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Nr. 429 Ministerrat, Wien, 3. November 1882 – Protokoll I

RS.; P. Jaeger; VS. Taaffe; BdE. und anw. (Taaffe 3. 11.), Ziemiałkowski, Falkenhayn, Pražák, Welsersheimb, Dunajewski, Pino; BdE. und abw. Conrad.

KZ. 106 – MRZ. 85

Protokoll I des zu Wien am 3. November 1882 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Herrn Ministerpräsidenten Grafen Taaffe.

I. Vorschlag wegen Ernennung des Bezirkshauptmannes Dr. Franz Lautner zum Regierungsrate und Polizeidirektor in Graz

I. ℹ️Der Ministerpräsident erbittet sich die Zustimmung des Ministerrates zu dem Vorhaben, für die in Erledigung [] [Regierung]srates und Polizeidirektors in Graz den Bezirkshauptmann der Bezirkshauptmannschaft Graz Dr. Franz Lautner au. vorzuschlagen. Der Ministerpräsident teilt dem Ministerrate den diesfalls zu erstattenden au. Vortrag mit und bemerkt, dass er umso lieber auf den Antrag des Statthalters zur Ernennung Lautners eingehe, als er einerseits in der eigentlichen Polizeibranche keine Persönlichkeit habe, welche für den Grazer Posten entsprechend wären und als es andererseits im Interesse gedeihlichen Zusammenwirkens wünschenswert sei, den Polizeidirektorsposten mit einem Beamten zu besetzen, welcher das besondere Vertrauen des Statthalters genieße. [Der Ministerrat erklärt sei]ne Zustimmung1.

II. Erwirkung von Ah. Ordensauszeichnungen für den kgl. preußischen geheimen Oberjustizrat Starke und für den großherzoglich badischen Geheimrat Ekert

II. ℹ️Der Leiter des Justizministeriums Minister Freiherr v. Pražák beabsichtigt, im Wege des Ministeriums des Äußern, für den kgl. preußischen geheimen Oberjustiz- und vortragenden Rat im Justizministerium zu Berlin Wilhelm Starke und den großherzoglich badischen Geheimrat und Gefängnisdirektor in Freiberg Gustav Ekert Ah. Ordenszeichnungen zu erwirken. Diese beiden Persönlichkeiten haben sich um die österreichische Justizverwaltung besonders verdienstlich gemacht, indem sie die von Seite des Justizministeriums veranlassten Studien der Verhältnisse und der Einrichtungen des deutschen Gefängniswesens [] [e]rfolgreichsten Weise förderten. Zugleich handle es sich hiebei um zwei Persönlichkeiten, welche Autoritäten auf dem Gebiete des Gefängniswesens sind und durch ihre literarischen Leistungen auf diesem Gebiete hervorragen. Was den Grad der zu erwirkenden Auszeichnungen anbelange, so wolle der Minister sich dem Ministerium des Äußern gegenüber dahin ausdrücken, dass das Ministerium des Äußern die den Stellungen der beiden Persönlichkeiten entsprechenden Auszeichnungen erwirken möge, wolle jedoch andeuten, dass er für Starke etwa das Komturkreuz des Franz-Joseph-Ordens mit dem Sterne und für Ekert das Komturkreuz des Franz-Joseph-Ordens unvorgreiflich als angemessen erachte. Der Ministerrat erklärt [sich einverstanden]2.

