Nr. 77 Ministerkonferenz, Wien, 13. Dezember 1859 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Marherr; VS.Vorsitz Rechberg; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Rechberg 13. 12.), Thun 16. 12., Bruck 16. 12., Nádasdy 16. 12., Gołuchowksi 17. 12., Thierry, Schmerling.
MRZ. – KZ. 4358 –
Protokoll der zu Wien am 13. Dezember 1859 abgehaltenen Ministerkonferenz unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, Ministers des Äußern etc. Grafen v. Rechberg.
I. Unterstützung für den Bischof in Mantua
Der Kultusminister erhielt die Zustimmung des Finanzministers und der Konferenz zu dem Antrage auf Ag. Bewilligung einer Unterstützung von 10.000 fr. ö. W. aus dem Staatsschatze für den Bischof von Mantua Giovanni Corti, um denselben, einen durch bewährte Loyalität, Kenntnisse und Eifer ausgezeichneten Prälaten, aus seiner äußersten ökonomischen Bedrängnis zu retten – er bestreitet sein Mittagsmahl mit täglich 23 Kreuzer – und vor der sonst unvermeidlichen Resignation zu bewahren, die unter den gegenwärtigen politischen Verhältnissen sehr bedenklich wäre. Als besonders rücksichtswürdig wird noch erwähnt, daß er der einzige ist, der zum Antritte des Bistums keine Unterstützung erhielt1.
II. Verhinderung des evangelischen Konvents in Pest am 15. Dezember 1859
Ungeachtet des Verbotes der Abhaltung evangelischer Konvente auf einer anderen als auf der Grundlage des Patents vom 1. September d. J. und ungeachtet der bestimmten Anordnung, solche ungesetzlichen Versammlungen, wenn sie stattfänden, aufzuheben und im Falle einer Widersetzlichkeit auseinanderzutreiben, hat nach eingelangten telegraphischen Nachrichten am 12. d. [M.] eine derlei Versammlung in Pest in der evangelischen Kirche stattgefunden, wobei Reden gehalten und der einstimmige Beschuß gefaßt wurde, eine Petition um Sistierung des Patents vom 1. September zu entwerfen und zu überreichen2. Se. k. k. Hoheit der Herr Erzherzog Generalgouverneur haben Sich nach vorläufiger Beratung bestimmt gefunden, keine auf das Auseinandergehen dieser Versammlung berechnete Zwangsmaßregel in Anwendung zu bringen, weil Höchstdieselben meinte, daß es die Opposition eigens darauf anlege, Gewaltmaßregeln zu provozieren, um dann über Unterdrückung klagen zu können. Dagegen wurde beschlossen, die Teilnehmer an jener Versammlung gerichtlich zu verfolgen. Nach diesem Vorgange ist zu erwarten, daß die auf den 15. d. [M.] anberaumte, ebenfalls gesetzwidrige Versammlung der Montansuperintendenz in Pest || S. 303 PDF || nicht wird verhindert werden3. Es ist dann auch nicht abzusehen, wie weitere derlei beabsichtigte Versammlungen werden hintangestellt werden können. Da nun aber, wie der Kultusminister bemerkte, die bestimmten Anordnungen der Regierung zur Geltung kommen müssen, um diesem gesetzwidrigen Treiben ein Ziel zu setzen, die nachträgliche gerichtliche Verfolgung der Teilnehmer diesen Zweck nicht erreicht, weil der Ausgang der gerichtlichen Prozedur, wenn nichts anderes als die Teilnahme an der Versammlung und an der Petition vorliegt, sehr zweifelhaft ist, während im Falle einer Widersetzlichkeit gegen die Aufforderung zum Auseinandergehen der Regierung das Mittel gegeben wäre, gegen die Widerspenstigen vor Gericht mit Erfolg aufzutreten, so vereinigte sich die Konferenz in Beschlusse, Sr. Majestät durch eine Deputation unter Anführung des Ministerpräsidenten diese Angelegenheit bei der Dringlichkeit derselben unmittelbar mündlich vorzutragen, um womöglich einen Ah. Befehl an Se. k. k. Hoheit zur Inhibierung der auf den 15. d. M. anberaumten Versammlung zu erwirken4.
III. Einfangung eines kroatischen Räubers
Der Minister des Inneren teilte mit, daß nach einer Anzeige des Banus von Kroatien ein berüchtigter Räuber, Waso Romiè, durch die infolge Konferenzbeschlusses vom 27. August d. J.5 eingerichtete Zivilwache lebend eingebracht worden ist.
