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Nr. 100 Ministerkonferenz, Wien, 26. Jänner 1860 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet; VS. Kaiser, BdE. und anw. Erzherzog Wilhelm, Erzherzog Rainer, (Rechberg 28. 1.), Thun 28. 1., Bruck 30. 1., Nádasdy 30. 1., Gołuchowski 30. 1., Schmerling 31. 1.; abw. Thierry.

MRZ. – KZ. 373 –

Protokoll der Ministerkonferenz am 26. Jänner 1860 unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers.

I. Besprechung mit einigen Personen aus der hier anwesenden Deputation der Evangelischen in Ungarn

Der Ministerpräsident referierte über seine Besprechung vom selben Tage mit den Baronen Prónay und Vay, welche zum Zweck der Begleichung der protestantischen Angelegenheit in Ungarn vorschlagen, daß sich ein Organ der Regierung mit mehreren einflußreichen Mitgliedern der hier weilenden Deputation (jedoch ohne Mandat der letzteren) in Verbindung setze1. Für den Fall dieser Weg zur Pazifizierung eingeschlagen werden wolle, würden die Obgenannten in Vorschlag bringen: aus dem geistlichen Stande Hegedűs, Székács und Révésza, aus den Laien aber Tisza, Prónay und Vay.

Der Kultusminister äußerte, er könne nicht dafür stimmen, daß die Regierung sich mit einem ohne Mandat auftretenden Komitee, das aus einer Deputation von illegalen Versammlungen hervorgegangen ist, in Verhandlung einlasse. Gegen eine selbst nur offiziose Verhandlung mit den vorgeschlagenen Individuen streite ferner noch der Umstand, daß gegen Baron Prónay und Székács eine Untersuchung wegen des illegalen Konvents im Anzuge ist. bJedenfalls halte er es nicht für ratsam, sich [in] eine offiziose Besprechung einzulassen, ehe nicht die Beteiligten wenigstens im allgemeinen vorlegen, was sie anzubringen gesonnen seien, so daß sich hieraus über die Möglichkeit einer Verständigung urteilen lasse.b Graf Thun erwarte nicht viel von den allfälligen Zusicherungen dieser Leute, welche ohne Mandat im Lande werden desavouiert werden. Er halte es daher für besser, wenn man ohne offizielle Form die Anträge und Mitteilungen einzelner Deputierter entgegennimmt und hiebei streng an dem Gesetz vom 1. September festhält, während man ihnen andererseits Aussicht gewährt, daß ihre im gesetzlichen Wege durch die Synode vorgebrachten Wünsche auf Modifikationen Ag. Berücksichtigung finden werden. Der letzte Zweck der evangelischen Parteiführer sei nur der, das Gesetz vom 1. September zu untergraben. Verhandlungen mit ihnen würden die Hoffnungen auf dessen Zurücknahme nähren und andererseits die Anhänger der Regierung, welche sich demselben, so weit sie konnten, konformiert haben, wankend machen.

Der Justizminister bemerkte, daß der Letzteren relativ noch sehr wenig seien, etwa 10 Perzent der Lutherischen und nur ein Perzent der Kalviner! Die Zahl der Renitenten || S. 395 PDF || ist daher sehr bedeutend, und ein weites Feld für religiös-politische Agitation vorhanden. In ruhigen Zeiten könnte man unbedenklich zuwarten, bis sich die Gärung gelegt hat und eine vernünftige Anschauung überall von selbst die Oberhand gewinnt. Jetzt aber wäre ein ganz passives Zuwarten der Regierung nicht rätlich. Sie muß vielmehr bemüht sein, dieser Agitation baldigst ein Ziel zu setzen, sofern dies ohne Inkonsequenz und ohne Verletzung höherer Rücksichten möglich ist. Die Regierung hat in älterer Zeit durch Nachgiebigkeit bei Kleinigkeiten manche wichtige Sache in Ungarn durchgesetzt. Die Regierung selbst habe an dem Gesetze vom 1. September 1859, soweit es sich um die Militärgrenze handelt, einige Modifikationen vorgenommen. Graf Nádasdy würde daher raten, daß man vor allem die Wünsche der Evangelischen näher kennenlerne, um zu beurteilen, ob eine Verständigung möglich ist. Zeigt sich die Unmöglichkeit, so habe die Regierung durch die Rücksprache in ihrer Stellung doch wenigstens nichts verloren. Könnte aber durch eine kleine Modifikation, z. B. durch die Zuteilung eines Seniorats an eine andere Superintendenz, die Durchführung des Gesetzes gesichert werden, so wäre dieses ein sehr großer Gerwinn. Um dieses Ziel zu erreichen, sollte man sich auch selbst darüber hinaussetzen, mit Prónay und Székács in Berührung zu treten, da dieselben durch eine Exclusiva sehr verletzt würden, und andererseits die Spezialuntersuchungc gegen dieselben noch nicht begonnen hat, so daß die Voreinleitungen, ddas ist die Erhebung des Tatbestandes in Wien,d ignoriert werden können. Der Ministerpräsident , hiemit völlig einverstanden, verspricht sich aber von einer Verständigung mit diesen zwei einflußreichen Männern den besten Erfolg. Die Minister der Finanzen und des Inneren stimmten auch für eine vertrauliche Besprechung. Man wird die Meinungen austauschen und erkennen, ob diese Männer würdig seien, sich Sr. Majestät au. vorstellen zu dürfen, wobei dann einige Worte, Allerhöchstenortes ausgesprochen, den tiefsten Eindruck machen würden.

