Nr. 88 Ministerrat, Wien, 30. Juni 1848 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend: Sommaruga, Krauß, Latour, Doblhoff, Baumgartner
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Wacek; VS.Vorsitz Pillersdorf; anw.anwesend Sommaruga, Krauß, Latour, Doblhoff, Baumgartner; BdE.Bestätigung der Einsicht Pillersdorf (1. 7.).
MRZ. 1335 et 1336 – KZ. –
- I. Programmentwurf für die „Wiener Zeitung“ als Regierungsorgan
- II. Verschiebung der Reichstagseröffnung
- III. Teilnahme der Erzherzöge Franz Joseph und Ferdinand Maximilian an der Reichstagseröffnung
- IV. Bestellung Erzherzog Johanns zum Reichsverweser
- V. Aufhebung der Urbarialleistungen in Oberösterreich
- VI. Aufhebung der Patrimonial- und Einführung der If. Gerichte
- VII. Pensionierung Karl Freiherr Smolas
- VIII. Radetzky zum geplanten Waffenstillstand in Italien
- IX. Rücktritt Joseph Matthias Graf Thuns von der böhmischen OberstburggrafensteIle; Bestellung Graf Anton Mitrowskys zu seinem Nachfolger
- X. Protest des mährischen Landtages gegen die Anordnung wegen Ablieferung der Depositen an die Staatskassen
Protokoll der Ministerratssitzung vom 30. Juni 1848 unter dem Vorsitze des provisorischen Ministerpräsidenten, Ministers des Inneren Freiherrn v. Pillersdorf.
I. Programmentwurf für die „Wiener Zeitung“ als Regierungsorgan
Der Minister des Inneren Baron Pillersdorf teilte dem Ministerrate den Entwurf des Programms auf die Wiener Zeitung als ministerielles Organ mit1.
Die Zeitung wird hiernach wie bisher aus dem Hauptblatte, dem Amts-, dann dem Intelligenzblatte bestehen, auch wird täglich ein Abendblatt hievon erscheinen. Eine neue Bestimmung nach diesem Programme erscheint die, daß das Feuilleton dieser Zeitung nicht dem Hauptblatte zur Ausfüllung des allenfalls erübrigenden Platzes beigefügt wird, sondern nach Art der Augsburger Allgemeinen Zeitung ein für sich bestehendes neues Blatt bilden soll2.
Da dieses auf den in dem Vertrage mit den Ghelenschen Erben3 vorgesehenen Preis und die Kontraktsstipulation einen ändernden Einfluß nimmt, so wird der Finanzminister noch heute mit den Ghelenschen Erben in eine Unterhandlung treten, um womöglich für das Ärar noch einen weiteren pekuniären Vorteil zu erzielen. Sollte dies bei der Kürze der Zeit (denn morgen kommt schon die Wiener Zeitung in der neuen Form heraus) nicht mehr ausführbar sein, so bliebe dann allerdings nichts übrig, als es bei dem Programme bewenden zu lassen4.
II. Verschiebung der Reichstagseröffnung
Derselbe Minister teilte eine Depesche von Böhmen mit, aus welcher hervorgeht, daß am 8. Juli in ganz Böhmen die Wahlen der Abgeordneten zu dem österreichischen Reichstage vorgenommen werden sollen5.
|| S. 502 PDF || Da hiernach angenommen werden kann, daß der größte Teil der böhmischen Deputierten bis zum 12. Juli hierorts eintreffen werden, und zu wünschen ist, daß sie an der Präsidentenwahl mit Teil nehmen, so wäre nach der Ansicht des Ministers des Inneren die Konstituierung des Reichstages bis zu dem erwähnten Tage zu verschieben, womit sich die übrigen Mitglieder des Ministerrates einverstanden erklärten6.
III. Teilnahme der Erzherzöge Franz Joseph und Ferdinand Maximilian an der Reichstagseröffnung
Freiherr v. Pillersdorf las ferner dem Ministerrate jene au. Vorträge vor, welche infolge des Beschlusses des Ministerrates vom 29. Juni7 Sr. kaiserlichen Hoheit dem durchlauchtigsten Herrn Erzherzoge Franz Karl und Sr. kaiserlichen Hoheit dem durchlauchtigsten Herrn Erzherzoge Johann, Stellvertreter Ew. Majestät, überreicht werden sollen, dem ersteren, um die Notwendigkeit vorzustellen und die Bitte zu wiederholen, Höchstdieselben wollen im Interesse der Ah. Dynastie die Einleitung zu treffen geruhen, daß zur feierlichen Eröffnung des Reichstages die durchlauchtigsten jungen Herren Erzherzoge Franz Joseph und Ferdinand Max hierorts gegenwärtig sind, dem zweiten, daß Höchstsie diese Bitte des Ministeriums bei Sr. kaiserlichen Hoheit mit Ihrem gnädigen und vielvermögenden Vorworte zu unterstützen geruhen.
