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Nr. 426 Ministerrat, Wien, 29. Oktober 1882 – Protokoll I

RS.; P. Jaeger; VS. Taaffe; BdE. und anw. (Taaffe 29. 10.), Ziemiałkowski, Falkenhayn, Pražák, Conrad, Welsersheimb, Dunajewski, Pino; außerdem anw. Widmann, Kubin, Schrötter.

KZ. 102 – MRZ. 82

Protokoll I des zu Wien am 29. Oktober 1882 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Herrn Ministerpräsidenten Grafen Taaffe.

I. Weitere Maßnahmen der Regierung anlässlich der Unglücksfälle in Tirol

[I.] ℹ️Der Ministerpräsident bringt zur Verhandlung die im Verfolge der früheren sowie anlässlich der neuerlichen durch Überschwemmung eingetretenen Unglücksfälle in Tirol notwendig gewordenen weiteren Maßnahmen der Regierung1. Über die Angelegenheit wurde heute im Ministerium des Innern unter Beiziehung des Statthalters eine Vorberatung abgehalten2. Dabei wurde für zunächst als notwendig erkannt, a) dass sogleich eine Erweiterung der mit der kaiserlichen Verordnung vom 26. September d. J. angeordneten Hilfsaktion für Tirol vorgenommen werde3, damit man in der Lage sei, der augenblicklichen Not durch Verabreichung entsprechender Unterstützungen abzuhelfen, b) dass dem Statthalter in Tirol eine Anzahl politischer Beamten und Baubeamten [zum zeit]weiligen Dienst zur [Verf]ügung gestellt werde, um die besonderen Geschäfte zu bewältigen, welche aus Anlass der Unglücksfälle für die Verwaltung in Tirol erwachsen sind. Ferner wurde für später nach Zusammentritt des Reichsrates die Einleitung einer größeren Aktion behufs der Schadensabhilfe ins Auge gefasst.

Sektionsrat Freiherr v. Kubin referiert, dass die Proposition des Ministerpräsidenten hinsichtlich des ersten Punktes der Maßnahmen dahin gehe, abermals im Wege kaiserlicher Verordnung nach § 14 des Grundgesetzes über die Reichsvertretung4 die Unterstützungskation vom 26. September d. J. für Tirol in der Weise zu erweitern, dass der ganze für Tirol bewilligte Betrag von a500.a 000 f. zur Verabfolgung nicht rückzuzahlender Unterstützungen verwendet werden könne. Auf die Frage des Handelsministers, weshalb nicht für Kärnten eine analoge Ausdehnung der Hilfsaktion bewerkstelligt werde, bemerkt der Ministerpräsident, dass von Kärnten erstlich kein diesfälliger Antrag vorliege und dass auch nach allen Berichten in Kärnten die Kalamität vergleichsweise nicht so bedeutend sei. Der Statthalter Freiherr v. Widmann kann aus Mitteilungen von Augenzeugen sowie auch aus teilweiser eigener Anschauung bestätigen, dass die Kalamität in Kärnten mit der in Tirol in gar keinen Vergleich zu stellen sei und dass nach der Be[stätigu]ng derer, welche die [beid]erseitigen Überschwemmungsgebiete überschaut haben, nicht nur das bei den Sammlungsverteilungen angenommene Schadensverhältnis von ¾ Tirol und ¼ Kärnten nicht zutreffend sei, sondern, dass es selbst schon zu hoch angenommen sein dürfte, wenn der Schaden Kärntens mit 1/20 zu dem Tirols veranschlagt werde. Der Ministerrat erklärt zur proponierten Erweiterung der Hilfsaktion für Tirol seine Zustimmung5.

