Nr. 70 Ministerkonferenz, Wien 29. November 1859 – Protokoll II - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Marherr; VS.Vorsitz Rechberg; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Rechberg 29. 11.), Thun 1. 12., Bruck 1. 12., Nádasdy 1. 12., Gołuchowski, Thierry 1. 12., Seldern.
MRZ. – KZ. 4099 –
Protokoll II der zu Wien am 29. November 1859 abgehaltenen Ministerkonferenz unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, Ministers des kaiserlichen Hauses etc. Grafen v. Rechberg.
I. Untersuchung wider v. Zsedényi
Der Justizminister referierte mit Beziehung auf die Konferenzberatung vom 26. d. [M.], Absatz IX, über die Bitte des Hofrats v. Zsedényi um Niederschlagung der Untersuchung, daß sich diese Angelegenheit nach dem von Kaschauer Landesgerichte erstatteten Berichte noch im Stadium der Voruntersuchung befinde und die Vorladung Zsedényis auf den 14. Dezember l. J. vorderhand nur die Feststellung des Tatbestandes bezwecke1. Er wird also darüber vernommen werden, ob, wie aus den vorliegenden Konventsakten und Briefen hervorgeht, er und welche andern Personen noch die Aufforderung an die evangelischen Gemeinden, sich den Bestimmungen des Ah. Patents vom 1. September und der Ministerialverordnung vom 2. nicht zu fügen, beschlossen haben. Bekennt er sich, wie vorzusehen, dazu, so ist der Tatbestand des Verbrechens der Störung der öffentlichen Ruhe konstatiert und es wird agegen ihn und die Teilnehmer die Spezialuntersuchung eröffnet und bald darauf der Anklagebeschlußa gefaßt werden. Daß der Prozeß nicht einen zu großen Umfang annehme, kann seinerzeitb dadurch bewirkt werden, daß, nach Analogie des im Jahre 1852 gegen die ungrischen Hochverräter Ah. genehmigten Verfahrens, die Spezialuntersuchung nur auf die hervorragenden Teilnehmer an den Käsmarker Beschlüssen beschränkt und von der Ermächtigung des § 189 Strafprozeßordnung2 Gebrauch gemacht würde, wornach mit Ah. Genehmigung Sr. Majestät von der Untersuchung abgelassen werden kann. Hiezu aber scheint dem Justizminister gegenwärtig die Zeit nicht gekommen zu sein. Er verharrte daher von seinem Standpunkte aus auf seiner schon der Konferenz vom 26. d. [M.] ausgesprochenen Ansicht, in das gesetzmäßige Verfahren nicht einzugreifen, umso mehr als er es auch aus politischen Rücksichten für notwendig erkennt, in Ungern gegen offenbare Unbotmäßigkeit mit Strenge vorzugehen und die gegenwärtige Gelegenheit, wo nach den bereits vorliegenden Daten an einer rechtmäßigen Verurteilung kaum zu zweifeln ist, nicht ungenützt entschlüpfen zu lassen, um dem Lande zu zeigen, daß man lf. Gesetzen und Androhungen nicht ungeahndet Trotz bieten dürfe. Ist dann dem Gesetze genug getan, sind die Schuldigen verurteilt, dann ist es noch immer Zeit zu erwägen, ob man Sr. Majestät || S. 272 PDF || auf Begnadigung einraten könne. Jetzt aber schon in den Gang des Gerichts einzugreifen, dazu könnte der Justizminister seine Stimme nicht geben.
