Nr. 18 Ministerkonferenz, Wien, 8. Juni 1852 - Retrodigitalisat (PDF)
- 3 Hefte; RS.Reinschrift; P.Protokoll Wacek; VS.Vorsitz Buol-Schauenstein; anw.anwesend Buol, Bach, Csorich, Baumgartner, Thinnfeld, K. Krauß; die BdE.Bestätigung der Einsicht der Minister fehlt auf dem Mantelbogen und wurden auf den Einzelheften vorgenommen; abw.abwesend Thun, Stadion; das Datum der Ah. E. und die Unterschrift des Kaisers befinden sich nur auf dem 3. (letzten) Heft.
MRZ. – KZ. 1835 – (Prot. Nr. 17/1852) – 3
Protokoll der am 8. Juni 1852 in Wien abgehaltenen Ministerkonferenz unter dem Vorsitze des Ministers der auswärtigen Angelegenheiten und des kaiserlichen Hauses Grafen v. Buol-Schauenstein.
I. Strafmilderungsgesuch für Georg Pók
Der Justizminister Freiherr v. Krauß hat in der Ministerkonferenz vom 5. d. M., Nr. VI., für den Advokaten Lieszkóvszky in Erlau, welcher am 15. März d. J. zur Feier des 15. März 1848 im Keller des Georg Pók ein Trinkgelage mit Musik veranstaltet hatte und wegen dieser Demonstration zu dreijährigem Festungsarreste in leichten Eisen verurteilt wurde, auf die Herabsetzung dieser Strafe auf eineinhalb Jahre angetragen und die Ministerkonferenz hat diesem bei Sr. Majestät zu stellenden Antrag beigestimmt.
Heute brachte der Justizminister das Gnadengesuch der Theresie Pók für ihren Gatten Georg Pók, welcher seinen Keller zu dem erwähnten Gelage hergegeben, übrigens aber sich dabei passiv verhalten hat, zum Vortrage. Pók wurde zu zweijährigem Festungsarreste verurteilta . Die Behörden (das III. Armeekommando und Se. kaiserliche Hoheit der Herr Erzherzog Albrecht Militär- und Zivilgouverneur von Ungarn) tragen, wie bei Lieszkóvszky, auf die Herabsetzung dieser am 30. Juni 1851 angetretenen Strafe auf die Hälfte, nämlich von zwei Jahren auf ein Jahr, an, weil Pók bei jenem Gelage nur passiv war und ihm sonst nichts zur Last fällt.
Der Justizminister nimmt keinen Anstand, aus dem erwähnten Grunde und wegen gleichmäßiger Behandlung des Lieszkóvszky und Pók diesem Antrage beizutreten und auf die agänzliche Nachsicht des Restes der Strafdauer für Pókb bei Sr. Majestät au. anzutragen1.
|| S. 108 PDF || Die Ministerkonferenz hat sich mit diesem Antrage vollkommen einverstanden erklärt.
Wien, den 9. Juni 1852. Gr[af] Buol.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen.
II. Begnadigungsgesuch Thomas' v. Eötvös
Thomas v. Eötvös hat als Nationalgardemajor in Munkacs im Jahre 1849 das Kommando über diese Festung geführt und als Regierungskommissär in dem erwähnten Jahre den Landsturm und die mobile Nationalgarde organisiert. Er wurde wegen dieser größeren Beteiligung an der ungarischen Revolution zu sechsjährigem Festungsarreste verurteilt, welche Strafe er erst am 5. Mai 1852 angetreten hat2. Das III. Armeekommando, welches den Thomas v. Eötvös als einen gutmütigen und sonst keineswegs schlechten Menschen schildert, glaubt sich bei seiner an den Tag gelegten größeren revolutionären Tätigkeit und bei seiner kaum angetretenen Strafe jeder tieferen Erörterung seines Gnadengesuches enthalten zu sollen.
Der Justizminister Freiherr v. Krauß ist derselben Ansicht und trägt, worin ihm die Ministerkonferenz beistimmte, auf die Abweisung des vorliegenden Gesuches an3
Wien, am 9. Juni 1852. Gr[af] Buol.
Ah. E. Dient zur Wissenschaft.
