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Nr. 45 Ministerkonferenz, Wien, 20. Oktober 1859 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet; VS. Kaiser; BdE. und anw. Erzherzog Wilhelm, Erzherzog Rainer, (Rechberg 21. 10.), Thun 21. 10., Bruck 21. 10., Nádasdy 22. 10., Hübner 22. 10., Gołuchowski 24. 10.

MRZ. – KZ. 3706 –

Protokoll [der Ministerkonferenz] vom 20. Oktober 1859 unter dem Ah. Vorsitze Sr. k. k. apost. Majestät.

I. Hauptgrundsätze über die Reorganisierung der Gendarmerie (4. Beratung)

Der Minister des Inneren referierte über die von ihm vorgeschlagenen Hauptgrundsätze zur Reorganisierung der Gendarmerie, welche in der Beilagea verzeichnet sind, und motiviert selbe umständlich unter Anführung jener Gründe, welche er bereits bei den Konferenzberatungen am 13., 15. und 18. d.M. geltend gemacht hat und die in den bezüglichen Protokollen angeführt erscheinen.

Nach der Überzeugung des Ministers Grafen Gołuchowski wird die Gendarmerie bei Annahme dieser Grundsätze einerseits die gedeihlichste Wirksamkeit im Interesse des öffentlichen Dienstes entfalten und andererseits werden jährlich Millionen erspart werden können, welche dermal aus dem Staatsschatze und von dem Gemeinden für ein seinem Zweck nur unvollkommen entsprechendes Institut verausgabt werden.

Se. kaiserliche Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog Chef des Armeeoberkommandos bemerkten, daß bei Durchführung der sämtlichen Grundsätze, welche der Minister des Inneren beantragt, die Gendarmerie ihren militärischen Charakter vollständig verlieren und in eine Zivilwache umgewandelt werden würde. Dies hieße aber nicht, die Gendarmerie reorganisieren, sondern sie tatsächlich auflösen! Es dürften sich kaum viele Unteroffiziers – geschweige denn Oberoffiziers – herbeilassen, in der Gendarmerie bei der beabsichtigten, die Disziplin auflösenden neuen Stellung zu verbleiben. Wenn ferner die Oberoffiziers bloß aus der Gendarmerie selbst durch Beförderung von Unteroffiziers gewonnen werden wollen, so dürfte das Offizierskorps in Absicht auf Bildung viel zu wünschen übrig lassen und auf einer anderen Stufe stehen als jenes der k. k. Armee. Die französischen Einrichtungen der Gendarmerie haben sich durch so viele Jahre in Frankreich und bin der Lombardieb glänzend bewährt, es scheint also rätlich, dieselben zum Muster zu nehmen. Für die schnelle und kräftige Aktion der Gendarmerie sei nichts Nachteiliges davon zu besorgen, sobald mit aller Strenge darauf gehalten wird, daß die Gendarmerie den an den Lokalpostenkommandanten ergehenden Requisitionen der Behörden unbedingte Folge zu geben hat. Übrigens habe die Gendarmerie selbst bei ihrer gegenwärtigen Organisierung, welche allerdings in manchen Punkten Verbesserungen zuläßt, anerkannte Dienste geleistet.

Der Minister des Inneren bemerkte, daß die anerkannten Leistungen der Gendarmerie größtenteils nur spontane oder solche waren, welche über Aufforderung der Strafgerichte stattfanden. || S. 167 PDF || Die politischen Behörden dagegen fanden in nur zu vielen Fällen an derselben keine Stütze. Von einem einträchtigen Vorgehen war keine Rede, die Trennung trat überall sichtbar hervor und schadete wesentlich dem Ansehen der Behörden. Die Erfahrungen bei der Finanzwache berechtigen zur Erwartung, daß diese Reorganisierung der Gendarmerie mit der militärischen Disziplin nicht unverträglich sein würde1. In Preußen und Bayern ist man in dieser Beziehung noch weiter gegangen, und der baierische Minister des Inneren ernennt die Gendarmerieoffiziers. Der Justizminister entwikkelte seine bereits in der Ministerkonferenz am 18. d.M. motivierte Meinung, daß ihm der gegenwärtige Augenblick nicht der geeignete scheine, um den militärischen Grundcharakter der Gendarmerie völlig zu ändern. Es scheint ihm bedenklich, dem Gendarmen mit Übergehung seines nächsten militärischen Vorgesetzten unmittelbar den Beamten zu unterordnen; es könne daraus eine Kompromittierung oder Gefahr für die Gendarmerie selbst entstehen. Es wäre daher der Generalinspektor der Gendarmerie aufzufordern, mit Wahrung des militärischen Charakters dieses Instituts wegen Verminderung des Patrouillendienstes, Beschränkung des Mannschafts- und Offiziersstandes und sonstigen Ersparungsmaßregeln die geeigneten Anträge zu erstatten. Der Finanzminister kann sich von seinem Standpunkte nur auf das entschiedenste mit den vom Minister des Inneren vorgeschlagenen Ersparungsmaßregeln einverstanden erklären. Er hält die vorliegenden Grundsätze aber auch für das Beste des politischen Dienstes höchst vorteilhaft und weist wie bereits in der Konferenz am 18. d.M. auf die Verschiedenheit der Verhältnisse in Frankreich und Österreich hin. So wie für die Finanzwache dürften auch für die reformierte Gendarmerie tüchtige Offiziers aus der Armee zu gewinnen sein. Der Kultusminister erkennt gleich dem Minister des Inneren, daß man bei der Reorganisierung das doppelte Ziel Ersparung und wirksame Aktion im Sinne der Zivilbehörden anstreben müsse, cund ist der Überzeugung, daß das in vollem Maße nur unter Anwendung der von dem Minister des Inneren bevorworteten Grundsätze möglich sei. Andererseits ist er der Überzeugung, daß diese Grundsätze nicht durchführbar seien, wenn die Gendarmerie ein Bestandteil der kaiserlichen Armee verbleiben solle, weil sie sich mit dem dieser eigentümlichen Größe nicht vertragen. Es würde demnach nichts erübrigen, als die Gendarmerie nur in einer der Finanzwache ähnlichen Weise zu organisieren. Eine solche Veränderung jetzt mit einem Male vorzunehmen, dürfte bedenklich sein. Graf Thun wäre demnach des Erachtens, sie in den Ländern, in welchen sie vorzugsweise ein Bedürfnis sein dürfte, mit angemessenen Verbesserungen in ihrer militärischen Organisation beizubehalten, aus anderen hingegen, in denen es ohne Gefahr geschehen kann, zurückzuziehen und daselbst den Beginn mit Organisierung eines nicht zur Armee gehörigen Wachkörpers zu machen.c