III. Wegen Einbringung einer Kreditforderung behufs Vermehrung der Gendarmerie in Galizien und Böhmen

III. ℹ️Der Landesverteidigungsminister bringt zur Sprache die von den Statthaltern in Galizien und Böhmen gestellten Ansuchen um Vermehrung der Gendarmarie. Für Galizien werde die Notwendigkeit der Vermehrung begründet mit Hinweis auf die Grenzverhältnisse, die Rinderpestüberwachung und die sozialistische Bewegung3, für Böhmen mit Hinweis auf die nationalen Zwistigkeiten, die sozialen Umtriebe und das Überhandnehmen des Landstreichertums4. Die begehrte Vermehrung würde für Galizien 58.000 fl., für Böhmen 18.000 fl., zusammen 76.000 fl. kosten. In dieser Summe seien jedoch auch die Aufstellungskosten per 16.000 fl. be[] des ersten Jahres treffen, dass in den folgenden Jahren der Gesamtaufwand sich nur auf 60.000 fl. beziffern würde5. Nachdem der Kredit nicht mehr in den Voranschlag pro 1883 aufgenommen werden konnte, müsste ein Nachtragskredit begehrt werden. Dass es ihm nicht möglich sei, der Anforderung des Finanzministers, den fraglichen Kredit durch einen anderweitigen Abstrich in seinem Budget zu kompensieren, zu entsprechen, habe er bei der Budgetverhandlung dargelegt6. Er gebe sohin zu erwägen, ob der Kredit begehrt werden oder ob es von der Vermehrung abkommen solle.

Aus der Verhältnisübersicht über die Verteilung der Gendarmerie ergebe sich, dass sich für Galizien und Böhmen im Verhältnisse zu andern Län[dern] []otwir[] lasse. Allerdings könnten auch andere in ähnlichen Verhältnissen stehende Länder sich veranlasst sehen, gleichfalls eine entsprechende Vermehrung zu beanspruchen. Der hauptsächlichste Grund des Drängens nach Vermehrung der Gendarmerie liege darin, dass die Gemeinden adie ihnen übertragenen polizeilichen Pflichtena nicht erfüllen und wären also seines Erachtens die Gemeinden zu verhalten, dass sie, nachdem sie einen so großen Wirkungskreisb haben, auch die entsprechenden Pflichten erfüllen.

Der Ministerpräsident bemerkt, dass leider wegen der Untätigkeit der Gemeinden die Gendarmen auch zu Aufgaben (Lokalpolizei) verwendet werden müssen, zu denen sie nicht bestimmt sind. Es dürfte schließlich nichts anderes []egeln, dass die Gemein[de]n zu einer Beitragsleistung für die Gendarmerie verhalten werden7. Minister Freiherr v. Ziemiałkowski erklärt sich für die beanspruchte Vermehrung für beide Länder, nachdem dieselbe im Interesse der öffentlichen Sicherheit geboten sei und die Gemeinden eben faktisch nichts leisten. Auch der Handelsminister und Minister Freiherr v. Pražák erklären sich für die fragliche Vermehrung. Letzterer betont zugleich, dass es in Rücksicht auf die wiederholten verbrecherischen Anfälle gut wäre, auf den Reichsstraßen in der Umgebung von Wien mehr Gendarmen zur Verwendung zu bringen. Der Finanzminister muss in erster Linie wünschen, dass []n Abstrich aus einem andern Ressortposten hereingebracht würde. Er proponiert mit der Einbringung des Kredites jedenfalls noch vorläufig zu warten und allenfalls dann zu kommen, wenn etwa vom Finanzausschusse irgendwo Abstriche vorgenommen sein würden.

Der Ministerrat beschließt, dass mit der Einbringung des fraglichen Kredites vorläufig und bis zu einem geeigneten Zeitpunkte noch zuzuwarten sei8.

IV. Über den ungarischen Gesetzentwurf, betreffend die Einteilung ungarischer Truppenabteilungen in neu zu formierende österreichische Regimenter

IV. ℹ️Der Landesverteidigungsminister bringt zur Sprache die für Ungarn im Gesetzeswege auszusprechende Bewilligung zur Einteilung ungarischer Truppenabteilungen in neu zu formierende österreichische Regimenter9. [] [N]ovelle enthalte die aparte [Be]stimmung (worüber eine analoge Anordnung in unserer Wehrgesetznovelle nicht vorkommt), dass die in das Heer eingereihten ungarischen Wehrpflichtigen mit alleiniger Ausnahme der Sanitätstruppe ausschließlich nur in ungarische Heereskörper einzuteilen sind. Nachdem nun die Armeereform eine teilweise Einreihung von Elementenc ungarischer Truppenkörper in die neu zu formierenden österreichischen Regimenter erheische, so solled zur Bewerkstelligung dieses Vorganges wegen der ihm entgegenstehenden Bestimmung des § 8 der ungarischen Novelle für Ungarn eine besondere gesetzliche Ermächtigung erwirkt werden.

