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Nr. 29 Ministerrat, Wien, 28. November 1914

RS.; P. Ehrhart; VS. Stürgkh; BdE. und anw. (Stürgkh, 28. 11.), Georgi, Hochenburger, Heinold, Forster, Hussarek, Trnka, Schuster, Zenker, Engel, Morawski.

KZ. 90 – MRZ. 58

Protokoll des zu Wien am 28. November 1914 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Herrn Ministerpräsidenten Grafen Stürgkh.

I. Verordnung des Gesamtministeriums über die Erlassung eines Zahlungsverbotes gegen Russland

I. ℹ️ Der Minister des Innern erbittet die Zustimmung des Ministerrates zum Entwurfe einer Verordnung des Gesamtministeriums über die Erlassung eines Zahlungsverbotes gegen Russland1.

Aufgrund verlässlicher Nachrichten dürfe als festgestellt angesehen werden, dass, ähnlich wie England und Frankreich dies schon früher getan hatten, auch Russland in jüngster Zeit feindselige Maßnahmen gegen das Privateigentum von Angehörigen solcher Staaten treffe, die mit ihm im Kriegszustande befindlich sind. Es handle sich hiebei hauptsächlich um ein Verbot von Transaktionen mit unbeweglichem Eigentum, um die Sperrung der Depots von Firmen feindlicher Mächte in den russischen Banken und endlich um eine speziell in den Ostseeprovinzen einsetzende Sequestration des Privateigentums deutscher und österreichischer Untertanen. Der sprechende Minister befürworte daher die Erlassung eines Zahlungsverbotes gegen Russland, welches sich im Wesentlichen an die analogen Vorschriften gegenüber England und Frankreich anschließe und hauptsächlich die Abweichung enthalte, dass das Zahlungsverbot gegenüber Russland keine rückwirkende Kraft erhalten solle, während es aus besonderen, hiefür maßgebenden Rücksichten England und Frankreich gegenüber zum Teile mit einer solchen ausgestattet war. Die verfassungsrechtliche Grundlage für dieses Verbot bildet der § 1 der kaiserlichen Verordnung vom 16. Oktober 1914, RGBl. Nr. 289, betreffend Vergeltungsmaßregeln auf rechtlichem und wirtschaftlichem Gebiete anlässlich der kriegerischen Ereignisse2.

Der Ministerrat erteilt die erbetene Zustimmung3.

II. Verordnungen betreffend Festsetzung von Höchstpreisen für Zerealien und betreffend Erzeugung und Inverkehrsetzung von Mehl

II. ℹ️ Der Handelsminister erinnert daran, dass er bereits wiederholt in Verhandlungen des Ministerrates, insbesondere aber in jenen vom 21. und 22. Oktober d. J. Gelegenheit gehabt habe, sich über das Projekt der Festsetzung von Höchstpreisen für Zerealien zu äußern4.

Sein Standpunkt, der auch die Billigung des Ministerrates gefunden habe, sei der gewesen, dass sich die Bestimmung solcher Höchstpreise gewiss als ein zulässiges und geeignetes Mittel gegenüber zu weitgehenden Preissteigerungen darstelle, dass aber eine Verwirklichung dieses Projektes nur unter voller Berücksichtigung bestimmter Gesichtspunkte erfolgen dürfe. Der erste Gesichtspunkt beziehe sich auf die Tatsache, dass die Steigerung der Zerealienpreise während der Kriegszeiten eine Reflexerscheinung und ein notwendiges Korrelat der anderen Tatsache sei, dass in diesen Zeiten eben für den Konsum weniger Brotfrucht zur Verfügung stehe als in normalen Zeitläuften. Die Beschränkung der Inlandsvorräte sei eben – von willkürlichen Preistreibereien der Spekulation abgesehen – der wesentliche Grund für die Preissteigerung und diese somit ein Gradmesser für die Beschränktheit der Vorräte. Die Wechselwirkung zeige sich aber auch in umgekehrter Richtung. Wenn die Preise des Getreides steigen, werde die Bevölkerung zu einer gewissen Sparsamkeit im Konsum veranlasst. Die Preissteigerung, zunächst als ein Schaden für die Bevölkerung und als der Index für die unerfreuliche Tatsache des Kargwerdens der Vorräte betrachtet, zeige sich dann als ein nützlicher Faktor, der zur Sparsamkeit mahnt und automatisch für die zweckmäßige Verteilung der an sich kaum zulänglichen Vorräte über die ganze Periode der durch die kriegerische Verwicklung bedingten Beschränktheit wirkt. Aus der Einsicht in diesem Zusammenhang ergebe sich die kategorische Forderung, von Staats wegen nicht ohne weiters dem Drängen der Bevölkerung, die natürlich nur über die Not des Augenblicks hinwegkommen will, nachzugeben und durch scharfe Maßnahmen die für die weitere gesunde Entwicklung geradezu unerlässliche Preissteigerung einfach zu unterbinden.