Der Kultusminister erinnerte an mehrere frühere Vorgänge des Baron Prónay und v. Tisza, welche deren entschiedene oppositionelle Haltung und Tätigkeit beurkunden. Indessen wolle er gegen die Anbahnung einer Verständigung mit den renitierenden Protestanten auf dem angedeuteten Wege keine weiteren Anstände erheben.

Nachdem Se. k. k. apost. Majestät geruht hatten zu befehlen, daß man sich mit den obgenannten Männern auf vertraulichem Wege in Verbindung setze, um ihnen jeden Zweifel über die Absichten der Regierung zu benehmen, ihre Wünsche zu hören und sie zu einer günstigen Aktion im Lande zu stimmen, kam die Frage zur Erörterung, wer dabei als Organ der Regierung zu gebrauchen wäre. Unter den verschiedenen hiebei zur Sprache gebrachten Personen, Graf A[nton] Mailáth, v. Torkos, v. Zádor, Zimmermann, Superintendent Franz, Professor Kuzmány, Schulrat Mikulás, glaubte sich der Kultusminister auf das entschiedenste für den Ministerialrat Zimmermann erklären zu sollen, der durch seine genaueste Kenntnis der Verhältnisse, dann des Gesetzes vom 1. September und seiner Genesis besser als irgend jemand im Stand sei, die Gegner desselben umzustimmen und allen Einwürfen zu begegnen. Der Ministerpräsident , obgleich den Fähigkeiten und Kenntnissen Zimmermanns volle Gerechtigkeit widerfahren zu lassend, besorgte, || S. 396 PDF || daß die bei den Ungarn vorhandenen Vorurteile gegen denselben seinem gedeihlichen Wirken, welches doch ein wesentlich konziliatorisches sein soll, hindernd in den Weg treten werden.

Schließlich geruhten Se. k. k. apost. Majestät Allerhöchstsich dafür zu entscheiden, daß Ministerialrat Zimmermann und Schulrat Mikulás von Seite der Regierung an der in Rede stehenden Besprechung teilzunehmen haben2.

II. Französischer Einfluß in der Administration der österreichischen Südbahngesellschaft

Der Ministerpräsident referierte, ein höherer Beamter der Aktiengesellschaft für die südliche Staatsbahn habe ihm gemeldet, daß ihm von einem seiner Vorgesetzten der Rat gegeben worden sei, sich um die Protektion des französischen Botschafters zu bewerben, um bei dem Verwaltungsrate in seinem Interesse etwas zu erreichen. Derselbe Beamte, Meißner mit Namen3, habe ferner angezeigt, daß neuerlich sechs Franzosen in den Dienst dieser Bahngesellschaft berufen worden seien. Der Ministerpräsident fände eine Ingerenz des französischen Botschafters in die Geschäfte dieser Eisenbahngesellschaft ganz unstatthaft und die Anstellung dieser Franzosen sehr bedenklich.

Der Finanzminister äußerte, daß ihm die Quelle dieser Mitteilungen verdächtig sei, er gleichwohl die Sache genau untersuchen und demnächst über das Ergebnis referieren werde4.

Am 28. Jänner 1860. Rechberg. Ah. E. Ich nehme den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis. Franz Joseph. Wien, den 4. Februar 1860.