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Vorwort - Retrodigitalisat (PDF)

|| S. 7 PDF || Das Jahr 1857 brachte dem seit neun Jahren regierenden immer noch sehr jungen Kaiser Franz Joseph 1. mehrere propagandistische Erfolge. Gemeinsam mir der schönen Kaiserin bereiste er zuerst Lombardo-Venetien, wo er seinen als liberal geltenden jüngeren Bruder Ferdinand Maximilian als Generalgouverneur installierte. Von Mai bis August fuhr er, mit Unterbrechungen und anfangs auch von Elisabeth begleitet, nach Ungarn. Da wie dort sollten Amnestien und verschiedene finanzielle Maßnahmen und Geschenke zur Entspannung der verfahrenen politischen Lage beitragen. Erstmals seit Vilagos wurde ein Ungar zum Minister ernannt. Der populäre Erzherzog Rainer wurde Präsident des Reichsrates. Mit der kaiserlichen Verordnung vom 9. Februar 1857 wurde die Paßkarte eingeführt und damit die Reisefreiheit im Inneren sehr erleichtert. Der Bau der Südbahn schritt voran, im April wurde mit den Arbeiten an der Westbahn begonnen, im Oktober folgre die Grundsteinlegung zum Wiener Westbahnhof. Eisenbahnen in Galizien und Böhmen wurden genehmigt. In diesem Jahr erschien auch die Programmschrift des ersten Regierungsjahrzehnts, Karl Freiherr von Czoernigs Buch „Österreichs Neugestaltung“. Am Weihnachtstag schließlich wurde jenes Handschreiben veröffentlicht, in dem der Kaiser die Schleifung der Stadtmauern in Wien anordnete zwecks „Erweiterung der inneren Stadt Wien mit Rücksicht auf eine entsprechende Verbindung mit den Vorstädten“ und unter Bedachtnahme „auf die Regulierung und Verschönerung Meiner Residenz-und Reichshauptstadt“. Damit waren – noch mitten in der neoabsolutistischen Ära – das Jahrhundertprojekt der Wiener Stadterweiterung und in der Folge die Ringstraßenepoche eingeläutet.

Das Kabinett bemühte sich um die Fortführung der Reformtätigkeit auf verschiedenen Gebieten. Nach dem Abschluß des Münzvertrags mit den Staaten des Deutschen Zollvereins ging man daran, die gesetzlichen Vorbereitungen für die neue „österreichische Währung“ zu treffen, die dann ab dem 1. November 1858 eingeführt wurde. Die Rechtsvereinheitlichung wurde vorangetrieben, indem mehrere nur für die österreichischen Kronländer erlassene Gesetze in den ungarischen Ländern eingeführt wurden, wie die Notariatsordnung und das Forstgesetz. Ihren größten Erfolg erzielte die Regierung in den Bemühungen, die Auswirkungen der von den Vereinigten Staaten auf Europa übergreifenden sogenannten ersten Weltwirtschaftskrise auf die Monarchie abzumildern. Dies gelang ihr dadurch, daß sie den Aktienmarkt durch Zurückhalten von neuen Eisenbahnaktien und -konzessionen – der Eisenbahnbau war der Leitsektor der Zeit – beruhigte und gleichzeitig einige Eisenbahngesellschaften direkt unterstützte.

All dem standen aber auch schwerwiegende Defizite gegenüber. Die Reisen nach Italien und nach Ungarn erwiesen sich als nur kurzfristige propagandistische Erfolge. Die langfristig erhofften positiven Wirkungen blieben aus, weil der Kaiser nicht bereit war, durch Änderung der Politik einen wirklichen Ausgleich zu suchen. In beiden Ländern verhielten sich die maßgebenden politischen Schichten weiterhin distanziert zur zentralisierenden || S. 8 PDF || Politik des Monarchen. Vor allem erwiesen sich die Anstrengungen des Finanzministers Karl Freiherr v. Bruck um einen ausgeglichenen Haushalt und um die Sanierung der Währung als ein Kampf gegen Windmühlen. Weder bei der Steuerreform noch bei ernsthaften Einsparungen im Bereich von Armee und Gendarmerie gab es Fortschritte. Überhaupt traten unter den Mitgliedern der Ministerkonferenz immer wieder heftige Differenzen auf, etwa bei der Regelung der Verhältnisse der evangelischen Kirchen in Ungarn und auch in anderen Religionsfragen, bei der Debatte um das Wuchergesetz, beim Entwurf eines neuen Heeresergänzungsgesetzes oder in der Frage der Pressepolitik. Daß die Regierung in vielen Fragen alles andere als einmütig war, weist letztlich auf die grundlegende Schwäche des neoabsolutistischen Regimes hin. Es konnte nur von des Kaisers Gnaden handeln, besaß aber keine ausreichende politische Legitimation in der Bevölkerung. Uns aber hat diese Konstellation einige außerordentlich spannende und aufschlußreiche Dokumente beschert, indem die Protokolle der Ministerkonferenzen die Debatten mit Präzision und Schärfe dokumentiert haben.

