Nr. 346a Entwurf eines Gesetzes über die Stellung des ehemaligen herrschaftlichen Grundbesitzes zu den Gemeinden, o. O., o. D. (Beilage zu: MRP-1-3-05-0-18560610-P-0346.xml) - Retrodigitalisat (PDF)
- RS.Reinschrift; Beilage zum Originalprotokoll v. 7. u. 10. Juni 1856.
MRZ. – KZ. –
Wir Franz Joseph der Erste etc. etc. finden zur Regelung der Stellung des vormals herrschaftlichen Grundbesitzes zu den Gemeinden und in Vollziehung des Artikels IX Unserer Entschließung vom 31. Dezember 1851 1 für den gesamten Umfang Unseres Kaiserreiches mit Ausnahme des lombardisch-venezianischen Königreiches, des Königreiches Dalmatien und der Militärgrenze nach Einvernehmung Unserer Minister und nach Anhörung Unseres Reichsrates zu verordnen, wie folgt:
§ 1
Die Besitzer vormals herrschaftlicher Güter, welche zum Verbande einer Landgemeinde gehören, sind in allen zum Wirkungskreise des Landgemeindevorstehers gehörigen öffentlichen Angelegenheiten nur dem Bezirks-(Stuhlrichter-)Amte unmittelbar untergeordnet. Der Gemeindevorsteher ist auch in eigentlichen Gemeindeangelegenheiten zur Erlassung von Zwangsmaßregeln gegen diese ihm nicht unterstehenden Gutsbesitzer nicht befugt, sondern muß solche beim Bezirksamte in Antrag bringen.
§ 2
Auf Verlangen der Besitzer kann der vormals herrschaftliche Gutsbesitz, wenn dieser bisher in den Verband einer Landgemeinde nicht einbezogen war, von der Einbeziehung in denselben ausgenommen, oder, wenn er infolge der nach dem provisorischen Gemeindegesetze vom 17. März 1849 2 oder nach späteren Verordnungen vorgenommenen Gemeindekonstituierung in den Verband einer Landgemeinde einbezogen wurde, aus demselben ausgeschieden werden.
Aus diesen vom Gemeindeverbande ausgenommenen oder ausgeschiedenen Gutsbesitzungen sind Gutsbezirke zu bilden, welche dem Bezirks-(Stuhlrichter-)Amte unmittelbar unterstehen.
§ 3
Das Verlangen um Bildung eines Gutsbezirkes kann nur dann bewilligt werden, wenn der nicht einzubeziehende oder auszuscheidende Gutsbesitz nach seinem Umfange und nach seiner Beschaffenheit die Gewähr für die klaglose Erfüllung der den Gutsbezirken obliegenden Verbindlichkeiten darbietet.
§ 4
Die Bildung von Gutsbezirken hat nach dem Bedürfnisse und mit Wahrung der Interessen der öffentlichen Verwaltung und Einhaltung der politischen Abgrenzung der Bezirke zu geschehen.
§ 5
Unter den in den §§ 3 und 4 enthaltenen Bedingungen kann auch der zwei oder mehreren Besitzern gehörige, vormals herrschaftliche Gutsbesitz zu einem Gutsbezirke || S. 77 PDF || vereiniget werden, wenn die Besitzer mit dieser Vereinigung einverstanden sind und dieselbe begehren.
§ 6
Die zu einem Gutsbezirke vereinigten Besitzungen stehen mit jener Gemeinde, in deren Gemarkung sie liegen, lediglich in einem territorialen Verbande, sie sind zu Leistungen für Gemeindezwecke in der Regel nicht verpflichtet.
§ 7
Im Falle, wenn die vom Gemeindeverbande ausgenommenen oder ausgeschiedenen und einem Gutsbezirke zugeteilten Besitzungen und deren Bewohner auch nach der Ausscheidung an der Benützung des Gemeindegutes oder der Gemeindeanstalten fortan teilnehmen, sind dieselben nach Verhältnis der Teilnahme zur Beitragsleistung an die Gemeinde verpflichtet.
Die Höhe dieser Beitragsleistung ist bei der Bewilligung zur Bildung eines Gutsbezirkes behördlich festzusetzen.
§ 8
Diese behördliche Bewilligung muß auch den Teilungsmaßstab festsetzen, nach welchem einerseits die Gemeinde und andererseits die zu einem Gutsbezirke vereinten Besitzungen zu den nach den bestehenden Gesetzen auf den ganzen territorialen Umfang der Gemeindemarkung entfallenden Leistungen für die Vorspann, Verpflegung und Bequartierung des Heeres zu konkurrieren haben.
§ 9
Die gesetzliche Konkurrenzpflicht für Pfarr-, Kirchen- und Schulbaulichkeiten wird durch Ausscheidung von Besitzungen aus dem Gemeindeverbande und durch die Bildung von Gutsbezirken nicht berührt.
§ 10
Insoweit durch besondere Gesetze nichts anderes bestimmt wird, liegen dem Gutsbezirke die Pflichten und Leistungen einer Gemeinde ob.
Die ökonomische Verwaltung des Gutsbezirkes bleibt durch dieses Gesetz gänzlich unberührt.
