Nr. 108 Ministerkonferenz, Wien, 7. Februar 1860 – Protokoll I - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Marherr; VS.Vorsitz Rechberg; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Rechberg 7./27. 2.), Thun 25. 2., Bruck 26. 2., Nádasdy 26. 2., Gołuchowski 22. 2., Thierry, Schmerling 18. 2.
MRZ. – KZ. 664 –
Protokoll I der zu Wien am 7. Februar 1860 abgehaltenen Ministerkonferenz unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, Ministers des kaiserlichen Hauses etc. Grafen v. Rechberg.
I. Standrecht wider Verbrechen gegen die Kriegsmacht in Südtirol und Venetien
FML. Ritter v. Schmerling teilte mit, daß der Kommandant der II. Armee aus Anlaß der häufiger vorkommenden Desertion für Südtirol und die venezianischen Provinzen das Standrecht wider Vergehen gegen die Kriegsmacht publiziert habe1.
II. Entwurf einer Dienstpragmatik
aDer Minister des Inneren brachte Nachstehendes zur Sprache:a Der Minister des Inneren brachte Nachstehendes zur Sprache: Nachdem der in der Konferenz vom 12. November 1859 ad I. beratene Entwurf einer kaiserlichen Verordnung über die Disziplinarbehandlung der dem Ministerium des Inneren unterstehenden Beamten und Diener samt dem reichsrätlichen Gutachten darüber von Sr. Majestät dem Ministerpräsidenten mit dem Ah. Auftrage zurückgestellt worden ist, in Erwägung zu ziehen, ob dieses Gesetz nicht auf alle übrigen mit Ausnahme der Justizbeamten auszudehnen sei, hat sich die Konferenz büber den vom Minister des Inneren gehaltenen Vortragb unterm 10. Jänner 1860 ad II. darüber geeinigt, in einem aus Abgeordneten der Zentralstellen gebildeten Komitee einen der Ah. Absicht entsprechenden Entwurf ausarbeiten zu lassen. Dieser Entwurf liegt nun vorc und soll sich auf sämtliche lf. Beamte und Diener mit Ausnahme jener der Gerichtsbehörden, der Militärverwaltung, des Lehrstands, der Finanzwache und der Wachen der Straf- und Besserungsanstalten erstrecken. Bei der Beratung dieses von der Konferenz im ganzen angenommenen Entwurfs haben sich nachstehende Bemerkungen ergeben:
Zu § 2 lit. d) wurde über Antrag des Justizministers vor „Versetzung im Dienste“ das Wort „strafweise“ eingeschaltet, um sie vor der aus anderen Dienstesrücksichten eintretenden Versetzung gehörig zu unterscheiden. Ebenso im § 6.
Zu § 7 lit. a) beantragte der Justizminister die Beibehaltung der mit roter Tinte durchstrichenen Stellen. Denn er hielt es für unzulässig, daß ein Beamter länger im Dienste behalten werden könne, wenn derselbe wegen eines aus Gewinnsucht entspringenden oder der öffentlichen Sittlichkeit zuwiderlaufenden Vergehens oder einer Übertretung dieser Art verurteilt worden ist.
|| S. 427 PDF || Nachdem jedoch die übrigen Stimmen der Konferenz sich der milderen Ansicht des Komitees angeschlossen hatten, weil nach lit. b) dieses Paragraphes bei einer Verurteilung des Beamten zu einer sechsmonatlichen Haft die Entlassung eo ipso zu erfolgen hat, und nach § 8 auch bei einer geringeren Strafe und selbst bei einer Lossprechung ab instantia von einem Vergehen oder einer Übertretung verhängt werden kann, erklärte der Justizminister, auf der Beibehaltung der oben angeführten Stelle nicht beharren zu wollen. Dagegen bestand er darauf, daß die weitere Stelle: „oder bloß wegen Unzuläng[lichkeit] der Beweismittel“ (bei Verbrechen) „freigesprochen“ wieder aufgenommen werde, weil ein wegen eines Verbrechens ab instantia Abgeurteilter nach dem Gesetze die Eigenschaft eines unbedenklichen Zeugen verliert, diese gesetzliche Folge der Verurteilung nur von Sr. Majestät nachgesehen werden kann, mithin es wohl auch unzulässig ist, die Beibehaltung eines solchen Individuums in einem öffentlichen Amte, das mindestens den Charakter der vollkommenen Unbescholtenheit fordert, einer weiteren Deliberation der Administrativbehörde zu überlassen. Es erscheint namentlich in politischen Prozessen wichtig, daß die Entlassung als unmittelbare Folge der Aburteilung ab instantia wegen eines Verbrechens schon vom Gesetze ausgesprochen sei, damit die von der Administrativbehörde etwa auszusprechende Entlassung nicht als ein Akt der Gehässigkeit etc. ausgelegt werden könne.
Die Mehrheit der Konferenz erklärte sich sofort für den Antrag des Justizministers auf Wiederherstellung der zuletzt erwähnten Worte im Texte des § 7a. Nur der Polizeiminister war für deren Weglassung, weil zur Zeit kein Gesetz besteht, welches an die Aburteilung ab instantia als unmittelbare Folge den Dienstverlust knüpft, und weil sich Fälle denken lassen, wo die rücksichtslose Anwendung jener Bestimmung eine wahre Härte wäre. Allein, derlei Fälle, entgegnete der Justizminister , gehören zu den selteneren Ausnahmen und gestatten auch die Anrufung der Ah. Gnade. Dieser Abstimmung gemäß hätte demnach im § 8 nach der Majorität der Absatz sub lit. a) zu entfallen.