Gegen die Textierung dieser au. Vorträge wurde von keiner Seite etwas erinnert8.
IV. Bestellung Erzherzog Johanns zum Reichsverweser
Der wegen Unpäßlichkeit abwesende Minister der auswärtigen Angelegenheiten Freiherr v. Wessenberg ließ dem Ministerrate durch den provisorischen Ministerpräsidenten Freiherrn v. Pillersdorf die neben angeschlossene Darstellung über die gegenwärtigen deutschen Angelegenheiten zukommen9.
Es geht daraus hervor, daß man in Frankfurt nach langen Debatten auf die Idee eines einzigen Direktors oder Reichsverwesers gekommen ist, welcher die Geschäfte durch von ihm zu ernennende verantwortliche Minister zu besorgen hätte, und daß am 22. d. M. sich eine bedeutende Menge Stimmen zugunsten Sr. kaiserliche Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Johann für diese Stelle ausgesprochen hatte10. Der 26. Juni war für die entscheidende Abstimmung bestimmt. Nach der Ansicht des Baron Wessenberg erscheint es dringend notwendig, sich im voraus über den Entschluß zu beraten, welchen man österreichischerseits nehmen will in dem Falle die Mehrheit sich wirklich für Se. kaiserliche Hoheit ausspräche.
|| S. 503 PDF || Es dürfte dann mehr als eine Verlegenheit eintreten; die eine liege schon in der gegenwärtigen Stellung Sr. kaiserlichen Hoheit11 – eine andere werde sich zeigen in Berechnung der Folgen, welche dessen Nichtannahme haben könnte. Vorerst müßte man allerdings die Attributionen der befragten Stelle kennen. Um mehr als ein Namensträger zu sein, müßte der Reichsverweser nebst der persönlichen Unverantwortlichkeit auch wenigstens das Recht der Zustimmung zu den Beschlüssen der Nationalversammlung erhalten, denn nur dann hätte er eine wirkliche Gewalt. Baron Wessenberg unterzog dieses der Erwägung des Ministerrates und bemerkte gleichzeitig, ob, da die Verhältnisse zu Deutschland mehr wie je in das innere Staatsleben eingreifen, nicht ein eigenes Komitee zur Erörterung und Beratung der deutschen Angelegenheiten überhaupt bestimmt werden sollte, welches sohin seine Vorträge und Gutachten hierüber an den Ministerrat zu erstatten hätte.
Der Ministerrat erklärte sich in beiden Punkten mit den Ansichten des Ministers der auswärtigen Angelegenheiten Baron v. Wessenberg einverstanden, daß nämlich, bevor Se. kaiserliche Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog Johann Sich über den oberwähnten Gegenstand aussprechen können, früher die Attributionen der gedachten Stelle genau bekannt sein müssen und daß es unter den gegenwärtigen Verhältnissen notwendig sei, für die Erörterung und Begutachtung der deutschen Angelegenheiten ein eigenes Komitee aufzustellen.
Was dieses Komitee anbelangt, so hätte der mit den deutschen Angelegenheiten genau vertraute gewesene Bundestagsgesandte Graf Colloredo den Ah. Auftrag zu erhalten, ein solches Komitee nach seinem besten Ermessen zusammenzusetzen und mit der Begutachtung der oberwähnten Fragen die Arbeiten des Komitees beginnen zu lasen12. Nachdem übrigens Se. kaiserliche Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog Johann die Minister zu einer Beratung bei Höchstdemselben für morgen, den 1. Juli um 2 Uhr mittags, durch den provisorischen Ministerpräsidenten bescheiden zu lassen geruhten, so wird bei diesem Anlasse der oberwähnte Gegenstand näher besprochen und auch die Bitte wegen Hierhersendung der jungen Herren Erzherzoge13 oder wenigstens des zur Thronfolge berufenen zur feierlichen Reichstagseröffnung angeregt werden14.
