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Nr. 20 Ministerkonferenz, Wien, 5. Juli 1859 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Marherr; VS. Bach; BdE. und anw. (Bach 5. 7.), Thun 6. 7., Toggenburg 6. 7., Bruck, Kempen 7. 7., Nádasdy 6. 7., Eynatten; abw. Rechberg.

MRZ. – KZ. 2451 –

Protokoll der zu Wien am 5. Julius 1859 abgehaltenen Ministerkonferenz unter dem Vorsitze des Ministers des Inneren Freiherrn v. Bach in Abwesenheit des Ministers des Äußern Grafen Rechberg.

I. Behandlung mehrerer im Venediger Oberlandesgerichtssprengel anhängiger politischer Prozesse

Der Justizminister referierte über die Behandlung nachstehender im Venediger Oberlandes­gerichtssprengel vor der Aktivierung der Kriegsgerichte anhängiger politischer Prozesse: 1. wegen Störung der öffentlichen Ruhe etc. nach § 65 Strafgesetzbuch a) wider Giulio Bergonzoli und Genossen wegen Verfertigung und Verkaufs von Gipsstatuetten vorstellend Felix Orsini1 mit der Inschrift: „Italiano, figlio di una patria che lo straniero opprime etc.“ und „Viva la Francia, viva l’Italia“, in welchem Prozesse die Angeklagten obwohl der Tatsachen überführt, doch teils ab instantia wegen Mangels der bösen Absicht absolviert, teils für schuldlos erklärt wurden; b) wider Ambrosio Pisciutta und Johann Vaglianetti wegen Verfertigung und Verkaufs von Pfeifen in Form des italienischen Stiefels als Demonstration gegen das Zigarrenrauchen, welche Handlung in erster Instanz nicht als Verbrechen erkannt, sondern ad politicum verwiesen wurde; c) wider Nicola Canal wegen Veranstaltung einer Demonstration auf dem Friedhofe San Cristoforo zur Feier des Andenkens an Manin2, in erster Instanz behandelt wie das Faktum b, wogegen die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt hat; 2. wider mehrere Studenten wegen Teilnahme an der bekannten Demonstration bei der Beerdigung des Professors Zambra3, wo gegen das freisprechende Urteil bezüglich eines Angeklagten die Berufung eingelegt wurde; 3. wider Luigi Mondini und Domenico Ferraglio wegen Mißhandlung eines Zigarrenrauchenden, noch in erster Instanz anhängig; 4. wider Anton Furlan und Konsorten wegen Störung des Balles in der Fenice, wie ad 3.; 5. wider G. Rubini und Josef Segala wegen gleicher Störung der Karnevalsbelustigung in Vicenza, wie ad 3.; 6. und 7. wider Gaet. Pontirolo, der im trunkenen Zustande, dann wider fünf andere, die in einem Wirtshause, endlich 8. wider Johann Franceschi, der bei seiner Arretierung wegen Diebstahls, um während des Zusammenlaufs von Menschen zu entwischen, aufrührerisches Geschrei ausgestoßen, welche Untersuchungen ebenfalls noch in erster Instanz schweben4.

