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Nr. 294a Anträge Thuns für einen Studienplan der rechts- und staatswissenschaftlichen Lehrfächer, o. O., o. D. (Beilage zu: MRP-1-3-04-0-18550623-P-0294.xml) - Retrodigitalisat (PDF)

  • Abschrift; Beilage zum Originalprotoll 23. 6. 1855; o. U.

MRZ. – KZ. –

[Tagesordnungspunkte]

Für die rechts- und staatswissenschaftlichen Studien an den österreichischen Universitäten1 haben folgende Bestimmungen zu gelten:

1. Dieselben können nicht in kürzerer Zeit als in acht Semestern zurückgelegt werden, und sie beginnen mit dem Wintersemester.

2. Die Gegenstände, welche notwendig, und zwar in der nachstehend bezeichneten Reihenfolge gehört werden müssen, sind folgende:

I. Jahr: Wintersemester: Geschichte des römischen Rechtes und Institutionen; Sommersemester: Pandekten, gemeines deutsches Privatrecht, deutsche Reichsund Rechtsgeschichte.

II. Jahr: Wintersemester: deutsche Rechts- und Reichsgeschichte. Privatrecht; Sommersemester: Rechtsphilosophie oder Enzyklopädie der Rechtswissenschaften. (Über beide Gegenstände muß in diesem Semester gelesen werden; den Studierenden steht die Wahl unter denselben frei.) Kirchenrecht (im Winter- oder Sommersemester oder in beiden; es kann daher auch ganzjährig gelesen werden).

III. Jahr: österreichisches bürgerliches Recht. Wintersemester: Strafrecht, politische Wissenschaften; Sommersemester: Strafprozeß, politische Wissenschaften.

IV. Jahr: österreichischer Zivilprozeß nebst dem Verfahren außer Streitsachen. Wintersemester: österreichisches Wechselrecht, Politische Wissenschaften; Sommersemester: Österreichische Statistik.

Die drei Kollegien über politische Wissenschaften haben zu umfassen, was bisher unter dieser Bezeichnung begriffen worden ist, nämlich Nationalökonomie, Finanzwissenschaft und die Lehre über jene administrativen Aufgaben, welche weder der Justiz- noch der Finanzverwaltung angehören, jedoch mit möglichster Hinweisung auf die positiven österreichischen Verhältnisse und Einrichtungen. Nebst diesen der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät zugehörigen Kollegien sind die Studierenden verpflichtet, an der philosophischen Fakultät zu hören: a) binnen der drei ersten Semester wenigstens ein Kollegium über Philosophie, und zwar über praktische Philosophie; b) im dritten Semester österreichische Geschichte; c) binnen der acht Semester noch ein geschichtliches Kollegium.

Überhaupt aber haben die Studierenden sich nicht auf die ihnen ausdrücklich vorgeschriebenen Kollegien zu beschränken, sondern noch andere nach ihrer eigenen Wahl an was immer für einer Universitätsfakultät zu besuchen, und zwar in solcher Anzahl, daß sie im ganzen während ihrer Studienzeit mindestens so viele Kollegien frequentiert haben müssen, als sich ergeben, wenn in jedem Semester mit Ausnahme des vierten und achten wöchentlich 20, in diesen beiden Semestern wöchentlich zwölf Stunden frequentiert werden.

|| S. 92 PDF || 3. Nebst den obenbezeichneten obligaten Fächern ist an den rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultäten noch über andere Partien der Rechts- und Staatswissenschaften, insbesondere aber über folgende Gegenstände in angemessenen Zeiträumen zu lesen: a) Völkerrecht und deutsches Bundesrecht, b) Bergrecht, c) österreichische Verwaltungsgesetzkunde und Finanzgesetzkunde, d) Praktika und Relatoria aus dem österreichischen Zivil- und Strafrechte, e) Pandektenpraktikum, f) österreichisches Lehenrecht und Partikularrechte einzelner österreichischer Länder oder deren Geschichte, g) gemeiner Prozeß, h) Statistik der europäischen Staaten, i) gerichtliche Medizin, k) Staatsrechnungswissenschaft. Die Dozenten der beiden letzten Gegenstände haben zwar, insofern es Rücksichten auf den Unterricht und die Disziplin erfordern, den Sitzungen des rechts- und staatswissenschaftlichen Professorenkollegiums mit Sitz und Stimme beizuwohnen, sind aber im übrigen, auch wenn sie als Professoren angestellt sind, unbeschadet ihres Ranges und Titels, nicht Mitglieder des Kollegiums.

4. Das Wintersemester hat mit Anfang Oktober zu beginnen und bis Mitte Februar zu dauern. Nach einer dreiwöchentlichen Unterbrechung hat das Sommersemester zu beginnen und bis Ende Juli zu dauern.

5. Die Studierenden haben insgesamt zu Ende oder nach Ablauf des vierten Semesters eine Prüfung zu bestehen aus folgenden Gegenständen: römisches Recht, Kirchenrecht, deutsche Reichs- und Rechtsgeschichte in Verbindung mit österreichischer Geschichte. Wer diese Prüfung nicht vor Beginn des fünften Semesters oder im Laufe desselben mit Erfolg abgelegt hat, dem sind die weiteren Semester, in welche er vor Ablegung der Prüfung noch inskribiert sein mag, nicht in das gesetzliche Quadriennium einzurechnen.

