Nr. 288 Ministerrat, Wien, 3. Juli 1881
RS.Reinschrift fehlt; Abschrift, Ava., Ministerratsprotokolle, Karton 17 (neu), 37 (alt) (Abschriften ČSR) ; Wortlaut und Datum der Ah. Entschließung, Hhsta., Kabinettskanzlei, Protokoll 1881 .
P. Jaeger; VS.Vorsitz Taaffe; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Taaffe 3. 7.); anw.anwesend Ziemiałkowski, Falkenhayn, Pražák, Dunajewski, Pino; außerdem anw.anwesend Fidler; abw.abwesend Conrad, Welsersheimb.
KZ. 70 – MRZ. 68
Protokoll des zu Wien am 3. Juli 1881 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Herrn Ministerpräsidenten Grafen Taaffe.
I. In Angelegenheit der Prager Ereignisse
[I.] ℹ️Der Ministerpräsident bringt in Angelegenheit der Prager Ereignisse1 zunächst zur Verhandlung die Frage der Suspendierung der Vorlesungen an der Prager Universität, nachdem nun der diesbezügliche Bericht der Statthalterei eingelangt sei2. Sektionschef Fidler teilt den wesentlichen Inhalt des Berichtes des akademischen Senates mit. Der Senat rechtfertigt darin die Verfügung der vorläufigen Suspendierung der Vorlesungen und begründet seinen Antrag auf Schließung der Vorlesungen für das laufende Semester überhaupt. Der Senat besorgt, dass es bei der Abhaltung von Vorlesungen und beziehungsweise der Ansammlung der Studenten an der Universität zu Exzessen im Universitätsgebäude selbst kommen könnte und glaubt, dass die Entlassung der Studenten in ihre Heimat das geeignetste Mittel sei, um weiteren Reibungen vorzubeugen. Am Schlusse des Berichtes wird gesagt, dass der Senat auch die Frage einer Immediateingabe an Se. Majestät in Erwägung gezogen habe und dass diese Frage für eine besondere kommissionelle Prüfung reserviert wurde. Darnach scheint es also richtig, dass vom Senate eine Immediateingabe noch nicht beschlossen wurde.
Die Statthalterei befürwortet in ihrem Berichte die Schließung der Vorlesungen aus den Gründen des akademischen Senates, indem sie bemerkt, dass ohnehin kaum mehr zehn Vorlesungstage geboten wären und die Abhaltung der Prüfungen selbstverständlich nicht beirrt würde. Auch berichtet die Statthalterei, dass es an den technischen Hochschulen zu keinen Exzessen gekommen sei, indem sie den Umstand hervorhebt, dass die beiden technischen Hochschulen voneinander lokal weit entfernt sind. In der von Seite des Ministeriums für Kultus und Unterricht nun hinauszugebenden Erledigung soll folgendes gesagt werden:
Die Vorlesungen sind in diesem Semester nicht wieder aufzunehmen. Die Professoren werden ermächtigt, schon vom heutigen Tage an die Frequenzbestätigungen zu erteilen und kann dabei von der Vorschrift Umgang genommen werden, dass die Studierenden hiezu persönlich erscheinen. Die übliche Abhaltung der Prüfungen und Rigorosen wird durch den Schluss der Vorlesungen nicht beirrt. Die vom Senate beschlossene Disziplinaruntersuchung gegen die schuldtragenden Studierenden ist schleunigst durchzuführen. Hinsichtlich der Frage der Immediateingabe wird aufmerksam gemacht, dass der akademische Senat als Behörde seine Bitten und Anliegen nur im Wege der gesetzten Behörde vorbringen könne.
Vom Ministerrate wird die in diesem Sinne proponierte Erledigung zur Kenntnis genommen3.
