MRP-3-0-04-1-18821103-P-0430.xml

|

Nr. 430 Ministerrat, Wien, 3. November 1882 – Protokoll II

RS.; P. Jaeger; VS. Taaffe; BdE. und anw. (Taaffe 3. 11.), Ziemiałkowski, Falkenhayn, Pražák, Welsersheimb, Dunajewski, Pino; außerdem anw. Hankiewicz; BdE. und abw. Conrad.

KZ. 108 – MRZ. 86

Protokoll II des zu Wien am 3. November 1882 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Herrn Ministerpräsidenten Grafen Taaffe.

I. Einbringung eines Gesetzentwurfes betreffend die Stellung und den Wirkungskreis des Staatsrechnungshofes

[I.] ℹ️Der Ministerpräsident ordnet an die Durchberatung des vom Finanzministerium ausgearbeiteten Gesetzentwurfes [] [Oberst]en Rechnungshofes. Nachdem der Entwurf bereits in der Konferenz vom 24. Juni d. J. bis zu § 14 bzw. § 13 (neu) durchberaten wurde1, so wird voraus die damalige Beratung rekapituliert. Als Grundlage für die Beratung in der Ministerkonferenz wurde vom Finanzministerium der Entwurf Beilage 1a vorgelegt. Der Entwurf Beilage 2 bildet die nach den Beschlüssen des Ministerrates festgesetzte Fassungb . Die Beratung am 24. Juni d. J. nahm folgenden Verlauf:

Vom Referenten Ministerialrat Ritter v. Hankiewicz wurde einleitend dargelegt, dass die Einbringung des infrage stehenden Reform[entwurfes], ab[ge]sehen von der Re[f]ormbedürftigkeit des Gegenstandes, selbst deshalb notwendig erscheine, weil nicht nur bereits von dem früheren Ministerium die Einbringung einer Regierungsvorlage in Aussicht gestellt2, sondern dies auch von dem jetzigen Ministerium ausdrücklich zugesagt worden war3. Der Reformwunsch des Reichsrates lehne sich offenbar an an die vom vorigen Abgeordnetenhause im März 1879 aus eigener Initiative beschlossene Vorlage, die aber als zu weitgehend von der Regierung nicht akzeptiert werden konnte4.

Für die jetzige Vorlage wurden viele Gesichtspunkte des Elaborates vom Jahre 1879 [be]nützt, doch ließ man eine Reihe von Bestimmungen desselben fallen, welche, ohne vom Kontrollstandpunkte unbedingt [geb]oten zu sein, der Exekutive Hemmnisse bereiten müssten.

Zum Titel und zu den Artikeln 1 und 2 des vom Finanzministerium vorgelegten Entwurfes wurde vom Finanzminister selbst die aus dem Entwurfe 2 ersichtliche Abänderung beantragt. Der Finanzminister hält erstlich die Bezeichnung der Obersten Rechnungsbehörde als „Staatsrechnungshof“ für entsprechender und will zugleich damit, so wie durch die von ihm proponierte, die Artikel 1 und 2 zusammenfassende, Stilisierung der Einleitungsbestimmung Ausdruck gegeben wissen, dass der Staatsrechnungshof, welcher sonach auf Grundlage des neuen Gesetzes „bestellt wird“, als eine neue Behörde anstelle des jetzigen Obersten Rechnungs[hofes] [] [einzuf]ühren und daher [zur] Durchführung des Gesetzes eine Neuorganisation vorzunehmen sei. Dass dies geschehe, scheine wichtig, weil die Regierung damit in die Lage komme, eine Neubesetzung der Stellen vorzunehmen, wobei sie freie Hand hinsichtlich der Auswahl der Persönlichkeiten habe. Es sei aber gut, sich darüber schon im Gesetze deutlich auszusprechen.

Artikel 3 (neu 2) wurde gleichfalls über Anregung des Finanzministers selbst modifiziert.