III. Strafprozeßordnung
Der Justizminister Freiherr v. Krauß bemerkte, daß, da das revidierte Strafgesetz nun in der ganzen Monarchie in Wirksamkeit zu treten hat4, auch eine neue Strafprozeßordnung dazu zu verfassen und mit tunlichster Beschleunigung kundzumachen sein wird. Das alte Strafgesetzbuch vom 3. September 1803 5 habe in seinem zweiten Abschnitte auch die Prozedur, das rechtliche Strafverfahren, enthalten. Das Prinzip dieses Verfahrens war inquisitorisch, || S. 109 PDF || der Richter hatte nämlich zu untersuchen und zu entscheiden, ob ein Verbrechen da sei oder nicht. In einzelnen bestimmten Fällen mußte das Urteil vor dessen Ausfertigung dem Appellationsgerichte und selbst dem Obersten Gerichtshofe zur Bestätigung vorgelegt werden. Dieser zweite Teil des Strafgesetzbuches wurde in bmehreren derc Länder, wo dieses Strafgesetzbuch galt, durch die Strafprozeßordnung vom 17. Jänner 1850 außer Wirksamkeit gesetzt6. Es kam dadurch ein neues Prinzip, ein neues System in Anwendung. Se. Majestät haben Schwurgerichte eingesetzt, die Inquisition hatte aufzuhören und statt derselben die reine Anklage einzutreten, zu welchem Behufe Staatsanwaltschaften gegründet wurden. Nach diesem System war über Verbrechen die Anzeige an den Staatsanwalt zu machen. Dieser prüfte, ob ein Verbrechen da sei und veranlaßte im bejahenden Falle die Voruntersuchung durch den Untersuchungsrichter. Die Erhebungen gelangten wieder an den Staatsanwalt, welcher nun die Entscheidung zu erwirken hatte, ob der Beschuldigte in Untersuchung zu ziehen sei oder nicht. Hat das Oberlandesgericht entschieden, daß ein Verbrechen obwaltet, so gingen die Akten zurück an den Staatsanwalt der ersten Instanz, bei welcher die Anklage in öffentlicher Verhandlung vorgetragen werden mußte. Hier kamen zwei Fragen zur Erörterung:
a) ist der Beschuldigte der ihm zur Last gelegten Handlung schuldig, und b) wenn er schuldig ist, welche Strafe ist darauf zu verhängen.
Über die erste Frage, ob schuldig, hatten die Geschworenen nach ihrer inneren Überzeugung zu erkennen. Wurde jemand als schuldig erkannt, so mußten die Richter die Strafe bemessen. cDer Grundsatz des Urteils auf Grundlage der Überzeugung des Richtersd ist auch auf kleinere Verbrechen, Vergehen und Übertretungen angewendet worden, und die Richter haben nach ihrer inneren Überzeugung geurteilt, während durch das Strafgesetzbuch vom 3. September 1803 eine Beweistheoriee bestimmt war, deren Regeln, um jemanden schuldig zu erkennen, nicht überschritten werden durften. Das Verfahren des Schuldigerkennens durch die Geschworenen nach ihrer inneren Überzeugung hat bedeutende Mängel im Gefolge. Die Erfahrung hat nämlich herausgestellt, daß die Geschworenen ihre Überzeugung meistens den Verhältnissen des Beschuldigten akkomodieren. So wurden z. B. Auflehnung und Widersetzlichkeit gegen die Obrigkeit fast nie verurteilt, während Eingriffe in das Eigentum, besonders in das Eigentum evon Standesgenossenf der Geschworenen, fast immer, Eingriffe in das Eigentum der Gutsherrn seltenerg kondemniert wurden. Bankozettelverfälscher, welche in Gegenwart der Geschworenen erzählt [haben], wie sie die Falsifikate verfertigt haben, wurden freigesprochen u. dgl. Se. Majestät haben || S. 110 PDF || unterm 31. Dezember 1851 die Schwurgerichte aufgehoben7. Der Anklageprozeß aber, den die Staatsanwaltschaft zu vermitteln hat, wurde beibehalten. Durch die Ah. Anordnungen vom 31. Dezember 1851 erscheint die Erlassung einer neuen Strafprozeßordnung unbedingt notwendig, zumal die Schwurgerichte nicht in allen Kronländern der Monarchie eingeführt waren und das revidierte Strafgesetzbuch für den ganzen Umfang der Monarchie mit Ausnahme der Militärgrenze erlassen worden ist und bald in Anwendung zu treten haben wird. Der Justizminister habe bereits früher für gdas lombardisch-venezianische Königreich, Dalmatienh, Ungarn, Kroatien, Galizien, überhaupt für alle Kronländer, wo die Schwurgerichte nicht eingeführt werden sollten, eine Strafprozeßordnung entworfen hund größtenteils schon im Ministerrate vorgetrageni .8 Diese soll nun benützt und den Grundlinien für das neue Strafverfahren, nach welchen die infolge der Ah. sanktionierten Grundsätze vom 31. Dezember 1851 9 für den ganzen Umfang des Reiches gleichförmig auszuarbeitende neue Strafprozeßordnung zu verfassen sein wird, zum Grunde gelegt werden. Diese Grundlinien müssen vorläufig zur Ah. Genehmigung Sr. Majestät vorgelegt werden, weil die weitere Arbeit von den Grundsätzen abhängig ist, welche angenommen werden.
