Nr. 515 Ministerrat, Wien, 20. Juni 1851 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Marherr; VS.Vorsitz Schwarzenberg; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Schwarzenberg 21. 6.), P. Krauß 25. 6., Bach 21. 6., Thinnfeld 21. 6., Thun, Csorich, K. Krauß, Baumgartner 25. 6.; abw.abwesend Stadion, Kulmer.
MRZ. – KZ. 2005 –
- I. Funktionszulage für den Militärgouverneur von Wien
- II. Zulage für die Gendarmerieinspektionspraktikanten
- III. Gnadengabe für Ignaz Lozerth
- IV. Verdienstkreuz für Jakob Wenig und Asafat Choncen
- V. Nachtragsforderung des Bauunternehmers Felice Tallacchini
- VI. Berufung der griechischen Bischöfe in der Athanaczkovicz’schen Sache
- VII. Außerordentliche Klostervisitatoren
Protokoll der Sitzung des Ministerrates, gehalten zu Wien am 20. Junius 1851 unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, Ministers des Äußern und des Hauses FML. Fürsten v. Schwarzenberg.
I. Funktionszulage für den Militärgouverneur von Wien
Der Minister des Inneren beantragte für den zum Militärgouverneur von Wien ernannten Gendarmerieinspektor FML. v. Kempen eine Funktionszulage von jährlichen 6000 f. auf die Dauer seines Gouvernements in der Rücksicht, weil FML. v. Kempen in dieser Eigenschaft zu mehreren Repräsentationsauslagen genötigt ist, außer seiner Feldmarschalleutnantsgage und einer Funktionszulage von 2000 f. als Gendarmerieinspektor nichts bezieht und sein Vorgänger eine Funktionszulage von 8000 f., im ganzen 18.000 f. genossen hat1.
Da der Ministerrat mit diesem Antrage einverstanden war, so wird der Minister des Inneren hierwegen Vortrag an Se. Majestät erstatten2.
II. Zulage für die Gendarmerieinspektionspraktikanten
Zur Ausgleichung einer in Bezug auf den Personalstatus der Gendarmerieinspektion obwaltenden Differenz zwischen dem Minister des Inneren, welcher für die Kanzleipraktikanten dieser Inspektion ein Adjutum von 300 f. beansprucht, und dem Finanzminister, welcher nur 200 f. bemessen will, weil es nirgends Kanzleipraktikanten mit 300 f. Adjutum gibt, ward sich zwischen den beiden Ministern dahin geeiniget, für diese Beamtenkategorie einen anderen Titel, etwa „Kanzleiassistenten der Gendarmerieinspektion“ anzunehmen und dieselben mit 300 f. zu dotieren, nachdem der Gendarmerieinspektor die Besorgnis ausgesprochen hat, um einen gar so geringen Lohn verlässliche Leute, wie er sie benötigt, nicht finden zu können3.
III. Gnadengabe für Ignaz Lozerth
Eine andere Differenz in Betreff der Beteilung des gewesenen Vorspannskommissärs im Agramer Komitate Ignaz Lozerth mit einer Gnadengabe (von 200 f. nach dem Einraten des Ministers des Inneren und 100 f. nach jenem des Finanzministeriums) ward || S. 42 PDF || dadurch behoben, daß sich beide Minister in dem Betrage von 150 f. jährlich vereinigten, welcher mit Zustimmung des Ministerrats von der Ah. Gnade Sr. Majestät zu erbitten sein wird4.
IV. Verdienstkreuz für Jakob Wenig und Asafat Choncen
Gegen den Antrag des Ministers des Inneren auf Erwirkung des silbernen Verdienstkreuzes an Jakob Wenig und an den Gendarm Asafat Choncen, dann der Ah. Zufriedenheitsbezeigung für mehrere andere, welche sich gleich jenen um die Rettung von Menschenleben aus Wassernot verdient gemacht haben, fand der Ministerrat nichts zu erinnern5.
