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Nr. 113 Ministerrat, Wien, 27. August 1848 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet; VS. Wessenberg; BdE. und anw. Doblhoff (keine BdE.), Latour, Krauß, Bach, Hornbostel, Schwarzer, Wessenberg; außerdem anw. Pipitz (nur bei VI); BdE. Franz Karl (31. 8.).

MRZ. 2062 – KZ. –

Protokoll der Sitzung des Ministerrates am 27. August 1848 unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, zugleich Ministers des Äußern Freiherrn v. Wessenberg.

I. Militärische Beförderungen

Der Minister des Krieges überreicht drei au. Vorträge a) wegen Beförderung des Titularfeldmarschalleutnants Baron Rath1 zum wirklichen Feldmarschalleutnant und Verleihung des Kommandeurkreuzes des Leopoldordens an denselben2; b) wegen Beförderung des Majors v. Ennhuber in die durch v. Gáals Pensionierung3 erledigte Oberstleutnantsstelle im Ingenieurkorps4 und c) wegen Verleihung des Majorscharakters samt Pension an den Grenadierhauptmann Anton Grafen De la Tour en Voivre5.

Gegen die diesfälligen Anträge des Kriegsministeriums wurde von keiner Seite eine Erinnerung erhoben6.

II. Dotierung der Agramer Kriegskasse

Graf Latour verlas den Entwurf seiner, an den ungarischen Minister Grafen Esterházy zu richtenden Note wegen schleuniger Dotierung der Agramer Kriegskasse aus den ungarischen Finanzen7.

Der Ministerrat erklärte sich mit diesem Entwurfe einverstanden8.

III. Neue provisorische Wahlordnung für den Wiener Gemeindeausschuß

Von dem Minister des Inneren wurde hierauf der Entwurf einer neuen provisorischen Wahlordnung für den Wiener Gemeindeausschuß vorgetragen9. Die || S. 603 PDF || neuen Bestimmungen dieser Wahlordnung sind im wesentlichen a) die Vermehrung der Zahl der Glieder des Gemeindeausschusses von 100 auf 150; b) die Ausdehnung der aktiven Wahlbefugnis auf mehrere Stände und Konfessionen, welche bisher davon ausgeschlossen waren, und c) die Einführung direkter Wahlen.

Der Ministerrat glaubte in eine Modifikation der fraglichen, vom Gemeindeausschusse vorgeschlagenen Wahlmodalitäten nicht eingehen zu sollen, da sie im wesentlichen zu keinem Bedenken Anlaß geben, und es sich ohnehin nur um ein Provisorium, um einen Versuch handelt, auf dessen Erfolg bei der Entwerfung der definitiven Wahlordnung Rücksicht genommen werden wird10.

IV. Wiedereinstellung kompromittierter Südtiroler Staatsbeamten

Der Justizminister brachte die Frage in Anregung, ob die in politischer Hinsicht kompromittierten südtirolischen Staatsbeamten aus der Justizbranche infolge der soeben Ag. bewilligten Amnestie11 wieder in ihre Dienstposten einzusetzen seien. Der Minister betrachtet eine solche Wiedereinsetzung als den notwendigen Schlußstein der Amnestie, für deren segensreiche Wirkungen fast jeder Bericht Südtirols neue Belege bringt.

Der Finanzminister bemerkte nur, daß bei derlei Wiedereinsetzungen jedesmal zu erwägen sein dürfte, ob nicht besondere Verhältnisse rätlich machen, daß der Beamte an einen andern Ort versetzt werde12.

V. Sympathiewerbung für die Dynastie und die Regierung

Der Justizminister erklärte, er halte es für seine Pflicht, auf die dringende Notwendigkeit aufmerksam zu machen, daß die dynastischen Elemente im konstituierenden Reichstage und die Anhänglichkeit der Deputierten an die Ah. Person Sr. Majestät sowohl als die Glieder des Ah. Kaiserhauses in geeigneter Weise gekräftigt würden; da die Stimmung der Reichstagsabgeordneten in dem gegenwärtigen Augenblicke, wo die Beratungen über die Konstitution durch den Ausschuß bereits begonnen haben13, von höchster Wichtigkeit und von unberechenbaren Folgen für alle Zukunft sei. Se. Majestät der Kaiser und Se. kaiserliche Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog Franz Karl dürften Höchstsich daher bewogen finden, bei Gelegenheit eines demnächst zu veranstaltenden Festes die sämtlichen Reichstagsdeputierten den Ah. und Höchsten Herrschaften vorstellen zu lassen.

Der Minister dürfe auch nicht unerwähnt lassen, daß es seiner Überzeugung nach allgemein den besten Eindruck machen und mit Enthusiasmus aufgenommen werden || S. 604 PDF || würde, wenn Ihre k. k. Hoheiten die jüngeren Erzherzöge sich dem Publikum in Nationalgardeuniform zeigen würden14.

