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EINLEITUNG

Von Anatol Schmied-Kowarzik

1. Regierung und ihre Minister 1879–1882

a) Die Entstehung und Entwicklung der Regierung Taaffe

b) Die Minister der Regierung nach der dritten Kabinettsumbildung

2. Herrschaftsabsicherung

a) Mehrheiten in den parlamentarischen Körperschaften

b) Personalpolitik

3. Sprachenpolitik

a) Verordnungen über die äußere Amtssprache

b) Die Teilung der Prager Universität

c) Sprachenfragen im Unterrichtswesen

4. Revision des Reichsvolksschulgesetzes

5. Religiöse Themen im Ministerrat

a) Das Verhältnis zur griechisch-katholischen Kirche in Galizien

b) Andere konfessionelle Themen

6. Wirtschafts- und Sozialpolitik

a) Die Reform der Gewerbeordnung

b) Sozialpolitisch motivierte Maßnahmen

c) Landwirtschaftliche Themen

d) Länderbank und Postsparkasse, zwei neue Geldinstitute

e) Die mit Ungarn gemeinsame Außenhandelspolitik

7. Infrastrukturpolitik

a) Übernahme der Verwaltung und Einlösung von Privatbahnen durch den Staat

b) Der Bau neuer Staatsbahnlinien

c) Das Lokalbahngesetz

d) Weitere Eisenbahn- und andere Verkehrsthemen

8. Finanzpolitik

a) Einnahmensteigerungen

b) Ausgabensenkungen

c) Die Budgetdebatten

d) Bank- und Staatsnoten

9. Militärgesetze

a) Wehrgesetz und Heeresorganisation

b) Die Militärtaxe sowie die Invaliden- und Hinterbliebenenversorgung

c) Andere Militärgesetze

10. Nach der Okkupation: Die Integration Bosnien-Herzegowinas

a) Die Diskussion um die Verwaltung Bosnien-Herzegowinas

b) Die Integration in den gemeinsamen Wirtschaftsraum

c) Eisenbahnbau und andere Themen

11. Unruhen

a) Die Kuchelbader Schlacht

b) Der Aufstand gegen das Wehrgesetz in Süddalmatien

c) Die Kaiserreise nach Triest 1882

d) Andere Unzufriedenheitsbekundungen auf der Tagesordnung im Ministerrat

12. Naturkatastrophen und Unglücksfälle

13. Miszellen

a) Zentrale Institutionen

b) Grenzfragen

c) Landtagswahlperioden

d) Jubiläen und Gedenktage

14. Die ersten drei Jahre der Regierung Taaffe

15. Zur Überlieferung der Protokolle

Regierung und ihre Minister 1879–1882

ℹ️Obwohl die Regierung Adolph Fürst zu Auersperg sich auf die Deutschliberalen stützte und diese im Abgeordnetenhaus des Reichsrats über eine sehr komfortable Mehrheit verfügten, zeichneten sich ab Ende der 1870er Jahre zunehmend Schwierigkeiten zwischen Regierung und Parlament ab. ℹ️So konnte der 1877 zu erneuernde Wirtschaftsausgleich mit Ungarn nicht rechtzeitig abgeschlossen werden, weil der Reichsrat mit den Regierungsvorlagen unzufrieden war. Der Wirtschaftsausgleich von 1867 musste dreimal provisorisch verlängert werden, bevor ein neues Abkommen am 27. Juni 1878 sanktioniert werden konnte1. ℹ️Besonders schmerzhaft für die Regierung war die Ablehnung einer Verzehrungssteuer auf Petroleum, die als neue Staatseinnahme dringend benötigt wurde und die mit Ungarn bereits akkordiert gewesen war2. ℹ️Unhaltbar wurde die Stellung der Regierung mit der Okkupation Bosnien-Herzegowinas. Einerseits lehnten die Deutschliberalen die Vermehrung der slawischen Bevölkerung in der Monarchie ab, andererseits musste die Regierung Auersperg diese Okkupation als Folge des unmittelbaren Willens des Monarchen, zu dessen Prärogative die Außenpolitik gehörte, umsetzen. Dazwischen wurde die Regierung Auersperg aufgerieben3 und am 15. Februar 1879 von Franz Joseph entlassen4.

