Nr. 410 Ministerrat, Wien, 19. August 1882 – Protokoll I
RS.Reinschrift; P. Jaeger; VS.Vorsitz Taaffe; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Taaffe 19. 8.), Falkenhayn, Pražák, Conrad, Dunajewski, Pino, BdE.Bestätigung der Einsicht und abw.abwesend Ziemiałkowski, Welsersheimb.
KZ. 81 – MRZ. 66
Protokol[l I] des zu Wien am 19. August 1882 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Herrn Ministerpräsidenten Grafen Taaffe.
I. Die Vorkommnisse in Triest und die zu ergreifenden Maßnahmen
[I.] ℹ️Der Ministerpräsident sieht sich veranlasst, die Vorkommnisse in Triest zur Sprache zu bringen und teilt dem Mi[nisterrate] [] [R]eferat [mita,1. Dem] Vortrage dieses Refer[ates] fügt der Ministerpräsident Nachstehendes bei:
Aus dem Ganzen sei mit Sicherheit zu entnehmen, dass die Absicht der Irredenten dahin gerichtet sei, das Werk und den Erfolg der Triester Ausstellung zu vereiteln2. Nicht vielleicht die Verübung von Gewalttätigkeiten, sondern vor allem die Erregung von Angst und Schrecken scheine beabsichtigt zu sein. Schon der Petardenwurf vom 2. d. M. dürfte hauptsächlich letztere Tendenz und nicht die Zufügung von Verletzungen im Auge gehabt haben3. Ganz klar gehe die eigentliche Absicht der Irredenten aus dem Vorfalle der gestern in Triest saisierten Sendung hervor. Die [Auffind]ung einer unter solcher [Ad]resse und unter solchen Umständen aufgegebenen Sendung musste von den dahinter stehenden getriebenen Elementen wohl vorausgesehen werden und war offenbar berechnet. Der Zweck der Beunruhiger wurde aber vollständig erreicht, als nun der ganze Saisierungsvorfall, worüber er (Ministerpräsident) höchlichst betroffen sei, durch aus Triest an die Zeitungen gesendete Telegramme zur allgemeinen Publikation gelangte. Auf solche Weise wurde das, was die feindseligen Elemente wollen, die Abschreckung des Publikums, bewirkt.
Was das Vorgehen der Behörden in Triest in Bezug auf die Aufrechterhaltung der Ordnung sowie auch in Bezug auf die Hintanhaltung übertriebener Demonstrationen in pa[] [da]ss [] [jed]enfalls ihre Schul[digkeit geta]n. [B]eklagen müsse er aber, dass der Statthalter und die Behörden überhaupt sich früher in dem Sanguinismus wiegten, dass die Ausstellung ungestört ablaufen werde4.
Was das Vorgehen für die Zukunft anbelange, so werde man in Erwägung zu nehmen haben, ob eine solche Stadtvertretung wie die heutige noch weiter belassen werden könne, welche Maßregeln in dieser Beziehung anzuwenden, in welcher Form und endlich zu welchem Zeitpunkte ein strenges Einschreiten Platz zu greifen haben werde. ℹ️Der Statthalter von Triest habe während seiner letzten Anwesenheit in Wien5 auch schon dahin reflektiert, dass der []der letzten Stadtv[ertret]ungswahlen ein energisches Vorgehen gegen den Stadtrat dessen Auflösung und die interimistische Übertragung der Verwaltung an einen kaiserlichen Kommissär erheischen dürfte, dass aber mit einer solchen Maßregel jedenfalls nicht vor Beendigung der Ausstellung vorzugehen wäre6. Nachdem der Statthalter der Anschauung war, dass die Ausstellung ohne Störung verlaufen werde, wollte der Ministerpräsident demselben nicht entgegentreten, um nicht beim Eintritte störender Ereignisse dem Anwurfe zu begegnen, dass durch das Einschreiten der Regierung gegen den Stadtrat der ruhige Verlauf der Ausstellung beeinträchtigt würde. ℹ️Ferner musste in dieser Beziehung auch das Moment der abzuhaltenden patriotischen Jubiläumsfeier des Anschlusses [Triests an die Monarchie] ge[dacht werden,] dass von Sr. [Majestät da]s Ah. Erschei[nen] zu dieser Feier zugesagt wurde, und es musste daher erwogen werden, dass wenn die Auflösung des Stadtrates vor der Abhaltung der Feier und vor dem Ah. Besuche Sr. Majestät geschähe, keine ordentliche Vertretung vorhanden wäre, um Sr. Majestät im Namen der Stadt die Huldigung darzubringen. Nichtsdestoweniger gebe es der Ministerpräsident nunmehr der Beurteilung des Ministerrates anheim, ob jetzt sogleich angesichts der Ausstellung und der angekündigten Ankunft Sr. Majestät gegen die Stadtvertretung einzuschreiten oder ob diesfalls noch zu warten wäre.