§ 11
Der Gutsbezirk haftet für die Armenversorgung jener Personen, welche, sie mögen in einer Gemeinde das Heimatrecht besitzen oder nicht, dem Gutsbesitzer auf dem Gutsbezirke über zehn Jahre ununterbrochen dienen und in diesem Dienste erwerbsunfähig werden. Inwieweit der Gutsbezirk sonst zur Armenversorgung verpflichtet ist, wird durch das Heimatgesetz bestimmt.
§ 12
Zur Besorgung der öffentlichen Verwaltungsgeschäfte im Gutsbezirke ist von dem Gutsbesitzer, oder wenn der Gutsbezirk aus mehreren vormals herrschaftlichen Besitzungen gebildet worden ist, von den Gutsbesitzern gemeinschaftlich ein hiezu befähigter Beamte als Vorstand des Gutsbezirkes zu bestellen und dem Bezirksamte (Stuhlrichteramte) zur Bestätigung anzuzeigen. Das Amt des Vorstandes kann auch der Gutsbesitzer, || S. 78 PDF || wenn er im Gutsbezirke seinen bleibenden Wohnsitz hat, bekleiden. Unter derselben Bedingung können mehrere Besitzer des Gutsbezirkes einem aus ihnen dieses Amt übertragen.
§ 13
Vorstand eines Gutsbezirkes kann nur derjenige sein, welcher österreichischer Staatsbürger, großjährig, im Vollgenusse der bürgerlichen Rechte, moralisch unbescholten und politisch unbedenklich ist.
Das Rechtsverhältnis zwischen dem bestellten Beamten und dem oder den Gutsbesitzern ist nach dem bürgerlichen Rechte zu beurteilen.
§ 14
Dem Vorstande des Gutsbezirkes sind alle Bewohner desselben Achtung, und in Absicht auf die Vollziehung der Gesetze und behördlichen Anordnungen Folgsamkeit schuldig. Sein Amtsansehen ist nach den Bestimmungen Unserer Verordnung vom 20. April 1854, Nr. 96 des Reichsgesetzblatts zu wahren.
§ 15
In Angelegenheiten der politischen Verwaltung im Gutsbezirke liegen dem Vorstande desselben nachstehende Geschäfte ob:
1. Die Kundmachung der Gesetze und der zur Verlautbarung bestimmten Verordnungen der Behörden im Gutsbezirke, nach Maßgabe der bestehenden Vorschriften und der erhaltenen höheren Aufträge und die Wachsamkeit über die Befolgung derselben.
2. Die Handhabung der Lokalpolizei unter der Aufsicht und Leitung des Bezirksamtes und die Einleitung der den Gesetzen und Anordnungen der Behörden entsprechenden ortspolizeilichen Maßregeln und Verfügungen.
3. Die Überwachung der Fremden nach Maßgabe der hierüber bestehenden oder vom Bezirksamte speziell erteilten Vorschriften, die Ausweisung der nicht zum Gutsbezirke gehörigen Bettler und Vagabunden und die Antragstellung zur Abschaffung von anderen bedenklichen oder ausweislosen Fremden beim Bezirksamte.
4. Die Anhaltung und Ablieferung der auf frischer Tat betretenen oder von den Behörden verfolgten Verbrecher sowie der Militärdeserteurs und die Sorge für den sicheren Verwahrsam derselben, wenn sie nicht sogleich abgeliefert werden könnten.
5. Die Aufsicht über entlassene Sträflinge oder andere als bedenklich bezeichnete Personen.
6. Die Handhabung der zur Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Ruhe erforderlichen Anstalten unter der Aufsicht und Leitung des Bezirksamtes.
7. Die Überwachung des Gebrauches gehörig zimentierter Maße und Gewichte.
8. Die Mitwirkung bei der Konskription und Rekrutierung und die Besorgung der Militärbequartierungs- und Vorspannsangelegenheiten nach den hierüber bestehenden Vorschriften.
9. Die Androhung einer Geldstrafe bis zu 10 fl. oder einer Arreststrafe bis zu 48 Stunden, wenn die Vollziehung einer unaufschiebbaren Maßregel des öffentlichen Interesses eine solche Strafsanktion notwendig macht und die vorläufige Einholung der Bewilligung des Bezirksamtes hiezu nicht möglich ist.
|| S. 79 PDF || 10. Die Vollziehung aller Anordnungen des Bezirksamtes in öffentlichen Angelegenheiten.
11. Die Ausfertigung von Zeugnissen über den Aufenthalt und das Benehmen.
§ 16
Besondere Vorschriften bestimmen die Obliegenheit des Vorstandes des Gutsbezirkes in Absicht auf die Einhebung und Abfuhr der lf. direkten Steuern und in bezug auf gerichtliche Amtshandlungen.
§ 17
Der Vorstand des Gutsbezirkes vertritt den Gutsbezirk in allen öffentlichen Angelegenheiten; er allein vermittelt den Geschäftsverkehr des Gutsbezirkes mit den Behörden, mit anderen Gutsbezirken, mit Gemeinden und Personen.