Die Hauptgrundsätze für die neue Strafprozeßordnung sind im wesentlichen folgende: der Anklageprozeß bei Verbrechen und Vergehen wird beibehalten. Die Aburteilung geschieht bei den Kollegialgerichten, die Untersuchung bei den Einzelnrichtern, und zwar bis zum Schlußverfahren. Die Staatsanwaltschaft ist nur bei Kollegialgerichten tätig und wird Einfluß auf den Gang des Geschäftes nehmen. Die Schlußverhandlung findet in Gegenwart des Beschuldigten und seines Vertreters statt; Zeugen, welche zur Überzeugung notwendig sind, werden in seiner Gegenwart vernommen. Der Richter hat nach ieiner negativenj Beweistheorie über die Schuld zu erkennen usw. Gegen ein solches Urteil ist die Berufung an die zweite Behörde und, wird von dieser das Urteil verschärft joder abgeändertk, an die dritte Instanz offen.
Nachdem der Justizminister Freiherr v. Krauß dieses vorausgeschickt hatte, wurde zur Erörterung über den vorliegenden Entwurf der Grundlinien für das neue Strafverfahren geschritten, wobei sich folgende Bemerkungen ergaben:
Zu Art. 2, Zeile 5, ist statt „der Polizeigewalt vorbehalten“ zu setzen: „anderen Behörden zugewiesen“, weil die Untersuchung und Ahndung gewisser Übertretungen anderen als den Polizeibehörden, z. B. den politischen Behörden, zugewiesen werden können.
|| S. 111 PDF || Art. 3, 4. Zeile von unten, ist der Ausdruck „für den Umfang des Einzelngerichtes“ in den Ausdruck „für einen eigens zu bestimmenden Umkreis“ umzuändern, weil dort, wo Kollegialgerichte sich befinden, sie ihre Gestion in einem nach Maß der Verhältnisse zu bestimmenden Umkreise auch über mehrere Einzelngerichte zu erstrecken haben dürften.
Art. 10, 3. Zeile von unten, sind zehn statt acht Richter anzunehmen. Hierfür wurde insbesondere vom Minister eies Inneren die bessere Abstufung beziehungsweise Steigerung des Gerichtskollegiums in der höchsten Instanz geltend gemacht. Der Art. 7 bestimme nämlich, daß das Kollegialgericht bei größeren Verbrechen (Hochverrat und worauf die Todesstrafe oder lebenslängliche Kerkerstrafe gesetzt ist) in Versammlungen von einem Vorsitzenden, sechs Richtern und einem Protokollführer [seine Beschlüsse faßt], und der Art. 9 setze fest, daß die Oberlandesgerichte in diesen Fällen in Versammlungen von einem Vorsitzenden, acht Richtern und einem Protokollführer ihre Beschlüsse fassen. Nach dieser Abstufung sei es angedeutet, elaß in der dritten und höchsten Instanz für die angeführten schweren Verbrechen ein Kollegium von einem Vorsitzenden, zehn Richtern und einem Protokollführer angenommen, sonach in dem Art. 10 die Zahl zehn statt acht Richtern festgesetzt werde.
