Nr. 38 Ministerkonferenz, Wien, 1. Oktober 1859 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Marherr; VS.Vorsitz Rechberg; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Rechberg 1. 10.), Bruck 3. 10., Nádasdy 3. 10., Hübner 3. 10., Crenneville; abw.abwesend Thun, Gołuchowski.
MRZ. – KZ. 3452 –
- I. Unzulässigkeit der ausschließlichen Verwendung italienischer Truppen im österreichischen Italien
- II. Über beabsichtigte Modifikationen der Unterrichtssprache an den Gymnasien
- III. Überwachung politisch Verdächtiger, gegen die gerichtlich nicht eingeschritten werden kann
- IV. Sicherstellung eines Militärdotationsrestes von 1859 für 1860
Protokoll der zu Wien am 1. Oktober 1859 abgehaltenen Ministerkonferenz unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, Ministers des kaiserlichen Hauses etc. Grafen v. Rechberg.
I. Unzulässigkeit der ausschließlichen Verwendung italienischer Truppen im österreichischen Italien
Nach einer an den tg. gefertigten Minister des Äußern gelangten Depesche aus Zürich über den Stand der Friedensunterhandlungen ist die französische Regierung bereit, auf die abgetretenen Teile der Lombardie 105 Millionen Gulden der Staatsschuld zu überweisen und 40 Millionen Francs für die lombardische Eisenbahn bezahlen zu lassen; auch stellt man noch günstigere Bedingungen gegen dem in Aussicht, daß sich die k. k. Regierung verpflichte, in ihren italienischen Provinzen ausschließlich italienische Truppen zu verwenden. Obwohl der tg. Ministerpräsident diese letztere Forderung von vornehinein als ganz unstatthaft ansehen zu müssen glaubte, so erachtete er doch hierüber auch noch die Wohlmeinung der Konferenz einholen zu sollen.
Die Konferenz erklärte sich einstimmig gegen ein derartiges Zugeständnis, welches die Einheit der Armee gefährden und zu Folgerungen der bedenklichsten Art Anlaß geben würde.
Hierbei setzte der Finanzminister als selbstverstanden voraus, daß unter den zu übernehmenden 105 Millionen Gulden die an den allgemeinen Schulden des Reichs die Lombardie treffende Tangente zu verstehen und die an der Schuld des Monte lombardo-veneto ausgemittelte Quote von drei Fünftel von der sardinischen Regierung besonders zu übernehmen sei1.
II. Über beabsichtigte Modifikationen der Unterrichtssprache an den Gymnasien
Der Polizeiminister brachte (gesprächsweise und mit Vorbehalt der weiteren Erörterung in Gegenwart des Unterrichtsministers) zur Kenntnis der Konferenz, daß beim Unterrichtsministerium eine Modifikation der Verordnung vom 8. August 1859, RGBL. Nr. 150, über die Unterrichtssprache in den Gymnasien vorbereitet werde2, und machte darauf aufmerksam, welchen üblen Eindruck die etwaige Rückkehr zu der strengeren Forderung der deutschen Sprache bei der nichtdeutschen Bevölkerung hervorbringen würde. || S. 133 PDF || Er glaubte, daß damit ohne vorläufige Beratung in der Konferenz nicht vorgegangen werden könne, was auch allseitig anerkannt wurde und den Beschluß zur Folge hatte, den Unterstaatssekretär des genannten Ministeriums zur Sistierung der Verhandlung bis zur Rückkunft des Ministers aufzufordern3.