Dass überhaupt das strenge []m statthaben müsse, s[o] se[i sei]ne Überzeugung, weil man den Irredenten Festigkeit zeigen müsse. Was aber den Zeitpunkt anbelange, so sei seine persönliche Meinung, jetzt noch zu warten, um kein Odium für den weiteren Verlauf der Dinge auf die Zentralregierung zu lasten. Später möchte er sodann die zu ergreifenden Maßnahmen im Vereine mit dem hierher zu berufenden Statthalter beraten und im Einverständnisse mit demselben durchgeführt wissen. Denn wenn das Einverständnis des Statthalters mit dem, was geschehen solle, vorhanden sein werde, so glaube er erwarten zu können, dass der Statthalter bei der Durchführung auch mit dem gehörigen Eifer, dem gehörigen Takt und dem gehörigen guten Willen vorgehen werde.
[Der Fin]anzminister [hat] nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, dass auch ihm gegenüber der Statthalter Baron Pretis, als es sich um die Subventionierung der Ausstellung und um die Bewilligung der auch nach der Anschauung des Baron Pretis selbst fast über die Grenze des Möglichen hinausgehenden Zugeständnisse für die Ausstellungslotterie handelte, mit Nachdruck die politischen Gründe geltend gemacht habe und dabei immer mit vollster Sicherheit für das Gelingen der Ausstellung eingetreten sei. Der Minister sei, weil er sich auf die Anschauung des Statthalters verlassen musste, eingegangen. Aber schon vor der Ausstellung wurden namentlich im „Pester Lloyd“ Stimmen laut, dass in Triest dem Aus[stellun]gswerke mit einer gewiss[e]n Kühle begegnet werde7. Die Ereignisse haben nunmehr bewiesen, dass der Statthalter nicht richtig vorausgesehen habe. Ohne den sonstigen Eigenschaften und Kenntnissen des Freiherrn v. Pretis nahetreten zu wollen, sei es für den Finanzminister nun klar, dass dem Freiherrn v. Pretis die nötige Voraussicht und die nötige Kenntnis der Stimmung mangle. Er habe nichts gegen die Hierherberufung des Statthalters zur Beratung über die zu ergreifenden Maßnahmen. Aber er glaube, dass man sich auf das Urteil eines Mannes nicht werde verlassen könne, der sich bis jetzt so arg getäuscht und von einem gewissen Vorurteile für das Ausstellungswerk eingenommen gezeigt habe. Der Finanzminister glaubt sogar, dass ein Mann []e, [] [Ur]teil über die [dortigen] Verhältnisse und Stim[mu]ngen man nicht mehr vertrauen könne. Um größere Sicherheit hinsichtlich der im Vereine mit dem Statthalter zu beratenden Maßnahmen zu haben, möchte der Finanzminister es unter diesen Umständen daher ratsam finden, wenn der Ministerpräsident vorher eine Persönlichkeit seines Vertrauens nach Triest entsendete, welche nach der an Ort und Stelle gewonnenen Überzeugung über die Lage der Zustände zu berichten hätte. Darüber, dass im Momente ein Einschreiten gegen die Stadtvertretung nicht Platz greife, stimme er mit dem Ministerpräsidenten überein. ℹ️In Bezug auf den Umstand [des zu]gesagten und zuges[icherten] Ah. Besuches Sr. Majestät in Triest möchte er indessen doch überlegt wissen, ob nicht bei den jetzt sich anders darstellenden Verhältnissen das Ministerium die Lage gegeben erkennen dürfte, um Sr. Majestät die nunmehr gegen den beabsichtigten Besuch sprechenden Bedenken au. vorzulegen. Es sei nicht etwa eine Petarde, die er besorge, aber bei den einmal bewegten Wogen könne man hinsichtlich irgendeiner unliebsamen das patriotische Gefühl störenden Demonstration doch nicht ganz sicher sein. Er (Finanzminister) wenigstens würde sich ein Gewissen daraus machen, jetzt Sr. Majestät den fraglichen Besuch einzuraten.
