Nr. 289 Ministerrat, Wien, 4. Juli 1881
RS.Reinschrift fehlt; Abschrift, Ava., Ministerratsprotokolle, Karton 17 (neu), 37 (alt) (Abschriften ČSR) ; Wortlaut und Datum der Ah. Entschließung, Hhsta., Kabinettskanzlei, Protokoll 1881 .
P. Jaeger; VS.Vorsitz Taaffe; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Taaffe 4. 7.); anw.anwesend Ziemiałkowski, Falkenhayn, Pražák, Dunajewski, Pino; abw.abwesend Conrad, Welsersheimb.
KZ. 71 – MRZ. 69
Protokoll des zu Wien am 4. Juli 1881 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Herrn Ministerpräsidenten Grafen Taaffe.
I. In Angelegenheit der Prager Ereignisse. Frage der Wahl eines Statthaltereileiters
[I.] ℹ️Der Ministerpräsident setzt den Ministerrat in Kenntnis von der in einem Ah. Privatschreiben Sr. Majestät an ihn ausgesprochenen Ah. Willensmeinung Sr. Majestät bezüglich der Prager Ereignisse und der Bewältigung der dortigen Unruhen1. Darnach sei es der entschiedene Wille Sr. Majestät, dass die vollständige Ordnung in Prag baldigst um jeden Preis hergestellt werde und werde von Sr. Majestät darauf Gewicht gelegt, dass die Leitung der politischen Verwaltung in die Hände eines geeigneten, energischen Beamten gelegt werde. In weiterer Linie geruhen Se. Majestät darauf aufmerksam zu machen, ob nicht bei den obwaltenden Umständen und zum Behufe der Herstellung der Ordnung eine zeitweilige Beschränkung der freiheitlichen Rechte im Sinne des Gesetzes vom 5. Mai 1869 anzuordnen wäre2. Der Ministerpräsident erinnert, dass bereits in der vorgestrigen Ministerkonferenz hervorgehoben wurde, dass es bei dem Umstande, als Baron Weber jetzt nicht nach Prag zurückkehren wolle und Vizepräsident Grüner, wie die Erfahrungen zeigen und wie auch allseits bestätigt werde, nicht die entsprechende Energie besitze3, die Notwendigkeit vorhanden sei, für die Leitung der Statthalterei eine andere geeignete Persönlichkeit zu gewinnen. In Anbetracht nun auch der Ah. Willensmeinung Sr. Majestät wegen der baldigen Herstellung der Ordnung werde jetzt vor allem hinsichtlich der Leitungsfrage zur Tat geschritten werden müssen.
ℹ️Was die Frage der zeitweiligen Ausnahmsverfügungen von den bestehenden Gesetzen anbelange, so scheine es bei dem Umstande, als nach § 1 des Gesetzes vom 5. Mai 1869 der Umfang der Ausnahmsverfügungen von vornherein genau festzusetzen sei, äußerst schwierig, gleich vom Zentrum aus die den obwaltenden lokalen Verhältnissen entsprechende Anordnung zu treffen, zumal mit Ausnahmsverfügungen schon der Natur der Sache nach sowie mit Rücksicht auf die eventuelle Rechtfertigung nur so weit zu gehen sei, als es die Verhältnisse geboten erscheinen lassen. Der normale Gang in derlei Fällen sei daher dieser, dass von der betreffenden Lokalbehörde ein Antrag über das Maß der gebotenen Beschränkungen erstattet werde und dass dann darauf basiert die präzisierte Ausnahmsanordnung des Gesamtministeriums erfließt. Bei den gegenwärtig in Bezug auf die Leitung der politischen Verwaltung in Prag bestehenden Verhältnissen müsse aber, bevor ein solcher Antrag abverlangt werden könne, erst die für eine entsprechende Leitung geeignete Persönlichkeit gefunden werden. Deshalb fasse der Ministerpräsident den Vorgang in der Weise ins Auge, dass zunächst ein neuer Statthaltereileiter ernannt werde, dass dieser sodann aufgefordert werde, die ihm erforderlich scheinenden Ausnahmsverfügungen zu beantragen, während ihm beordert werde, bis zur Erlassung einer Ausnahmsanordnung im Sinne des Gesetzes vom 5. Mai 1869 die bestehenden Gesetze zur mittlerweiligen Aufrechterhaltung der Ordnung auf das Strengste zu handhaben. Die strengeren Maßnahmen dürften jedenfalls geraten sein. Denn, wenn es momentan ruhiger sei, so sei eine neue Anfachung immer noch zu gewärtigen. Auch finde, wie ihm berichtet werde, jetzt ein Zuzug von allerlei Gesindel nach Prag statt4.
