Nr. 327 Ministerrat, Wien, 23. April 1850 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Marherr; VS.Vorsitz Schwarzenberg; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Schwarzenberg 24. 4.), Krauß 26. 4., Bach 24. 4., Bruck, Thinnfeld 24. 4., Thun, Kulmer 24. 4., Degenfeld; abw.abwesend Gyulai, Schmerling, Stadion.
MRZ. 1617 – KZ. 1399 –
- I. Plan zur Entführung der Kinder Ludwig Kossuths
- II. Suspension des Jitschiner Gymnasialkatecheten Jan Maria Sidon
- III. Errichtung eines griechische-unierten Bistums in Stanisławów
- IV. Herabsetzung der Elbezölle
- V. Aufnahme politischer Flüchtlinge auf den Schiffen des Lloyd
- VI. Zurückstellung der Briglevichschen Papiere
- VII. Urbarialfrage in Siebenbürgen
Protokoll der Sitzung des Ministerrates gehalten zu Wien am 23. April 1850 unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, Ministers des Äußern und des Hauses FML. Fürsten v. Schwarzenberg.
I. Plan zur Entführung der Kinder Ludwig Kossuths
Der Ministerpräsident teilte den Inhalt eines Berichts aus Schumla vom 4. d. [M.] mit, wornach die Witwe eines gewissen Waagner den Plan gefaßt hat, die Kinder Kossuths aus Ungarn zu ihren Eltern zu entführen1.
Der Minister des Inneren , schon früher durch erhaltene Nachrichten von diesem Vorhaben unterrichtet, hat bereits die erforderlichen Verfügungen an die Grenzbehörden ergehen lassen, um diese Person, wenn sie kommen sollte, anzuhalten2.
II. Suspension des Jitschiner Gymnasialkatecheten Jan Maria Sidon
Der Unterrichtsminister zeigte an, daß aer den ehemaligen Reichstagsabgeordneten Sidon von seinem Amte als Katechet am Gymnasium zu Jitschin suspendiert habe, nachdem ein Bericht über ein von ihm eingebrachtes Gesuch um eine Auszeichnung sein Wirken als Lehrer als ein unverantwortliches darstelle, weshalb gegen denselben eine Disziplinaruntersuchung eingeleitet werdea .3
III. Errichtung eines griechische-unierten Bistums in Stanisławów
Nachdem der Ministerrat bereits früher seine Geneigtheit zu erkennen gegeben hat, für die Errichtung eines neuen griechisch-unierten Bistums in Galizien zu stimmen, so glaubte der Kultusminister aus Anlaß des nun wirklich erfolgten bestimmten Einschreitens darum von Seite des Metropoliten diesen Antrag wieder aufnehmen und Stanisławów zum Sitze des neuen Bistums vorschlagen zu sollen4.
Mit Zustimmung des Finanzministers, vorbehaltlich der über die Dotation etc. noch zu pflegenden Verhandlungen, wird der Kultusminister in Gemäßheit der Beistimmung der übrigen Glieder des Ministerrates den Vortrag hierwegen an Se. Majestät erstatten5.
IV. Herabsetzung der Elbezölle
Der Handelsminister eröffnete, daß die königlich sächsische Regierung die Herabsetzung der hohen Elbezölle, bwelche von der sächsischen und preußischen Regierung ihren eigenen Schiffern zum größten Teile rückvergütet werden,b in Anregung gebracht habe, wogegen von Seite Hamburgs die Einberufung einer Kommission zur Unterhandlung über die gänzliche Abschaffung dieser Gebühren in Antrag gekommen ist6. Der Handelsminister, welcher hierwegen vorläufig mit dem Finanzminister Rücksprache gepflogen hat, war einstimmig mit dem letzteren der Meinung, daß ohne die Kommission zu berufen Österreich sogleich seinen Beitritt zu dem auch von Preußen angenommenen Vorschlage Sachsens aussprechen möge, und behielt sich vor, hierüber mit Zustimmung des Ministerrates den Vortrag an Se. Majestät zu erstatten7.