Es wurde nun ein bezüglicher Gesetzentwurf für den ungarischen Reichstag verfasst, zu welchem das Reichskriegsministerium [] [erk]lärt habe und welcher post expeditionem dem Landesverteidigungsminister zur Einsicht mitgeteilt wurde. Der Landesverteidigungsminister teilt dem Ministerrate diesen aus der Anlage ersichtlichen Entwurf mite . Wie aus dem Inhalte des Entwurfes zu ersehen, befasse sich derselbe nicht bloß mit der Einteilung ungarischer Elementef in österreichische Regimenter, sondern gehe weiter, indem er (im § 2) auch auf das Dienen österreichischer Wehrpflichtiger in den in ungarische Truppenkörper umzuformierenden Regimentern reflektiere und eine förmliche Bewilligung für das Zusammendienen österreichischer Wehrpflichtiger mit den ungarischen in den ungarischen Truppenkörpern statuieren wolleg .

[] [Ministe]rrat erstli[ch, we]il er glaube, dass mit einer auf das Wehrsystem bezughabenden Bestimmung bzw. mit einer diesfälligen Gesetzesproposition, wenn die Regelung konkret auch nur eine Reichshälfte betrifft, nicht einseitig, sondern nach Vereinbarung beider Regierungen und in Übereinstimmung vorzugehen sei und weil er beabsichtige, gegen dieses einseitige Vorgehen, insbesondere aber bezüglich des § 2 des Entwurfes Verwahrung einzulegen. Der Landesverteidigungsminister proponiert zu diesem Behufe sich in der aus der Beilage ersichtlichen Weise dem Reichskriegsministerium gegenüber auszusprechenh .

Minister Freiherr v. Ziemiałkowski glaubt, dass weiter zu gehen und geradezu zu verlangen [] eliminiert werde, indem es unzulässig scheine, durch die ungarische Legislative Bestimmungen über das militärische Dienen österreichischer Untertanen zu treffen. Der Handelsminister ist derselben Ansicht. Obgleich nicht geleugnet werden könne, dass der § 2 vom ungarischen Standpunkte aus sehr geschickt abgefasst ist, so begreife er doch eine Bewilligung des Dienens der österreichischen Wehrpflichtigen in den ungarischen Truppenkörpern in sich. Der Landesverteidigungsminister glaubt, dass deshalb in der Note an das Reichskriegsministerium nur die von ihm proponierte Verwahrung auszusprechen wäre, weil nicht unser Einverständnis eingeholt werde, sondern die Ange[legenheit] [] mitgeteilt w[e]rde. Etwas anderes wäre es, wenn Se. Majestät geruhten, über die Fassung eine Ah. Entscheidung zu treffen, wodurch der in der Verwahrung der k. k. Regierung gelegenen Intention entsprochen würde.

Der Ministerpräsident erklärt sich unter dieser Tendenz der Verwahrung mit dem Erledigungsvorhaben einverstanden, indem er betont, dass es sich bei der Bestimmung des § 2 um eine Anordnung handelt, welche bei der diesseitigen Gesetzeslage lediglich von Sr. Majestät als Ah. Kriegsherrn zu treffen ist.

Der Ministerrat erklärt sonach zu der vom Landesverteidigungsminister proponierten Note seine Zustimmung10.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen. Wien, am 11. Dezember 1882. Franz Joseph.