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Nr. 412 Ministerrat, Wien, 23. August 1882

RS.; P. Jaeger; VS. Taaffe; BdE. und anw. (Taaffe 23. 8.) Falkenhayn, Pražák, Conrad, Welsersheimb, Pino; außerdem anw. Kubin; BdE. und abw. Ziemiałkowski, Dunajewski.

KZ. 83 – MRZ. 68

Protokoll des zu Wien am 23. August 1882 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Herrn Ministerpräsidenten Grafen Taaffe.

I. Wegen Einberufung weiterer acht Landtage

I. ℹ️Im Auftrage des Ministerpräsidenten als Leiter des Ministeriums des Innern [referiert Sektionschef Freiherr v.] Kubin [über weite]re Tagungseinbe[rufun]g von Landtagen1. [Von] den zehn Landtagen, für [die] bisher die Tagung noch nicht anberaumt wurde, sollten nunmehr die Landtage von Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg, Vorarlberg, Kärnten, Böhmen, Mähren und Schlesien einberufen werden, und zwar beabsichtige der Ministerpräsident als Einberufungstermin für diese Landtage den 26. September au. zu beantragen, nachdem dieser Termin hinsichtlich aller dieser Landtage fast ganz genau mit den von den betreffenden Landeschefs nach Einvernehmung der Landesausschüsse geäußerten Wünschen übereinstimme. Dieser Termin scheine auch sonst entsprechend, nachdem die Delegationen erst nach d[em] 20. Oktober einberufen werden dürften, eine Tagungsdauer von vier Wochen in der Regel genüge und eine solche Dauer heuer auch für den böhmischen Landtag ausreichen dürfte, woselbst diesmal nur die Erledigung der streng geschäftlichen Angelegenheiten der Landesverwaltung beabsichtigt werde.

Sonach bleibe nur noch die Erledigung der Tagungsfrage für die Landtage von Triest und Dalmatien übrig. Beim Triester Landtage werde man jedenfalls bis nach der Ausstellung warten müssen. Ebenso solle die Einberufung des Dalmatiner Landtages erst später erwogen werden, nachdem der Statthalter beantragt habe, den dortigen Landtag entweder zu einer sehr späten Zeit des Jahres oder heuer [gar nicht einzuberufen.

Der Ministerr]at erklärt [sich mit] dem Einberufungsan[trag]e für die oben angeführten acht Landtage einverstan[den2.]

II. Wegen Nichtsanktionierung des vom niederösterreichischen Landtage beschlossenen Gesetzentwurfes betreffend die öffentliche Armenpflege in den Gemeinden

II. ℹ️Sektionschef Freiherr v. Kubin referiert ferner über den vom niederösterreichischen Landtage beschlossenen Gesetzentwurf betreffend die öffentliche Armenpflege der Gemeinden3. Dieser dem für Oberösterreich bestehenden Armengesetze nachgebildete Entwurf4 wäre in seiner ganzen Tendenz und Richtung nach zur Sanktion wohl geeignet, wenn derselbe nicht die in § 59 aufgenommene Bestimmung enthielte, wornach es den Gemeinden freigestellt wird, Krankenkassen für Dienstboten, Arbeiter, Gewerbsgehilfen, Lehrlinge usw. zu errichten. Indem die Fassung dieser Bestimmung nicht ausschließe, dass der obligatorische Beitritt zu solchen Kassen in Anspruch genommen werden könne, so stelle sich dieselbe in teilweise Kollision zu den nach der Gewerbeordnung und nach dem Berggesetze schon normierten Beitragsverpflichtungen zu gewerblichen Unterstützungskassen respektive Bruderladen. Andererseits werde durch eine solche Anordnung der mittelst der neuen Gewerbeordnung beabsichtigten Reglung des gewerblichen Unterstützungswesens präjudiziert. Deshalb gehe es wegen dieser Bestimmung nicht an, den Entwurf zur Ah. Sanktion zu empfehlen und werde beabsichtigt, dem Landtage für § 59 die Annahme einer Fassung nahezulegen, welche kollidierende oder präjudizierende Wirkungen [vermeide.]