Mit dem vorliegenden Band wird die Edition der Protokolle der Abteilung III, BuolSchauenstein, nach längerer Unterbrechung fortgesetzt. Waltraud Heindl, die Bearbeiterin der Bände 1 bis 5 dieser Abteilung, mußte die Arbeiten nach der Übernahme der Direktion des Österreichischen Ost-und Südosteuropa-Instituts abbrechen und ist anschließend in den Ruhestand getreten (siehe Vorwort zu Band IV/1). Dem Bearbeiter des vorliegenden Bandes ist nach der Fertigstellung der Abteilung V, Erzherzog Rainer und Mensdorff, zunächst die Bearbeitung der drei Bände der Abteilung IV, Rechberg, zugefallen. Mit dem vorliegenden Band wird nun die Edition der Abteilung III, Buol-Schauenstein, wiederaufgenommen. An dieser Stelle sei Waltraud Heindl für die Überlassung des handschriftlichen Materials für den wissenschaftlichen Kommentar gedankt, das sie damals bereits gesammelt hatte.

Der Band ist nicht nur der vorletzte der Abteilung III, sondern der vorletzte der ersten Serie überhaupt. Die Arbeiten an der zweiten Serie, die Protokolle des gemeinsamen Ministerrates der österreichisch-ungarischen Monarchie 1867-1918, werden fortgesetzt. 2011 konnten zwei Bände erscheinen (Band I/2 1870/1871 und Band VI 1908-1914). Die Arbeiten an der dritten Serie, die Protokolle des österreichisch/cisleithanischen Ministerrates 1867-1918, wurden aufgenommen (siehe Vorwort zu Band IV/3).

Eine Änderung ist in der Herausgeberschaft der Reihe eingetreten. Mit 31. Dezember 2012 wurden die wissenschaftlichen Kommissionen der philosophisch-historischen Klasse der Österreichischen Akademie der Wissenschaften geschlossen. Die Herausgeberin seit 2008, die Kommission für die Geschichte der Habsburgermonarchie, wurde mit der Historischen Kommission und dem Institut Österreichisches Biographisches Lexikon und biographische Dokumentation mit 1. Jänner 2013 zum Institut für Neuzeit-und Zeitgeschichtsforschung zusammengeführt, das nunmehr die Herausgeberschaft der Reihe wahrnimmt. Dem Obmann der ehemaligen Kommission für die Geschichte der Habsburgermonarchie, w. M. Univ.-Prof. Dr. Helmut Rumpler, sei an dieser Stelle für die Förderung der Edition im Rahmen der genannten Kommission der Dank ausgesprochen. Dank für die Unterstützung der Edition gebührt auch dem Generaldirektor des Österreichischen Staatsarchivs, Univ.-Doz. Dr. Wolfgang Maderthaner, dem Direktor des Haus-, Hof-und Staatsarchivs, Mag. Thomas Just, sowie den Leitern und MitarbeiterInnen || S. 9 PDF || der Abteilungen des Österreichischen Staatsarchivs. Ebenso danken wir den Partnern im Institut für Geschichte der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, die bei Archivaufenthalten in Budapest mit Rat und Tat zur Seite standen und das Manuskript dieses Bandes, so wie bei allen bisherigen Bänden, freundlicherweise durchgesehen haben.

Wien, im April 2013