|| S. 69 PDF || Das Urteil der ersten Instanz in den Fällen ad 1. und 2. hat in dem Oberstaatsanwalt und dem Venediger Oberlandesgerichtspräsidenten die Besorgnis hervorgerufen, daß die Richter, durch die gegenwärtigen Verhältnisse im Königreiche eingeschüchtert, in diesen Prozessen ein unbefangenes Urteil zu fällen kaum geeignet sein dürften. Es wurde daher der Antrag gestellt und vom Venediger Militärgouverneur und Festungskommandanten unterstützt, daß zur gesetzmäßigen Abtuung dieser Fälle, wenn nicht die gänzliche Niederschlagung der Prozesse, doch im Sinne des § 49 Strafprozeßordnung eine Delegation5 der Untersuchung an einen Gerichtshof beziehungsweise an ein Oberlandesgericht in einem andern Kronlande verfügt werden möge. Der Justizminister setzte sich hierwegen mit dem Obersten Gerichtshofe in das Einvernehmen; dieser sprach sich jedoch wiederholt gegen eine Delegation aus, weil hierdurch Mißtrauen der Regierung gegen ihre eigenen Gerichte zu erkennen gegeben, die Beschuldigten ihrem gesetzmäßigen Richter entzogen und einem andern unterworfen würden, gleichsam als wollte man ihre Verurteilung um jeden Preis, was gewiß den übelsten Eindruck machen würde; dann, weil die Delegierung mit der Transportierung der Verhafteten zu dem neuen Gerichte, also mit großer Umständlichkeit und Kosten verbunden wäre. Der Oberste Gerichtshof war daher für die Niederschlagung sämtlicher Prozesse. Falls aber dieser Antrag die Ah. Genehmigung nicht erhielte, erklärte er sich zur Delegierung bereit. Der Justizminister teilte die Meinung des Obersten Gerichtshofes umso mehr, als dieselbe auch dem ersten Antrage der Landesautorität entspricht, und würde daher in den Fällen ad 1. und 2. die Zurückziehung der Berufung des Staatsanwalts gegen das Urteil erster Instanz in seinem Wirkungskreise verfügen, bezüglich der übrigen aber die Ah. Ermächtigung zur Ablassung von dem Verfahren nachsuchen.

Beim Vortrage dieses Gegenstandes in der Konferenz bemerkten vor allem der Chef der Obersten Polizeibehörde und der Finanzminister , daß das zur Ablehnung der Delegation geltend gemachte Motiv, es würden dadurch die Richter von der eigenen Regierung kompromittiert, nicht gelten könne, weil Richter, die ihre Schuldigkeit nicht tun, keine Schonung verdienen; andererseits bemerkte der Handelsminister , es seien auch die Fälle an sich so geringfügig (etwa mit Ausnahme jener sub 1. a & b, wie der Kultusminister beifügte), als daß es sich der Mühe lohne, die Delegation eines Gerichtshofes in einem anderen Kronlande mit allen ihren Konsequenzen eintreten zu lassen. Aber auch zu einer Begnadigung beziehungsweise Niederschlagung der wider die Beschuldigten anhängig gemachten Untersuchung sei kein genügender Grund vorhanden, indem solche unter den gegenwärtigen Verhältnissen der Regierung als Schwäche angerechnet werden würde; endlich sei auch das Unglück nicht so groß, wenn die venezianischen Gerichte in sämtlichen acht Fällen, von denen sich ohnehin die meisten mehr zur polizeilichen als kriminellen Amtshandlung eignen dürften, ein freisprechendes oder ablassendes Erkenntnis fällen. Der Handelsminister würde daher der Meinung sein, daß einfach dem Gesetze sein Lauf gelassen werde.

Die Konferenz teilte einstimmig diese Meinung; der tg. gefertigte Minister des Inneren mit dem Beisatze, (der auch angenommen wurde), daß der Staatsanwalt angewiesen werde, gegen weitere freisprechende Erkenntnisse der ersten Instanz keine Berufung einzulegen, || S. 70 PDF || sondern die Überweisung der Beschuldigten an die politische Behörde zu veranlassen, welche die für die öffentliche Sicherheit bedenklichen Individuen unter ihnen aaußerhalb des Landes zu konfinierena haben würde. Nach dieser Abstimmung trat auch der Justizminister von seinem Antrage zurück und wird wegen der weiteren Amtshandlung der venezianischen Gerichte das Nötige verfügen6.

II. Bemerkung über einen Artikel der „Presse“

Als ein neuer Beweis der bedenklichen Richtung, welche das Journal „Die Presse“ verfolgt7, wurde vom Finanzminister der Artikel derselben im Montagsblatte vom 4. Juli über die Unhaltbarkeit unserer Stellung etc. hervorgehoben, ein Artikel, der, wie FML. Baron Eynatten bemerkte, nicht genug mißbilligt werden kann, auch wurde vom Minister des Inneren die stets wachsende feindliche Haltung bemerkt, welche ausländische und selbst inländische Blätter gegen Österreich annehmen8.

Ah. E. Ich nehme den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis. Franz Joseph. Laxenburg, 18. Juli 1859.