[Der Ministerr]at erklärt sich [mit d]em Nichtsanktionierungs[a]ntrage einverstanden5.

III. Wegen Regelung der Bezüge des Universitätsprofessors Dr. Schipper

III. ℹ️Der Minister für Kultus und Unterricht bringt infolge Ah. Auftrages Sr. Majestät zur Sprache die Angelegenheit der Regelung der Bezüge des ordentlichen Professors der englischen Philologie an der Wiener Universität, Dr. Jacob Schipper6. Im Jahre 1876 wurde Dr. Schipper zum ordentlichen Universitätsprofessor mit den systemmäßigen Bezügen und mit dem ernannt, dass demselben eine zehnjährige Dienstzeit „behufs der sogleichen Einrückung in die Quinquennalzulagen“ und behufs der Pensionsbemessung angerechnet werde7. Zugleich wurde dem Professor Schipper für die Leitung des Seminars für englische Sprache vom Ministerium ein Honorar von jährlichen 1.000 fl. ausgeworfen, sodass dessen Gesamtbezüge die Summe von 4.400 fl. erreichten. Im Jahre 1877 suchte Professor Schipper an, dass ihm die Remuneration für die Seminarsleitung per 1.000 fl. in seinen Gehalt einbezogen werde. Darauf wurde mit Ah. Entschließung vom 1. Jänner 1878 verfügt, dass dem Professor Schipper „eine nach Maßgabe der Vorrückung in die höheren Gehaltsstufen verhältnismäßig einzuziehende, in die Pension einrechenbare Personalzulage von 1000 fl.“ gegen Einstellung des früheren Seminarhonorars bewilligt werde8. Die an diese Ah. Zuwendung geknüpfte Bedingung veranlasste nun den [Minister, die Vor]rückung in die [ihm] zukommenden Quinquennalzulagen ohne Schmälerung der ihm Ag. zugestandenen Personalzulage von 1.000 fl. eintreten zu lassen, weil er sich sonst in den Bezugsansprüchen, wie sie ihm durch das Ausstellungsdekret zugesichert wurden, beeinträchtigt fände.

Der Minister bemerkt, dass er in der Bezugsbegünstigung für einen Professor der englischen Philologie vielleicht nicht so weit gegangen wäre, wie es durch die angeführten Zuwendungen geschehen sei. Andererseits müsse er aber betonen, dass die Beschränkung, welche für die Ah. Entschließung vom 1. Jänner 1878 beantragt worden war, nicht aktenmäßig sei, nämlich nicht mit der dem Dr. Schipper bei der Anstellung im Jahre 1876 gemachten Zusicherung der systemmäßigen Bezüge harmoniere. Nachdem daher Schippers neuerliche Bitte begründet sei und man nicht wortbrüchig werden könne, so habe er die Absicht gehabt, Se. Majestät au. zu bitten, die Ah. Entschließung vom 1. Jänner 1878 dahin interpretieren zu dürfen, dass Schipper während seiner Aktivität in die gesetzlichen Quinquennalzulagen vorzurücken habe, dass jedoch im Falle seiner Pensionierung von der Personalzulage per 1.000 fl. nur jener Teilbeitrag in die Pension anrechenbar sei, um welchen dieselbe noch die Summe der nach der Ah. Entschließung vom 1. Jänner 1878 erlangten Quinquennalzulagen übersteigt. [] Zustimmung des [Minis]terrates.

Der Ministerrat erklärt seine Zustimmung9.

IV. Bezüglich der Einbringung des Gesetzentwurfes über Einquartierungserleichterungen im galizischen Landtage

IV. ℹ️Der Landesverteidigungsminister bringt mit Bezugnahme auf den in der Ministerkonferenz vom 31. Juli l. J. erstatteten Vortrag wegen Einbringung eines Gesetzentwurfes betreffend Einquartierungserleichterungen im galizischen Landtage zur Kenntnis, dass Minister Freiherr v. Ziemiałkowski gegen die beabsichtigte Einbringung des Entwurfes keine Einwendung erhoben habe und er (Landesverteidigungsminister) sonach hierzu die Ah. Ermächtigung Sr. Majestät eingeholt habe. Die Mitteilung wird zur Kenntnis genommen10.