Zu Artikel 4 (neu 3) wurde vom Landesverteidigungsminister die vollständige Streichung des 3. Alineas beantragt. Der Landesverteidigungsminister erklärte, dass es ein falsches Prinzip sei, die Ah. Krone und bzw. die verantwortlichec Exekutive hinsichtlich der Verfügung über die Staatsdiener zu beschränken, dwelche derart bloß dem naturgemäßen Interesse einer entsprechenden Verwaltung gegenüber unabhängig, allen anderen Einflüssen (des Vorurteiles, der Parteilichkeit, des Gewinnes, der Intimidation etc.) aber umso mehr preisgegeben bleibend, und dass er daher, wie er die geschehene Anwendung dieses Prinzipes auf die Stellung der Richter lebhaft beklage, niemals zustimmen könnte, dass noch ein weiterer Schritt auf diesem falschen Wege gemacht werde. Vom Finanzminister wurde dagegen bemerkt, dass, wenn man eine Kontrolle haben wolle, der Kontrollierende von dem zu Kontrollierenden unabhängig gestellt sein müsse. Deshalb sei die Ausnahmsstellung des Präsidenten durch die Natur der Sache geboten. Auch würde es jetzt gar nicht möglich sein, einen Entwurf durchzubringen, welcher die [] nicht berücksichtigte. Schließlich wurde über übereinstimmende Motion des Ministerpräsidenten und des Handelsministers die aus dem Entwurfe 2 ersichtliche Fassung des 3. Alineas des Artikel 3 (neu) von der Majorität des Ministerrates akzeptiert, während der Landesverteidigungsminister bei seinem Votum auf Streichung dieses Alineas verblieb.

Die Artikel 5 bis 14 bzw. 4 bis 13 (neu) wurden nach dem Vorschlage lediglich mit den sinngemäßen Beziehungsabänderungen akzeptiert. Damit wurde die Beratung am 24. Juni d. J. abgebrochen.

[Minist]erialrat [Ritte]r v. Hankiewicz referiert nunmehr über Artikel 15 (neu 14) des Entwurfes. Derselbe legt dar, dass die Bestimmung des Alinea 2 dieses Artikels gegenüber der bereits jetzt bestehenden diesfälligen Anordnung insoferne weiter gehe, als für die Prüfung der Rechnungen angeordnet werden will, zu untersuchen, „ob das Zugeständnis von Nachsichten oder Abschreibungen in den Gesetzen und Verordnungen begründet ist“, während jetzt nur von „Gesetzen“ die Rede sei. Diese Erweiterung sei aber naturgemäß, weil tatsächlich bezügliche Anordnungen auf Verordnungen basiert seien und durch Verordnungen getroffen werden können.

Der Landesverteidigungs[minister wen]det sich überhaupt [ge]gen die Bestimmung, wornach dem Staatsrechnungshofe das Recht eingeräumt werden soll, zu prüfen, ob das Zugeständnis von Nachsichten oder Abschreibungen in den Gesetzen und Verordnungen begründet ist. Der Minister findet, dass eine Kontrolle dieser Art, die eine Überwachung des Ministers dahin, ob er in seiner Gestion die Gesetze befolgt, begreife, über die Bestimmung eines Rechnungshofes hinausgehe, indem ja der Minister anderen Faktoren verantwortlich sei.

Der Ministerpräsident bemerkt, dass diese Art der Kontrolle kein Novum sei, sondern eseit jehere geübt werde. Man würde mit deren Beseitigung ein Novum schaffen.

Der Finanzminister bemerkt: Abgesehen davon, dass diese Art [der] Kontrolle schon [e]ingeführt sei, sehe er weder etwas Bedenkliches noch Demütigendes darin, nachdem ja bei der Verwaltung öffentlicher Gelder die Absicht, sich innerhalb der gesetzlichen Linie zu halten, selbstverständlich sei. Im Gegenteile müsse es sogar dem Minister angenehm sein, sich auf die Kontrolle berufen zu können, wenn bei ihm Nachsichten angesucht werden, welche das Gesetz nicht erlaube. Dieser Punkt der Kontrolle sei namentlich deshalb von besonderer Wichtigkeit, weil damit der etwaigen Gewährung von Steuernachsichten aus politischen Rücksichten ein Riegel vorgeschoben werde.

Minister Freiherr v. Ziemiałkowski schließt sich ganz der Anschauung des Vorredners an und [] [d]em vom Landes[ve]rteidigungsminister be[r]ührten Momente der Verantwortlichkeit, dass ja mit der Beanständigung seitens des Obersten Rechnungshofes noch kein Verdikt ausgesprochen werde.

Ministerialrat Ritter v. Hankiewicz macht auf den nächstfolgenden Artikel des Entwurfes aufmerksam, wornach behufs der Austragung von derlei Anständen ein Vernehmen mit der betreffenden Zentralstelle und eventuell eine Verhandlung im Ministerrate stattzufinden habe, bevor die Sache zur Kenntnis des Reichsrates gebracht werden könne.