Der Minister für Kultus und Unterricht teilt die An[sicht seines Vorredners] [] Ab[]ten und findet [es ebenso] beklagenswert, dass von Seite der Triester Behörden der Vorfall der gestrigen Saisierung in die Öffentlichkeit gebracht wurde. Es sei offenbar, dass von den klugen Agitatoren bei der Sache gerade darauf hingearbeitet wurde, um die Saisierung durch die Polizei geschehen zu lassen. Indem sonach durch die Veröffentlichung des Vorfalles der Zweck der Agitatoren erreicht wurde, habe sich die Polizei zugleich diesen gegenüber lächerlich gemacht. Vom andern Gesichtspunkte aus betrachtet, diene ein solches Vorgehen nur dazu, den polizeilichen Verfolgungszwecken entgegenzuarbeiten. Der Minister muss daher wünschen, dass den Behörden in Triest []ge Weisungen gege[ben we]rden, solche Veröffentlichungen ihrer Erfolge, wodurch zugleich ihre Aktionen entweder lächerlich oder unnütz werden, zu unterlassen. Was die erwähnte Maßregel der Auflösung der Stadtvertretung anbelange, so halte er sie auch schon an und für sich geboten, weil jetzt bei den gleichgeteilten Stimmen beider Parteien die jedesmalige Entscheidung lediglich in die Hand des Podestà8 gelegt sei und der Exodus einer Partei die Aktion der Stadtvertretung lahmlegen könne, bei solchen Zuständen aber an ein gedeihliches Wirken nicht zu denken sei. Auch dürften konkrete administrative Anlässe vorhanden sein, um darauf gestützt mit der Auflösung vorgehen zu können. Was den weiteren diesbe[züglichen] []e[] []en Regierungs[kommissär] zu bestellen, sondern vorläufig sogleich eine Neuwahl zu veranlassen. Möglicherweise brächte dieser Modus schon eine bessere Vertretung. Gelänge es so aber nicht, dann wäre nach der abermaligen Auflösung der Vertretung erst ein Regierungskommissär zu bestellen, unter dessen Ägide sodann die Vornahme neuerlicher Wahlen für später einzuleiten wäre. Nach solchem Vorgange dürfte für den Regierungskommissär auch der geeignete Boden geebnet sein. Mit dem Vorgehen der Auflösung möchte er bis nach Beendigung der Ausstellung gewartet wissen, damit die oppositionellen Elemente jetzt nicht gereizt würden.
Der Handelsminister [t]eilt hinsichtlich der Veröffentlichung des letzten Saisierungsfalles ganz die Anschauung des Vorredners. Es sei unbegreiflich, dass die Polizei vergessen konnte, dass die Publizierung des fraglichen Erfolges die Wirkung einer geworfenen Petarde haben müsse. Was die Auflösung des Stadtrates anbelange, so bestehe die Hauptschwierigkeit dabei in dem Umstande, dass nach dem Statute im Falle der Auflösung der Vertretung die sogenannte Stadtratsdelegation fortfungiere und dass es zweifelhaft sei, ob auch diese Delegation aufgelöst und ihr Wirkungskreis einem Regierungskommissär übertragen werden könne. Andererseits werde es aber bei der jetzigen Lage der Dinge und bei der politischen Stellung des jetzigen Po[destà] [] zu [] [wen]n die Wahlein[] in die Hände eines Regierungskommissärs gelegt werden könne. Der Zeitpunkt zur Vornahme der Auflösung werde auch nach seiner Meinung erst gekommen sein, wenn die Ausstellung beendet sein werde. Man könnte hiebei am besten so vorgehen, dass man die Mitglieder der konservativen Partei veranlasste, ihre Mandate niederzulegen, indem dann die Beschlussunfähigkeit der Vertretung von selbst den Anlass böte, mit der Auflösung vorzugehen, ohne dass die Regierung als die veranlassende Hand erschiene. Sodann müsste man aber durch eine, wenn auch vielleicht gewaltsame Interpretation des Statuts zugleich [die D]elegation ihres Man[date]s verlustig erklären, was jetzt umso leichter ginge, als die konservative Partei vier Mitglieder in der Delegation habe und man sich nach dem Austritte der Konservativen auf die Beschlussunfähigkeit der Delegation berufen könn[e]. ℹ️Was den Ah. Besuch Sr. Majestät anbelange, so glaube der Handelsminister nicht, dass sich dabei etwas Störendes ereignen dürfte.
