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Nr. 332 Ministerkonferenz, Wien, 2. April 1856 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Biegeleben; VS. Kaiser; BdE. und anw. (Bach 5. 4.), Thun, K. Krauß, Toggenburg, Bruck, Werner; abw. Buol-Schauenstein. Die Protokollführung durch Maximilian Ludwig v. Biegeleben, Fachreferent im Ministerium des Äußern und des kaiserlichen Hauses, stellt eine Ausnahme dar.

MRZ. – KZ. 42 –

Protokoll der zu Wien am 2. April 1856 unter dem Ah. Vorsitze Sr. k. k. Apost. Majestät abgehaltenen Konferenz.

I. Aufhebung des Belagerungszustandes in den von den österreichischen Truppen besetzten Landesteilen des Kirchenstaates

Se. k. k. apost. Majestät geruhten als Gegenstand der Beratung den von dem päpstlichen Pronuntius Kardinal Viale mittelst Note vom 17. Februar d. J. an den Minister des Äußern ausgesprochenen Wunsch der Regierung Sr. Heiligkeit zu bezeichnen, daß der seither aufrechterhaltene Belagerungszustand in den von den kaiserlich österreichischen Truppen besetzten Provinzen des Kirchenstaates aufgehoben werde1. Se. Majestät bemerkten, der päpstliche Hof sei des Erachtens, daß, nachdem im lombardisch-venezianischen Königreiche die Aufhebung des Belagerungszustandes verfügt worden sei2, die Rückkehr zu den regelmäßigen Verwaltungszu­ständen auch in den römischen Provinzen sich als zeitgemäß darstelle, und daß durch diese Maßregel mancher Anlaß zu Reibungen zwischen den österreichischen Militärautoritäten und den Landesbehörden vermieden und das Ansehen der letzteren in ihrer Wirkungssphäre gekräftigt werden würde. Feldmarschall Graf Radetzky, über diesen Antrag mit Bericht vernommen, rate jedoch aufgrund der umfassenden berichtlichen Äußerung des Kommandanten des 8. Armeekorps FML. Grafen Degenfeld de dato Bologna 10. März [1856] von jedem Eingehen auf den Wunsch der päpstlichen Regierung ab. Nach der Darstellung des Grafen Degenfeld seien in den Legationen und Marken nicht diejenigen Garantien der Sicherheit gegeben, welche im lombardisch-venezianischen Königreiche die Aufhebung des Belagerungszustandes als zulässig hätte erscheinen lassen. Auf ein rechtzeitiges und kräftiges Zusammenwirken der Zivil- und Militärautoritäten könne dort nicht gezählt werden, auch täuschten die Landesbehörden selbst sich nicht darüber, daß sie nicht befähigt seien, den Geist der Auflösung und Zügellosigkeit, von dem die Bevölkerung der Romagna ergriffen sei, und der selbst die Sicherheit des Lebens und Eigentums der Bewohner gefährde, in Schranken zu halten und den Unternehmungen der Umsturzpartei Widerstand zu leisten. Die Aufhebung des Belagerungszustandes werde daher von dem besser gesinnten Teile || S. 297 PDF || der Bevölkerung nicht gewünscht. Für den Fall, daß diese Maßregel dessenungeachtet aus höheren Rücksichten beschlossen werden sollte, deutete Graf Degenfeld ferner die Notwendigkeit an, eine Konvention abzuschließen, durch welche die Militärgerichtsbarkeit, wenigstens insoweit es die Sicherheit der Truppen und die Handhabung der Disziplin erfordern, aufrechterhalten, und dem Kommandanten der Okkupationstruppen ausdrücklich die Befugnis übertragen würde, den Belagerungszustand im Falle der Dringlichkeit von neuem zu proklamieren3.

Von Sr. Majestät aufgefordert, sich über die Frage zu äußern, ob die gegenwärtige politische Situation es im besonderen Grade rätlich mache, dem Ansuchen des römischen Hofes zu willfahren, sprach Freiherr v. Werner4 die Ansicht aus, daß politische Rücksichten höherer Art, welche das Interesse der Aufrechthaltung der öffentlichen Ruhe im Kirchenstaate überwiegen könnten, dermalen nicht bestünden. Auch scheine das Einschreiten des päpstlichen Pronuntius den Charakter der Dringlichkeit nicht einmal in dem Grade an sich zu tragen, um die Vermutung auszuschließen, daß die päpstliche Regierung zu ihrem Schritte mehr durch das Andrängen einzelner Lokalautoritäten als durch die Überzeugung von seiner Zeitgemäßheit und Gefahrlosigkeit bewogen worden sei.