V. Die Verhältnisse in Triest. Reise Sr. Majestät dahin. Erwirkung des Ordens der Eisernen Krone III. Klasse für Wilhelm Räcke. Frage der Abhaltung eines internationalen Weinkongresses in Triest

V. ℹ️Der Ministerpräsident kommt abermals auf die Triester Verhältnisse zu sprechen. Nachdem bei der im Ministerrate vom 19. d. M. über die Vorkommnisse in Triest gepflogenen Besprechung11 hinsichtlich des beabsichtigten Besuches Sr. Majestät Bedenken geäußert und auch die Bemerkung vorgebracht wurde, dass es entsprechend wäre, von hier aus jemanden nach Triest zu senden, um sich von der Situation zu überzeugen, habe er sich selbst veranlasst gesehen, Triest zu besuchen. Der Ministerpräsident habe dort mit verschiedenen Per[sonen beraten. Überein]stimmend [seien alle] der Meinung, dass [bei] dem ersten Bombenereignisse eine Reaktion eingetreten sei und dass jetzt auch schon aus materiellen Rücksichten alles zusammenwirken werde, damit keine weitere Störung mehr stattfinde. Was die Ah. Reise Sr. Majestät nach Triest anbelange, so wurde von allen Seiten betont, dass dieselbe höchst wünschenswert wäre, indem das Unterbleiben derselben einen Erfolg der Irredenten bedeuten würde. Man glaube, dass Se. Majestät mit dem größten Jubel empfangen werden würden und dass, soweit überhaupt menschliche Voraussicht möglich sei, der Ah. Person Sr. Majestät keinerlei Gefahr drohen werde. Dass bei diesem Anlasse irgendwo entfernt von dem Umkreise der Festlichkeit und des Aufenthaltes Sr. Majestät etwa eine Demonstration stattfinde, sei denkbar; indessen dürften sich die agitatorischen Kreise von der in solchem Falle über sie hereinbrechenden Wut der Bevölkerung fürchten. Der Ministerpräsident habe in spezieller Weise auch mit dem Podestà von Triest über die Verhältnisse gesprochen und demselben bei dieser Gelegenheit die Verpflichtung vorgehalten, die ihn als Podestà gegenüber der Dynastie, gegenüber der Regierung und gegenüber der Stadt Triest obliegen. In letzterer Beziehung habe er denselben insbesondere darauf aufmerksam gemacht, dass nicht bloß der Ruf der Stadt, sondern auch ihre materiellen Interessen infrage kommen und dass man unter solchen Verhältnissen nicht [] Bevölkerung, [weil man au]ch von allen Krei[sen] eine Unterstützung der Polizei zu erwarten berechtigt sei. Der Podestà habe versprochen, seinerseits allen Einfluss und alle Kraft aufzubieten und habe versichert, dass er dafür bürgen wolle, dass alles gut und ruhig ablaufen werde.

Der Ministerpräsident habe bereits Gelegenheit gehabt, Sr. Majestät die in Triest genommenen Eindrücke au. darzulegen12. Er habe sich hierbei erlaubt, die für und gegen den Ah. Besuch sprechenden Momente au. zur Erwähnung zu bringen, sich jedoch nicht für berufen erachtet, einen au. Antrag zu stellen. Se. Majestät haben indessen beschlossen, die Reise nach Triest zu unternehmen, und werden an der Ah. Reise auch Ihre Majestät die Kaiserin teilnehmen. Der Statthalter wurde nunmehr zur Feststellung des Programmes für den Ah. Besuch hierher berufen.