Sektionschef Freiherr v. Kubin bringt hinsichtlich des zweiten Punktes der sofortigen Maßnahme vor, dass nach der Darstellung des Statthalters zur Bewältigung der durch die Überschwemmungskalamität erwachsenen besonderen Verwaltungsarbeiten, für welche der Statthalter ein besonderes Büro einrichten müsse, unbedingt notwendig sei, das Beamtenpersonale durch einen Statthaltereirat und noch sechs andere Verwaltungsbeamte zu vermehren. Weiters erscheine es geboten, dem Statthalter an Baupersonale noch zwei Oberingenieure und zwei Ingenieure zur Verfügung zu stellen. Ob die wegen des außerordentlichen Anlasses für zeitweilig zu bestellenden Beamten in den betreffenden Stellungen als extra statum zu ernennen sein oder ob zweckmäßiger die Verwendung Beamter aus anderen Kronländern auf Diäten zu verfügen sein werde, wolle noch näherer Erwägung nach Einvernehmung mit dem Finanzministerium vorbehalten bleiben. Der Finanzminister er[klä]rt vorbehaltlich der konkreten Verhandlung, dass er mit der beabsichtigten Maßregel prinzipiell einverstanden sei. Der Ministerrat erklärt zur proponierten Verfügung seine Zustimmung6.

Sektionschef Freiherr v. Kubin bringt endlich zur Sprache die für weiters nach dem Zusammentritte des Reichsrates in Aussicht zu nehmende Aktion. Die durch die Überschwemmung in Tirol angerichteten Schäden werden auf mehr als 15 Millionen Gulden geschätzt. Wenn diese Schätzung auch zu hoch gegriffen sein dürfte, so habe man es sicherlich doch immer mit Schäden von vielen Millionen zu tun. Deshalb sowie in [Anb]etracht des Umstandes, dass die zerstörten Kommunikationen7, welche große Summen repräsentieren, wiederhergestellt werden müssen, und weil es endlich auch notwendig erscheine, Abhilfen und Vorkehrungen in sonstiger baulicher Beziehung zu treffen, um nicht in nächster Zeit wieder in ähnliche Kalamitäten zu geraten, sei eine weitere größere Hilfsaktion unbedingt erforderlich.

Der Ministerpräsident denkt sich hiebei ein kombiniertes Vorgehen des Landes und des Staates. Nach den von den maßgebenden Landeskreisen geäußerten Absichten wolle das Land ein Hilfsanlehen aufnehmen, weshalb es jedenfalls notwendig sein werde, den Landtag zu diesem Behufe einzuberufen. Bei dieser Gelegenheit könnte nun der Landtag [demnac]h seine Wünsche für das [wei]tere Hilfseingreifen des Staates formulieren. Nach dem Erachten des Ministerpräsidenten dürfte die weitere Aktion des Staates voraussichtlich umfassen müssen: Die Gewährung eines nicht rückzahlbaren Beitrages zu Zwecken von Herstellungen und Regulierungen und ferners die Gewährung von Vorschüssen zu denselben Zwecken. Um die Sache in das richtige Geleise zu bringen, würde es daher zweckentsprechend sein, dass der Landtag im November etwa knapp nach Schluss der Delegationen einberufen würde und seine diesfälligen Beratungen noch vor Beginn der Reichsratssession beendete8.

Der Statthalter Freiherr v. Widmann bemerkt, dass dies beiläufig den Erwartungen entspricht, welche [man] in den Landtagskreisen hege. Die Kreditoperation des Landes werde vor allem zu dem Zwecke geplant, um Subventionen zu erteilen für Bachregulierungen, Ufersicherungen, Herstellung von Wegen und Brücken, für welche Herstellungen die Gemeinden aufzukommen hätten, von denen jedoch bei den obwaltenden Umständen keinerlei Last übernommen werden könne. Anknüpfend an diesen Zweck dürfte nun der Landtag an die Regierung die Bitte stellen, dass der Staat erstlich gleichfalls mit einer Subventionssumme beispringe und dass er weiters über das, was ihm als Geschenk zu geben möglich ist, hinaus Vorschüsse aus Staatsmitteln gewähre. Bei der furchtbaren Ausdehnung der Zerstörungen werde ausgiebige Unterstützung notwendig [sein. So] müsste er dafür sein, [da]ss die in letzter Linie zu erteilenden Vorschüsse in unbestimmter Höhe festgesetzt und auf möglichst viele Jahre hinaus, wie seinerzeit in Böhmen, gewährt würden. Der Statthalter bemerkt ferner, dass er, was die Erhaltung der notleidenden Leute anbelange, mit dem nunmehr für Unterstützungen zu überlassenden Staatsbetrage per 500.000 fl. (110.000 fl. seien bereits erteilt), mit der Spende Sr. Majestät und mit den Sammlungseinläufen über den Winter hinauskommen zu können glaube.