IV. Aufruf des „Breslauer Komitees“ zur Unterschrift für eine Adresse an Se. Heiligkeit
Nach einer vom Landespräsidenten in Schlesien erstatteten Anzeige liegt von einem „Breslauer Komitee“ die Aufforderung an die Bewohner Österreichisch-Schlesiens vor, sich durch Unterschrift an einer später vom Fürstbischofe in Breslau zu revidierenden Adresse an Se. Heiligkeit zu beteiligen. Da der Aufruf mit den Worten beginnt: „Der Kaiser der Franzosen hat seinen Bischöfen Schweigen geboten“, so glaubte der Minister des Inneren, um der k. k. Regierung keine Verlegenheit hieraus zu bereiten, sich die Zustimmung der Konferenz zu der an den Landespräsidenten zu erlassenden Weisung erbitten zu sollen, er möge in schonender Weise die Verbreitung dieses Aufrufs oder doch der anstößigen Stellen in demselben verhindern.
Die Konferenz war mit dem Antrage auf Beseitigung dieser Stellen einverstanden, nur sollte der Landespräsident angewiesen werden, wie der Kultusminister verlangte, den Bischof gleichzeitig von seiner Verfügung in die Kenntnis zu setzen und, wie der Ministerpräsident beifügte, hervorheben, daß gegen die Beteiligung an aAdressen an den Hl. Vater, wenn darin keine Ausfälle auf andere Regierungen enthalten sind,a an sich kein Anstand obwalte.
V. Öffentlichkeit und Mündlichkeit im Zivilprozesse
Der Justizminister referierte seinen bei Sr. Majestät zu stellenden Antrag, den Entwurf einer neuen, für das ganze Reich giltigen Zivilprozeßordnung auf dem Prinzipe der Mündlichkeit und Öffentlichkeit ausarbeiten zu lassen6.
Gegenwärtig bestehen fünf verschiedene Zivilprozeßordnungen in der Monarchie, und es liegt der Ah. Befehl vom 29. Jänner 1858 vor, auch für diejenigen Kronländer, in welchen die allgemeine, die westgalizische, die tirolische und italienische Gerichtsordnung bestehen, eine provisorische Prozeß- und Konkursordnung auf Grundlage der für Ungern geltenden auszuarbeiten7. Dies ist nun geschehen, und der Entwurf ist auch von den Oberlandesgerichten vergutachtet. Es kann jedoch nicht früher zur Detailausarbeitung geschritten werden, bis nicht die dabei aufgeworfene Prinzipienfrage gelöst ist, ob das bisherige schriftliche Verfahren beibehalten oder anstatt dessen Mündlichkeit und Öffentlichkeit eingeführt werden soll. Der Referent bder legislativen Sektion im Justizministeriob war allein für das erstere, weil es die gründlichere und genauere Bearbeitung und Beurteilung der Streitsachen verbürgt und den Richter vor der Gefahr des Überhörens oder äußerer Einwirkungen auf seine Unbefangenheit bewahrt. Alle übrigen Votanten cder Sektionc waren jedoch für die Mündlichkeit und Öffentlichkeit, deren Vorzüge von der Wissenschaft längst anerkannt und durch die Erfahrung in so vielen auswärtigen Staaten bestätigt sind. Der Justizminister glaubte, sich den von diesen Stimmen geltend gemachten Gründen umso weniger verschließen zu dürfen, als er nur von der Einführung des neuen Prinzips eine wesentliche Vereinfachung und Abkürzung des Prozesses erwartet und daurch in den Stand gesetzt werden wird, die Kosten der Justizpflege durch Verminderung der Richter zu erleichtern. Was ihn aber vorzüglich zur Annahme dieses Prinzips bestimmte, war das Beispiel seines Vorgängers im Amte, der, ein entschiedener Verteidiger des schriftlichen Verfahrens, doch die Notwendigkeit anerkante, nach vollständiger Durchführung desselben die Parteien zur Schlußverhandlung vor dem Richter erscheinen und ihre Sache mündlich austragen zu lassen. Ein solches System würde aber den Hauptübelstand des gegenwärtigen, den schleppenden Gang des Verfahrens, beibehalten; man beseitige also denselben und beschränke sich auf das auch von seinen Verteidigern selbst anerkannte Gute. Über das Detail könnte sich der Justizminister jetzt dausführlich und bestimmtd nicht aussprechen; nur so viel glaubte er bemerken zu dürfen, daß wahrscheinlich nur zwei Satzschriften, Klage und Replik, zum Beginn des Prozesses zugelassen werden, und zwar nur bei größeren Prozessen, daß mindere vor die Friedensgerichte verwiesen, bloß mündlich abgetan und || S. 305 PDF || die Appellationen möglichst eingeschränkt und ezum Teile nur extra dominium zugelassen werden dürften.
