Nr. 97 Ministerkonferenz, Wien, am 15., 19., 22. und 26. Februar 1853 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- Sammelprotokoll; RS.Reinschrift; P.Protokoll Marherr (15., 22. 2.), Wacek (19., 26. 2.); VS.Vorsitz Buol-Schauenstein; BdE.Bestätigung der Einsicht (Buol 26. 2.), Bach 1. 3., Thun, K. Krauß.
MRZ. – KZ. 691 – (Prot. Nr. 20/1853) –
Protokoll der am 15., 19., 22. und 26. Hornung 1853 zu Wien abgehaltenen Ministerkonferenzen unter dem Vorsitze des Ministers des Äußern und des kaiserlichen Hauses Grafen v. Buol-Schauenstein.
I. Entwurf eines Gesetzes über das gerichtliche Verfahren in Rechtsgeschäften außer Streitsachen
[Sitzung vom 15. Februar 1853]
[anw. Bach, Thun, K. Krauß, Baumgartner; abw. Stadion]
Gegenstand der Beratung war der vom Justizminister in Vortrag gebrachte Entwurf eines Gesetzes über das gerichtliche Verfahren in Rechtsgeschäften außer Streitsachen.
In der heutigen Sitzung wurden die §§ 1 bis einschließlich 19 mit nachstehenden Modifikationen und Bemerkungen angenommen:
Zu § 2, Absatz 9, hat es statt „Fristen bestimmt und nach fruchtlosem Verlaufe derselben die gesetzlichen Zwangsmittel angewendet werden“ zu lauten: „Fristen bestimmt werden, und es sind nach fruchtlosem Verlaufe derselben die gesetzlichen Zwangsmittel anzuwenden“. Absatz 11 wurde statt „Mißverstande“ gesetzt: „Mißverständnisse“.
Zu § 15. Dieser Paragraph statuiert, daß dem Richter der Rekurs offenstehe, wenn erstens ihm selbst Strafe oder Schadenersatz auferlegt wurde, und zweitens, wenn er von der oberrichterlichen Verordnung für Personen, welche sich selbst zu vertreten ohnfähig sind, unwiederbringlichen Nachteil besorgt. Der Minister des Inneren trug auf die Hinweglassung dieser Bestimmungen an. Denn in ersterer Beziehung versteht es sich von selbst, daß der Richter rekurrieren kann, wenn ihm eine Strafe oder ein Schadenersatz diktiert worden ist. In der zweiten Beziehung aber, nämlich für die Partei, ihm ein Rekursrecht einzuräumen, schien dem Minister des Inneren unzulässig zu sein, weil es das Verhältnis des unteren Richters zum Obergerichte wesentlich verrücken würde, wenn ihm gestattet wäre, die Entscheidungen des Obergerichtes seiner Kritik zu unterwerfen. Die übrigen, also mehreren Stimmen erklärten sich jedoch mit der Bestimmung des § 15 unter der darin aufgenommenen Beschränkung auf den Fall des zu besorgenden unwiederbringlichen Schadens einverstanden.
Im § 17 entfällt nach dem eigenen Antrage des Justizministers der Schlußsatz „und schon erworbene Rechte dritter Personen nicht entgegenstehen“.
Fortsetzung am 19. Februar 1853.
[Anw. und abw. wie in der Sitzung am 15. Februar 1853]
In dieser Sitzung wurde vom § 20 bis zum 154 fortgeschritten.