V. Aufnahme politischer Flüchtlinge auf den Schiffen des Lloyd
Über die vom Ministerium des Äußern an den Minister des Inneren gelangte Mitteilung der k.k. Gesandtschaft in Athen, daß ungrische und italienische Flüchtlinge|| S. 324 PDF || daselbst auf Schiffen des österreichischen Lloyd ankommen und dort geduldet werden, ergab sich die Frage, ob hierwegen etwas an die Direktion des Lloyd zu erlassen sei8.
Da diese Leute mit fremden Pässen versehen sind und nicht unmittelbar aus k.k. Provinzen kommend auf den genannten Schiffen aufgenommen werden, so wäre es nach dem Erachten des Ministers des Inneren sowie des Handelsministers nicht möglich, der Gesellschaft des Lloyd ohne den empfindlichsten Nachteil für ihre Interessen die Aufnahme solcher Leute auf ihren Schiffen zu untersagen9.
VI. Zurückstellung der Briglevichschen Papiere
Der Minister des Inneren hat die Papiere, welche dem im Jahre 1848 aus Kroatien verbannten Magyaronen Briglevich10 bei der ersten Besetzung Ofens durch die k.k. Truppen abgenommen worden sind, genau untersucht und trägt nun, nachdem der wider die sogenannten Magyaronen verhängte Personalbann und Gütersequester infolge Ministerratsbeschlusses vom 30. Jänner 1850 V. aufgehoben worden ist, Briglevich auch über sein Verhalten während der ungrischen Rebellion sich gerechtfertigt hat, auf die Zurückstellung dieser Papiere an deren Eigentümer an, da dieselben, wenngleich die darunter befindliche Korrespondenz mit seiner Gattin eine sehr exaltierte, magyarenfreundliche Gesinnung verrät, doch nichts enthalten, was deren längere Bewahrung von Seite der Regierung erforderlich machen würde.
Man fand hiergegen nichts zu erinnern11.
VII. Urbarialfrage in Siebenbürgen
Der Minister des Inneren besprach sofort in einem längeren Vortrage die Urbarialfrage in Siebenbürgen12.
Der Umstand, daß die Urbarialverhältnisse in Siebenbürgen infolge besonderer Verhältnisse einer vollkommen ausreichenden gesetzlichen Regelung entbehren und durch die Ereignisse des Jahres 1848 auch der Besitzstand wesentlich beirrt worden ist, hat den Zivil- und Militärgouverneur Baron Wohlgemuth veranlaßt, eine Verfügung hierwegen hinauszugeben, welche die Aufhebung der Untertänigkeit anerkennt, das Verhältnis der Kurialisten einstweilen in der bisherigen Art beläßt, bezüglich der sogenannten jura minora in einer dem faktischen und Rechtsbestande nicht entsprechenden Auffassung entscheidet, endlich die Art und Weise festsetzt, wie Streitigkeiten zwischen Untertanen und Herrschaften auszutragen seien13.
Der Minister gedenkt hierüber 1. dem Baron Wohlgemuth zu bedeuten, daß seine Verfügung jedenfalls nur als ein Provisorium gelten könne, 2. ihn aufmerksam zu machen,|| S. 325 PDF || daß selbe bezüglich der jura minora auf einer unrichtigen Auffassung beruhe, daher in diesem Punkte nach dem zu Rechte Bestehenden zu modifizieren sei, 3. die Urbarialfrage selbst in einem aus Urbarialberechtigten und Verpflichteten des Landes zusammengesetzten Komitee allenfalls unter Leitung des Grafen Nádasdy in ordentliche Verhandlung nehmen zu lassen, endlich 4. wegen Erteilung von Vorschüssen an die Urbarialbezugsberechtigten à conto ihrer Entschädigung nach vorläufiger Vernehmung des Gouverneurs die erforderliche spezielle Rücksprache mit dem Finanzminister zu pflegen14.
Wien, am 24. April 1850. Schwarzenberg.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 27. April 1850.