Der Landesverteidigungsminister bemerkt, dass diese Art der Kontrolle in der Mi[litä]rpraxis zu endlosen Streitigkeiten und Auseinandersetzungen zu führen geeignet sei, weil fin der umfassenden militärischen Praxis, namentlich bei kriegerischen Aktionen, vielerlei Vorkommnisse sich auf strikte Vorschriften überhaupt nicht basieren lassenf . Er wollte allenfalls die Kontrolle dahin zugeben, dass nicht direkte gegen ein Gesetz vorgegangen werde. Die Fassung der Bestimmung sei aber so gegeben, dass es dem Staatsrechnungshofe überlassen sei, überhaupt, also auch dann, wenn die Verletzung eines bestimmten Gesetzes nicht entgegengehalten werden könne, meritorischg zu beurteilen, ob der Vorgang in den Gesetzen und Verordnungen vorgesehen sei und eventuell alles zu beanständen, was nicht ausdrücklich und buchstäblich vorgeschrieben steheh . Der Landesverteidigungsminister beantragt daher, wenigstens den bezüglichen Passus [] dahin abzuän[de]rn, dass er laute: „ob das Zugeständnis von Nachsichten oder Abschreibungen nicht gegen die Gesetze und Verordnungen verstoße.“

Der Handelsminister schließt sich diesem Abänderungsantrage an. Die übrigen Minister erklären sich für die Fassung der Proposition des Finanzministeriums. Es wird sonach Artikel 15 in der Fassung des Artikel 14 (neu) akzeptiert. Desgleichen wird Artikel 16, neu Artikel 15, akzeptiert.

Zu Artikel 17, neu 16, wird vom Handelsminister bemerkt, dass in Anbetracht der dem Staatsrechnungshofe nach Artikel [15, neu 14] zustehe[nden] weitgehenden Befugnisse es jedenfalls nicht mehr geboten erscheine und leicht zu Sekkaturen seitens eines untergeordneten Rechnungsbeamten führen könne, wenn man den Abgeordneten des Rechnungshofes in Erweiterung des bisherigen diesfälligen Befugnisses gestatte, sich nicht bloß über die Ordnungsmäßigkeit in der Geschäftsbehandlung, sondern auch in der „Gebarung“ Überzeugung zu verschaffen und diesen Beamten sonach die Fällung eines Urteiles über letztere einräume.

Ministerialrat Ritter v. Hankiewicz glaubt, dass das diesfällige Eingehen in die Gebarung wohl nicht anders zu verstehen sei, als dass sich der betreffende Beamte überzeuge, ob die Aufzeichnungen in den Büchern mit den aktenmäßigen Anordnungen übereinstimmen.

Der Handelsminister [be]merkt, dass unter Eingehen in die Gebarung eben allgemein jene Befugnisse verstanden werden, welche nach der vorerwähnten Bestimmung dem Obersten Rechnungshofe zustehen. Nachdem man mit der allgemeinen Begriffsauslegung rechnen müsse, sei die Bestimmung bedenklich. Wenn man aber nur den vom Referenten gemeinten engen Begriff im Auge habe, so brauche man den Ausdruck „Gebarung“ gar nicht aufzunehmen. Dieser Anschauung schließt sich der Ministerrat an und wird daher Artikel 17 (neu 16) in der aus der Beilage 2 ersichtlichen Fassung angenommeni . Die Artikel 18 bis 23 bzw. 17 bis 22 neu [werden] ohne [Debatte] in der aus der Beilage 2 ersichtlichen Fassung akzeptiert.

Bei der Bestimmung des Artikels 24 (neu 23) wird über Anregung des Handelsministers und des Ministers Freiherrn v. Ziemiałkowski die Anschauung zum Ausdruck gebracht, dass aus dieser lediglich die Beziehung der Zentralstellen zum Staatsrechnungshofe regelnden Bestimmung keineswegs eine Änderung der Anordnung gefolgert werden könne, wornach bei Kreditüberschreitungen mit dem Finanzministerium in das Vernehmen zu treten ist. Sonach werden Artikel 24, 25 und 26 bzw. Artikel 23, 24 und 25 neu ohne Debatte in der aus der Beilage 2 ersichtlichen Fassung akzeptiert.

[Schl]ießlich erteilt der Mini[s]terrat dem Finanzminister die Ermächtigung zur Einbringung des aus der Beilage 2 ersichtlichen Gesetzentwurfes5.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen. Wien, am 11. Dezember 1882. Franz Joseph.