§ 18
Der Vorstand des Gutsbezirkes ist für die ihm obliegende Geschäftsführung und für die Verfügungen, die er trifft, verantwortlich. Er untersteht dem Bezirksamte (Stuhlrichteramte) und ist von selbem in Eid und Pflicht zu nehmen.
§ 19
Das Bezirksamt (Stuhlrichteramt) ist berechtiget, den Vorstand eines Gutsbezirkes von seinem Amte zu entfernen, wenn derselbe wegen eines Verbrechens oder Vergehens, oder einer aus Gewinnsucht oder gegen die öffentliche Sittlichkeit begangenen Übertretung schuldig erklärt oder wegen eines Verbrechens bloß aus Unzulänglichkeit der Beweismittel von der Anklage freigesprochen wird, oder wenn demselben Verletzung der Amtstreue oder ungeachtet wiederholter Ermahnungen eine anhaltend grobe Vernachlässigung seiner Amtspflichten zur Last fällt.
Verfällt der Vorstand eines Gutsbezirkes wegen einer der oben genannten strafbaren Handlungen in eine Untersuchung, so kann er, so lange die Untersuchung dauert, sein Amt nicht ausüben.
Wenn in diesen Fällen der oder die Besitzer des Gutsbezirkes die Bestellung eines anderen Vorstandes innerhalb der vom Bezirks-(Stuhlrichter-)Amte bestimmten Frist nicht veranlassen, hat letzteres auf Kosten des Gutsbezirkes die erforderliche Vorkehrung zu treffen.
§ 20
Alle Auslagen, welche mit den dem Gutsbezirke obliegenden Verpflichtungen verbunden sind, sind von diesem allein zu tragen.
Die Bewohner des Gutsbezirkes dürfen wegen dieser Auslagen den auf privatrechtliche Titeln sich gründenden Verbindlichkeiten unbeschadet, mit Abgaben oder Leistungen nicht beschwert werden.
§ 21
Für die Erfüllung aller Obliegenheiten bleibt der Gutsbezirk in gesetzlicher Haftung. Besteht derselbe aus Besitzungen, welche mehreren Eigentümern gehören, so ruht diese Haftung auf jeder derselben zur ungeteilten Hand.
§ 22
Das Ansuchen um Bildung selbständiger Gutsbezirke ist binnen einer von Unserem Minister des Inneren für jedes Kronland festzusetzenden Fallfrist bei der politischen Landesstelle (Statthaltereiabteilung) anzubringen, welche hierüber im Grunde der nach Maßgabe der §§ 3 und 4 eingeleiteten Erhebungen und der mit den Gutsbesitzern und der Gemeinde gepflogenen Verhandlung zu erkennen hat.
Dieses Erkenntnis, falls es dem Ansuchen willfahrt, muß zugleich der Ausspruch über die Leistungen nach den §§ 7 und 8 enthaltenen, gegen welchen Ausspruch dem Gutsbesitzer wie der Gemeinde die Berufung an Unser Ministerium des Inneren offensteht.
§ 23
Nach Verlauf der in vorstehenden Paragraphen gedachten Fallfrist ist der einer Gemeinde noch nicht einverleibte Grundbesitz in den Verband einer Gemeinde einzubeziehen, und kann künftig die Ausscheidung von Besitzungen aus dem Gemeindeverbande zur Bildung neuer oder Vergrößerung bereits bestehender Gutsbezirke in der Regel nur mit Zustimmung der beteiligten Gemeinde bewilligt werden.
§ 24
Bei Zerstückungen von Gutsbezirken sind jene Teile, welche weder einem andern Gutsbezirke zugeteilt, noch als selbständiger Gutsbezirk oder als selbständige Gemeinde behandelt werden können, über Anordnung der politischen Landesstelle den Gemeinden, in deren Gemarkungen sie liegen, einzuverleiben.
§ 25
Die Einverleibung eines Gutsbezirkes in den Gemeindeverband kann auch über Einschreiten des oder der Besitzer und mit Zustimmung der beteiligten Gemeinden von der politischen Landesstelle bewilligt werden.
§ 26
Die Einverleibung eines Gutsbezirkes in den Gemeindeverband ist von der politischen Landesstelle von Amts wegen zu verfügen, wenn der Gutsbezirk ungeachtet wiederholter Erinnerungen und Ahndungen die ihm obliegenden Verpflichtungen vernachlässigt.
§ 27
In den Fällen der §§ 24, 25 und 26 dürfen den Gemeinden, in deren Gebiet der Gutsbezirk oder dessen Teile einverleibt werden, weder die den Gutsbezirk aus dessen früherer Sonderstellung treffenden Ersätze, noch die zur Zeit der Einverleibung für denselben schon entstandenen Leistungen aufgebürdet werden.
§ 28
Zu dem Ansuchen um Ausscheidung aus dem Gemeindeverbande und um Bildung selbständiger Gutsbezirke (§ 22) sowie um Einverleibung eines Gutsbezirkes in den Gemeindeverband (§ 25) ist die Zustimmung der Hypothekargläubiger oder der Anwärter nicht erforderlich.
Unser Minister des Inneren ist mit der Vollziehung dieses Gesetzes beauftragt.