Der Finanzminister bemerkt, dass er prinzipiell der ins Auge gefassten Aktion nicht entgegen sei, doch halte er, was die Vorschüsse anbelange, den Vorgang seinerzeit in Böhmen nicht für ermunternd, da die Vorschüsse, [wel]che vom Staate direkte den Gemeinden gegeben werden, in der Regel nicht hereinzubringen seien9. Er müsste daher diesfalls für den Modus sein, dass die Vorschüsse dem Lande gegen dessen Haftung gegeben werden. Die proponierte Einberufung des Landtages und der Vorgang in der Weise, dass die Petita des Landtages bis zum Zusammentritte des Reichsrates vorliegen, scheine erwünscht, da es ihm zugleich finanztechnisch wichtig sei, den bezüglichen Kredit für das Jahre 1882 zu beanspruchen. Der Statthalter Freiherr v. Widmann hat gegen den Modus die Vorschüsse dem Lande gegen dessen Haftung zu geben nichts vorzubringen.

Der Ministerpräsident hält diesen Modus seinerseits [für ga]nz entsprechend. Doch er[inn]ert er daran, dass im Hinblicke hierauf und um nicht wegen der Haftungsfrage den Landtag später wieder einberufen zu müssen, Vorsorge zu treffen sein werde, dass der Landtag jetzt schon anlässlich seiner Petita auch über die Übernahme der fraglichen Haftung beschließe.

Nach kurzer Diskussion erklärt sich der Ministerrat prinzipiell mit der weiteren Hilfsaktion einverstanden und beschließt die Einberufung des Tiroler Landtages zu dem vom Ministerpräsidenten ins Auge gefassten Termine zum Behufe der Beratung der Landeskalamität, wobei zu veranlassen sein werde, dass der Landtag, im Falle er Staatsvorschüsse für den Notstand sich erbäte, er sich zugleich [zu] der Übernahme der Garantie des Landes bis zu einer gewissen Ziffer solcher Vorschüsse bereit erkläre10.

ℹ️Der Statthalter Freiherr v. Widmann erlaubt sich, bei dieser Gelegenheit vorzubringen, dass er in Südtirol von allen Seiten bestürmt wurde, zu befürworten, dass wegen des herrschenden Notstandes die zollfreie Einfuhr von Getreide aus Italien bewilligt werde. Der Handelsminister bemerkt, dass der Ministerrat infolge seiner Anregung sich für diese Begünstigung schon erklärt habe, dass aber von Seite der ungarischen Regierung, an welche er sich nach einer ersten abschlägigen Antwort bereits zum zweiten Male gewendet habe, die erforderliche Zustimmung noch [nicht er]langt werden konnte. [Er] hoffe indessen, dass Ungarn schließlich noch zustimmen werde11.

ℹ️Der Statthalter Freiherr v. Widmann bringt ferner das bei ihm vorgebrachte Anliegen zur Erwähnung, dass jene Grundparzellen, welche nunmehr durch die Überschwemmung vernichtet wurden, jetzt noch vor der schließlichen Feststellung des Grundsteuerkatasters eliminiert werden mögen. Der Finanzminister bemerkt, dass dort, wo das Grundstück vernichtet ist, die Steuerzahlung ja faktisch entfalle. Er sehe daher keinen Anlass den Abschluss der Grundsteuerarbeiten zu hindern, zumal dies Rückwirkungen auch auf die übrigen Provinzen äußern könnte12.

ℹ️Der Statthalter Freiherr v. Widmann bringt endlich vor, dass einige italienische Gemeinden Südtirols infolge der Kalamitäten auszuwandern gedenken und dass es wünschenswert sein dürfte, denselben, wenn sie nach Bosnien gingen, unter die Arme zu greifen. Auch von den Ministern wird eine diesbezügliche Unterstützung als wünschenswert angesehen13.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen. Wien, am 11. Dezember 1882. Franz Joseph.