III. Überwachung politisch Verdächtiger, gegen die gerichtlich nicht eingeschritten werden kann
Aus Anlaß einer Beschwerde des Brauers Fingerhut in Prag, welcher wegen einer Aufforderung, Balleinladungen in böhmischer Sprache drucken zu lassen, dann wegen einer Reise nach Semlin, Belgrad und zurück nach Prag über Ofen, Kaschau, Krakau, Olmütz, Brünn und Wien als des Panslawismus verdächtig in die Kategorie der notorisch regierungsfeindlichen Personen, gegen die gerichtlich nicht eingeschritten werden kann, gereiht und darum in Prag konfiniert worden ist, hat der Polizeiminister von dem Bestande einer auf Anordnung der Obersten Polizeibehörde erlassenen, gedruckten Statthaltereizirkularverordnung über die polizeiliche Überwachung und Behandlung politisch kompromittierter Personen Kenntnis erhalten, welche Verordnung seines Erachtens weit über ihren Zweck, der allerdings notwendigen Überwachung solcher Personen hinaus und gegen die bestehenden Gesetze zur willkürlichen Bedrückung der Parteien Anlaß gibt.
Um nur ein Beispiel anzuführen, enthält diese Verordnung u.a. folgende Bestimmung: ein Literat, der in die Kategorie der notorisch regierungsfeindlichen Personen gehört, wird in seinem Verkehr mit dem Publikum, „unbeschadet der Bestimmungen der Preßgesetze“, einer besonderen Beaufsichtigung, ad. h. seine zur Veröffentlichung bestimmten Arbeiten, als Zeitungsartikel usf., einer vorläufigen Zensura unterworfen. Außerdem wird sowohl die Bestimmung der Kategorie der Personen als auch der Grad der Anwendung der Beaufsichtigungsmaßregeln der Willkür einzelner Beamter überlassen. Solche Maßnahmen finden in den bestehenden Gesetzen nicht nur keine Begründung, sondern sind geeignet, die Feinde der Regierung noch mehr zu verbittern und aufzureizen und selbst ihr neue Feinde zu machen.
Der Polizeiminister, dessen Ansicht hierüber die Konferenz teilte, behielt sich vor, im Einvernehmen mit dem Minister des Inneren das Geeignete hierwegen zu veranlassen4.
IV. Sicherstellung eines Militärdotationsrestes von 1859 für 1860
Von der für den Militäraufwand des Jahres 1859 Ah. bewilligten Dotation im Gesamtbetrage von 359,900.000 fr. sind bisher 285,600.000 fr. erhoben worden. Von dem unerhobenen Reste per 74,300.000 fr. wird aber noch ein Betrag von 20,800.000 fr. für bereits kontrahierte Anschaffungen zur Ergänzung der Verluste und Abgänge an Kriegsmateriale und Wiederherstellung der Schlagfertigkeit der k.k. Armee erforderlich sein. FML. Graf Crenneville beantragte daher im Namen des Armeeoberkommandos die Sicherstellung der gedachten Summe aus dem nicht erhobenen Dotationsreste || S. 134 PDF || von 1859, damit den diesfalls noch im Jahre 1859 kontrahierten Verbindlichkeiten der Armeeverwaltung Genüge geleistet werden könne.
Der Finanzminister erklärte sich aus formellen Gründen gegen eine solche Sicherstellung, da nach den bestehenden Normen die für ein Verwaltungsjahr präliminierten und bewilligten, aber bis Ende Oktober nicht abgefaßten Summen den Finanzen verfallen sind. Eine Abweichung von diesem Grundsatze würde eine Beirrung des regelmäßigen Abschlusses des Staatshaushaltes für das betreffende Verwaltungsjahr mit sich bringen. Materiell aber könne die vom Armeeoberkommando angesprochene Summe in der Art sichergestellt werden, wenn sie in das Präliminar für 1860 aufgenommen wird, das sodann drei Teile enthalten würde: 1. die gedachte Restforderung per 20,800.000 fr. aus dem Jahre 1859, dann 2. das ordentliche, 3. das außerordentliche Erfordernis der Armeeverwaltung für das Jahr 1860.
Nach dieser Erörterung traten die übrigen Stimmführer der Konferenz der Ansicht des Finanzministers bei5.
Wien, am 1. Oktober 1859. Rechberg.
Ah. E. Ich nehme den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis. Franz Joseph. Schönbrunn, den 7. Oktober 1859.