliert wie kaum zuvor, und das trug wesentlich zur Fortsetzung des Annäherungsprozesses bei.

Der dritte und letzte Band der Protokolle des Ministeriums Rechberg wird zeigen, in welcher Hinsicht und warum das Oktoberdiplom einige seiner Ziele verfehlte und wie es zum nächsten Schritt, dem Februarpatent, gekommen ist.

Der Band wurde so wie alle bisherigen Bände vor Drucklegung den ungarischen Partnern der Edition zur Stellungnahme übermittelt. Imre Ress weist in seinem Gutachten darauf hin, wie sehr die Protokolle dieser Monate und das außerordentlich wichtige Protokoll der Schönbrunner Konferenzen den Entstehungsprozeß des Oktoberdiploms beleuchten. Bemerkenswert findet er, wie in der Einleitung die Rolle der ungarischen Hochadeligen und vor allem des Grafen Antal Szécsen herausgearbeitet sind, sowie die Korrektur apologetischer Legenden der früheren Literatur. Bei dieser Gelegenheit sei vermerkt, daß sich, zusätzlich zu den laufenden Kontakten mit den ungarischen Partnern, der gemeinsame wissenschaftliche Beirat der Edition am 12. und 13. Oktober 2006 in Wien zu inhaltlicher Diskussion und zur Besprechung über Fortgang und Zukunft der Edition getroffen hat. Dabei wurde ungarischerseits wiederholt auf die eminente Bedeutung hingewiesen, die die internationale Zusammenarbeit für die Ungarische Akademie der Wissenschaften besitzt. Die Edition der Ministerratsprotokolle sei ein hervorragendes Beispiel dafür.

Die Arbeit an diesem Band und die Drucklegung wurden wie bisher durch verschiedene Subventionen ermöglicht. Wir danken dem Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung für die Förderung des Gesamtprojekts und für einen Druckkostenzuschuß. Einen beträchtlichen Teil der Druckkosten hat dankenswerter Weise wieder der Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung in Österreich übernommen, eine Unterstützung der Arbeit kam von der Hochschuljubiläumsstiftung der Stadt Wien. Allen diesen Institutionen und den dort tätigen Personen sind wir zu aufrichtigem Dank verpflichtet. Ein herzlicher Dank gilt den MitarbeiterInnen des Österreichischen Staatsarchivs für die Aufgeschlossenheit der Edition gegenüber und für wiederholte Hilfestellung.

Wien, im Oktober 2007