Auf die Spezialfrage der Höchstpreise angewendet, heißt das so viel, man dürfe mit einer solchen Maßnahme, die sich praktisch als die amtliche Festlegung des in einem bestimmten Stadium der Preissteigerung erreichten Ausmaßes für eine längere Periode darstellt, nicht zu früh einsetzen, nicht in einem Stadium, wo die Preise zwar absolut genommen vielleicht hoch, aber unter den besonderen Verhältnissen noch immer eigentlich zu niedrig sind, sondern erst dort, wo der einmal erreichte und nun festzulegende Preis bereits seine notwendige Funktion als Regulator des Konsums entfalten kann. Ein weiteres Moment, das logisch ganz in die gleiche Richtung dränge und, wenn auch von vergleichsweise untergeordneter Bedeutung, doch nicht unterschätzt werden dürfe, sei die Tatsache, dass durch verhältnismäßig niedere Getreidepreise der Import aus dem Auslande, der ohnedies durch die internationale Situation auf das Äußerste erschwert sei, auch in kaufmännischer Richtung geradezu unterbunden werde.

Der zweite Gesichtspunkt weise auf das Verhältnis zu Ungarn. Die beiden Staaten der Monarchie stehen infolge des gemeinsamen Zollgebietes5 auch in solchen wirtschaftlichen Belangen, hinsichtlich deren sie formell autonom vorgehen können, in innigstem Konnex. Auf solchem Gebiete können zwar einseitige Maßnahmen legitim getroffen werden und es bestehe prinzipiell gewiss für die österreichische Regierung hier volle Freiheit der Verfügung, die praktische Wirksamkeit der Maßnahmen hänge aber von der Gestaltung der analogen Verhältnisse in Ungarn ab. Ganz besonders fühlbar werde dieser Zusammenhang auf dem Gebiete des Verkehrs mit Brotfrucht, wo Österreich vorwiegend als Konsument, Ungarn aber als Produzent erscheine. Hier müsste eine einseitige Maßnahme Österreichs nicht nur ihren Zweck verfehlen, sondern unter Umständen sogar eine der beabsichtigten entgegengesetzte Wirkung herbeiführen6. Wollte beispielsweise Österreich einseitig mit der Festsetzung von Höchstpreisen für Getreide zu einem Ansatze vorgehen, der unter dem ungarischen Marktpreise steht, so würden die verhältnismäßig geringen in Österreich befindlichen Vorräte, falls nicht geradezu ein Abverkauf nach Ungarn stattfände, von der Bevölkerung in ihrer Freude über den günstigen Preis raschestens aufgezehrt werden und Österreich binnen kürzester Zeit in die vollste Abhängigkeit von der Preisbildung in Ungarn gelangen. Daraus ergebe sich, dass hinsichtlich der Festsetzung von Höchstpreisen nur im Einvernehmen mit Ungarn und unter Sicherstellung eines parallelen Vorgehens in beiden Staatsgebieten Anordnungen getroffen werden können.

Ein dritter Gesichtspunkt, der hier in Betracht komme, sei der, dass die Anordnung von Höchstpreisen, wenn sie auch praktisch vielleicht zu einer Steigerung des Konsums führe, doch nicht diese selbst bezwecke, sondern dahin ziele, die wirtschaftlichen Opfer, welche die Bevölkerung für die Befriedigung ihres den Verhältnissen angepassten Bedarfes bringen müsse, nicht allzu empfindlich werden zu lassen. Die nachteilige Wirkung der Steigerung des Konsums werde nun bei Berücksichtigung der beiden vorerwähnten Gesichtspunkte, die auf unerlässliche Voraussetzungen für die Festsetzung von Höchstpreisen hinweisen, wesentlich abgeschwächt. Es sei aber notwendig, die Tatsache, dass jede Herabdrückung der Preise den Konsum bis zu einem gewissen Grade erhöhe, auch noch in anderer Weise einigermaßen zu paralysieren. Darum sei der sprechende Minister stets dafür eingetreten, dass, wenn es einmal zur Statuierung von Höchstpreisen komme, jedenfalls gleichzeitig gewisse Sparmaßnahmen zur zweckmäßigen Verteilung der Vorräte über die ganze Bedarfsperiode eingeführt werden. Von den vorerwähnten Gesichtspunkten geleitet, habe das Handelsministerium im Einvernehmen mit den beteiligten Ressorts die Frage der Höchstpreise fortwährend im Auge behalten und die geeigneten Vorbereitungen getroffen, um das Projekt im richtigen Zeitpunkte und unter den richtigen Modalitäten verwirklichen zu können. Der sprechende Minister sei nun in der Lage, heute Folgendes zu konstatieren:

