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Nr. 628a Votum des Ministers Grafen Thun über den Entwurf der Einrichtung und des Wirkungskreises der Bezirksämter, o. O., o. D. [Wien, 16. Februar 1852] (Beilage zu: MRP-1-2-05-0-18520216-P-0628.xml) - Retrodigitalisat (PDF)

  • Beilage zum MRProt. v. 16. 2. 1852/I; RS. (Kanzleischrift) von Thun signiert.

MRZ. – KZ. –

Der Entwurf wurde bisher nur in der Art der Beratung unterzogen, daß sich über den Inhalt der einzelnen Paragraphe ausgesprochen werden mußte. Es scheinen mir jedoch einige dem Entwurfe im allgemeinen zum Grunde liegende Ideen sowie der Weg, welcher durch dessen Genehmigung zur Durchführung der Bestimmungen des Ah. Patents vom 31. Dezember v. J. betreten würde, wesentlichen Bedenken zu unterliegen.

Bei den Beratungen hat sich vom ersten Beginn eine Verschiedenheit der Meinungen des Ministers des Inneren und des Justizministers in betreff der Frage geltend gemacht, in wie weit diese untersten lf. Behörden als politische und in wie weit sie als Gerichtsbehörden aufzufassen seien.

Die Gestalt, in welcher der Entwurf aus den Beratungen hervorging, ist das Ergebnis von teilweisen Konzessionen und von Majoritätsbeschlüssen, die sich bald der einen, bald der anderen Ansicht näherten. Damit wird nicht erreicht, was der Justizminister zum Behufe einer möglichst selbständigen und den Bestimmungen des bürgerlichen Gesetzbuches entsprechenden Gestaltung der Gerichtspflege anstrebte, ist aber gleichwohl diesem Streben genug nachgegeben, um, wenn auch nicht sogleich, so doch in nicht ferner Zeit die Administration in der untersten Sphäre ganz in die Hände von Gerichtsbeamten übergehen zu lassen, und dadurch auch in jenen Teilen des Reichs, in welchen es bisher noch nicht der Fall war, die durch die Institutionen des Jahre 1849 begonnene Zerstörung der alt-österreichischen Zustände unaufhaltbar zu vollenden.

Den Gegenstand des Meinungsstreites bildet wesentlich das sogenannte Richteramt außer Streitsachen samt der Grundbuchsführung, dem Friedensrichteramte und den Notariatsgeschäften.

Ehe entschieden wird, ob diese Angelegenheiten in den Bereich der Geschäfte von Gerichts- oder politischen Beamten gehören, dürfte in Erwägung zu ziehen sein, ob hinreichender Grund vorhanden sei, um sie überhaupt von lf. Beamten besorgen zu lassen.

Der vorliegende Entwurf gibt dem Wirkungskreise besoldeter Staatsbeamten eine Ausdehnung wie er sie noch niemals in einem großen Reiche gehabt hat. Die Notwendigkeit oder Zweckmäßigkeit einer solchen Einrichtung fühle ich mich gedrungen sowohl in administrativer als finanzieller Beziehung zu bestreiten.

1. In administrativer Beziehung:

Eine ähnliche Einrichtung wie die itzt beantragte hat vor dem Jahre 1848 im Küstenlande, Krain, Kärnten und Tirol bestanden – aber auch in diesen Ländern nicht durch natürliche Entwicklung der Verhältnisse, sondern als Folge des durch die französischen Kriege herbeigeführten Umsturzes der heimatlichen Zustände.

Sind durch die lf. Ämter in jenen Ländern in irgendeiner administrativen Beziehung günstigere Resultate erzielt worden als in Böhmen, Mähren, Österreich, wo die Geschäfte in der untersten Sphäre nicht von lf. Organen besorgt wurden? Was namentlich Grundbücher und Waisenkassen anbelangt, so verdient es besondere Beachtung, daß diese Institute, wo sie bestanden, nicht von der Regierung geschaffen worden sind. Sie sind ungezwungen entstanden und nur nachträglich durch Gesetze geregelt worden. Wo|| S. 559 PDF || sie nicht auf solche Weise entstanden, ist ihre Einführung durch die lf. Behörden nicht oder doch in weit unbefriedigenderer Weise bewirkt worden. Ja, es ließe sich hinsichtlich der Waisenkassen unwiderleglich nachweisen, daß der Einfluß der Behörden, insofern es sich dabei nicht bloß um Schutz und Überwachung handelte, der nützlichen Entwicklung mehr hinderlich als förderlich wurde. Sollten diese Erscheinungen nicht in der Natur der Dinge gegründet sein?