ℹ️Was nun die Wahl einer Persönlichkeit für die Leitung der Statthalterei anbelange, so habe der Ministerpräsident nach sorgfältiger Umschau unter den mit Rücksicht auf ihre Rangstellung diesfalls in Betracht zu nehmenden Beamten der Statthaltereien und des Ministeriums des Innern niemanden finden können, der für die vorhandene Aufgabe entsprechend zu erachten wäre. Einen Moment habe der Ministerpräsident an den Sektionschef im Ministerium des Innern, Freiherrn v. Kubin gedacht. Derselbe sei in der Administration tüchtig bewandert, seiner Gesinnung nach höchst objektiv, ein wahrer und echter österreichischer Beamter. Doch sei derselbe erstlich jetzt auf Urlaub abwesend und benötige er in der Tat wegen seiner durch Überanstrengung angegriffenen Gesundheit der Erholung. Andererseits aber musste der Ministerpräsident auch in Erwägung nehmen, dass, wenn auch Freiherr v. Kubin als Sektionschef im Ministerium ausgezeichnet wirke, derselbe niemals Gelegenheit gehabt habe, sich in einer höheren Stellung in der Exekutive zu erproben. Die gegenwärtigen Zustände in Prag erheischen einen Mann, der mit aller Energie einzugreifen und zugleich Autorität geltend zu machen imstande ist und dessen sonstige Qualitäten solche sind, dass durch seine Berufung keine der Nationalitäten vor den Kopf gestoßen wird. Da sich im Kreise der höheren Beamten gegenwärtig kein Mann mit solchen Eigenschaften vorfindet, so bleibe nichts übrig, als auf einen General zu greifen und habe der Ministerpräsident daher den FML. Freiherrn v. Jovanović ins Auge gefasst5. Vom Freiherrn v. Jovanović werde man nicht sagen können, dass man diese Wahl getroffen habe, um die Tschechen zu treten. Andererseits aber sei von Jovanović anzunehmen, dass er auf dem Wege der Herstellung der Ordnung sich durch keine nationalen Rücksichten beirren lassen werde. Nachdem Jovanović ohnehin für Dalmatien ausersehen sei, so könne er ganz gut jetzt nur als Statthaltereileiter nach Prag berufen werden, von wo er dann, da Dalmatien bis etwa zum Spätherbste erledigt werden dürfte, direkt als Statthalter nach Zara gesendet werden könnte. Bis dahin werden in Prag wohl wieder normale Zustände eingetreten sein und sei es Zeit, bis dahin, wenn Freiherr v. Weber inzwischen voraussichtlich um seine Pensionierung angesucht haben werde, einen anderen Statthalter für Böhmen zu finden.
ℹ️Minister Freiherr v. Ziemiałkowski bemerkt, es wäre besser gewesen, wenn man die Leitung einem Beamten hätte übergeben können. Nachdem aber kein geeigneter Beamter zu finden sei, so erachte er die Wahl des Ministerpräsidenten für angemessen. Der Ackerbauminister ist gleichfalls mit der Proposition einverstanden und hält dabei insbesondere den Umstand für wertvoll, dass man Jovanović, nachdem dessen Bestimmung für Dalmatien bekannt sei, beim Eintritte dieses Erledigungsfalles in unauffälliger Weise werde entheben können. Minister Dr. Pražák glaubt, dass Jovanović den Böhmen keine Persona ingrata sein dürfte.
ℹ️Der Handelsminister bedauert auch, dass kein politischer Beamter gefunden werden konnte. Beim Abgange eines solchen erscheine aber die Wahl Jovanovićs vollkommen gerechtfertigt. Derselbe sei energisch, habe Kenntnisse in der Administration und endlich lasse sich wegen des vom Ackerbauminister hervorgehobenen Momentes dessen provisorische Bestellung gut durchführen. Die Situation, die zur Wahl eines Generals nötige, zeige, dass man es, und das sei eben in den letzten zehn Jahren der Fall gewesen, verabsäumt habe, dafür zur sorgen, dass ein Nachwuchs geeigneter Persönlichkeiten für leitende Posten herangezogen werde. Der Handelsminister kann daher angesichts des vorliegenden, drastischen Falles nur betonen, dass es von hoher Wichtigkeit sei, dieser Frage ein besonderes Augenmerk zuzuwenden und für die Zukunft diesfällige Vorsorge zu treffen. Sonach erklärt sich der Ministerrat mit der Wahl des FML. Freiherrn v. Jovanović einhellig einverstanden und wird der Ministerpräsident ermächtigt, diese Proposition behufs der Ah. Ermächtigung, mit Jovanović darüber zu sprechen, vorläufig Sr. Majestät au. vorzutragen6.
Minister Dr. Pražák berichtet über die Intervention der Wiener Staatsanwaltschaft hinsichtlich der Nachrichten über die Prager Abgeordnetenversammlung. Infolge derselben sei aus den bezüglichen Berichten eine bedenkliche Stelle eliminiert worden. Der Ministerpräsident wird den Statthalter in Wien beauftragen, auf die etwaigen Emanationen der heute in Wien zusammentretenden Abgeordnetenversammlung aufmerksam zu sein. Der Finanzminister regt an die Veröffentlichung eines authentischen Berichtes über die sämtlichen Vorgänge in Prag7.
Wien, am 4. Juli 1881. Taaffe.
Ah. E.Allerhöchste Entschließung [Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen. Franz Joseph.] Wien, 24. Juli 1881.