Nr. 70 Ministerrat, Wien, 16. Mai 1849 - Retrodigitalisat (PDF)
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Wacek; VS.Vorsitz Schwarzenberg; anw.anwesend Krauß, Bach, Cordon, Thinnfeld, Kulmer; BdE.Bestätigung der Einsicht (Schwarzenberg 16. 5.), Krauß 17. 5., Bach 17. 5., Cordon 17. 5., Thinnfeld, Kulmer 17. 5.; abw.abwesend Stadion, Bruck.
MRZ. 1518 – KZ. 1329 –
Protokoll der am 16. Mai 1849 in Wien abgehaltenen Ministerratssitzung unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, dann Ministers des Auswärtigen und des Hauses Fürsten Felix Schwarzenberg.
I. Proklamation an die Völker Ungarns
Der Ministerpräsident eröffnete die Sitzung mit Vorlesung eines Schreibens des FZM. Freiherrn v. Welden, worin er die Erlassung einer Proklamation an die Völker Ungarns unter den gegenwärtigen Umständen als notwendig schildert. Auch wäre eine Amnestie für die zur kaiserlichen Fahne zurückkehrenden Truppen zu erlassen und die Frage der Erwägung zu unterziehen, in welcher nachsichtsweisen Form die Offiziere zum Übertritte zu veranlassen wären1.
Hierüber wurde bemerkt, daß aus Anlaß des Einmarsches der russischen Truppen in Ungarn ohnedies eine Proklamation erlassen werde, und daß eine Amnestie auszusprechen, es gegenwärtig nicht an der Zeit sei. Wenn wir einen günstigen Schlag geführt haben und vorgerückt sein werden, dann könne von einer Amnestie die Rede sein. Jetzt wäre sie ein Akt der Schwäche und fände keinen Glauben, daher man jetzt nur den Krieg fortführen könne.
Der Kriegsminister FML. Freiherr v. Cordon wird über diese Zuschrift, wovon auch ihm ein Pare zugekommen, dem FZM. Freiherrn v. Welden nach dem Beschlusse des Ministerrates antworten, daß eine Proklamation gegenwärtig ohnedies erlassen werde, und daß über die anderen Punkte seinerzeit das weitere folgen werde2.
II. Antrag auf Bewilligung einer Amnestie
Mit Beziehung auf die soeben erwähnte Proklamation bemerkte der Minister Baron v. Kulmer , daß eine Berufung darin auf die früheren bezüglichen Patente sehr zweckmäßig wäre. Die Art dieser Berufung wird Baron Kulmer mit Zustimmung des Ministerrates hierorts andeuten und dem FZM. Baron Jellačića schreiben, daß er sie in die zu Esseg zu druckende Proklamation aufnehmen lasse3.
III. Trinkwasserquelle in Ofen
Der Minister Baron Kulmer bemerkte weiter, daß er in Erfahrung gebracht habe, im Kircherschen Hause in Ofen befinde sich eine ergiebige Quelle trinkbaren Wassers, welcher Umstand umso wichtiger sei, als die die Festung Ofen belagernden Rebellen der Besatzung das Trinkwasser abzuschneiden den Vorsatz haben sollen. Freiherr v. Kulmer habe jemanden, der gegen ein Entgelt dem Kommandierenden in Ofen davon Nachricht geben würde.
Gegen eine diesfällige entgeltliche Einleitung fand der Ministerrat nichts zu erinnern.
IV. Polizeidirektorsstelle in Krakau
Der Justizminister Dr. Bach erwähnte in Vertretung des Ministers des Inneren einer aus Krakau erhaltenen Nachricht, nach welcher die Russen die Absicht haben sollen, zur Besorgung der Polizeigeschäfte ihren eigenen Polizeimeister daselbst aufzustellen4. Da dieses nicht wohl angehe und um rücksichtlich der Polizeigeschäfte in Krakau eine entsprechende Vorsorge zu treffen, wird der Justizminister mit Zustimmung des Ministerrates den gegenwärtigen Polizeidirektor in Grätz, Anton Freiherr v. Päumann, welcher in Galizien und namentlich in Krakau früher entsprechend gedient hat, dahin und an seine Stelle nach Gratz den Polizeidirektor Sacher absenden und das diesfalls Nötige sogleich verfügen5.
V. Nachrichten aus Prag
Derselbe Minister teilte dem Ministerrate eine soeben angekommene telegraphische Depesche von Prag zwei Uhr nachmittags mit, nach welcher in Prag die Ruhe nicht gestört wurde und vom Lande und den Grenzgegenden keine beunruhigenden Gerüchte vorgekommen sind6.
VI. Organisierung des Gerichtswesens
Schließlich las der Justizminister Dr. Bach einen an Se. Majestät zu erstattenden und in Druck zu legenden au. Vortrag über die Organisierung des Gerichtswesens vor7. Diesem Vortrage sind nebst anderen Ausweisen die Grundzüge oder die Grundlinien beigeschlossen, nach welchen diese Gerichtsorganisierung vorgenommen werden soll. Gegenwärtig sollen noch keine definitiven Bestimmungen darüber getroffen, sondern nur die Lineamente zu dieser Organisierung vorgezeichnet werden, um die Erfahrung auch zu Rate zu ziehen und die volle Freiheit zu behalten, die von den Kommissionen allenfalls angedeuteten Verbesserungen vornehmen zu können. Se. Majestät werden am Schlusse dieses Vortrages gebeten: 1. diese Grundzüge der Organisierung Ah. zu genehmigen, 2. zu gestatten, daß nach denselben die Organisierung des Gerichtswesens vorgenommen werde und 3. daß die am Schlusse des Vortrages erwähnten noch bestehenden Gesetze, deren Revision sich aber als notwendig darstelle, nach deren Vornahme Sr. Majestät zur Ah. Schlußfassung vorgelegt werden dürfen.
|| S. 303 PDF || Der Ministerrat erklärte sich mit den in diesem Vortrage angeführten Hauptgrundsätzen der Gerichtsorganisierung einverstanden, meinte aber, daß einige darin vorkommenden Detailbestimmungen als jetzt dahin noch nicht gehörig ausgeschieden und daß nur summarisch angedeutet werden möge, was sowohl in Organisierungs- als legislativer Beziehung geschehen soll8.
Wien, den 16. Mai 1849. Schwarzenberg.
Ah. E. Der Inhalt dieses Protokolles dient zur Wissenschaft. Franz Joseph. Schönbrunn, den 19. Mai 1849.