Nr. 175 Ministerkonferenz, Wien, 13. November 1853 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Ransonnet; VS.Vorsitz Kaiser; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend Buol, Bach, Baumgartner; außerdem anw.anwesend Erzherzog Albrecht, Erzherzog Wilhelm, Hess, Grünne.
MRZ. – KZ. 4376 –
Protokoll der zu Wien am 13. November 1853 unter dem Ah. Vorsitze Sr. k. k. apost. Majestät abgehaltenen Konferenz.
I. Militärische Dispositionen zur Erhaltung von Ruhe und Sicherheit in den südöstlichen Kronländern
Se. Majestät der Kaiser eröffneten die Sitzung mit der Hinweisung auf die Notwendigkeit, in reife Überlegung zu ziehen, ob und welche militärische Dispositionen zu treffen seien, um unter den gegenwärtigen Konjunkturen die Erhaltung der Ruhe und Sicherheit in den südöstlichen Kronländern gegen Einfälle von außen sowohl als gegen Aufstandsversuche im Innern zu verwahren. Die Gefahr, daß ein türkisches Armeekorps feindliche Operationen gegen das österreichische Gebiet unternehmen werde, scheine allerdings nicht vorhanden. Wohl aber könnten die ungezügelten Horden, welche einen Teil der türkischen Streitmacht bilden, durch den Einfluß der darin befindlichen revolutionären Elemente angereizt werden, einen Raubzug auf dem österreichischen Territorium längs der walachischen Grenze zu unternehmen. Andererseits sei in Erwägung zu nehmen, ob der Zustand der gedachten Kronländer von der Art sei, daß revolutionäre Bewegungen dermal daselbst versucht werden dürften1. Se. Majestät geruhten daher, die Mitglieder der Konferenz aufzufordern, ihre Ansichten über diesen Gegenstand zu entwickeln.
|| S. 37 PDF || Der Generalquartiermeister Sr. Majestät und der Armee FZM. Freiherr v. Hess begründete hierauf seine Meinung, daß vorderhand weder an der Grenze gegen Bosnien noch an jener gegen Serbien die Gefahr eines feindlichen Einfalles vorhanden sei sowie auch die Grenze Siebenbürgens gegen die große Walachei, solange die Russen daselbst festen Fuß haben, gesichert erscheine. Unter den gegenwärtigen Verhältnissen sei daher nur die trockene Landesgrenze gegen die von den Türken zum Teil bereits besetzte kleine Walachei, namentlich von Orsova bis zu dem das Hátszeger Tal schließenden Vulkanpasse, einem Einbruche türkischer Horden ausgesetzt. Nun könne zwar das Banatische Grenzregiment Nr. 13 erforderlichenfalls mit Aufbietung der gesamten wehrhaften Bevölkerung einen räuberischen Einfall von seinem Gebiete zurückweisen, allein dem siebenbürgischen Militär- und Zivilgouverneur Fürsten Schwarzenberg stehen keine Truppen zur Verstärkung des dortigen Grenzkordons zu Gebote. Hier dürfte also eine schnelle Vorsorge nötig und die Absendung von ein paar Batterien ins Banat nützlich sein. Übrigens werde der Eintritt des Winters sehr bald das Hochgebirge an jener Grenze dergestalt unwegsam machen, daß darin für die Dauer der rauhen Jahreszeit ein völlig ausreichender Schutz gewährt sein wird.
Se. kaiserliche Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog Albrecht bestätigten die obige Angabe über die Geringfügigkeit der dem Fürsten Schwarzenberg zur Verfügung stehenden Streitkräfte mit dem Bemerken, daß dieselben einschließlich der Depots kaum 9900 Mann betragen. Der einfachste, schnellste und zugleich wohlfeilste Weg, eine Verstärkung des k. k. Militärs in Siebenbürgen zu erreichen, wäre die Erhöhung des Loco-Standes der dortigen Depotbataillons auf 100 Mann pro Kompanie; man würde auf diese Weise einen Zuwachs von 1600 Mann gewinnen, mit einem Mehraufwande von nur ungefähr 24.000 fr. für drei Monate. Se. kaiserliche Hoheit halten dafür, daß diese Verstärkung nicht bloß zum Schutze Siebenbürgens gegen außen, sondern vorzugsweise auch zur Erhaltung der Ruhe im Széklerlande nützlich, ja notwendig sei. Unter den Széklern bestehe noch immer eine der Regierung feindliche Gesinnung, welche gewiß auch im gegenwärtigen Augenblick durch revolutionäre Sendlinge genährt wird. Die Verstärkung der Depotkompanien werde im ganzen Lande Eindruck machen und der größere Truppenstand einen Abhaltungsgrund von aufrührerischen Bewegungen bilden.
Auf die hierauf von Sr. Majestät dem Kaiser aufgeworfene Frage, ob der innere Zustand des Königreiches Ungarn die Zusammenziehung einer größeren Truppenmacht erfordere, äußerten Se. kaiserliche Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog Militär- und Zivilgouverneur, daß zu einer solchen Maßregel gegenwärtig noch kein Anlaß vorhanden sei, zumal man in der Lage ist, von Wien aus in 24 Stunden Truppen nach Pest zu senden. Der Minister des Inneren fand die dermaligen Verhältnisse nicht besonders beunruhigend || S. 38 PDF || hinsichtlich eines Einfalles. Die Türken seien wesentlich interessiert, unser neutrales Gebiet nicht zu verletzen. Die Verteidigung der Gebirgspässe werde übrigens durch die in Rede stehende Standeserhöhung erleichtert und zugleich die Erhaltung der Ruhe im Inneren des Széklerlandes mehr verbürgt werden. Der Erste Generaladjutant Sr. Majestät und der Armee FML. Graf Grünne bemerkte, daß bei den Vorgängen, auf die Österreich von Seite der türkischen Armee gefaßt sein muß, nicht bloß die wahren Interessen der Türkei im Auge gehalten werden müssen. Es würden bei diesem Kriege von manchen türkischen Generalen und vielleicht selbst von Omer Pascha ganz andere als türkische Interessen verfolgt2. Der Minister des Äußern Graf Buol-Schauenstein , dem sich auch der Minister des Inneren anschloß, glaubte sehr bezweifeln zu müssen, daß Omer Pascha einen Angriff gegen Österreich im Schilde führe. Er weiß zu gut, daß eine Verletzung der Neutralität des Kaiserstaates für die Türkei und für ihn selbst die nachteiligsten Folgen haben müßte. Daß ein türkisches Armeekorps die österreichische Grenze dermal werde überschreiten wollen, sei durchaus nicht wahrscheinlich, aber immerhin möglich, daß eine ungezügelte Horde durch Raublust herübergelockt oder ein kleinerer Truppenkörper durch die Operationen der Russen nach Österreich versprengt werde. Aus diesem Gesichtspunkte scheine die besprochene mäßige Erhöhung des Truppenstandes allerdings angezeigt.
Nachdem der Finanzminister Ritter v. Baumgartner geäußert hatte, daß er gegen die vorgeschlagenen militärischen Dispositionen, sobald sie sich auf das Nötige beschränken, von seinem Standpunkte aus nichts zu erinnern vermöge, reassumierte FZM. Freiherr v. Hess schließlich seinen Antrag dahin, Se. Majestät der Kaiser dürften Ah. Sich bewogen finden, 1. den Loco-Stand der Depotbataillons in Siebenbürgen um 80 Mann per Kompanie schleunigst zu erhöhen und 2. zwei Batterien nach der serbischen Woiwodschaft abzusenden3.
Wien, den 16. November 1853.