2. In finanzieller Beziehung:

Die Berechnung der Kosten der Bezirksämter, welche dem Ministerrate vorgelegt wurde, wies gegenüber dem Aufwande für die dermaligen Bezirkshauptmannschaften und Bezirksgerichten eine jährliche Ersparung von 2,280.000 f. nach. Der Ministerrat fand schon einige Änderungen in dem Besoldungsstatus notwendig, wodurch diese Ziffer bedeutend vermindert werden dürfte. Der Justizminister erklärt den Personalstatus für die Justizgeschäfte durchaus unzureichend. Auch im Vergleiche mit dem Personale gut eingerichteter Patrimonialämter scheint er sehr knapp bemessen zu sein. Es scheint daher sehr zweifelhaft, daß eine Ersparung werde erzielt werden können, ohne die Administration schlechter zu stellen, als sie vor dem Jahre 1848 gestaltet war. Die Bezirksämter, wie sie angetragen sind, werden alles zu besorgen haben, was den getrennten Ämtern und Gerichten gegenwärtig obliegt, ja, aus den Änderungen im Gemeindegesetze werden ihnen neue Geschäfte erwachsen. Eine Verminderung des Personals kann wohl nur durch die Abnahme eines Teiles der Geschäfte herbeigeführt werden, nicht durch die bloße Umstaltung der Ämter.

Im Gegenteile muß der Aufwand für Behörden, welche in der untersten Sphäre mit der Administration in der ganzen vorgeschlagenen Ausdehnung belastet sind, fortwährend steigen, denn die Geschäfte in dieser Sphäre müssen mit dem zunehmenden Verkehre sich unablässig mehren.

Welche Geschäftsvermehrung muß überdies nur aus den Personalangelegenheiten eines so ungeheuren Beamtentums erwachsen, wenn es einige Zeit lang in Wirksamkeit ist! Zumal bei den vielfachen, durch den Entwurf vorgesehenen Fällen, in welchen zwischen den Landesbehörden oder den Ministerien ein Einvernehmen hergestellt werden soll.

3. In politischer Beziehung:

Als mir im Jahre 1848 die Aufgabe wurde, der revolutionären Bewegung in Böhmen Einhalt zu tun, fand ich in den nicht lf. Behörden auf dem Lande den wirksamsten Beistand. Nicht bloß durch gehorsame Vollziehung erhaltener Weisungen, sondern aus eigenem Antriebe wirkten sie, sobald sie nur gewahr wurden, daß sie dabei wieder auf Unterstützung rechnen konnten, der Auflösung entgegen, in den Feinden der bestandenen Ordnung mit richtigem Gefühle ihre eigenen Feinde erkennend; und sie behaupteten siegreich ihre Posten, während die in den Landstädten von der Regierung angestellten Magistratsräte teils mit der Revolution fraternisierten, teils resignierten oder verjagt wurden, und selbst mancher Kreishauptmann mit den Vertretern des Zeitgeistes um ihn her und mit dem liberalen Ministerium in Wien liebäugelte oder wenigstens im Widerstande gegen die hereinbrechende Anarchie sich nur auf das beschränkte, was ihm geradezu befohlen wurde.

Es dürfte in der Natur der Sache liegen, daß die politische Stellung der Regierung eine ungleich günstigere ist, wenn sie nicht alle Geschäfte in der untersten Sphäre durch ihre|| S. 560 PDF || eigenen Organe besorgen läßt und daher nicht in jeder Beziehung die Verantwortung für den Erfolg auf sich nimmt, sondern sich, wo es angeht, darauf beschränkt, zu überwachen und Kritik zu üben, statt sich ihr überall preiszugeben.

Napoleon hat in Frankreich eine Beamtenregierung hergestellt, in ähnlicher Ausdehnung wie die, welche jetzt für Österreich beantragt wird, wenn auch nicht ganz in dem Maße, insofern die französische Gerichtsverwaltung die ausgedehnten und eingreifenden Agenda, die bei uns das adelige Richteramt genannt wird, nicht kennt. Diese Regierungsmaschine hat ihm und ebenso jedem seiner rechtmäßigen und nicht rechtmäßigen Nachfolger gedient, so lange sie im Glück waren, wie jede Maschine demjenigen dient, der sich in ihren Besitz zu setzen und sie zu handhaben weiß. Frankreich ist jetzt der Revolution müde, aber es scheinen keine Elemente mehr vorhanden zu sein, die Macht hätten, um den rechten Weg selbständig zu gehen. Seit Napoleon den Widerstand der Vendée gegen die Revolution erdrückt hat, ist unter dem Schutze der Beamtenregierung die bürgerliche Gesellschaft in Atome zerfallen, jeder organische Verband, die Bedingung legitimer Kraftentwicklung, ist aufgelöst, und das Staatsleben reduziert sich auf den Kampf, den die Regierung allenthalben allein und unmittelbar mit den revolutionären Elementen zu bestehen hat.

