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Nr. 165 Ministerkonferenz, Wien, 9. Oktober 1853 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet; VS. Kaiser; BdE. und anw. (Buol 10. 10.), Kübeck, Bach 11. 10., K. Krauß, Baumgartner; abw. Thun.

MRZ. – KZ. 3908 –

[Tagesordnungspunkte]

Protokoll der am 9. Oktober 1853 in Wien abgehaltenen Konferenz unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers.

I. Reduktion der k. k. Armee

Se. k. k. apost. Majestät geruhten, als Gegenstand der heutigen Konferenzberatung die Erwägung zu bezeichnen, ob und inwiefern die gegenwärtige politische Lage Europas gestatte, mit einer Reduktion der österreichischen Armee jetzt vorzugehen.

Bei dieser Erwägung müßten nicht bloß die nächsten, sondern auch die Eventualitäten der etwas späteren Zeit in Berücksichtigung gezogen werden; denn wenn man nach einer bloß kurz dauernden Reduktion durch die Umstände wieder zu einer Vermehrung des Armeestandes, Ankauf von Pferden und so fort genötigt würde, wäre das Endresultat der ganzen Maßregel nicht eine Ersparung, sondern vielmehr eine Mehrauslage für die Finanzen. Se. Majestät betrachten den dermaligen Konflikt zwischen Rußland und der Türkei an und für sich nicht als besonders gefährlich für die Ruhe Europas ; wohl aber könne Österreich durch das Benehmen der westlichen Mächte aus diesem Anlaß in die Zwangslage versetzt werden, aus seiner Neutralität heraustreten zu müssen1. Der Kampf würde aber dann ein umso ernster sein, wenn unsere Gegner die Revolution als Bundesgenossin heraufbeschwören wollten2.