1.) Die Preisentwicklung sei bis zu einem Punkte gediehen, wo mit der Festsetzung von Höchstpreisen vorgegangen werden könne, ohne die Gefahren eines allzu leichtfertigen Konsums heraufzubeschwören und ohne die Voraussetzungen der kaufmännischen Raison für den Getreideimport aus dem Auslande zu zerstören.

2.) Ein Einvernehmen mit der kgl. ung. Regierung sei in allen Details festgestellt, sodass mit parallelen Maßnahmen in beiden Staatsgebieten vorgegangen werden könne.

3.) Die beteiligten Ressorts seien darüber ins Reine gekommen7, dass eine wirksame Sparmaßnahme zur Paralysierung allfälliger schädlicher Wirkungen der Höchstpreise in der Schaffung einer genauen Vorschrift hinsichtlich der Erzeugung und Inverkehrsetzung von Mehl zu finden sei, durch welche angeordnet werde, bis zu welchem Feinheitsgehalte Mehl aus der Brotfrucht erzeugt und in Verkehr gesetzt werden darf sowie in welchem Ausmaße minderfeine, jedoch für den Gebrauch vollkommen geeignete Getreideelemente den einzelnen Mehlsorten beigemischt werden müssen.

Der sprechende Minister beabsichtige daher im Einvernehmen mit den Ministern des Ackerbaus und des Innern zwei Verordnungen zu erlassen, deren eine die Festsetzung der Höchstpreise für Getreide und Mehl, die andere die Erzeugung und Inverkehrsetzung von Mehl betrifft. Was die erstere Verordnung anbelangt, so sollen die Höchstpreise durch die politischen Landesbehörden, und zwar nach einem festen Schlüssel festgesetzt werden, wie er sich nach dem Durchschnitte eines zwischen bestimmten Stichtagen gelegenen Zeitraumes der jüngsten Zeit ergibt. Überdies solle die Ermittlung dieses Durchschnittspreises der Überprüfung durch das Handelsministerium im Einvernehmen mit dem Ackerbauministerium vorbehalten bleiben. Im Übrigen enthalte die Verordnung verschiedene Bestimmungen, die die Modalitäten im Einzelnen regeln und die Wirksamkeit der Durchführung sichern. Die Verordnung betreffend die Erzeugung und Inverkehrsetzung von Mehl gehe von der Erkenntnis aus, dass nach dem normalen Gebrauch verschiedene Qualitäten von Brotfrucht und ihren Vermahlungsprodukten, die für die menschliche Nahrung vollständig geeignet wären, für andere Zwecke verwendet werden, dass also die Ansprüche, die an die Qualität des Genussmehles gestellt werden, insbesondere unter den gegebenen Verhältnissen zu hoch seien und daher zu einer verschwenderischen Gebarung mit dem Rohmateriale führen. Es solle nun durch konkrete Bestimmungen dafür gesorgt werden, dass die minderen, aber für den Genuss vollkommen geeigneten Mehlqualitäten den feinen beigemischt und dadurch die Gesamtsumme der für den menschlichen Bedarf herangezogenen Brotfrucht erhöht werde. Der leitende Gedanke sei also der, für die Gesamtbevölkerung durch eine kleine Einbuße an Qualität, die aber nicht auf Kosten des Nährwerts und der Hygiene, sondern lediglich auf die der Feinschmeckerei gehe, einen wesentlichen Gewinn an Quantität zu erzielen, sodass die bei einer längeren Kriegsdauer nicht zu unterschätzende Gefahr eines vorzeitigen Versiegens der Hauptnahrungsquelle zum Mindesten sehr verringert und hinausgeschoben werde.

Nach einer längeren Debatte, an der sich außer dem sprechenden Minister auch der Ministerpräsident, der Justizminister, der Eisenbahnminister und der Ackerbauminister beteiligen, stimmt der Ministerrat den Vorschlägen des Handelsministers aufgrund der anverwahrten Textea zu8.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen. Wien, am 8. Februar 1915. Franz Joseph.