Der Ministerpräsident bringt weiters zur Sprache die vonseiten der Verfassungspartei in Prag veranstalteten Versammlungen. Gestern habe über Dr. Schmeykals Veranlassung eine Plenarversammlung des Verfassungsvereines stattgefunden, welche gleichsam als eine Vorversammlung anzusehen komme zu der für heute von Schmeykal einberufenen Versammlung deutscher Abgeordneter aus Böhmen4. Ein Verbot dieser heute stattfindenden Versammlung auszusprechen, schien dem Ministerpräsidenten gesetzlich nicht zulässig, da sie nicht als allgemein zugängliche Versammlung im Sinne des § 2 des Versammlungsgesetzes veranstaltet werde, sondern nur als eine private Zusammenkunft erscheine. Hingegen habe er sich veranlasst gesehen, der allfälligen Aktion dieser Versammlung entsprechende Aufmerksamkeit zuzuwenden. Sollte ein Beschluss im Sinne der Aufforderung zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung gefasst werden, so müsste zunächst eine solche Arrogation morgen durch die „Wiener Abendpost“ und die „Prager Zeitung“ entschieden zurückgewiesen werden, indem gesagt würde, dass die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung Sache der Regierung sei, die Regierung sich ihrer Pflicht und Aufgabe bewusst sei und eine diesfällige Einmischung Unberufener eine unstatthafte Sache sei5.
Sollten aber Resolutionen im Sinne der ehemaligen Parteitagsresolutionen oder der Resolution des Wiener Gemeinderates gefasst und veröffentlicht werden wollen, so wäre den diesfalls beabsichtigten Publikationen entgegenzutreten. Der Ministerpräsident habe deshalb die Statthalterei in Prag heute Früh angewiesen6, erstlich zu sorgen, dass es anlässlich der Versammlung zu keinen Unruhen komme, und zweitens die Veranlassung zu treffen, dass die Veröffentlichung von Resolutionsbeschlüssen der Versammlung durch die Zeitungen mittels Konfiskationseinschreitens inhibiert werde. Nachdem der Ministerpräsident diese Verfügung getroffen hatte, habe er von Sr. Majestät ein Telegramm erhalten, mit welchem Se. Majestät fragen, ob die Versammlung nicht zu verbieten wäre und weiters gegenüber den Versammlungsbeschlüssen eben jene Beobachtungsmomente andeuten, von welchen er (Ministerpräsident) soeben Erwähnung gemacht habe7.
In der sich entspinnenden Diskussion wird übereinstimmend anerkannt, dass in dem Falle, als die Versammlung lediglich als eine private Zusammenkunft erscheine und als sie nicht etwa eine durch Gäste erweiterte Versammlung des Verfassungsvereines darstelle, eine Untersagung allerdings nicht eintreten könne. Bis jetzt und auch nach der Intention und dem Interesse der Einberufer könne man nur auf den Charakter einer privaten Versammlung schließen.
Der Handelsminister ist übrigens der Ansicht, dass auch zu einer unter besonderen Umständen, wie die obwaltende, einberufene Privatzusammenkunft ein Regierungskommissär entsendet werden könne und dass sich eine solche Intervention durch die außerordentlichen lokalen Verhältnisse rechtfertigen ließe.
Es wird sonach, in der Absicht, um einerseits den wahren, nur von der Lokalbehörde zu erhebenden Charakter der Versammlung zu erfahren und andererseits auf die diesfällige Intervention aufmerksam zu machen, vom Ministerrate beschlossen, dass von Seite des Ministerpräsidenten an die Statthalterei in Prag die Anfrage gerichtet werde, „ob von Seite der Sicherheitsbehörde zu den gestern und heute stattgefundenen Versammlungen des Verfassungsvereines ein Regierungskommissär entsendet wurde.“8
Der Ministerpräsident regt ferner an, die für hier in Wien zu ergreifenden Vorsichten, damit allfällige aus Prag kommende Telegramme über Reden und Resolutionen, wenn schon nicht an sich zurückbehalten, so doch insoferne ins Auge gefasst werden, dass von Seite der Staatsanwaltschaft die Konfiszierung der betreffenden Blätter in wirksamer Weise bewerkstelligt werden könne.
Minister Dr. Pražák als Leiter des Justizministeriums trifft von der Ministerkonferenz aus durch ein Schreiben an den Staatsanwalt die Anordnung, dass sich die Staatsanwaltschaft zu obigen Behufe mit dem Telegrafendirektor in Verbindung setze9.
Wien, am 3. Juli 1881. Taaffe.
Ah. E.Allerhöchste Entschließung [Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen. Franz Joseph.] Wien, 24. Juli 1881.