Der Minister des Äußern und des kaiserlichen Hauses erörterte hierauf den Gegenstand der Frage umständlich vom politischen und finanziellen Standpunkte. Nach der Meinung dieses Ministers ist die Möglichkeit schwerer politischer Komplikationen dermal allerdings vorhanden, aber dennoch die Aussicht auf einen europäischen Krieg nur eine entfernte. Weder Rußland noch die Türkei seien jetzt geneigt, den Krieg auf dem andern Donauufer zu beginnen; selbst ein Feldzug in Asien habe wenig Wahrscheinlichkeit für sich. Die Seemächte wünschen - trotz aller kriegerischer Phrasen - keinen Krieg und haben vielmehr triftige Gründe, ihn zu scheuen. Im Verlaufe des Winters werden sich hoffentlich die Gemüter beruhigen, und die europäische Diplomatie wird eine Formel für die Ausgleichung der russisch-türkischen Wirren finden, wobei die beiderseitige Eitelkeit sich nicht mehr verletzt fühlen kann. Vom Gesichtspunkte der äußeren Politik scheine daher dem Minister Grafen Buol eine allgemeine Reduktion der österreichischen Armee völlig zulässig; ja, er glaube selbst, daß dieselbe die vorhandenen Besorgnisse Frankreichs über die diesseitigen Absichten kalmieren werde, indem sie der Haltung Österreichs jenen herausfordernden Anstrich völlig benimmt, den die Seemächte daran zu erkennen glauben. Vom finanziellen Gesichtspunkte scheine es ihm aber selbst äußerst wünschenswert, eine sich darbietende Gelegenheit zu Ersparungen nicht unbenützt zu lassen, zumal solche Ersparungen es möglich machen, in entscheidenden Augenblicken mit verdoppelter Kraft nachhaltig aufzutreten. Der Reichsratspräsident Freiherr v. Kübeck hielt es für rätlich, die Entscheidung über die vorzunehmenden Reduktionen in der Armee noch bis zu dem wohl nicht sehr entfernten Zeitpunkte zu vertagen, wo die gegenwärtig aufs höchste gestiegene politische Krisis eine solche Wendung genommen hat, daß man mit mehr Bestimmtheit als jetzt annehmen kann, ob die Ruhe Europas ernstlich werde gefährdet werden oder nicht – ob Österreich sich in die Verfassung einer bewaffneten Neutralität setzen müsse oder aber seine Armee vermindern könne. Jetzt beurlauben und demobilisieren, um nach ein paar Monaten die Urlauber wieder einzuberufen und Pferde teuer einzukaufen, wäre eine schlechte Ökonomie. Um die Ersparnisse und späteren neuen Auslagen in einem solchen Falle vorläufig gegeneinander abwägen zu können, dürften sich die Finanz- und Militärverwaltung ins Vernehmen setzen. Dies ist eine Rechnungssache, allein ein sehr wichtiges Moment bei der Ah. Entscheidung. Kennt man einmal die Ziffern, auf die es hiebei ankommt, und haben sich die politischen Verhältnisse etwas mehr geklärt, dann erst dürfte über die Frage der Reduktion ein Beschluß mit Beruhigung gefaßt werden können. || S. 352 PDF || Jedenfalls aber scheine es dem Reichsratspräsidenten notwendig, sich schon jetzt mit den Mitteln zu beschäftigen, wie der Bedarf des Staatshaushaltes für den Fall eines Krieges zu decken wäre. Der Minister des Inneren fand die politische Konstellation wenigstens insoferne beruhigend, daß man schon jetzt eine Reduktion im Locostand der Mannschaft vornehmen könnte. Diejenigen Reduktionen aber, wofür der Ersatz im Fall einer plötzlichen, neuen Armierung mit größerem Zeitverlust und bedeutenden Anschaffungskosten verbunden wäre, dürften vielleicht bis dahin aufgeschoben bleiben, wo man über die künftige feindliche Gestaltung der Verhältnisse mehr Bürgschaften hat als jetzt. Der Justizminister bemerkte, daß nach der höchsten Wahrscheinlichkeit der europäische Friede binnen der nächsten fünf Monate nicht gestört werden wird. Dieser günstige Augenblick dürfte nicht unbenützt gelassen werden, um dem Staatsschatz die so nötige Erleichterung zuzuwenden. Die bewaffnete Neutralität zehre die Ressourcen Österreichs im vorhinein auf, so daß man schon beim Beginn eines Krieges finanziell erschöpft sein würde. Es scheine daher wünschenswert, schon jetzt Reduktionen, und zwar zuerst jene im Stande der Infanterie, eintreten zu lassen. Frankreich würde ja auch längere Zeit brauchen, um sich in einen aggressiven Stand zu versetzen, so daß wir nicht von den Ereignissen unvorbereitet getroffen werden können. Der Finanzminister glaubte, mit Übergehung der politischen bloß die finanzielle Seite der Frage herausheben zu sollen. Selbst eine mäßige Reduktion nur durch die Wintermonate hindurch sei eine Erleichterung von Belang, und zwar nicht bloß für den