Nr. 449 Ministerkonferenz, Wien, 29. April 1858 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Marherr; VS.Vorsitz Buol-Schauenstein; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Buol 29. 4.), gesehen Bach 1. 5., Thun 1. 5., Toggenburg, Bruck 2. 5., gesehen Kempen 3. 5., vidi Nádasdy 3. 5., Für Se. Exzellenz den Herrn Ersten Generaladjutanten Sr. Majestät Kellner 3. 5.
MRZ. – KZ. 1714 –
Protokoll der zu Wien am 29. April 1858 abgehaltenen Ministerkonferenz unter dem Vorsitze des Ministers des kaiserlichen Hauses und des Äußern Grafen v. Buol-Schauenstein.
I. Kaiserliche Verordnung wegen Zuweisung der Untersuchung und Bestrafung gewisser Übertretungen an die politischen Behörden
Gegenstand der Beratung war der angeschlossene (Beilage 1)a, vom Justizminister im Einvernehmen mit dem Minister des Inneren und dem Chef der Obersten Polizeibehörde ausgearbeitete Entwurf einer kaiserlichen Verordnung, wirksam für alle Kronländer mit Ausnahme des lombardisch-venezianischen Königreichs und der Militärgrenze, wodurch die Gerichtsbarkeit über mehrere Übertretungen des allgemeinen Strafgesetzes den politischen Behörden zugewiesen und das hierüber von diesen Behörden zu beobachtende Verfahren geregelt wird1.
Dieser Entwurf wurde von der Konferenz mit nachfolgenden Modifikationen angenommen:
Zu § 1, Nr. 5. Zur Vermeidung des möglichen Zweifels, daß unter den hier aufgeführten Beschädigungen von Brücken, Schleusen, Dämmen etc. auch boshafte Beschädigungen solcher Objekte verstanden werden könnten, weil rücksichtlich der am Schlusse erwähnten Verletzungen der Staatstelegrafen ausdrücklich der Beisatz „mutwillige“ vorkommt, sollte nach dem Erachten des Handelsministers entweder auch dort im Sinne der §§ 85, lit. c, und 318 [des Strafgesetzbuches] der gedachte Beisatz eingeschaltet oder auch hier weggelassen werden.
Die Konferenz entschied sich nach dem Antrage des Justizministers für das letztere, also für die Weglassung des Wortes „mutwillige“, weil nicht die hier im Entwurfe aufgeführten Rubriken, sondern nur die meritorischen Bestimmungen der betreffenden Paragraphen des Strafgesetzes selbst für die Judikatur maßgebend sind.
Zum § 2 wünschte der Chef der Obersten Polizeibehörde , daß die Bestimmung, welche von den im § 1 aufgeführten Übertretungen den Polizeibehörden zur Untersuchung zugewiesen seien, gleich in die vorliegende Verordnung aufgenommen und nicht einer nachträglichen Veröffentlichung vorbehalten werde. Zu diesem Ende schlug der Justizminister vor, daß der Minister des Inneren und der Chef der Obersten Polizeibehörde sich vorläufig über diese Bestimmung einigen, die alsdann an die Stelle des § 2 dieser Verordnung eingeschaltet werden würde. Käme eine vollständige Einigung hierüber nicht zustande, so würde er hierüber in der Konferenz Vortrag erstatten.
|| S. 396 PDF || Bezüglich der in eben diesem § 2 ersichtlich gemachten Differenz über die Behörde, welcher in dritter Instanz die Judikatur über die exszindierten2 Übertretungen zustehen soll, bemerkte der Minister des Inneren , daß sein Antrag, sie dem Ministerium des Inneren einzuräumen, auf der diesfalls vor 1848 bestandenen Gesetzgebung beruhe, wornach die Judikatur über schwere Polizeiübertretungen in dritter Instanz ohne Unterschied, ob sie in der ersten einem Magistrate oder einer Polizeidirektion zustand, der Vereinigten Hofkanzlei eingeräumt war. Die Trennung der Judikatur in dritter Instanz würde überdies der notwendigen Einheit in der Auffassung und Handhabung der Strafgesetzbestimmungen abträglich sein, das vom Justizminister vorgeschlagene wechselseitige Einvernehmen zwischen Ministerium des Inneren und Oberster Polizeibehörde aber den Geschäftsgang schleppend machen. Zur Vermittlung der sich entgegenstehenden Ansichten machte daher der Minister des Inneren den Vorschlag, über Fälle, welche in erster Instanz die Polizeibehörde abgeurteilt hat, in dritter von einer aus einer gleichen Anzahl von Räten des Ministeriums des Inneren und der Obersten Polizeibehörde zusammengesetzten bund einem Sektionschef des Ministeriums des Inneren präsidiertenb gemischten Kommission sprechen zu lassen. Mit diesem Vorschlage haben sich sowohl der Chef der Obersten Polizeibehörde als auch der Justizminister vereinigt, und auch die Majorität der Konferenz trat demselben bei.