Der Kultusminister bemerkte laut seines schriftlich abgefaßten Votums: „Es kann nicht der Prozeß gegen Zsedényi niedergeschlagen und gegen andere fortgesetzt werden. Es kann auch nicht der Prozeß gegen andere niedergeschlagen werden, weil Zsedényi seine Reue ausspricht. Von Niederschlagen kann keine Rede sein, wenn nicht alle die, welche den Beschluß herbeigeführt haben, daß den Gemeinden empfohlen werden soll, dem Ah. Patente vom 1. und der Ministerialverordnung vom 2. September nicht Folge zu leisten, sich gleich wie Zsedényi aussprechen. Wenn diese Personen in offizieller Weise (d. i. in einer Weise, von welcher öffentlicher Gebrauch gemacht werden kann) erklären, daß sie nach der dem Konvente erteilten Antwort einsehen, daß durch das Patent vom 1. und die Ministerialverordnung vom 2. September die gesetzliche Autonomie der evangelischen Bekenntnisse nicht angetastet worden sei, daß sie den Sr. Majestät schuldigen Gehorsam verletzt haben, indem sie beschlossen, den Gemeinden zu empfehlen, diesen Gesetzen nicht Folge zu leisten, daß sie diesen Fehler bereuen und Se. Majestät bitten, denselben ihnen und denen, welche sie mit sich fortgerissen haben, Ag. zu vergeben, so haben sie damit ihren oppositionellen Einfluß mehr gelähmt, als es durch eine Bestrafung oder Verurteilung geschehen kann.
Die ungrische Opposition geht heute damit um, an den Tag zu legen, daß sie die Regierung Sr. Majestät nur als eine faktische, nicht als eine zu Recht bestehende betrachte. Nichts ist für die Regierung bedenklicher, als wenn es gelingt, diese Auffassung unter dem ungrischen Volke zu verbreiten und dadurch die moralische Autorität der Regierung und den willigen Gehorsam des Volks zu untergraben. Ein gerichtlicher Urteilsspruch über politische Verbrechen (wozu die Störung der öffentlichen Ruhe gehört) soll eine solche Begriffsverwirrung heilen. Es steht aber zu besorgen, daß dieses Mittel es in dem vorliegenden Falle in geringerem Maße wird bewirken können, als das Eingeständnis der schuldigen Personen. Darum wäre es wünschenswert, das wirksamere Mittel anzuwenden, wenn es möglich ist. Das Eingeständnis enthielte eine offene Anerkennung der Legitimität der Regierung. Es würde in allen Kreisen Ungerns zur deutlichen Anschauung bringen, worin der Konvent die Grenzen des Rechts überschritt. Kommt es hingegen dazu, daß die Schuldigen verhaftet werden, so wird man sie zu Märtyrern ihrer angeblichen Glaubenstreue machen. Es wird der Regierung nicht möglich sein, es zur allgemeinen Anerkennung zu bringen, daß nicht die Petition, welche der eigentlich notorische Akt des Konventes ist, den Grund der gerichtlichen Verfolgung bildet, und es wird bei der endlichen Freilassung der Verhafteten, sie möge nach überstandener Strafe oder durch Begnadigung geschehen, nicht an Demonstrationen fehlen, die die Begriffsverwirrung in der Bevölkerung steigern und weiter verbreiten wird. Gibt es gleichwohl kein anderes Mittel, das vorgefallene Verbrechen zu sühnen, so werde ich nie dafür stimmen, es nicht anzuwenden. Man wird aber dann wahrscheinlich auch die Strafe vollziehen müssen, weil Begnadigung von Konventen etc. gefordert werden wird, und wenn dann gewährt, den Eindruck einer Konzession und somit der Schwäche machen würde. Kann aber ein Gnadenakt vor einer Verhaftung und auf Grundlage einer Selbstdemütigung der Schuldigen geübt werden, so würde das meines Erachtens der Autorität der Regierung größere Dienste leisten.“
|| S. 273 PDF || Es handelt sich also, bemerkte der Ministerpräsident, hier vornehmlich um die Frage, ist es aus politischen Rücksichten besser, die Untersuchung fortzuführen oder fallenzulassen.