Staatsschatz, sondern auch unmittelbar für die Kronländer, die an Einquartierung, Vorspann etc. noch schwere Lasten zu tragen haben, die im Militärbudget nicht figurieren und denen durch den Militärdienst viele Tausende kräftige Arbeiter entzogen werden. Der Minister hoffe, daß man nicht so bald werde Vermehrungen wieder eintreten lassen müssen und daß daher die Bilanz der Ersparung gegen die Mehrauslagen eine sehr günstige sein werde; aber angenommen selbst, daß die Wiederarmierung seinerzeit etwas mehr kosten sollte, müsse er doch die Vornahme von Reduktionen in diesem Augenblicke lebhaft wünschen des moralischen Eindruckes wegen, den diese Maßregel auf den österreichischen Staatskredit üben würde. Sie gäbe nämlich den Beweis, daß Österreich Vertrauen auf den Bestand des Friedens hat, und dieses Vertrauen würde auch die Besorgnisse der Kapitalisten beschwichtigen, welche sonst in keinem Fall oder nur mit unerschwinglichen Opfern zur Übernahme von Anlehen gebracht werden könnten. aSeit langer Zeit spreche man immer von Reduktionen; aber man komme wegen stets sich erneuernder Kriegsbesorgnisse nicht dazu. Mittlerweile gehe viel Geld unwiederbringlich verloren!a Minister v. Baumgartner reassumierte sofort seinen Antrag in den Worten: daß Se. Majestät Ah. geruhen möchten, so bald als möglich Armeereduktionen in der größtmöglichen Ausdehnung eintreten zu lassen. Der Präsident des Reichsrates bemerkte hierauf: Darüber, daß die Armeereduktion für die Finanzen eine große Ersparnis, für den Staatskredit eine wichtige Belebung und für die ganze Bevölkerung eine namhafte Erleichterung || S. 353 PDF || und daß jede Verzögerung oder wesentliche Beschränkung dieser Maßregel ein Übel sei, darüber hege er ebensowenig einen Zweifel, als überhaupt kein solcher bestehe. Die Frage ist auch nicht, welche Wirkung diese Maßregel auf die öffentliche Meinung haben werde, sondern ob die tatsächlichen drohenden politischen Lagen für den Augenblick gestatten, eine Verminderung des Armeestandes sogleich zu verfügen und vielleicht in die Gefahr zu geraten, eine vorübergehende finanzielle Ersparung mit bald nachfolgenden gesteigerten Auslagen erkaufen zu müssen und dann den Staatskredit mehr zu erschüttern, als es schon jetzt der Fall ist. Wenn die geäußerten Besorgnisse ungegründet befunden werden, so versteht sich von selbst, daß auch der Grund jeder Verzögerung der Armeereduktion verschwindet. Da jedoch in verhältnismäßig kurzer Zeit die tatsächlichen Vorgänge in dem türkischen Reiche einen mehr entscheidenden und, wie zu hoffen, infolge der eingeleiteten Verhandlungen günstigeren Charakter annehmen müssen, so scheint es die Klugheit zu gebieten, diese kurze Zeit noch abzuwarten, um dann mit voller Kenntnis nächster Zukunft die entsprechenden Maßregeln beraten und beschließen zu können. Der Minister des Äußern ergreift hierauf noch einmal das Wort, um seine Überzeugung auszusprechen, daß er gegenüber den bestimmten Erklärungen des Kaisers von Rußland sowie gegenüber der bisherigen Politik und dem wahren Interesse des Kaisers der Franzosen nicht an einen europäischen Krieg glauben könne. Sollte aber Louis Napoleon dennoch die orientalische Verwickelung zum Vorwande einer Gebietsver­größerung ergreifen wollen, so würde er sich augenblicklich von England verlassen sehen, und zwar angesichts einer innigen Allianz von Österreich, Rußland und Preußen. Graf Buol müsse daher den gegenwärtigen Augenblick als für eine Reduktion günstig betrachten und sich für dessen Benützung aussprechen. Die Verminderung dürfte vorerst im Stande der Mannschaft und nachmals in dem der Pferde eintreten. Der Zeitpunkt, sich in die Verfassung einer bewaffneten Neutralität zu setzen, sei für Österreich noch nicht da und wohl auch überhaupt nicht nahe bevorstehend. Völlige Beruhigung über den Zustand der europäischen Verhältnisse aber werde man noch lange nicht erhalten!

Se. Majestät der Kaiser behielten Allerhöchtsich vor, jene teilweisen Standesreduktionen zu bestimmen, welche ohne Beeinträchtigung der Schlagfertigkeit der Armee vorgenommen werden können, und geruhten, den Finanzminister zu beauftragen, er habe schon jetzt in Überlegung zu nehmen, auf welche Weise unter den verschiedenen, selbst entfernteren Eventualitäten die Erfordernisse des Staatsschatzes zu bedecken wären3.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Wissenschaft genommen. Franz Joseph. Wien, den 22. Oktober 1853.