Der Polizeiminister trat der Meinung der Vorstimme bei.

|| S. 168 PDF || Se. k. k. apost. Majestät bezeichneten als Aufgabe der in Rede stehenden Reorganisation: 1. bedeutende Ersparungen zu erzielen und 2. den Zivilbehörden den für das Beste des Dienstes nötigen Einfluß in der Art zu sichern, daß die Gendarmerie diesen Behörden zur Disposition stehe. In letzterer Beziehung sei es die Hauptsache, mit aller Bestimmtheit vorzuschreiben, daß die Gendarmerie den Zivilbehörden die von den letzteren in Anspruch genommenen Dienst auch leisten müsse, die Aufforderung dazu mag schriftlich oder mündlich erfolgen. Weitergehende neue Einrichtungen aber, welche die Disziplin lockern und die Gendarmerie als militärischen Körper vernichten, haben zu unterbleiben. Die Benennung, ob Regiment, ob Bataillon an sich, ist gleichgültig; wichtig aber ist, daß die Zahl der Offiziers nicht über den Bedarf hinausgehe. Ein Stabsoffizier genügt für einen solchen Körper, der auch den kostspieligen Apparat eines Regimentsstabs nach dem Muster der Linienregimenter entbehren kann. Die Zahl der Regimenter kann auch ohne Anstand dem reellen Bedarf entsprechend vermindert werden. Die beständigen Patrouillen, die überflüssige Schreiberei und sonstigen Dienstleistungen sind abzustellen. In den Städten, wo eine Militärpolizeiwache besteht, ist die Gendarmerie einzuziehen. Doch wird diesfalls sowie auch bei der Reduktion der Mannschaft überhaupt in gewissen Ländern mit der nötigen Vorsicht und nach Vernehmung der Landesautoritäten vorzugehen sein. Über die Frage, in welchen Provinzen die Gendarmerie ganz entbehrt werden kann und was an deren Stelle zu treten hat, ist vor allem mit den Landesbehörden zu verhandeln. Die Besetzung der Subalternoffiziersstellen ist dem Gendarmeriegeneralinspektor zu belassen. Mit Festhaltung dieser Ah. Bestimmungen werde nunmehr der Instruktionsentwurf für die Gendarmerie zu verfassen sein2.

II. Zurückziehung von Betriebs­mitteln der lombardisch-venezianischen Eisenbahngesellschaft nach der Lombardie

Der Finanzminister erwirkte hierauf die Ah. Genehmigung, daß die aus der Lombardie während des Kriegs herübergezogenen Betriebsmittel der lombardisch-venezianischen Eisenbahngesellschaft wieder dahin, unter den nötigen Vorsichten, zurückgesendet werden3.

III. Katastraloperationen in Galizien

Der Finanzminister gab mit Beziehung auf die vom Grafen Gołuchowski in der Konferenz am 7. v.M.4 zur Sprache gebrachten Übelstände bei den Katastraloperationen in Galizien Aufklärungen über die Schätzungsmodalitäten sowie über die vom Minister des Inneren in Abrede gestellte Notwendigkeit der Bestellung eines Katastralinspektors in Ostgalizien.

Baron Bruck äußerte schließlich, es sei wünschenswert, an dem Systeme des Grundsteuerkatasters bis zur Einführung der Steuerreform nicht zu rütteln5.

IV. Fackelzug aus Anlaß der Schillerfeier

Aus Anlaß des für die Schillerfeier in Wien beabsichtigten großen Fackelzuges geruhten Se . Majestät zu erinnern, daß gegen Exzesse und Unfälle bei diesem Zusammenfluß einer großen Volksmenge die geeigneten Vorkehrungen zu treffen seien6.

Ah. E. Ich nehme den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis. Franz Joseph. Wien, am 29. Oktober 1859.