V. Nachtragsforderung des Bauunternehmers Felice Tallacchini
Der Minister für Handel und öffentliche Bauten referierte über die nachträglichen Vergütungsansprüche des Bauunternehmers Tallacchini für die bei dem Eisenbahnbau von Trübau bis Brünn, dann von Mürzzuschlag bis Cilli ausgeführten Arbeiten. Er hatte dieselben kontraktmäßig um elf Millionen Gulden zu leisten. Nachträgliche Abweichungen von dem ursprünglichen Plane, nicht vorausgesehene Terrainschwierigkeiten etc. haben aber bedeutende Nacharbeiten nötig gemacht, für welche Tallacchini im ganzen über zwei Millionen Gulden anspricht. Nach den von der Baudirektion geführten gleichzeitigen Aufschreibungen berechnen sich diese Nacharbeiten mit 1,700.000 f., welche vom Rechnungsdepartement des Ministeriums auf 677.000 f. ermäßigt, von der zur Prüfung der Arbeiten selbst an Ort und Stell’ entsandten Kollaudierungskommission mit 844.500 f., von der Generaldirektion endlich nach abermaliger Prüfung mit 901.291 f. angesetzt worden sind. Die Durchschnittsziffer dieser fünf Ansätze berechnet sich mit 807.000 f. und weicht nur wenig von derjenigen Summe ab, welche sich mit 803.000 f. aus der Kombinierung derjenigen einzelnen Posten ergab, in denen die Berechnungen der prüfenden Kommissionen übereinstimmen und die vom vorigen Minister, Freiherrn v. Bruck, aus den verschiedenen Ansätzen ermittelt worden sind6.
In der Überzeugung, daß das Eingehen in einen Rechtsstreit mit Tallacchini nicht zu raten wäre, hat Baron Bruck den Antrag zu einem Übereinkommen mit Tallacchini beabsichtigt, wornach ihm 863.000 f. (nach Abrechung verschiedener Ersätze etc.) nachträglich passiert werden, über einen weiteren Betrag von 469.000 f. aber ein aus drei Advokaten (einer von der Partei, einer von der Regierung und der dritte von jenen beiden zu wählen) bestehendes Schiedsgericht entscheiden soll7.
Ob und inwiefern nun in dieses Projekt des abgetretenen Handelsministers einzugehen sei, stellte der gegenwärtige Minister dem Ermessen des Ministerrats anheim, zu welchem Ende er vorläufig die Verhandlung an den Finanz- und Justizminister zur näheren Erwägung aller Verhältnisse leiten wird.|| S. 43 PDF ||
Der Finanzminister erklärte übrigens schon dermal, daß [er] die Zweckmäßigkeit des Vorschlags bezweifle, da Schiedsgerichte der Erfahrung zufolge immer geneigt sind, gegen das Ärar zu sprechen. Er würde vorziehen, mit Tallacchini über die ganze Forderung zu unterhandeln; lässt er sich zu einer Abfindung herbei, so ist die Sache auf einmal abgetan; wenn nicht, so mög’ er den Rechtsweg ergreifen8.
VI. Berufung der griechischen Bischöfe in der Athanaczkovicz’schen Sache
Um mit der Angelegenheit des Bischofs Athanaczkovicz zu Ende zu kommen, welche bisher an der beharrlichen Weigerung des Patriarchen Rajačić, demselben die kanonische Investitur zu erteilen, scheiterte, gedenkt der Kultusminister mit Zustimmung des Ministerrats bei der nunmehr schon bevorstehenden Abreise des Patriarchen und der anderen griechischen Bischöfe diese letzteren zu sich zu entbieten und sie dahin zu bestimmen, daß sie selbst die Vornahme der Athanaczkovicz’schen Angelegenheit in einer Synode von dem Patriarchen verlangen9. Geht dieser darauf ein, so hofft Graf Thun, daß die Mehrheit der Bischöfe im Sinne der Regierung stimme und die von Rajačić fortan verweigerte Ausfolgung der Bullen sowie das Verlangen der Abbitte wegen Annahme eines ungesetzlich verliehenen Bistums von Seite Athanaczkoviczs verwerfen werde. Hiermit wäre dann die Sache vollkommen abgetan, indem erkannt wäre, daß gegen Athanaczkoviczs Installierung kanonischerseits kein Anstand obwalte. Mißlänge der Versuch, so wäre die Regierung wenigstens nicht schlimmer daran als dermalen, und es blieben noch immer Mittel übrig, den Patriarchen zur Nachgiebigkeit zu stimmen10.
VII. Außerordentliche Klostervisitatoren
In Betreff der Angelegenheit wegen Aufstellung außerordentlicher Klostervisitatoren hat der Kultusminister, dem Ministerratsbeschlusse vom 6. d. M. sub Nr. VI gemäß, den|| S. 44 PDF || Text des Consilii Tridentini mitgebracht und daraus die Stelle aus Sessio 25. Cap. 11 vorgelesen, welche seines Erachtens unzweifelhaft für seine Behauptung spricht, daß das Visitationsrecht der Bischöfe bezüglich der Klöster nur auf die Ausübung der Seelsorge durch dieselben sich erstreckt.
