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Vorwort - Retrodigitalisat (PDF)

Der vorliegende Band der Protokolle des österreichischen Ministerrates präsentiert den ersten Band des Ministeriums Schwarzenberg, das mit der Thronbesteigung des achtzehnjährigen Franz Joseph am 5. Dezember 1848 seinen Anfang nahm und am 14. April 1852 mit dem plötzlichen Tod des Ministerpräsidenten sowie Ministers des Kaiserlichen Hauses und des Äußern Felix Fürst Schwarzenberg endete. Es handelt sich um einen kurzen Zeitraum, in dem mit einer außerordentlichen Dynamik ein Prozeß in die Wege geleitet wurde, der von den Apologeten des System der 50er Jahre des 19. Jahrhunderts als „Österreichs Neugestaltung“, von den Gegnern aber als Neuauflage des vormärzlichen Absolutismus, als Neoabsolutismus, bezeichnet wurde. Die Periode des Neoabsolutismus ist bis heute in der Geschichtsschreibung umstritten. Die Frage, ob sie eine Modernisierungsphase darstellt oder ob sie nach den Ansätzen einer modernen demokratischen Entwicklung im Jahr 1848 ausschließlich als Rückfall in eine absolutistische Regierungspraxis zu sehen ist, nimmt in der Diskussion eine zentrale Stellung ein. Die Debatte um den politischen Stellenwert des eigentlichen Gründers des Systems Felix Schwarzenberg und des von ihm mit viel Geschick gebildeten Ministerrates wurde im Rahmen dieser Edition bereits im Einleitungsband von Helmut Rumpler neu aufgerollt.

Der vorliegende Band, der die Zeit vom 5. Dezember 1848 bis 7. Jänner 1850 umschließt, trägt zur Präzisierung dieser Frage bei und zeigt im übrigen deutlich, dass der Ministerrat – trotz aller ambivalenten Tendenzen – das eigentliche Zentrum der Reform war. Für den Ministerrat stellten sich grundsätzlich zwei Aufgaben: 1. das Erbe der ungeliebten Revolution zu bewältigen, und 2. eine tiefgreifende Reform „von oben“ in die Wege zu leiten.

Die Protokolle der Beratungen, die in diesem Band publiziert sind, sprechen daher sehr wesentliche Fragen an. Der Lauf der Dinge ist allgemein bekannt. Die Protokolle fördern allerdings Einzelheiten über innenpolitische und außenpolitische Probleme zutage. Tiefe Einblicke bekommen wir zu den Plänen zur Neugestaltung der österreichischen Monarchie. Verwaltungs- und Verfassungsthemen dominieren in den Beratungen des Ministerrates, unter anderem die wichtige Gemeindeverfassung, die Justizverwaltung und die Justizgesetzgebung sowie das Unterrichtswesen, Angelegenheiten, die die Monarchie auf eine vollkommen neue Grundlage stellen sollten. Die großangelegten Versuche aber, diese Reformen in allen Königreichen und Ländern, vor allem auch im Länderkomplex der ungarischen Stefanskrone einzuführen, um so einen modernen Einheitsstaat zu schaffen, waren gekoppelt mit den rücksichtslosen „Vergeltungsmaßnahmen“ eines Obrigkeitsstaates, die sich später rächen sollten. Zur Neugestaltung gehörte primär die Sanierung der nach der Revolution katastrophalen Lage der Finanzen. Die diesbezüglichen Versuche der Minister führen uns mitten in den personellen Richtungsstreit zwischen den Vertretern eines modernen Finanzsystems und den Anhängern einer vormärzlichen Praxis.

Auch außenpolitische Fragen stellten den Ministerrat vor unlösbare Probleme: vor allem das nachrevolutionäre Erbe im Verhältnis Österreichs zum Deutschen Bund. Klar geht aus den Debatten hervor, daß Österreich bereits 1849 die Hände gebunden waren.

