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Nr. 26 Ministerkonferenz, Wien, 27. August 1859 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Marherr; VS. Rechberg; BdE. und anw. (Rechberg 27. 8.), Bruck, Nádasdy 30. 8., Hübner 30. 8., Gołuchowski, Crenneville 30. 8.; abw. Thun.

MRZ. – KZ. 3112 –

Protokoll der zu Wien am 27. August 1859 abgehaltenen Ministerkonferenz unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, Ministers des kaiserlichen Hauses etc. Grafen v. Rechberg.

I. Gültigkeit sardinischer Pässe

Der tg. gefertigte Ministerpräsident und Minister des Äußern richtete an den Polizeiminister die Anfrage, ob es einem Anstande unterliege, Reisende mit sardinischen Pässen in den k. k. Staaten gegen Beobachtung der Reziprozität von Seite Sardiniens zuzulassen. Die Polizeiminister erklärte, daß unter den gegenwärtigen Verhältnissen kein Grund vorliege, solchen Pässen, wenn sie von den betreffenden k.k. Gesandtschaften vidiert sind, die Geltung zu verweigern, daß es also nunmehr nur darauf ankommen werde, die k.k. Gesandtschaften zur Vidierung sardinischer Pässe zu ermächtigen und die k. k. Polizeibehörden zur Respektierung derselben anzuweisen. Beide Minister behielten sich vor, hierwegen das Erforderliche zu verfügen.

II. Zurückstellung des Betriebsmaterials der lombardischen Eisenbahn; Spurweite

Bei dem Rückgange der k.k. Truppen aus der Lombardie wurde von denselben sämtliches Betriebsmateriale der dortigen Eisenbahnen mitgenommen. Es ist dieses aber Eigentum der südlichen und zentralitalienischen Eisenbahngesellschaft und wird von derselben bezüglich desjenigen Teils, dessen sie zum Bahnbetriebe in der Lombardie bedarf, reklamiert. Die k. k. Regierung hat nach Einstellung der Feindseligkeiten kein Recht mehr, der Gesellschaft ihr Eigentum vorzuenthalten. Ein Einschreiten derselben bei den Landesmilitärautoritäten sowie die Verwendung des Handelsministers beim Armeeoberkommando hierwegen war erfolglos1. Der Finanzminister ersuchte daher den FML. Grafen Crenneville, sich von dem Stande der Sache beim Armeeober­kommando zu informieren und hierüber in der nächsten Konferenz Aufklärung zu geben, um sodann zur Ausgleichung schreiten zu können2.

Bei diesem Anlasse machte der tg. gefertigte Ministerpräsident auf die Notwendigkeit aufmerksam, darauf zu dringen, daß das Bahngeleise der lombardisch-venezianischen Eisenbahn jenem der südlichen Staatsbahn gleich gemacht werde, damit der auffallende Übelstand nicht fortdauere, wornach, während die ganze lombardisch-venezianische Bahn selbst mit fremden Waggons befahren werden kann, der Verkehr im Inneren des Reichs der Unbequemlichkeit des Wagenwechsels in Nabresina unterliegt. Der Finanzminister erkannte die Notwendigkeit der Herstellung gleicher Geleise an und wird zur Ausführung sofort das Erforderliche nach Übernahme der bezüglichen Agenda des Handelsministeriums einleiten. || S. 89 PDF || Imperativ vorzugehen scheint ihm jedoch nicht angemessen zu sein, weil die lombardisch-venezianische Bahn mit ihrem dermaligen Geleise vom Staate gebaut und mit demselben der Gesellschaft übergeben worden ist. Sie kann also zur Änderung der Geleise nicht oder nur gegen volle Vergütung der Kosten verhalten werden. Diese würden ohne Zweifel sehr groß sein, wenn der Gesellschaft die Änderung ohneweiters auferlegt werden wollte. Der Finanzminister beabsichtigt daher, hierwegen vorläufig mit der Gesellschaft zu unterhandeln3.

III. Patent zur Ausschreibung der direkten Steuern pro 1860

Der Finanzminister referierte über den Entwurf des Patents zur Ausschreibung der direkten Steuern für das Verwaltungsjahr 1860. Die Fassung desselben ist die herkömmliche, mit dem üblichen Vorbehalte, allfällige Änderungen im Laufe des Jahres eintreten zu lassen. Neu ist darin nur die bereits im II. Semester 1859 in Wirksamkeit gesetzte Einhebung der Einkommensteuer von Staatsobligationen mittelst Abzug von 5% bei der Kuponserhebung4, dann die Beibehaltung der außerordentlichen Steuerzuschläge5. Im allgemeinen war die Konferenz damit einverstanden; nur beantragte der Minister des Inneren die Weglassung jenes „Vorbehalts der Änderungen“, weil er die Kontribuenten verletzt und ängstigt, indem er ihnen die Möglichkeit nimmt, wenigstens für ein Jahr mit Sicherheit die Steuerschuldigkeit zu berechnen. Der Finanzminister nahm umso weniger Anstand, den gedachten Vorbehalt wegzulassen, als vorherzusehen ist, daß die beantragte Steuerreform im Verwaltungsjahr 1860 nicht zur Ausführung kommen werde6.

Einer weiteren Andeutung des Ministers des Inneren wegen tunlicher Verminderung der Branntwein- und Rübenzuckersteuer versprach er, im Interesse der Landwirtschaft die sorgfältigste Berücksichtigung zuwenden zu wollen, sobald die Resultate der Enquete-Kommissionsverhand­lungen vorliegen werden7.