Zu § 29, welcher lautet: „Die Todfallsaufnahme, die Errichtung der Inventur und andere minder schwierige Verrichtungen können von dem Gerichte auch || S. 494 PDF || dem Gemeindevorsteher übertragen werden“, bemerkte der Minister des Inneren , daß nach dem Wortlaut dieses Paragraphes die Aufnahme der Inventur als eine minder wichtige und schwierige Verrichtung erscheint, was sie nicht ist, sondern in den meisten Fällen für einen wichtigen Amtsakt gehalten werden muß. Dagegen, daß die Todfallsaufnahme als ein einfacher Akt dem Gemeindevorsteher von dem Gerichte übertragen werde, könne nichts erinnert werden. Anders verhalte es sich aber mit der in den meisten Fällen schwierigen und wichtigen Aufnahme der Inventur, welche, wie der Minister des Inneren dafürhält, wenigstens in den wichtigeren und schwierigeren Fällen den meistens nicht genug vorgebildeten Gemeindevorstehern nicht zu übertragen sein dürfte. Nach seiner Meinung wäre die Errichtung der Inventur nur in einfachen und geringen Verlassenschaftsfällen den Gemeindevorstehern anzuvertrauen und dieses in dem § 29 nach dem Worte „Inventur“ auszusprechen. Der Justizminister bemerkte, daß in dem § 29 die Übertragung der Inventur an die Gemeindevorsteher nur fakultativ dem Gerichte überlassen sei, was durch das Wort „können“ ausgedrückt werde, und daß hiernach wohl angenommen werden könne, daß die Gerichte wichtige und schwierige Inventursfälle den Gemeindevorstehern, wenn sie solche dazu nicht geeignet finden, nicht übertragen werden. Indessen fand der genannte Minister gegen die Aufnahme des von dem Minister des Inneren angetragenen Beisatzes, daß die Aufnahme der Inventur den Gemeindevorstehern nur in einfachen und geringen Verlassenschaftsfällen übertragen werde, seinerseits ebensowenig als die übrigen Stimmen der Konferenz etwas zu erinnern.
Zu § 150, 2. Absatz, bemerkte der Minister Graf Thun , daß die den Bezirksrichtern hier gestattete Fakultät, von den Parteien die Mitbringung schriftlicher Verlassenschaftsausweise zu der Tagsatzung zu fordern, auf die Landbevölkerung nicht auszudehnen wäre, weil eine solche Beibringung für diese Bevölkerung in den meisten Fällen sehr schwierig und mit für dieselbe empfindlichen Kosten verbunden sein würde. ur in den Fällen, wenn es ein Landbewohner selbst verlangt oder die Verlassenschaft von besonderer Wichtigkeit ist, dürfte die Mitbringung solcher schriftlicher Ausweise gestattet werden. Der Justizminister , welcher gegen diese beschränkende Bestimmung nichts zu erinnern fand, wird den gedachten Absatz des § 150 in dem Sinne umtextieren, daß, wenn es sich um die Verlassenschaft eines Landmannes handelt, der Bezirksrichter nur dann einen schriftlichen Ausweis gestattena darf, wennb der Landmann die Mitbringung des schriftlichen Ausweises selbst verlangt.
Fortsetzung am 22. Hornung 1853. Vorsitz und Gegenwärtige: Alle, mit Ausnahme des Finanzministers und des Grafen Stadion.
In der heutigen Sitzung wurden die §§ 154 bis einschließlich 295 beraten und mit folgenden Modifikationen angenommen:
Zu § 185 bei der Bestimmung, daß Kapitalien nicht über die Zeit der Minderjährigkeit hinaus angelegt werden sollen, bemerkte der Kultusminister : || S. 495 PDF || Diese Bestimmung könne doch nicht unbedingt, sondern nur so gemeint sein, daß dem Minderjährigen nach erreichter Großjährigkeit nicht alle Disposition mit dem Kapital gehemmt werde, wenn auch letzteres auf länger als auf die Dauer der Minorennität eloziert war. Da der Justizminister diese Ansicht teilte, so wurde beschlossen, nach dem Worte „hinaus“ beizusetzen: „ohne die Bedingung einer Aufkündigung“.
Zu § 191, Absatz 3, beantragte der Minister des Inneren die sofort auch cvom Justizministerc angenommene Beisetzung der auf die „Grundentlastungsobligationen“ sich beziehenden Worte „oder ihnen gesetzlich gleichgestellten öffentlichen Schuldverschreibungen“, und am Schlusse wurde mit Hinblick auf §204, welcher die Wiederherstellung der kumulativen Waisenkapitalienanlegung in Aussicht stellt, der Beisatz angenommen: „6. durch Anlegung in den nach gesetzlichen Bestimmungen eingerichteten gemeinschaftlichen Waisenkassen“.