Sämtliche Minister traten den geäußerten Ansichten des Justizministers bei und vereinigten sich auch mit demselben über die Notwendigkeit, daß ein Minister durch regelmäßige Eröffnung seiner Salons einmal die Woche den Reichstagsmitgliedern einen Vereinigungspunkt zur freundschaftlichen Besprechung und Verständigung wie auch eine Gelegenheit gewähre, sich mit den höheren Staatsbeamten, Militärs etc. in nähere Berührung zu setzen.

VI. Stellung Ungarns zur Gesamtmonarchie; Verhandlungen mit Ungarn über gemeinsame Angelegenheiten

Staatsrat Pipitz wurde in den Ministerrat berufen, um daselbst das von ihm über Auftrag und nach den Andeutungen des Ministeriums verfaßte Memoire über die Stellung des Königreiches Ungarn zur Gesamtmonarchie vor und nach den Märzereignissen in Vortrag zu bringen15.

Dieses Memoire wurde von dem Ministerrate der gesagten Absicht entsprechend und sowohl durch Gründlichkeit als durch mit Umsicht gewählte Form völlig geeignet befunden, um als Staatsschrift gebraucht zu werden. Man beschloß sofort, diese Staatsschrift Sr. Majestät mittelst besonderen Vortrages unter Beifügung von Anträgen über den in der ungrisch-kroatischen Angelegenheit einzuhaltenden Gang vorzulegen. Bei der Verhandlung, welche die Vereinbarung des österreichisch-deutschen und des ungrischen Ministeriums bezielt und womit solche Einrichtungen vorbereitet werden sollen, daß mit denselben die Pragmatische Sanktion zur vollen Geltung käme, würde sich nach den von einzelnen Stimmen gemachten Andeutungen an folgende Richtpunkte zu halten sein: Es wäre nämlich mittelst eines bestimmten ungrischen Gesetzes auszusprechen notwendig, wienach der ungrische Kriegsminister in seiner Aufgabe auf die zur Landesverteidigung gehörigen Anstalten und Vorkehrungen beschränkt werde, daß er für die Militärbedürfnisse auf die für das Land schonendste Weise Rat schaffe, im übrigen aber den Oberbefehl über das gesamte, teilweise auch in Ungern dislozierte Heer nicht durch abweichende Verfügungen beirre. Auf ähnliche Art wären die Gegenstände aufzuzählen, die den Gesamtstaatshaushalt angehen, wie nämlich die allgemeine Staatsschuld, das Geld- und Bankwesen, endlich die Beitragsleistung zu den Erfordernissen des Gesamtstaates. Auch beim Handelsministerium muß eine Ausscheidung für dasjenige stattfinden, was die Monarchie im ganzen angeht, sonst dürften die Beziehungen zum Auslande, ja der Länder unter sich, in Verwicklung geraten.

Für die Erhaltung der unentbehrlichen Einheit in der Ausübung der exekutiven Gewalt wäre entweder die Bestellung von verantwortlichen Staatssekretären an der Seite der in Wien befindlichen Minister des Kriegs und der Finanzen oder die Beiziehung des im Ah. Hoflager befindlichen ungrischen Ministers zu dem in Wien bestehenden Ministerrate in vorkommenden Fällen, oder endlich die ununterbrochne Mitteilung und schriftliche Verhandlung des hiesigen Ministerrates mit dem anwesenden ungrischen Minister erforderlich. In den Verhandlungen mit dem ungrischen Ministerium wäre || S. 605 PDF || dahin zu streben, die erste der Alternativen zur Annahme zu bringen, weil dieselbe die einfachste und haltbarste scheint.

Was die Stellung der legislativen Organe betrifft, so lassen sich auch hierbei verschiedene Gestaltungen in Anregung bringen. Am geeignetsten dürfte es erscheinen, wenn aus den legislativen Körpern ein Reichsrat, oder welchen Namen man geben will, zusammengesetzt würde, dem die Fragen, wo Konflikte zwischen den Gewalten Ungerns und jenen der österreichisch-deutschen Länder oder gemeinsame Interessen zur Sprache kommen, zur Erörterung und Entscheidung zuzuweisen wären. Demselben Reichsrate gegenüber wären auch die Minister der beiden Länderkomplexe verantwortlich, insofern sie durch ihre Handlungen gegen die vom Reichsrate ausgegangenen Beschlüsse und Weisungen sich verstoßen oder sonst in Ansehung der vereinigten oder der gegenseitigen Interessen sich einer Pflichtverletzung schuldig gemacht haben würden16.

Ges. 31. August. Franz Karl. Vidi.