Der Justizminister , abstrahierend von seinem speziellen Standpunkte als solcher, erkannte an, daß, wenn Zsedényi und seine Genossen den vom Kultusminister vorgeschlagenen Aufsatz unterschreiben (was jedoch zu bezweifeln ist), damit für die Religionsangelegenheit allerdings viel gewonnen wäre. Andererseits ist es aber schwer vorherzusehen, ob mit dem Eingeständnisse der Schuld einer Superintendenz auch die Opposition der übrigen elf gebrochen und nicht vielmehr mit jeder wieder dasselbe durchzumachen sei. Es unterliegt ferner einiger Schwierigkeit abzuwägen, ob der Gewinn für die Religionsangelegenheit den Nachteil überwiege, den das Aufgeben einer mit Erfolg durchzuführenden strafgerichtlichen Untersuchung wider Störer der Staatsruhe in Ungern der Exemplifikation wegen im allgemeinen mit sich brächte, besonders wenn, wie man sagen würde, die Regierung selbst mit dem Verbrecher um den Preis jenes Aufgebens unterhandelt hat. Graf Nádasdy beharrte sonach auf seiner früheren Ansicht. Dieser schlossen sich auch GM. Graf v. Seldern , der Zsedényi nach dem Gesetz behandelt wissen will, und der tg. gefertigte Ministerpräsident an, indem er bemerkte, daß es ihm aus politischen Rücksichten geboten erscheine, bei dem gerichtlichen Verfahren wider Zsedényi etc. zu beharren, um zu zeigen, daß man sich in Ungern nicht ungestraft den Ah. Befehlen widersetzen dürfe, daß die Regierung sich nicht fürchte, gegen Übertreter nach dem Gesetze vorzugehen, daß sie sich nicht einschüchtern und zu Konzessionen zwingen lasse, sowie um den durch die Agitationen einiger eingeschüchterten evangelischen Klerus zu ermutigen, sich dem nun auch von [der] Regierung mit Ernst bekämpften Parteitreiben zu widersetzen.
Die übrigen Stimmen der Konferenz waren aber für die Niederschlagung der Untersuchung unter der Bedingung, daß von Zsedényi und den ihm wohlbekannten Hauptbeteiligten an den Käsmarker Beschlüssen die nach dem Vorschlage des Kultusministers abgefaßte Schrift ausgefertigt werde. Der Finanzminister hob vornehmlich hervor, daß Strenge hier nur noch mehr erbittern und zum Widerstande reizen, die Annahme der zur Versöhnung gebotenen Hand dagegen die Mittel zur Durchführung der Patentsbestimmungen vermehren und erleichtern würde; der Minister des Inneren bemerkte, daß ihm wirksamer als alle Gewaltmaßregeln das Zeugnis erscheine, das Zsedényi und seine Genossen vor aller Welt über die unter den Evangelischen entstandene Spaltung ausstellen und dadurch den Zerfall ihrer eigenen Sache gegenüber der Regierung anerkennen müßten. Der Polizeiminister endlich schloß sich diesem Antrage vornehmlich in der Rücksicht an, weil der mit den ungrischen Zuständen mehr vertraute Justizminister selbst anerkannt habe, daß mit der Ausstellung des besagten Schriftstückes für die Religionsangelegenheit viel gewonnen wäre.
Dem Majoritätsantrage gemäß wird demnach der Ministerpräsident nach vorläufig eingeholter Ah. Willensmeinung Sr. Majestät den v. Zsedényi über seine Eingabe belehren3.
II. Verwarnung der „Presse“
Der Ministerpräsident machte auf einen Artikel in der „Presse“ über Spanien voll der gröbsten Injurien aufmerksam und lud den Polizeiminister ein, gegen die Redaktion mit einer Verwarnung vorzugehen, da solche Angriffe gegen eine befreundete Macht, auf deren politische Unterstützung man nächstens zählen zu können hofft, nicht zu dulden sind.
Der Polizeiminister wird hiernach den Statthalter anweisen4.
III. Stipulierung der Zahlung in Vaglien bei Militärkontrakten
Generalmajor Graf v. Seldern gab die in der Konferenz vom 22. d.M. sub Nr. 2765 verlangte Aufklärung über die Stipulierung der Zahlung in Vaglien bei Militärkontrakten dahin ab, daß solche allerdings, aber unter Intervention der Fiskalprokuratur und nicht auf die Dauer ihres gesetzlichen Umlaufes, sondern des betreffenden Kontrakts stattgefunden habe6.
Der Finanzminister hat inzwischen wegen dessen Abstellung den Auftrag an die Fiskalprokuratur erlassen7.
Wien, am 29. November 1859. Rechberg.
Ah. E. Ich nehme den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis. Franz Joseph. Wien, 6. Dezember 1859.