Nur der Kultusminister stimmte für den ursprünglichen Antrag des Ministers des Inneren, weil der Grund, aus welchem gewisse Übertretungen der Judikatur der Polizeidirektionen zugewiesen werden, nicht sowohl in der Natur der Übertretungen, sondern in Rücksichten der Konvenienz und der Zweckmäßigkeit des Vorgangs in größeren Städten zu suchen ist, und die ganze Institution der Polizeibehörden wohl die Verhütung und Verhinderung, nicht aber die Bestrafung gesetzwidriger Handlungen zum Zwecke hat, wogegen wieder der Handelsminister bemerkte, daß die Übertretungen gegen die Sittlichkeit und öffentliche Sicherheit, welche der Behandlung durch die Polizeidirektionen vorbehalten werden dürften, in der Regel von solcher Beschaffenheit sind, daß auch die Oberste Polizeibehörde berufen erscheint, auf die Judikatur über dieselben einen überwachenden und entscheidenden Einfluß zu nehmen.
Bei § 3 wünschte der Justizminister selbst die Weglassung des dritten Absatzes: „Hat ein Gericht etc.“ Denn es schiene ihm doch besser zu sein, ein wenn auch inkompetent gefälltes Urteil aufrechtzuerhalten, als wegen einer vielleicht nur unbedeutenden Übertretung ein neues Verfahren und vor diesem noch eine Verhandlung zwischen dem Oberlandesgerichte und politischer Landesstelle eintreten zu lassen, besonders wenn der Fehler bei einem gemischten Bezirksamte vorgekommen ist, wo das von demselben als Gericht gefällte Erkenntnis kassiert und von ihm in der Eigenschaft als erste politische Instanz ein neues Urteil gefällt werden müßte, was gewiß den Beteiligten sehr sonderbar vorkommen würde. Auch der Handelsminister stimmte für die Weglassung jenes Satzes, umso mehr, als die ganze Verordnung nur eine Erleichterung der Gerichtsbehörden bezweckt und nicht vorauszusetzen ist, daß eine Gerichtsbehörde wissentlich einen offenbar ihrer Kompetenz entzogenen Fall abzuurteilen sich vermessen werde.
|| S. 397 PDF || Die mehreren Stimmen der Konferenz traten diesem Antrage bei, gegen den zuletzt auch der Minister des Inneren , obwohl er prinzipiell den Rechtsbestand eines inkompetenten Urteils nicht zugeben könnte, in der Rücksicht nichts mehr einwendete, weil er voraussetzt, daß sich die Sache in praxi von selbst machen und ein derlei inkompetent gefälltes Urteil, wenn es zur Kenntnis der Oberbehörde gelangt, von Amts wegen wird aufgehoben werden.
Im § 5, 2. Absatz am Schlusse, wurde über Antrag des Justizministers und Zustimmung des Ministers des Inneren und Chefs der Obersten Polizeibehörde die Festsetzung der Zahl der Räte in dritter Instanz auf vier beliebt, was auch bezüglich der polizeilich abgeurteilten Fälle dem Vermittlungsantrage des Ministers des Inneren zu § 2 entspricht.
Zum § 8 endlich machte der Chef der Obersten Polizeibehörde darauf aufmerksam, daß die Verordnung vom 11. Mai 1854, [RGBL.] Nr. 120, wodurch die Untersuchung gewisser Übertretungen den Polizeidirektionen in den Hauptstädten vorbehalten wurde3, bezüglich Mailands und Venedigs vorderhand in Kraft bleibe und daß dieses zur Vermeidung etwaiger Zweifel ausdrücklich bemerkt werden dürfte, womit der Justizminister einverstanden war, insofern sich eine derartige Bemerkung nicht schon dadurch als entbehrlich darstellt, daß die hier angetragene Verordnung überhaupt im lombardischvenezianischen Königreiche nicht zur Wirksamkeit gelangt4.
II. Kaiserliche Verordnung wegen Umsetzung der in den Zivilstrafgesetzen vorkommenden Geldbeträge auf die österreichische Währung
Der vom Justizminister in Gemäßheit der Konferenzberatung vom 6. April 1858, Absatz III, umgearbeitete Entwurf einer kaiserlichen Verordnung wirksam für das ganze Reich mit Ausnahme der Militärgrenze (Beilage 2)c über die Größe und Währung der Geldstrafen und der sonst in den Zivilstrafgesetzen5 vorkommenden Geldbeträge vom 1. November 1858 an, wurde von der Konferenz einstimmig mit der einzigen Modifikation angenommen, daß die im § 3 vorkommenden Worte „jedoch in der neuen österreichischen Währung“ als durch das Vorausgehende selbstverständlich, wegzufallen haben. Mit diesem Entwurfe ist zugleich dem in der Ah. Entschließung vom 27. April 1858, KZ. 137, MCZ. 1486, sub 3 enthaltenen Ah. Befehle entsprochen6.
|| S. 398 PDF || Wien, am 29. April 1858. Gr[af] Buol.
Ah. E. Ich nehme den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis. Franz Joseph. Laxenburg, 20. Juni 1858.