IV. Außerordentliche Sicherheitsmaßregeln in Slawonien

Der Zustand der öffentlichen Sicherheit in Slawonien ist seit Jahren Gegenstand der Klage. Alle Abhilfsversuche: Vermehrung der Gendarmeriemannschaft, temporäre Requirierung von Militär- oder Grenzmannschaft, haben sich als erfolglos gezeigt. Insbesondere erscheint die Wirksamkeit der Gendarmerie unzureichend, wovon zwei auffallende Fälle vorgekommen sind. Ja, ein Flügel­kommandant der Gendarmerie erklärte sich selbst außerstand, dem Räuberunwesen zu steuern, solange die Bevölkerung des Landes und die Pickelhauben der Gendarmen den Übeltätern das Nahen der Sicherheitsorgane verraten8. || S. 90 PDF || Der Banusstellvertreter hat daher einige außerordentliche Maßregeln in Antrag gebracht, und zwar a) die Verschärfung einiger Bestimmungen des Strafgesetzes, b) die Verwendung des ehemaligen Sicherheitskommissärs Bujanović.

Gegen a) erklärte sich der Justizminister auf das entschiedenste, sowohl im Korrespondenzwege, als auch heute mündlich; es wurde also von diesem Antrage gänzlich abgegangen.

Was b) die Verwendung des Bujanović betrifft, so soll derselbe, mit Land und Leuten wohl bekannt, unterstützt von zehn bis zwölf Gehilfen, in die Schlupfwinkel der Räuber eindringen und sie fangen. Er bedingt sich dafür monatlich 200 fr. für sich, 60 fr. für jeden Gehilfen, die Taglia9 von 1000 fr. oder 300 fr. für jeden der „lebendig oder tot“ eingebrachten Übeltäter – je nach dessen Qualifikation – ferner die volle Freiheit und Selbständigkeit in der Anordnung seiner Maßregeln und die Hilfeleistung der Gendarmerie auf seine Aufforderung etc. Vorzüglich aus dieser letzteren, dann aber aus ökonomischen Rücksichten hat sich der Chef der Obersten Polizeibehörde gegen diesen Antrag erklärt und nur für eine Vermehrung der Gendarmerie in jenen Gegenden (Požegaer Komitat) gestimmt. Allein nach den dem Minister des Inneren vorliegenden Notizen sind dort schon so viele Gendarmen, daß kein Platz mehr ist, neue zu postieren; außerdem hat der Minister des Inneren neuerliche und dringende Aufforderung von Seite des aabtretenden Banus-Stellvertreters FML. Šokčevića erhalten, sich der Dienste jenes Bujanović als des einzigen Mittels, das Erfolg verspricht, zu bedienen. Unter diesen Umständen hielt der Minister des Inneren den Antrag des Landeschefs zur Genehmigung geeignet und erbat sich dazu die Beistimmung des gegenwärtigen Polizeiministers und der Konferenz. Nur das Begehren Bujanović, für jeden der „lebendig oder tot“ eingebrachten Räuber die Taglia zu erhalten, fände er unstatthaft, weil damit Menschenleben unbedingt der Diskretion des Bujanović und seiner Gehilfen übergeben wären. Er würde daher nur zugeben, daß ihnen das Recht zustehe, die Übeltäter zu verfolgen und für die lebend eingebrachten oder während der Verfolgung getöteten die Taglia anzusprechen. Die Kosten dieser Maßregeln würde er auf den Landesfonds überweisen.

Bei der durch die Berichte des Landeschefs, die Äußerung des Ministers des Inneren und die Notorietät konstatierten, sofort auch vom Grafen Crenneville aus eigener Erfahrung bestätigten Tatsache, daß die öffentliche Sicherheit in Slawonien in hohem Grade gefährdet und eine Abhilfe von den bestehenden Mitteln und Organen nicht zu erwarten ist, nahm der Polizeiminister keinen Anstand, dem Einraten des Ministers des Inneren beizustimmen, womit auch die übrigen Votanten der Konferenz sich vereinigten. Hierbei fände es der Justizminister sehr wünschenswert, wenn für die Einbringung eines toten Übeltäters eine geringere Taglia als für einen lebenden festgesetzt würde, || S. 91 PDF || damit darin für die Sicherheitsorgane ein erhöhter Antrieb läge, sich der Verfolgten lebend zu bemächtigen und sie der strafenden Gerechtigkeit zu überliefern; – wogegen jedoch der Minister des Inneren bemerkte, daß Bujanović einen solchen Unterschied in der Taglia sich schwerlich gefallen lassen dürfte, nachdem mit ihm wegen der Bedingungen zweimal unterhandelt worden ist und er jedesmal auf der gleichen Taglia „für lebendig oder tot“ bestand. Der Finanzminister endlich, obwohl bei der Maßregel durch Überweisung der Kosten auf den Landesfonds in seinem Ressort nicht unmittelbar berührt, glaubte nichtsdestoweniger die Bemerkung nicht unterdrücken zu können, daß eine so kostspielige Einrichtung wie das Institut der Gendarmerie, wenn sie dem eigentlichen Zwecke ihrer Einsetzung so wenig entspricht, in ihrem Organismus oder der Verwendung ihrer Organe Gebrechen haben müsse und daher einer Reform bedürfe10.

Ah. E. Ich nehme den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis. Franz Joseph. Laxenburg, 4. September 1859.