V. Aufhebung der Urbarialleistungen in Oberösterreich
Der Minister des Inneren brachte hierauf die Aufhebung der Urbarialleistungen in Oberösterreich zur Sprache15. Es ist bereits früher von den Landesbehörden angetragen worden, daß die Naturalleistungen heuer noch fortzudauern und erst mit dem künftigen Jahre gegen Entschädigung aufzuhören hätten16. Gegenwärtig wird von dem Regierungspräsidenten || S. 504 PDF || Baron Skrbensky vorgestellt, daß schon jetzt und für heuer die Aufhebung der Urbarialnaturalleistung allgemein gewünscht werde17. Es bestehe ein großer Widerwille gegen die Naturalleistung, besonders bei den Zehentpflichtigen. Die Berechtigten seien gefaßt, heuer nichts in natura zu bekommen und wünschen nur eine Entschädigung. Die obderennsischen Stände haben sich daher in dem Beschlusse geeiniget, daß schon für heuer keine Verpflichtung zur Zehentleistung in natura bestehen, dafür aber eine Entschädigung geleistet werden soll18.
Was die Entschädigung (Ausmittlung der Quantitäten und Preise) anbelangt, wurden die Katastralerhebungen zur Grundlage genommen. Da aber nach diesen die Preise offenbar zu gering entfielen, so wurde ein Zuschlag von einigen von 33%, von anderen von 20% in Antrag gebracht. Die Stände erklärten sich durch Stimmenmehrheit für diesen letzteren Zuschlag und bitten um Sanktion dieses ihres Beschlusses, indem sie die Notwendigkeit darstellen, diese Maßregel noch vor dem Reichstage in Ausführung zu bringen, weil aus einer Verzögerung selbst die Störung der öffentlichen Ruhe zu besorgen wäre und man die Unterlassung selbst der Regierung imputieren könnte.
Der Minister des Inneren verkennt wohl nicht, daß die näheren Bestimmungen über diesen Gegenstand von dem Reichstage auszugehen hätten. Nachdem aber der Gegenstand als so dringend dargestellt wird und die Billigkeit der Maßregel einleuchtet, so gedenkt er den Antrag der Stände genehmigend zu erledigen, jedoch nur als eine provisorische Maßregel und mit dem Vorbehalte, daß, wenn der Reichstag eine andere Bestimmung treffen sollte, sich dieser zu unterziehen wäre. Hiervon wäre zugleich Ew. Majestät mittelst dieses Protokolles die au. Anzeige zu erstatten. Der Ministerrat fand dagegen nichts zu erinnern19.
VI. Aufhebung der Patrimonial- und Einführung der If. Gerichte
Hieran knüpfte der Minister des Handels etc. Baron Doblhoff die Bemerkung, daß durch diesen Widerwillen gegen alle Urbarialleistungen die Dominien sich in einer sehr drückenden Lage befinden. Sie beziehen nun fast gar keine Urbarialien, haben die Urbarialsteuer fortan zu leisten, und was das drückendste ist, müssen die Patrimonialgerichtsbarkeit, deren Kosten sie mit den nun versiegten Einnahmen bestritten hatten, fortführen, wozu noch der Umstand komme, daß die Patrimonialgerichte jetzt fast gar keine Autorität mehr haben20.
Es sei ihm von mehreren Seiten der Wunsch ausgedrückt worden, die Patrimonialgerichtsbarkeit möge nun bei den geänderten Umständen den Dominien bald abgenommen werden.
|| S. 505 PDF || Um zu diesem Ziele zu gelangen, findet es der Ministerrat angemessen, daß über die Art und Weise der Aufhebung der Patrimonial- und Einführung der lf. Gerichte auf dem Lande der Minister des Handels etc. Baron Doblhoff und der Minister der Justiz Baron Sommaruga eine Zusammentretung abhalten und dann dem Ministerrate ihre Vorschläge erstatten21.
VII. Pensionierung Karl Freiherr Smolas
Mit dem hier vorliegenden au. Vortrage vom 27. Juni d. J., Z. 239122, unterstützt der Kriegsminister den Antrag des Generalquartiermeisters bei der Armee in Italien FML. Hess23, daß dem Oberstleutnant des Generalquartiermeisterstabes Baron Karl Smola, welcher bei der Einnahme von Udine den rechten Fuß verlor und daher zu Kriegsdiensten nicht mehr geeignet ist, bei dessen Versetzung in den Ruhestand der Oberstencharakter und die diesem Charakter entsprechende Pension huldreichst verliehen werden wolle. Der Oberstleutnant Baron Smola hat 31 Jahre mit dem ausgezeichnetsten Eifer und dem besten Erfolge gedient und ist der Zweitälteste Oberstleutnant im Generalquartiermeisterstabe.