Die mehreren Stimmen der Konferenz erklärten sich mit dem Antrage des Justizministers einverstanden, der Ministerpräsident mit dem Beisatze, daß er in der neuen Prozeßordnung das bisherige Armenrecht gewahrt zu sehen wünsche, fwas auch vom Justizminister angenommen wurde.f Die Minister für Kultus und des Inneren erklärten dagegen, nicht in der Lage zu sein, sich jetzt schon über das Prinzip auszusprechen. Ein gründliches Gutachten, bemerkte Graf Thun , über einen so wichtigen Grundsatz, über eine so wesentliche Reform des bisherigen althergebrachten Gerichtssystems erfordere umfassende Vorstudien und reifliche Erwägung. Der Gegenstand sei auch nicht so dringend, um so schnell darüber hinwegzugehen, um über die Licht- und Schattenseiten, die alle solche Reformen haben, gwelche überdies legislative Arbeiten erfordern, die nicht in wenigen Monaten geleistet werden können, sondern deren Prüfung und Überprüfung Jahre erfordert, abzuurteileng und für die Ausrottung einer Einrichtung zu stimmen, die wenigstens in großen und verwickelten Rechtshändeln hsich nicht als ungeeignet erwiesen, dem Rechte Schutz zu gewähren. Der Übelstand, der seines Erachtens dringend einer Abhilfe bedürfte, bestehe darin,h daß man die größten wie die geringsten Sachen mit der gleichen Formalität behandelt; man stelle dieses ab, verweise anfangs Bagatellesachen zur mündlichen Verhandlung, und aus der dabei gewonnenen Erfahrung wird man abnehmen können, ob und wie weit die Ausdehnung des mündlichen Verfahrens geraten ist. iInzwischen dürften teilweise Verbesserungen des bestehenden Gerichtsverfahrens ratsamer sein als [die] Einführung eines ganz neuen, dem ganzen Richterstande wie den Parteien ganz ungewohnten Systemes. Übrigens ist Graf Thun nicht dagegen, daß der Antrag des Justizministeriums in Verhandlung genommen werde und daß auf diesem Wege die Grundsätze festgestellt werden, nach welchen die Reform des Zivilprozesses in Angriff zu nehmen sei.i Graf Gołuchowski setzte hinzu, zwei Momente werden vorzüglich für die Mündlichkeit und Öffentlichkeit geltend gemacht: schnellere Abfertigung der Prozesse und die Kostenersparung. Allein, beide Momente lassen sich aus dem bloßen Prinzip, aus der nackten Idee von zwei Satzschriften nicht hinlänglich erkennen; um den Vorteil einzusehen, müßten doch einige nähere Daten über die Vereinfachung des Verfahrens, über die Zahl der Richter etc. vorliegen; denn die Erfahrung, die über jenes Prinzip beim Strafprozeß gemacht worden, scheinen für die erwartete Vereinfachung und Ersparung nicht günstig zu sein. jDer Minister des Inneren sprach sohin seine Ansicht dahin aus, daß er erst dann in der Lage sein werde, sich über den fraglichen Gegenstand auszusprechen, wenn der Herr Justizminister die Grundzüge näher auseinandergesetzt haben wird, nach welchen derselbe bei dem projektierten Antrage wegen Einführung des öffentlichen Verfahrens in Streitsachen vorzugehen beabsichtige, wobei jedenfalls die Erfahrungen, die in anderen Staaten gemacht wurden, zu Rate zu ziehen sein werden, der dermalige Vortrag sei zu wenig erschöpfend, um irgend welche Ansicht auszudrückenj Der Minister des Inneren sprach sohin seine Ansicht dahin aus, daß er erst dann in der Lage sein werde, sich über den fraglichen Gegenstand auszusprechen, wenn der Herr Justizminister die Grundzüge näher auseinandergesetzt haben wird, nach welchen derselbe bei dem projektierten Antrage wegen Einführung des öffentlichen Verfahrens in Streitsachen vorzugehen || S. 306 PDF || beabsichtige, wobei jedenfalls die Erfahrungen, die in anderen Staaten gemacht wurden, zu Rate zu ziehen sein werden, der dermalige Vortrag sei zu wenig erschöpfend, um irgend welche Ansicht auszudrücken.8
Wien, am 13. Dezember 1859. Rechberg.
Ah. E. Ich nehme den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis. Franz Joseph. Wien den 30. Dezember 1859.