Bei der hierauf stattgehabten Erörterung wurde das Gewicht der von dem Grafen Degenfeld für die Aufrechthaltung des Belagerungszustandes in den okkupierten Provinzen entwickelten Gründen einstimmig anerkannt und hervorgehoben, daß gerade der jetzige Augenblick für die beantragte Aufhebung des Ausnahmszustandes nicht gut gewählt sein würde. Durch den Abschluß des Friedens5 sei die Umsturzpartei in den Hoffnungen getäuscht, die sie auf eine allgemeine europäische Konflagration habe gründen können, und es sei daher zu vermuten, daß sie gerade jetzt ihre Bestrebungen wieder dahin richten werde, im Inneren der Staaten, zunächst in Italien, Unruhen hervorzurufen, wovon die neuesten politischen Morde in Parma und die zunehmende Unsicherheit im römischen Gebiete bereits Symptome zeigten. Der Minister des Inneren nahm Bezug auf einen im Gange befindlichen Hochverratsprozeß, dessen Fäden in den Kirchenstaat hinüberreichen und welcher hinlängliche Belege für die Notwendigkeit enthalte, die außerordentlichen Befugnisse der kaiserlichen Militärbehörden in der Romagna vorerst noch fortdauern zu lassen. Er könne hierüber, falls es von Sr. Majestät befohlen würde, binnen kurzem nähere Notizen liefern, die benützt werden könnten, um der päpstlichen Regierung in ihrem eigenen Interesse die Gefahr, die mit der Aufhebung des Belagerungszustandes verbunden sein würde, augenscheinlich zu machen.

Se. Majestät der Kaiser geruhten dies zu genehmigen und sodann die Beratung auf die weitere Frage zu lenken, inwiefern es sich empfehlen könne, den || S. 298 PDF || Belagerungszustand zwar im Grundsatze aufrechtzuerhalten, die Wirksamkeit der Militärgerichte jedoch in bezug auf einzelne, in dem Bereich der Polizei und Verwaltung fallende Gegenstände zu beschränken, in welchen eine Ingerenz der österreichischen Militärbehörden sich als weniger unerläßlich darstellen könnte. Der Justizminister erachtete, daß unter den im Berichte des Grafen Degenfeld einzeln bezeichneten, der kriegsgerichtlichen Kompetenz überwiesenen Vergehungen allerdings mehrere der Ahndung durch die Landesbehörden ohne Nachteil anheimgestellt werden könnten, wohin namentlich die unter Nr. 12, 14, 15 und 16 erwähnten Übertretungen – gegen die Präventivzensur, gegen die Vorschriften wegen Aufnahme von Fremden, gegen die für Wirte usw. festgesetzten Sperrstunden, Beschädigungen an päpstlichen Wappen usw. gehörten. Die Konferenz war der Ansicht, daß, bei der verhältnismäßig geringen Erheblichkeit dieser Punkte ein spezielles Anerbieten, die Kompetenz rücksichtlich derselben wieder in die Hände der Landesbehörden zu legen, zwar gegenüber der päpstlichen Regierung nicht angezeigt erscheine, daß aber in der zu erteilenden Antwort im allgemeinen die Bereitwilligkeit ausgesprochen werden könnte, die kaiserlichen Militärbehörden zu ermächtigen, den Wünschen der päpstlichen Regierung hinsichtlich einer zweckmäßigen Abgrenzung der beiderseitigen Befugnisse nach Tunlichkeit entgegen­zukommen. Se. k. k. a post. Majestät , die Beratung resümierend, gaben die Ah. Willensmeinung dahin zu erkennen, daß der vorliegende Antrag des päpstlichen Hofes, als dessen eigenen Interessen nicht entsprechend in geeigneter Form, namentlich auch unter Benützung der von dem Minister des Inneren in Aussicht gestellten Belege – bis zu deren Vorlage der Beantwortung der Note des Pronuntius noch Anstand zu geben sei – im Grundsatze abgelehnt, dabei jedoch der päpstlichen Regierung anheimgegeben werde, falls sie eine Erweiterung der Wirksamkeit der Landesbehörden in einzelnen, seither den österreichischen Kriegsgerichten überwiesenen Kategorien von Übertretungen wünsche, die betreffenden Legaten anzuweisen, mit den kaiserlichen Militärkommandanten, die entsprechende Instruktionen empfangen würden, diesfalls sich ins Einvernehmen zu setzen6.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, 6. April 1856.