Minister Dr. Pražák teilt in Bezug auf die Veröffentlichung des letzten Saisierungsaktes sowie in Bezug auf das Vorgehen gegenüber dem Stadtrat und den Zeitpunkt des Einschreitens die Anschauung der beiden Vorredner und hält es insbesondere für wichtig, dass die Einleitung [] der Aktion der [] in Triest bemerkt der Minister, dass gegen die Verhafteten die Untersuchung eingeleitet wurde, dass aber bis jetzt noch nichts Greifbares wider die habhaft gewordenen Persönlichkeiten vorgebracht werden konnte. Für ein im betreffenden Falle energisches Vorgehen bürge die Persönlichkeit des dortigen Landesgerichtspräsidenten.
ℹ️Der Ackerbauminister schließt sich hinsichtlich des Vorgehens gegenüber dem Triester Stadtrat vollkommen der Anschauung des Handelsministers an. Was die Bemerkungen des Finanzministers hinsichtlich der vertrauensseligen An[sc]hauung des Statthalters über [den V]erlauf der Ausstellung [anbe]lange, so könne er dem hinzufügen, dass die diesfällige rosige Anschauung des Statthalters auch jetzt noch fortzudauern scheine. Denn der Statthalter habe jetzt bei ihm die Veranstaltung eines internationalen Weinkongresses auf der Ausstellung angeregt und zugleich zu diesem Zwecke um eine Subvention von 200b fl. ersucht9. Der Ackerbauminister glaube nach dem heute Vorgebrachten wohl auch den Intentionen der Ministerkollegen zu entsprechen, wenn er dieses Ansuchen des Statthalters ablehnend beantworte10.
Der Ministerpräsident konstatiert die prinzipielle Zustimmung der Konferenzmitglieder zu den für die Zukunft in Triest zu ergreifenden Maßnahmen. [] den Befehlen [Sr. Maje]stät richten.
ℹ️Der Ministerpräsident bringt schließlich noch zur besonderen Erwägung den Antrag des Statthalters wegen Erwirkung des Ordens der Eisernen Krone III. Klasse für den Präsidenten des Triester Veteranenvereines Wilhelm Räcke11. Gewiss habe sich Räcke durch seine unerschrockene, couragierte Haltung und Geistesgegenwart hervorgetan und dadurch zur Vermeidung einer großen Gefahr beigetragen12. Unter normalen Verhältnissen würde er daher nicht Anstand genommen haben, auf einen Auszeichnungsantrag gleich einzugehen. Indessen müsse er aber vor Augen halten, dass [Räcke] eine Persönlichkeit sei, [di]e nach der anderen Richtung hin wieder sehr provokatorisch auftrete und dass es daher zu bedenken sei, ob man jetzt, wo man jede Provokation vermeiden wolle, eine solche Persönlichkeit auszeichnen solle. Der Ministerpräsident wäre deshalb dafür, in der Sache vorläufig zuzuwarten und allenfalls erst später nach neuerlicher Einvernehmung des Statthalters vorzugehen.
ℹ️Anders wäre es vielleicht gewesen, wenn man ganz unmittelbar nach dem Vorfalle über einen telegrafischen Antrag des Statthalters mit der Auszeichnung vorgegangen wäre, anders sei es jetzt, wo man auch schon mit den anderen Eindrücken und mit den jenem Vorfall folgenden Ereignissen rechnen müsse []i[]n einverstan[den,] Räcke habe sich sehr gut und mutvoll benommen. Aber das Auftreten dieses Mannes im Vereine mit anderen sei, weil speziell das Deutschtum hervorkehrend, ein solches, dass es nicht bloß die Irredenten, sondern auch die gutgesinnten Italiener froissiere. Der Minister für Kultus und Unterricht ist gleichfalls der Anschauung des Ministerpräsidenten, insbesondere, weil er besorgt, dass durch die Auszeichnung auch andere induziert werden könnten, ebenso provokatorisch vorzugehen. Auch die übrigen Minister schließen sich der [Anscha]uung des Ministerpräsidenten an13.
Wien, am 19. August 1882. Taaffe.
Ah. E.Allerhöchste Entschließung [Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen.] Wien, 3. September 1882. Franz Joseph.