Bei § 193 erklärte sich der Minister des Inneren gegen die Annahme der gerichtlichen Schätzung zur Ermittlung des Wertes unbeweglicher Güter behufs der Elozierung pupillarsicherer1 Darleihen auf seIben als Regel. Wie unzuverlässig gerichtliche Schätzungen der Realitäten seien, ist hinlänglich bekannt. Sie richten sich meistens nach dem Zwecke der Schätzung so ein, daß dieser, wenn auch auf Kosten der Wahrheit, erreicht wird. Ein weit einfacheres und zugleich zuverlässigeres Mittel, den wahren Wert der Realitäten, besonders itzt nach geschehener Grundentlastung2, zu ermitteln, bietet der Kataster und der Steuerbogen dar, woraus der Ertrag der Realität zu ersehen und daraus dann leicht der Kapitalswert des Gutes zu berechnen ist. Dabei sind gerichtliche Schätzungen so kostspielig, daß sie zu dem im § 193 vorgesehenen Behufe nicht leicht eigens angeordnet werden können. Aus diesen Rücksichten würde der Minister des Inneren a) in Anbetracht der Unzuverlässigkeit gerichtlicher Schätzungen dieselben niemals allein als einziges Mittel der Festsetzung des wahren Wertes eines Gutes gelten lassen, sondern anordnen, daß zur Kontrolle derselben auch die aus dem Kataster und Steuerbogen sich ergebenden Daten benützt werden müssen, und b) in Anbetracht der Zuverlässigkeit dieser letzteren aus ämtlichen Akten gezogenen Daten aber für zulässig erkennen, daß daraus, auch ohne gerichtliche Schätzung, der Wert der Realität ermittelt werden dürfe. Der Antrag ad a), bemerkte der Justizrninister, ist zum Teil schon in der Anordnung des § 195 berücksichtigt, welcher dem Richter zur Pflicht macht, ungeachtet der auf gesetzliche Weise (durch gerichtliche Schätzung) ausgewiesenen Sicherheit die Genehmigung des Darleihensvertrags zu verweigern, sobald ihm wichtige Bedenken gegen den Wert etc. der Hypothek auffallen. Was aber die durch den Antrag ad b) bezielte gänzliche Umgehung der gerichtlichen Schätzung anbelangt, so könnte er demselben um so weniger beipflichten, als die gerichtliche Schätzung, wenn sie auch nicht über alle Einwendung erhaben ist, doch in unseren bürgerlichen Gesetzen überall (§§ 132, 137 etc. des ABGB.) als Regel zur Ausmittlung || S. 496 PDF || des Wertes gefordert wird, als es ferner dermalen, wo das Ärar für Beschädigung der Partei durch den lf. Richter haften muß, nicht gleichgültig sein kann, diesem, selbst ohne Beihilfe von Kunstverständigen, die Bestimmung des Wertes von Realitäten aus Daten anheimzustellen, welche in Ländern, wo der Kataster noch nicht besteht, dund bei Realitäten, deren Wert auf keine andere Art als mittelst einer Schätzung erhoben werden kannd, nicht einmal zu Gebote stehen, als endlich durch die Worte „in der Regel“ die Ermittlung des Wertes eines Gutes auf andere Art nicht unbedingt ausgeschlossen wird, wenn dieselbe hinlängliche Bürgschaft für ihre Richtigkeit zu gewähren vermag.