Im § 10 wurde auf die Bemerkung des Ministerpräsidenten , daß die „Grundhältigkeit“ der Beschuldigung sich erst aus der Untersuchung ergeben wird, also nicht vor dieser festgestellt sein kann, dieses Wort gestrichen.
Zum § 11 beanständete der Polizeiminister den Schlußsatz, wornach die Disziplinarkommission für Beamte, die nicht in den Dienstbereich des Ministeriums des Innern gehören, bei der politischen Landesbehörde im Einvernehmen mit der betreffenden Zentralstelle bestellt werden soll. Seines Erachtens sollte nämlich, wenigstens so weit es seinen Dienstbereich betrifft, diese Kommission von dem Chef der Zentralstelle selbst benannt werden. Das Polizeiministerium ist nämlich in dieser Beziehung in einer exzeptionellen Lage: es hat keine Landesbehörden, aus denen die Disziplinarkommission erster Instanz gewählt oder die bei der politischen Landesstelle zu bestellende Kommission ergänzt werden könnte. Der einzige Polizeidirektor der Landeshauptstadt wäre nach Rang und Stellung berufen, in dieser Kommission die Polizeibranche zu vertreten. Er würde dann aber allein vier Räten eines Gremiums gegenüberstehen, welches sonst über die Polizeibeamten keine Disziplinargewalt auszuüben hat. Unter diesen Umständen müßte der Polizeiminister sich vorbehalten, zum Schutze seiner Beamten die Beiziehung zweier Justizräte zu der gedachten Disziplinarkommission zu verlangen.
|| S. 428 PDF || dDer Minister des Inneren bemerkte, daß dem nichts entgegenstehe, damit die Bestellung der fraglichen Kommission für Polizeibeamte bei den Landesstellen vom Polizeiminister ausgehe, nur wäre sich diesfalls mit dem Minister des Inneren zu verständigen in betreff der dieser Kommission beizugebenden politischen Räte der Landesstelle. Den Vorsitz bei der Disziplinarkommission hätte selbstverständlich der Landeschef zu führen, seitens der Polizei könne der Polizeidirektor und allenfalls bei größeren Polizeidirektionen noch ein Polizeirat [beigezogen werden]. Rücksichtlich der fehlenden Beratungsmitglieder wäre das Einvernehmen zwischen dem Polizeiminister und dem Minister des Inneren zu pflegen, weil die Gremialräte der Landesstellen dem Polizeiministerium nicht unterstehen. Der Einwand des Herrn Polizeiministers, daß zwei Justizräte deshalb seitens des Polizeiministers beansprucht werden müssen, weil den bei den Landesstellen angestellten Räten über die Polizeibeamten keine Disziplinargewalt zusteht, entfällt von selbst, wenn erwogen wird, daß gleichfalls auch den gerichtlichen Räten als solchen über die Polizeibeamten keine Disziplinargewalt zukommt. Die Divergenz der Ansichten besteht daher nur darin, daß der Polizeiminister zur Disziplinarkommission über Polizeibeamte Justizräte berufen will, während der Minister des Inneren dafür spricht, damit aus dem Gremium der politischen Landesstellen die fehlenden Kommissionsmitglieder, die aus der Polizeibranche nicht entnommen werden können, bestellt werden.d Der Minister des Inneren bemerkte, daß dem nichts entgegenstehe, damit die Bestellung der fraglichen Kommission für Polizeibeamte bei den Landesstellen vom Polizeiminister ausgehe, nur wäre sich diesfalls mit dem Minister des Inneren zu verständigen in betreff der dieser Kommission beizugebenden politischen Räte der Landesstelle. Den Vorsitz bei der Disziplinarkommission hätte selbstverständlich der Landeschef zu führen, seitens der Polizei könne der Polizeidirektor und allenfalls bei größeren Polizeidirektionen noch ein Polizeirat [beigezogen werden]. Rücksichtlich der fehlenden Beratungsmitglieder wäre das Einvernehmen zwischen dem Polizeiminister und dem Minister des Inneren zu pflegen, weil die Gremialräte der Landesstellen dem Polizeiministerium nicht unterstehen. Der Einwand des Herrn Polizeiministers, daß zwei Justizräte deshalb seitens des Polizeiministers beansprucht werden müssen, weil den bei den Landesstellen angestellten Räten über die Polizeibeamten keine Disziplinargewalt zusteht, entfällt von selbst, wenn erwogen wird, daß gleichfalls auch den gerichtlichen Räten als solchen über die Polizeibeamten keine Disziplinargewalt zukommt. Die Divergenz der Ansichten besteht daher nur darin, daß der Polizeiminister zur Disziplinarkommission über Polizeibeamte Justizräte berufen will, während der Minister des Inneren dafür spricht, damit aus dem Gremium der politischen Landesstellen die fehlenden Kommissionsmitglieder, die aus der Polizeibranche nicht entnommen werden können, bestellt werden.
Auf die Bemerkung des Ministerpräsidenten , daß die Beiziehung der Justizräte bereits prinzipiell verworfen worden, entgegnete der Polizeiminister , daß er sich in der Konferenz vom 10. v. M. seine Meinung über die Modalitäten vorbehalten habe, unter denen die ursprünglich bloß für die Beamten des Inneren berechnete Vorschrift auf jene der Polizei Anwendung finden könne, daß er daher diese seine Meinung, welche in einem Zusatz zum § 11 ausgedrückt ist, zur Ah. Kenntnis Sr. Majestät gebracht zu sehen wünsche2.
Wien, am 7./27. Februar 1860. Rechberg.
Ah. E. Ich habe von dem Inhalte dieses Protokolles Kenntnis genommen. Wien, den 9. Jänner 1860. Franz Joseph.