Die Details, die wir durch die vorliegenden Protokolle kennen lernen, werden eine Neubewertung der Periode des Ministeriums Schwarzenberg zulassen, sobald die beiden nächsten Bände, deren Publikation für das Ministerium Schwarzenberg noch geplant ist, erscheinen werden. Mit Recht weist die ungarische Gutachterin des Manuskripts, Ágnes Deák, die im Rahmen der Kooperation mit der ungarischen Arbeitsgruppe der Edition der Ministerratsprotokolle einer Vereinbarung zufolge um ihr Urteil gebeten wurde, darauf hin, dass die Fachliteratur in ihrer Meinung über die Ära Schwarzenberg im allgemeinen zwischen den Polen „Idealisierung“ und tiefem Mißtrauen gegenüber der Politik dieser Regierung schwankt und die „konstitutionellen Versprechungen“ „nur zum Zweck der politischen Propaganda“ sieht. Sie hebt hervor, daß im Gegensatz dazu der Bearbeiter dieses Bandes Thomas Kletečka in seiner Einleitung „ein ausgeglichenes Bild über die wichtigsten Persönlichkeiten und über deren Zielsetzungen“ zeichnet. Ein wichtiger erster Schritt zu einer Objektivierung ist getan.

Bleibt noch hinzuzufügen: Nach Vorlage der Protokolle dieses ersten Bandes des Ministeriums Schwarzenberg wird bereits die Grundtendenz des neoabsolutistischen Systems deutlich: Die Reformen, angelegt nicht nur auf eine Restauration der vormärzlichen Verhältnisse sondern auch auf die Schaffung eines modernen Wirtschaftssystems, hatte – trotz aller gegenteiligen Absichten – letztlich die Stärkung eines an der Partizipation am Staat interessierten Bürgertums zur Folge, lief daher auf die Entwicklung einer in beträchtlichem Maße liberalisierten Staats- und Wirtschaftsgesellschaft hinaus, an deren Spitze allerdings eine nach vormärzlichem Muster konzipierte Regierung stand mit einem Kaiser, der an sein Gottesgnadentum glaubte. Die Diskrepanz zwischen diesen beiden Polen, zwischen der fortschrittlichen Gesellschaft und dem altertümlichen Regierungssystem, wurde immer stärker und erzeugte eine Schwächung des Staatsgefüges, die schließlich zum Scheitern des neoabsolutistischen Systems führen sollte.

Die Gesamtedition der Protokolle des österreichischen Ministerrates steht in einigen Jahren vor ihrem Abschluss. Die Protokolle des Ministeriums Schwarzenberg werden als erstes Ministerium der nachrevolutionären Periode – eingebettet in das Gesamtsystem des Neoabsolutismus – den Angelpunkt für die Überprüfung der Thesen der Geschichtsschreibung über den Neoabsolutismus bilden und so eine wichtige Neubewertung einer Periode der österreichischen Geschichte in die Wege leiten, in der schließlich entscheidend die Weichen für die Zukunft – bis 1918 – gestellt wurden.

Die reibungslose Herausgabe der Ministerratsprotokolle ist einer Reihe von Personen und Institutionen zu danken, vor allem der ausgezeichneten wissenschaftlichen Zusammenarbeit mit der ungarischen Forschergruppe unter der Führung der ungarischen Projektleiterin Éva Somogyi. Mit ihrer und der Hilfe ihrer Mitarbeiter/innen gelang es, über alle politischen und finanziellen Fährnisse hinweg, die Kooperation aufrecht zu erhalten. Dem „Gemeinsamen wissenschaftlichen Beirat“ und den ungarischen Kollegen sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Finanziell wird die Edition seit Jahren dankenswerter Weise vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur getragen; der Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung in Österreich und die Hochschul­jubiläumsstiftung der Stadt Wien boten weitere Unterstützung. Mein besonderer Dank gilt allen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Archive, allen voran dem Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien, zu dessen Bestände die wichtige Quelle der Ministerratsprotokolle zählt.

Last but not least sei den Mitarbeitern der österreichischen Arbeitsgruppe und vor allem dem Bearbeiter des vorliegenden Bandes Thomas Kletečka herzlichst dafür gedankt, einen mehr als 1000seitigen Band mit viel Ausdauer, Geduld und Akribie betreut zu haben.

Juni 2002