Der Ministerrat stimmte diesem Antrage vollkommen bei24.
VIII. Radetzky zum geplanten Waffenstillstand in Italien
Der Kriegsminister teilte ferner einen ihm von dem Feldmarschall Grafen Radetzky zugekommenen Bericht vom 25. Juni25 von Verona mit, nach welchem nichts Neues sowohl in seiner als in des Feindes Lage vorgefallen ist. Der Feldmarschall erwähnt darin der Gründe, welche er durch den Fürsten Schwarzenberg gegen den beabsichtigten Waffenstillstand, der faktisch wirklich bestehe, dem Ministerium vortragen ließ26, und bemerkt, daß, wenn der Waffenstillstand dennoch angeordnet werden wollte, man ihm (Grafen Radetzky) ersparen möge, diesen Waffenstillstand selbst anzutragen. Dieser Antrag sollte im diplomatische Wege geschehen, und dem Feldmarschall oder vielmehr dem FML. v. Hess nur die Art und Weise der militärischen Ausführung desselben überlassen werden.
Durch die neuesten Beschlüsse und Anträge des Ministeriums ist es, was dem Feldmarschall noch nicht bekannt war, von dem Waffenstillstande ohnedies abgekommen27.
IX. Rücktritt Joseph Matthias Graf Thuns von der böhmischen OberstburggrafensteIle; Bestellung Graf Anton Mitrowskys zu seinem Nachfolger
Der Minister des Inneren Freiherr v. Pillersdorf brachte zur Kenntnis des Ministerrates, daß der Oberstlandeskämmerer in Böhmen, Joseph Mathias Graf Thun, welcher in Ermanglung eines Oberstburggrafen dessen Stelle versah28, diese letztere zurückgelegt habe. Seit dem 25. Mai unwohl, habe er sich bemüßiget gesehen, die Versehung der Oberstburggrafenstelle dem ihm nachfolgenden obersten Landesoffizier, || S. 506 PDF || Grafen Mittrowsky, zu übertragen. Er bemerkt, daß er während seiner Amtsverwaltung jederzeit bemüht war, die Leidenschaften im Zaume zu halten, die Anhänglichkeit an das Ah. Kaiserhaus zu befördern und das innige und feste Zusammenhalten aller Teile der Monarchie anzustreben. Die Ereignisse in Wien hätten indessen sein Wirken gelähmt u. dgl.29
X. Protest des mährischen Landtages gegen die Anordnung wegen Ablieferung der Depositen an die Staatskassen
Schließlich bemerkte dieser Minister, daß ihm eine Vorstellung des mährischen Landtages gegen die von dem Ministerium angeordnete Maßregel der Abfuhr der Depositen an die Staatskassen zugekommen sei30. Es wird darin angeführt, daß diese Maßregel widerrechtlich sei, daß mit den Depositen nicht nach Belieben verfügt werden könne, daß hierdurch vorzüglich das Vermögen der Witwen und Waisen in Anspruch genommen werde, daß Staatsschulden nicht ohne Zustimmung des Reichstages kontrahiert werden können u. dgl. und die Bitte beigefügt, es möge diese ministerielle Maßregel zurückgenommen oder wenigstens auf solche Depositen beschränkt werden, auf welche dem Staate bereits ein Anspruch erwachsen ist (d. i. auf Caducitäten).
Dagegen wurde von Seite der Minister der Justiz und der Finanzen erinnert, daß die gedachte Maßregel keineswegs ungerecht sei, weil die Depositen verzinset und nach dem Wunsche der Depositare jederzeit sicher zurückgezahlt werden.
Die Eingabe der mährischen Stände wurde daher zur motivierten Zurückweisung dem Finanzminister Freiherrn v. Krauß übergeben31.
Wien, den 1. Juli 1848. Pillersdorf.
Ah. E. Der Inhalt dieses Protokolles dient Mir zur Wissenschaft. Ezherzog Johann. Wien, den 1. Juli 1848.