Zu § 197. Der Kultusminister erklärte, keinen Grund einzusehen, warum die Anlegung von Pupillargeldern auf Fideikommißgütern unbedingt verboten sein soll. Ist die Hypothek an und für sich gut, so liegt in dem Umstande, daß die Depurierung des Fideikommisses nach gewissen Perzenten vor sich gehen muß, also in der Regel auf viele Jahre sich erstreckt, kein Hindernis (§ 185), indem dem Gläubiger immer bevorsteht, früher aufzukündigen und der rangierte Fideikornrnißbesitzer immer Mittel finden wird, einen solchen Gläubiger hinauszuzahlen. Der Justizminister entgegnete zwar: Nicht dieser Umstand allein, sondern vornehmlich die Beschränkung der Exekution bei Fideikommissen ist es, was die Bestimmung des § 197 hervorgerufen hat. Bei Fideikommissen darf nämlich die Exekution nie ad corpus sondern nur ad fructus des Gutes geführt werden. Zahlt nun der Fideikommißbesitzer ein aufgekündigtes Pupillarkapital nicht zurück, so bleibt dem Gläubiger kein anderes Rechtsmittel als die Sequestration des Gutes, er erhält alsdann statt des Ganzen teilweise, oft jahrelang sich hinausziehende Ratenzahlungen. Er ist ferner der Willkür und Schikane des Sequesters preisgegeben, während er bei einem freien Gute durch Versteigerung desselben sogleich zur vollständigen Befriedigung seiner Forderung gelangen kann. eÜbrigens hat ein vorsichtiger Pupillarrichter auch bisher schon die Anlegung der Pupillarkapitalien auf Fideikommißgütern vermieden.e fÜbrigens ist dieser Paragraph nur die notwendige Konsequenz des § 185.f Der Minister des Inneren bemerkte aber: Streng nach dem Gesetz (§ 195) könnte das Gericht die Anlegung eines solchen Kapitals auf ein Fideikommiß ohnehin immer versagen. Findet sich gleichwohl ein Fideikommiß, wo sich gegen die Zukömmlichkeit der Elozierung eines Waisenkapitals darauf keines der im § 195 berührten oder sonst möglichen Bedenken ergibt, so wäre es offenbar gegen das Interesse der Pflegebefohlenen, die Verleihung ihrer Gelder auf Fideikornrnißgütern unbedingt zu verbieten, indem es bekanntermaßen nicht so leicht ist, Hypotheken mit Pupillarsicherheit zu finden. Eine unnötige Beschränkung der Gerichte in dieser Beziehung wäre sicher nachteilig. Aus diesen Rücksichten vereinigten sich die mehreren Stimmen mit dem Antrag des Kultusministers, Fideikommißgüter von Elozierung der Kapitalien Pflegebefohlener nicht auszuschließen, || S. 497 PDF || mit der von dem vorsitzenden Minister des Äußern angetragenen Beschränkung, daß hierdurch keine Verschuldung über das Drittel des Wertes des Fideikommißgutes verursacht werde.
Zu § 203 beantragte der Minister des Inneren die Hinweglassung der Worte „zu fünf Perzent“ in der Bestimmung, welche die Gutschreibung der Zinsen für jeden der an der gemeinschaftlichen Waisenkasse Beteiligten verordnet. Denn es ist schwer, für jeden dieser kleineren Kapitalsbeträge eine Verzinsung von 5% unter allen Umständen zuzusichern, wenn Sparkassen und andere Anstalten nur 4% geben. Der Antrag des Ministers des Inneren ward auch einstimmig angenommen. Auch gegen die weiters von ebendemselben angeregte Versetzung des Wortes „zunächst“ im 2. Absatz des § 203 vor das Wort „als Reservefonds“ ward nichts erinnert.
Bei § 284 glaubte der Minister des Inneren, daß die Anordnung wegen Ausfolgung von Zeugnissen über das im Staate geltende Gesetz nicht bloß auf die Fälle beschränkt werden sollte, wo die Partei derselben zur Durchsetzung ihrer Rechte im Auslande bedarf, weil sich ja der Fall in bezug auf Ungern in Ansehung der vor Einführung des ABGB.3 anhängigen Prozesse nicht selten ergeben wird, daß man ähnlicher Zeugnisse bedürfen wird. Allein gerade in bezug auf Ungern hält es der Justizminister für unausführbar, die Erteilung solcher Zeugnisse unbedingt zuzusichern, weil nach der Bestätigung gelehrter ungrischer Juristen die Fälle nicht selten sind, in denen es sehr zweifelhaft ist, ob ein angeführtes ungrisches Gesetz noch eine und welche Wirksamkeit habe, gund daher im Inlande die Beurteilung, welches Gesetz auf einen Rechtsfall anwendbar sei, dem Ermessen der Gerichte überlassen werden müsseg . Der Justizminister vermeinte daher, bei der Textierung des Entwurfs verharren zu sollen.
Fortsetzung am 26. Februar 1853. Vorsitz und Gegenwärtige wie in der Sitzung am 22. Februar 1853.
[abw. Stadion, Baumgartner]
Der Justizminister Freiherr v. Krauß brachte das Einführungspatent zu dem in obiger Art begutachteten Gesetzentwurf über das gerichtliche Verfahren in Rechtsgeschäften außer Streitsachen zum Vortrag, gegen dessen Inhalt und Form sich von keiner Seite eine Erinnerung ergab4.
Wien, am 26. Februar 1853. Gr[af] Buol.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Schönbrunn, 9. August 1854 5.