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Vorwort - Retrodigitalisat (PDF)

Am 19. Oktober 1850 empfing Kaiser Franz Joseph den kurz davor aus Frankfurt zurückgekehrten Carl Friedrich Freiherrn Kübeck v. Kübau in Audienz und trug ihm auf, den Entwurf eines Statuts für einen zu errichtenden Reichsrat auszuarbeiten. Kübeck, der wenige Tage später seinen 70. Geburtstag beging, war genau ein halbes Jahrhundert im Staatsdienst, hatte in höchst einflußreichen Positionen unter den Kaisern Franz und Ferdinand gedient und für seine Epoche durchaus zukunftsweisende Projekte initiiert. Jetzt aber wurde er für den jungen Kaiser zum wendigen und zähen Helfer bei der Erreichung des Ziels, den „revolutionären Schutt“ wegzuräumen und einen neuen Absolutismus einzuführen. Er wurde zum zunächst heimlichen, dann offenen Widerpart des machtbewußten Ministerpräsidenten Fürst Felix Schwarzenberg und seines zwar ebenfalls machtbewußten, aber überwiegend doch auch konstitutionell gesinnten Ministeriums mit so klingenden Namen wie Alexander Bach, Karl Ludwig v. Bruck, Anton v. Schmerling. Man feilschte scheinbar nur um einzelne Wörter, in Wirklichkeit ging es um Strukturen und um Macht. Wem sollte das (vor)letzte Wort zukommen, dem nur dem Kaiser verantwortlichen beratenden „Reichsrat“ oder dem „Ministerrat“, der nicht nur dem Kaiser, sondern auch dem „Reichstag“ der Märzverfassung verantwortlich war? Das Ringen zog sich monatelang hin. Schließlich gewann Kübeck, mit dem Kaiser im Hintergrund, die Oberhand. Am 13. April 1851 wurde der (Kübecksche) Reichsrat errichtet. Damit war der Weg eingeschlagen, der zur Aufhebung der Verfassung und zur Wiedererrichtung des Absolutismus am 31. Dezember 1851 durch die sogenannten Silvesterpatente führte. Die Ministerratsprotokolle des vorliegenden Bandes dokumentieren ausführlich den ersten Akt dieses Kampfes bis zur Errichtung des Reichsrates. Der zweite Akt, die Aufhebung der Verfassung, ist Thema des nächsten, des fünften und letzten Bandes des Ministeriums Schwarzenberg. Der dritte Akt, die vollständige Entmachtung des Ministerrates, ermöglicht durch den überraschenden Tod Schwarzenbergs am 5. April 1852, ist in den bereits publizierten Protokollen des Ministeriums Buol-Schauenstein dokumentiert.

Thomas Kletečka hat in der Einleitung zu Recht den Schwerpunkt auf das zentrale Thema dieses Bandes gelegt, das Ringen um die Errichtung des Reichsrates. Es war auch notwendig, zurückzugreifen und die Vorgeschichte vom Vormärz und vom März 1848 herauf zu erzählen, zu wichtig wurde dieses Gremium für fast ein ganzes Jahrzehnt. Einleitung und Protokolle bieten also die genaue Entstehungsgeschichte dieses einflußreichsten Gremiums des Neoabsolutismus. Durchaus im Zusammenhang damit steht das Ausscheiden zweier starker Minister, Schmerling und Bruck, die sich mit der neuen Richtung nicht anfreunden wollten.