Zum Art. 11 bemerkte der Minister des Inneren, daß er die hier vorkommende Beziehung auf die §§ 19-23 des Entwurfes der revidierten Strafprozeßordnung weggelassen [hätte] und dafür die textuelle Aufnahme dieser Paragraphe mit den notwendigen, bereits vorgenommenen Modifikationen wünschen würde, um diese Paragraphe in ihrem Zusammenhange mit dem übrigen näher würdigen zu können. Dasselbe sei auch der Fall mit den in den Art. 20 und 21 vorkommenden Beziehungen auf die §§ 40-59 (von der Zuständigkeit der Strafgerichte) und §§ 60-68 (von der Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen) des Entwurfes der revidierten Strafprozeßordnungll. Der Justizminister und der Minister v. Baumgartner würden zwar diese Ausführung jetzt, wo es sich bloß um Grundlinien für das neue Strafverfahren und noch keineswegs um ein definitives Gesetz handelt, eben nicht als notwendig erkennen, der Justizminister will aber dennoch so viel möglich jene Paragraphe, bei welchen eine modifizierte Textierung einzutreten hat, kvorbereiten lassen, um die förmliche Textierung des Gesetzes zu beschleunigen, wenn die Grundsätze genehmigt sein werdenl .
Mit der im Art. 12 angetragenen Bestimmung erklärte sich der Minister des Inneren nicht einverstanden. Nach seiner Ansicht werden hier zwei Dinge, welche voneinander getrennt werden sollten, vermischt, nämlich Übertretungen rein polizeilicher Natur und Übertretungen, welche in dem Strafgesetz normiert sind, und deren Untersuchung und Bestrafung den Polizeibehörden, zum Teile aus Lokalrücksichten, zugewiesen sind. || S. 112 PDF || Nur die ersteren sollen der Kompetenz der politischen Behörden zugewiesen werden und die Strafbehörden darauf keinen Einfluß zu nehmen haben; nur diese sollen im Instanzenzuge an die höheren politischen Behörden gehen. Was aber die im Strafgesetz normierten und zum Teile den Polizeibehörden zugewiesenen Übertretungen anbelangt, bei diesen soll der Rekurszug an die höheren Strafbehörden gehen. Würde der Rekurszug auch in diesen Fällen an die höheren politischen Behörden gerichtet werden, so müßten diese eigene Kollegien in zweiter und dritter Instanz zur Judikatur solcher Angelegenheiten errichten und es würde sich ein doppelter Rechtszug und eine doppelte Rechtspraxis bilden. Mit dieser Ansicht erklärte sich die Ministerkonferenz einverstanden, und es wurde für den Art. 12 im wesentlichen folgende Bestimmung angenommen: „Die den k. k. Polizeibehörden nur aus örtlichen Rücksichten aus der Reihe der im Strafgesetzbuche vorkommenden Übertretungen zugewiesenen Straffälle werden in zweiter Instanz vom Oberlandesgericht beurteilt. Die anderen Fälle, welche den Polizeibehörden im allgemeinen zugewiesen werden, sind in zweiter Instanz den politischen Behörden unterworfen.“
Art. 14, lit. b, 6. Zeile, sind nach dem Worte „zu verschaffen“, um die Tätigkeit des Staatsanwaltes mehr zu bezeichnen, noch die Worte hinzufügen: „deren Betreibung und Beschleunigung sich angelegen sein zu lassen und diesfalls die nötigen Anträge an das Kollegialgericht zu stellen“ usw. Auch sind die in den Punkten b und c dieses Artikels angeführten Verrichtungen des Staatsanwaltes in einen Absatz zusammenzuziehen, und im Punkte c, 2. Zeile von unten, ist das Beiwort „unnötige“ vor „Verzögerungen“ als überflüssig wegzulassen, weil Verzögerungen schon an sich unnötig sind.
Art. 22. Die Punkte a, b, c dieses Artikels bezüglich der Führung der Voruntersuchung sind allgemeiner zu fassen, was sich der Justizminister zu tun vorbehalten hat. Die weiteren Punkte d, e, f würde der Minister des Inneren ganz weglassen und in alle die hier vorkommenden Details nicht eingehen. Der Justizminister und der Minister Ritter v. Baumgartner halten es für angemessen, das in diesem Artikel Vorkommende in allgemeiner Fassung zu sagen, weil es sich dermal nur um Grundlinien und um einen skizzierten Entwurf, nicht aber um ein fertiges Gesetz handelt, und die erwähnten Berufungen bei der definitiven Verfassung des Gesetzes von Nutzen sein können, sie auch dartun, daß man die berufenen Bestimmungen bei diesen Grundlinien nicht übersehen hat10.
Wien, am 9. Juni 1852. Gr[af] Buol.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Schönbrunn, 11. August 1853 11.