Dagegen wurden vom Minister des Inneren die Stellen aus Sessio 24 Cap. 11, Sessio 5 Cap. 2, Sessio 25 Cap. 8 und 12 vorgelesen, welche nach dem Erachten sowohl dieses Ministers als auch der Minister der Finanzen und der Justiz den Bischöfen und insonderheit den Metropoliten als Delegierten des römischen Stuhles das Recht der Klosterinspektion und Visitation unbedingt einräumen.
Der Kultusminister vermöchte dies zwar nicht für ausgemacht erkennen; aber selbst wenn es wäre, würde es nicht entscheidend sein, weil es sich hier um eine neue, nirgends vorgesehene Befugnis eines Bischofs, auch außerhalb seines Sprengels Klöster eines Ordens zu visitieren, handelt, welche von den Bischöfen in Rom verlangt werden will und wozu vielleicht bereits die Schritte gemacht worden sind. Zum Beweise aber, wie notwendig zur gründlichen Reform der Orden die in Rede stehende Maßregel sei, führte Graf Thun außer den früher schon geltend gemachten Gründen auch eine Stelle aus einem Votum des ehemaligen Staatsrates v. Jüstel an, worin bemerkt wird, wie die Versuche des Bischofs zu Reformen im Klosterwesen durch den Provinzial des Ordens in der Art vereitelt werden können, daß derselbe die beanständeten Ordenspersonen in andere, der Jurisdiktion des Bischofs nicht unterstehende Ordenshäuser versetzt11.
Nachdem der Minister des Inneren in einem längeren Vortrage sich über die historische Entwicklung der verschiedenen Orden und deren Verhältnis zu den Ordensgeneralen und Bischöfen verbreitet hatte und auf die bereits in der Sitzung vom 6. d. [M.] vorgebrachten Momente gegen die Notwendigkeit der Bestellung solcher außerordentlicher Visitatoren zurückgekommen war, brachte er noch das Bedenken gegen die Kompetenz der Bischöfe, ein solches Begehren zu stellen, vor. Seiner Meinung nach könnte ein solches Begehren nur in einer förmlichen Synode und mit Zuziehung der Prälaten selbst gestellt werden. Die Versammlung der Bischöfe in Wien aber hatte den Charakter der Synode nicht.
Insofern weiters seiner Ansicht nach das Recht der Bischöfe als Delegierte des Papstes zur Visitation der Klöster nach den Satzungen des Tridentinischen Conciliums besteht, mithin in asketisch-kanonischer Hinsicht von Seite der Bischöfe alles Nötige zur Reform eines Klosters getan werden kann, während, wie schon in der Sitzung vom 6. d. [M.] erwähnt, in Beziehung auf Unterricht, politische Haltung und Vermögensgebarung die nötigen Reformen von der Regierung ausgehen müssen, erscheint die Forderung außerordentlicher Vollmachten umso entbehrlicher, als, wie der Finanzminister hervorhob, den Metropoliten, deren Sprengel sich über mehrere bischöfliche Diözesen erstreckt, das Klostervisitationsrecht zusteht, mithin hiermit auch dem vom Kultusminister erhobenen Einwande wegen der in mehreren Diözesen ausgebreiteten Orden begegnet ist. Endlich fände der Minister des Inneren überhaupt schon das Zugeständnis einer Ingerenz des|| S. 45 PDF || römischen Stuhls in dieser Sache im Prinzip bedenklich, weil dasselbe unvermeidlich zu Konsequenzen führt und es leicht dahin kommen kann, das dermal unbeanständete Recht der Krone bezüglich der Bestätigunga der Ordensoberen in andere Hände übergehen zu lassen.
Nachdem indessen die Hauptfrage, ob überhaupt den Bischöfen nach kanonischem Rechte das Klostervisitationsrecht in der vom Minister des Inneren angenommenen Ausdehnung zukomme, aus den vorgebrachten Zitaten nicht mit voller Bestimmtheit entschieden werden kann, der Ministerrat auch zur Erörterung und Entscheidung derselben weder geeignet noch berufen ist, so ward über Antrag des Ministers des Inneren vom Ministerpräsidenten der Kultusminister eingeladen, bdem Ministerrate eine gründliche Zusammenstellung der Bestimmungen des Tridentinischen Konzils über den den Bischöfen auf die Klöster und geistlichen Orden zustehenden Einfluß vorzulegenb .12
Wien, am 21. Juni 1851. Schwarzenberg.
Ah. E. Ich nehme den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis. Franz Joseph. Schönbrunn, 26. Juni 1851.