Diese Vorgänge hinderten die Regierung aber nicht, den seit Anbeginn beschrittenen Weg der Reformen in Gesetzgebung und Verwaltung im Sinne einer „Revolution von oben“ weiterzugehen. Die Arbeitsleistung der Zentralverwaltung dieser Monate und Jahre ist beeindruckend. Die zwei dicken Bände des Reichsgesetzblattes von 1850 enthalten 497 Gesetze und Verordnungen. Für viele Materien wurden neue Gesetzestexte formuliert, die den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen Rechnung trugen und den vormärzlichen Reformstau abbauten. Natürlich entfernten sich die inhaltlichen Lösungen mit dem Erstarken des Neoabsolutismus vom Gedankengut der liberalen Revolutionszeit, wie beim Pressegesetz oder in Einzelheiten des Strafgesetzes. Dennoch haben viele Gesetze und Verordnungen, die in dieser Zeit zustande kamen, oft sehr lang, jahrzehntelang gegolten. Der vorliegende Band enthält z. B. viele Sitzungen zum Forstgesetz, zum Strafgesetz, zum Waffengesetz, zum Einquartierungsgesetz usw. Immer wieder staunt man auch, wie tief hinein in alltags- und sozialgeschichtliche Themen die Beratungen der Minister reichten, wenn über die Kartoffelteuerung, die Schneeschauflung, die Liberalisierung des Personentransportes oder die Aufhebung des Judengeleitzolles in Galizien gesprochen wird. Hierher gehören auch die vielen Personalia, von Auszeichnungen und Standeserhebungen über besondere Bitten von Untertanen bis hin zu den vom obersten Gerichtshof beantragten Todesstrafen und zur Überführung des Leichnams eines Bischofs.

Auch von Außenpolitik ist in diesem Band die Rede. Im Herbst 1850 war man von einem österreichisch-preußischen Waffengang nicht allzuweit entfernt. Der Krieg wurde doch abgeblasen, und man einigte sich in einem zwischen Schwarzenberg und dem preußischen Ministerpräsidenten Friedrich Wilhelm Graf v. Brandenburg persönlich ausgehandelten Kompromiß, den „Olmützer Punktationen“, darauf, die Reform des Deutschen Bundes im Verhandlungsweg zu versuchen. Schwarzenberg berichtete dem Ministerrat immer wieder über die Wendungen in der deutschen Frage.

Der vorliegende Band wurde so wie die Bände 2 und 3 in kollegialer Zusammenarbeit zwischen Thomas Kletečka und Anatol Schmied-Kowarzik begonnen, allerdings ist Schmied-Kowarzik – im Rahmen eines FWF-Projektes – zur Bearbeitung eines Bandes der Protokolle des gemeinsamen Ministerrates gewechselt, sodaß die Hauptlast und die Fertigstellung bei Thomas Kletečka lagen. Dieser Band ist der zweite, der im Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften erscheint, nachdem der Österreichische Bundesverlag (Österreichischer Bundesverlag Schulbuch GmbH & KG) 2008 dem Akademieverlag die Herausgeberrechte abgetreten hat. Herausgeber und Wissenschaftlicher Beirat für die Serie der Österreichischen Ministerratsprotokolle in der Nachfolge des bisherigen Gemeinsamen Wissenschaftlichen Beirates ist die Kommission für die Geschichte der Habsburgermonarchie.

Es sei hier der Verwaltungsstelle der philosophisch-historischen Klasse unter der Leitung von Aktuar Mag. Lisbeth Triska, insbesondere den für die Buchproduktion zuständigen Herren Hannes Weinberger und Gerald Reisenbauer sowie dem Verlagsleiter Mag. Herwig Stöger für die verständnisvolle, unkomplizierte und kompetente Übernahme und Produktion der Ministerratsprotokolle herzlich gedankt. Der Dank gilt auch wie immer dem Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung in Österreich und dem Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung für die Bereitstellung der Personalkosten, dem Generaldirektor des Österreichischen Staatsarchivs Hon. Prof. Dr. Lorenz Mikoletzky, den Direktoren des Haus-, Hof- und Staatsarchivs Hofrat Hon. Prof. Dr. Leopold Auer und Mag. Thomas Just, sowie den Leitern und MitarbeiterInnen der Abteilungen des Österreichischen Staatsarchivs für die Unterstützung der Edition, und nicht zuletzt unseren Partnern vom Institut für Geschichte der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, die bei Archivaufenthalten in Budapest mit Rat und Tat zur Seite standen, insbesondere Dr. Imre Ress, der das Manuskript dieses Bandes begutachtet hat. Ress betont in seinem Gutachten, wie tief die Einblicke sind, die die veröffentlichten Protokolle in die verwickelten Details des politischen Umwandlungsprozesses vom Konstitutionalismus als Erbe der Revolution zur Wiedererrichtung des Absolutismus bieten. Dadurch werde die Revidierung von verfestigten nationalgeschichtlichen Sichtweisen begünstigt.

Wien, im August 2010