6. Wer sich dem Staatsdienst auf Grundlage seiner rechts- und staatswissenschaftlichen Studien widmen will, hat nebst dieser ersten Prüfung noch eine zweite und dritte Prüfung, und zwar aus folgenden Fächern, zu bestehen: Die zweite aus: österreichischem bürgerlichen Rechte nebst Handels- und Wechselrecht, Zivilprozeß und Verfahren außer Streitsachen, dann aus dem österreichischen Strafrecht und Prozeß, die dritte aus: österreichischer Statistik, Nationalökonomie und Finanzwissenschaft. Die zweite Prüfung kann schon in den letzten sechs Wochen des achten Semesters bestanden werden; die dritte erst nach vollständig zurückgelegtem Quadriennium. Auch aus der österreichischen Statistik sind solche Details, die nur für die Prüfung memoriert werden müßten, nicht zu fordern; hingegen sind auch die für die Rechts- und Staatsgeschichte wichtigsten Tatsachen aus der österreichischen Geschichte, dann allgemeine Kenntnis des österreichischen Verfassungs- und Verwaltungsorganismus bei jeder dieser beiden Prüfungen von den Examinanden, insoweit sich hiezu ein Anlaß bietet, zu fordern.

7. Jünglinge, welche beabsichtigen, sich dem Staatsdienst zu widmen, ohne gleichwohl die regelmäßigen Universitätsstudien gemacht zu haben, können nur ausnahmsweise zu den Staatsprüfungen zugelassen werden, und zwar niemals eher als zwei beziehungsweise vier Jahre nach bestandener Maturitätsprüfung und nur dann, wenn sie doch wenigstens einige Nachweisungen zu liefern vermögen, welche zur Annahme eines erfolgreichen und unter zweckmäßiger Anleitung unternommenen Studiums berechtigen. Der Kandidat hat demnach darzutun, || S. 93 PDF || welche literarischen Hilfsmittel er zu benützen in der Lage war und wirklich benützt hat, und daß er wenigstens drei Semester an einer Universität mit vorzüglichem Eifer Vorlesungen über Hauptfächer der juridischen Studien in zweckmäßiger Reihenfolge öffentlich studiert, oder daß er über die Hauptfächer, zu welchen mindestens römisches Recht, deutsches Recht, kanonisches Recht, österreichisches Recht, österreichisches Zivil- und Strafrecht und Nationalökonomie zu zählen sind, bei einem ordentlichen Professor des Faches je ein Privatissimum, welche die ordentlichen Professoren zu geben jedoch keineswegs verpflichtet, sondern nur berechtigt sind, gehört hat. Solchen Kandidaten hat das Ministerium für Kultus und Unterricht eine Kommission, vor welcher sie sowohl eine schriftliche als die öffentliche mündliche Prüfung aus den bezüglichen Fächern abzulegen haben, von Fall zu Fall eigens zu bezeichnen, und diese Kommission ist mit den geeigneten Instruktionen zu versehen. Für diese Prüfungen ist eine Taxe in dreifachem Betrage derjenigen, welche für die gewöhnlichen Staatsprüfungen vorgeschrieben ist, zu erlegen und unter die Prüfungskommissäre zu verteilen.

8. Wer das Doktorat der Rechts- und Staatswissenschaften erlangen will, hat nach zurückgelegtem Quadriennium drei strenge Prüfungen zu bestehen, welche nachstehende Gegenstände zu umfassen haben: erstes Rigorosum: römisches Recht, deutsches Recht, Lehenrecht, kanonisches Recht; zweites Rigorosum: Völkerrecht, politische Ökonomie, Rechtsphilosophie – nämlich die bedeutendsten rechtsphilosophischen Systeme und deren historische Entwicklung; drittes Rigorosum: österreichisches Zivil- und Strafrecht und Prozeß.

Die in Ungarn, Siebenbürgen und Kroatien bestehenden Rechtsakademien haben nur die Aufgabe, solange es die Umstände erfordern, solchen Kandidaten des Staatsdienstes, welche die ordentlichen Universitätsstudien nicht zurücklegen können, die Kenntnis der österreichischen Gesetze mit der zu ihrem Verständnisse und ihrer Handhabung nötigsten Vorbereitung beizubringen. Es ist daher der geeignete Zeitpunkt wahrzunehmen, wann die eine oder andere dieser Akademien entweder zu einer Universität zu erweitern oder aufzulösen sein wird. Bis dahin ist an diesen Akademien in einem dreijährigen Kurse der nachfolgende Studienplan in der Wesenheit einzuhalten:

I. Jahr: Wintersemester: Geschichte des römischen Rechtes und Institutionen, Österreichisches Strafrecht, österreichische Geschichte; Sommersemester: Kirchenrecht, Strafprozeß, österreichische Geschichte.

II. Jahr: Wintersemester: österreichisches Zivilrecht, politische Ökonomie; Sommersemester: österreichisches Zivilrecht, ungarisches, siebenbürgisches Recht, österreichische Statistik, Bergrecht.

III. Jahr: Wintersemester: Zivilprozeß, österreichische Verwaltungsgesetzkunde; Sommersemester: Verfahren außer Streitsachen, Handels- und Wechselrecht, Finanzgesetzkunde.

Es ist an den Rechtsakademien täglich mit Ausnahme des Sonntags und Donnerstags durch vier Stunden vorzutragen. Die Schüler haben sich Prüfungen aus den einzelnen Fächern, und nach Vollendung der Studien der Staatsprüfung aus dem || S. 94 PDF || österreichischen Zivil- und Strafrechte und Prozeß zu unterziehen. Nachdem die Einrichtung dieser Lehranstalten zu einer wissenschaftlichen Behandlung der Studien nicht ausreicht, so haben diejenigen, welche an denselben absolvieren, dadurch keinen Anspruch auf die Erlangung des Doktorates. Nur ausnahmsweise können dieselben zu den strengen Prüfungen an einer Universität zugelassen werden, wenn sie sich ausweisen, noch vier Semester an einer rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät unter besonderer Leitung des Dekans gründliche juridische Studien gemacht zu haben.