Ich bin demnach der Meinung, daß die große Ausdehnung des Wirkungskreises landesfürstlicher Behörden in administrativer Beziehung weder notwendig noch nutzbringend, und in finanzieller und politischer geradezu verderblich sei.

Nachdem aber die vor dem Jahre 1849 bestandenen untersten Behörden aufgelöst wurden und nicht wieder hergestellt werden können, so bleibt doch nichts übrig als die von ihnen besorgten Geschäfte überall von den lf. Beamten besorgen zu lassen. Für jetzt erübriget allerdings nichts anderes. Daraus folgt aber nicht, daß man diesen leidigen Zustand für einen bleibenden erklären und dessen Beibehaltung und Befestigung als das Ziel der neuen Organisation betrachten müsse. Das geschieht aber, wenn man die Durchführung des Ah. Patentes vom 31. Dezember v. J. damit beginnt, die Bezirksämter nicht nur ins Leben zu rufen, sondern ihnen sogleich eine definitive Einrichtung und neue Instruktionen so umfassender Art zu erteilen, daß dadurch jede berechtigte Selbsttätigkeit aller Klassen der Bevölkerung im Prinzipe ausgeschlossen ist und jeder Keim davon durch die Tätigkeit dieser Ämter erstickt werden muß.

Nach meinem Erachten sollte vielmehr bei den jetzt zu ergreifenden Maßregeln sogleich dahin gestrebt werden, brauchbare Elemente zu finden und in Wirksamkeit zu setzen, denen ein Teil der seit dem Jahre 1849 überall lf. Beamten obliegenden Geschäfte übertragen werden könne, und zwar nicht bloß zur Beratung, sondern mit der vollen Berechtigung zu beschließen und zu vollziehen, und mit der vollen nur daraus erwachsenden Verantwortlichkeit. Zu dem Ende müßte vor allem unterschieden werden zwischen Stadt und Land, eine Unterscheidung, die fortwährend im Auge zu behalten mir dringend notwendig scheint, wenn nicht das Verderbnis der städtischen Zustände sich baldigst über das Land verbreiten soll.

Was die Städte anbelangt, so wird kaum ein Anstand obwalten, sie überall ziemlich gleich zu behandeln.

Die Verhältnisse auf dem Lande sind aber in den verschiedenen Kronländern sehr verschieden; es dürfte daher unerläßlich sein, für jedes Kronland abgesondert zu erwägen, was da zu tun sei.|| S. 561 PDF ||

Für Ungarn geschieht es bereits. Worin sollte die Notwendigkeit begründet sein, alle anderen Kronländer gleichmäßig zu behandeln?

In den Ländern, in welchen es sich um die Ausscheidung des großen Grundbesitzes aus dem Gemeindeverbande handelt, wäre damit sogleich vorzugehen, weil erst dadurch die Verhältnisse auf dem Lande sich wieder ihrer Natur gemäß gestalten, abgesehen von dem Umstande, daß auch nur dadurch widerrechtlichem Eingreifen in das Eigentum Einhalt geschehen kann.

Insofern inzwischen schon die Bezirksämter eingesetzt werden müssen, beschränke man sogleich die Gerichtsbeamten auf die eigentlichen Geschäfte der Straf- und Ziviljustiz; alles Übrige falle für so lange, als noch keine anderen Organe vorhanden sind, den politischen Beamten zu. Der Scheidung der Geschäfte in Zivilangelegenheiten werde das Hofdekret vom 21. August 1788 zugrunde gelegt, welches den gegenseitigen Wirkungskreis der Ortsgerichte und Wirtschaftsämter in einer Weise normierte, die sich durch 60 J ahre als zweckmäßig erwiesen hat. Mit jedem Bezirksamte sei also ein Bezirksgericht verbunden, als eigene, aber nicht materiell getrennte Behörde, sondern so, daß der Bezirksrichter seine Funktionen bei einem oder mehreren Bezirksämtern, unterstützt von ihrem subalternen Personale, übe, wie der Justiziär sie bei den Wirtschaftsämtern übte.

Damit würden sich all die Schwierigkeiten lösen, die sich bei der Beratung des vorliegenden Entwurfes in Beziehung auf die Stellung der Justiz- und der politischen Beamten ergeben haben, alles weitwendige Einvernehmen der vorgesetzten Behörden bei Anstellung, in Disziplinarfällen u. d. m., ferner die auffallende Anordnung, daß der Bezirkshauptmann zweiter Klasse bei geringerem Range und Gehalte eine größere Vorbildung als der Bezirkshauptmann erster Klasse auszuweisen habe, würde entfallen und die ganze Einrichtung eine viel einfachere werden.