In Hinsicht auf den Festlichkeitsaufwand einerseits13 und andererseits auch im Hinblick auf den polizeilichen Apparat würde es wünschenswert sein, wenn der gleichfalls beabsichtigte Besuch seitens des durchlauchtigsten Kronprinzen mit höchstdessen durchlauchtigster Gemahlin gleichzeitig mit dem Ah. Besuche Ihrer Majestäten erfolgte.

Der Handelsminister vertraut auf den Einfluss und das zugesicherte Einwirken des Podestà Bazzoni, den er für einen ehrlichen Mann halte. [Er würde die Anwesenheit] Sr. Majestät in [Triest] auch aus dem Grunde begrüßen, weil derselbe dazu beitragen dürfte, den großen Kreis der gutgestimmten italienischen Bevölkerung daselbst aus ihrer Mattherzigkeit aufzurütteln14.

ℹ️Der Ministerpräsident bringt neuerdings zur Sprache die schon in der Ministerkonferenz vom 19. d. M. erwähnte Angelegenheit des vom Statthalter für den Präsidenten der Triester Veteranenvereine Räcke gestellten Auszeichnungsantrages. Der Statthalter habe inzwischen wiederholt dringend gebeten, seinem Antrage zu willfahren, nachdem eine Auszeichnung Räckes allgemein erwartet werde, indem die ganze Stadt der Überzeugung sei, dass nur durch sein mutiges, kaltblütiges Vorgehen ein größeres Unglück verhütetet wurde. Der Ministerpräsident habe auch in Triest erfahren, dass Räcke in letzterer Zeit keineswegs mehr provokatorisch aufgetreten sei. Im Gegenteile habe Räcke durch seine erfolgreichen Bestrebungen zur Vereinigung der Veteranenvereine der drei Nationalitäten ein mäßiges und versöhnendes Vorgehen verraten. Unter diesen Umständen und um nicht das besondere hervorragende Moment der Auszeichnungswürdigkeit Räckes zu verwischen, wenn dessen Berücksichtigung etwa erst später nach der Ah. Reise Sr. Majestät und sohin im Zusammenhange mit einem allgemeinen Anlasse erfolgte, beabsichtige er jetzt schon Räcke [] [ge]wärtig zu hal[ten] und erbitte er sich zu diesem Vorhaben die Zustimmung des Ministerrates.

Der Ministerrat erklärt seine Zustimmung15.

ℹ️Der Ministerpräsident kommt endlich auf die in der Ministerkonferenz vom 19. d. M. vom Ackerbauminister erwähnte Anregung der Abhaltung eines internationalen Weinkongresses in Triest zu sprechen16. Nachdem Se. Majestät den Ah. Wunsch zu äußern geruht haben, dass derlei Unternehmungen, welche geeignet seien, das Ausstellungswerk zu beleben, nicht verhindert werden mögen, so glaubt der Ministerpräsident den Ackerbauminister ersuchen zu sollen neuerlich zu erwägen, ob die Sache nicht doch unterstützt werden könnte. Der Ackerbauminister bemerkt, dass er das fragliche Ansinnen bereits abgelehnt habe. Nach kurzer Diskussion wird unter Zustimmung des Ackerbauministers beschlossen, die Ablehnung vorläufig zu sistieren und die Angelegenheit in neuerliche Erwägung zu ziehen17.

VI. Anwerbungsabsichten des ägyptischen Generals Della Sala

VI. ℹ️Der Ministerpräsident teilt mit, dass der ägyptische General Della Sala, welcher ein Schreiben des Khediven an Se. Majestät überbracht habe, zu dem Zwecke hierher gekommen sei, um bei uns Gendar[men anzuwerben. Minister]präsident glaubt [zwa]r, dass die Anwerbung von Leuten, welche hier der Militärpflicht entsprochen haben, nicht gehindert werden könne, dass aber die Regierung kein Interesse habe, eine solche Anwerbung förmlich offiziell zu unterstützen und dass endlich eine eigentliche öffentliche Werbung nicht zulässig wäre. In diesem Sinne beabsichtigte der Ministerpräsident sich zu äußern. Der Ministerrat erklärt sich hiermit einverstanden18.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Wien, 3. September 1882. Franz Joseph.