a) Die Entstehung und Entwicklung der Regierung Taaffe

ℹ️Zunächst bot der ℹ️Monarch dem amtierenden Finanzminister Sisinio Freiherr de Pretis v. Cagnodo als deutschliberalem Kandidaten die Regierungsbildung an. Doch erklärte dieser das Vorhaben als gescheitert, als sich unüberwindliche Differenzen zu den Deutschliberalen in der Okkupationsfrage ergaben5. Da Franz Joseph jedoch an seiner Außenpolitik festhielt, war die Bildung einer Regierung in Cisleithanien, die sich ausschließlich auf die Deutschliberalen stützte, nicht mehr möglich. Ziel war nun eine Koalitionsregierung der gemäßigteren Deutschliberalen mit den anderen politischen Richtungen des Abgeordnetenhauses. An einen generellen konservativen Kurswechsel war hingegen nicht gedacht, zu deutlich stand noch das Scheitern der Regierungen unter Alfred Graf Potocki und Karl Sigmund Graf v. Hohenwart zu Gerlachstein 1870/716 vor Augen. Daher wählte der Monarch als künftigen Ministerpräsidenten nicht den von konservativer Seite präferierten Hohenwart, sondern Eduard Graf Taaffe. Seine Aufgabe war es, eine Koalitionsregierung mit allen Parteien des Abgeordnetenhauses zu bilden, um die sogenannten Staatsnotwendigkeiten durch das Abgeordnetenhaus zu bringen, inklusive den für die Integration Bosnien-Herzegowinas notwendigen Gesetzen. Auch die deutschliberalen Kräfte sollten gewonnen werden, sie waren jedoch nicht mehr der allein dominierende Faktor, sondern nur mehr einer unter mehreren. Allerdings übernahm Taaffe nach der Entlassung Auerspergs am 15. Februar 1879 zunächst nur das Innenministerium und wurde noch nicht mit der Regierungsbildung beauftragt. Aus der zweiten Reihe sollte er zunächst nur die im Sommer 1879 anstehenden Wahlen zum Abgeordnetenhaus vorbereiten7, um dann mit den neuen Kräften ein Übereinkommen zu finden. Ein erstes zentrales Ziel dabei war der Eintritt der tschechischen Abgeordneten aus Böhmen in den Reichsrat, die ihm seit 1863 ferngeblieben waren8. Um für seine Regierungspolitik einerseits die Tschechen gewinnen, andererseits auch die Deutschliberalen einbinden zu können, stellte Taaffe seine Politik unter das Motto „Versöhnung und Verständigung“9.

ℹ️Mit dem Vorsitz im Ministerrat betraut wurde zunächst der bisherige Kultus- und Unterrichtsminister Carl Edler v. Stremayr, der auch dieses Ministerium behielt. Seine Aufgabe war, die Regierungsgeschäfte bis nach den Wahlen zu führen. Abgesehen von einem Wechsel im Innenministerium (von Adolph Auersperg zu Taaffe) und dem Austritt des Ministers ohne Portefeuille Joseph Unger behielten alle anderen Minister ihre Ämter.

ℹ️Am 13. Juli 1879 lagen die definitiven Wahlergebnisse vor, die für die Deutschliberalen eine herbe Niederlage waren. Sie verloren 45 Mandate (eine Reduktion von 214 auf 159). Weil nun auch die böhmischen Tschechen in das Abgeordnetenhaus einzogen (eine Vermehrung der tschechischen Mandate inklusive des föderalistischen, böhmischen Feudaladels von 9 auf 55) bedeutete dies auch einen Verlust der deutschliberalen Mehrheit im Haus10.

ℹ️Allerdings hatten die Deutschliberalen die Mehrheit nur sehr knapp verfehlt. Sie verstanden sich als Klub der Verfassungspartei – oder Verfassungstreue – und bestanden aus dem Klub der Liberalen (93 Mandate), dem Fortschrittsklub (57 Mandate) und 9 unabhängigen Abgeordneten (zusammen 159). Die andere Hälfte des Hauses setzte sich aus drei mittelgroßen und kleinen Fraktionen zusammen. Von ihnen war der Polenklub mit 58 Mandaten die größte und homogenste Gruppe11. Der böhmische Klub mit seinen 55 Mitgliedern bestand aus den Alt- und den Jungtschechen sowie dem böhmischen Feudaladel, die für die Wahlen eine gemeinsame Kandidatenliste erstellt hatten; er war also selbst keine homogene Fraktion, besonders angesichts des Antagonismus zwischen Alt- und Jungtschechen12. 30 deutsch-katholische Abgeordnete, 13 Slowenen, drei Rumänen und ein Serbe, zusammen ebenfalls 55 Abgeordnete, schlossen sich zu einem rechten Zentrum zusammen. Da die treibende Kraft hinter dieser Vereinigung der ehemalige Ministerpräsident Hohenwart war, wurde sie nach ihm Hohenwartklub genannt. Bei sechs liberalen Mandaten kam es bald zu Neuwahlen, die von regierungsfreundlichen Bewerbern gewonnen wurden. Daneben gab es noch 16 Mandate, die keinem der beiden Lager zugerechnet werden konnten. Nachdem klar geworden war, dass die deutschliberalen Klubs die Regierung nicht mitzutragen bereit waren, einigten sich Polenklub, böhmischer Klub und Hohenwartklub auf eine Regierungsunterstützung, wenn diese zu Zugeständnissen an die drei Franktionen bereit war.

ℹ️Nachdem das Wahlergebnis am 11. Juli 1879 absehbar war, beriet die Übergangsregierung Stremayr über die „Demission des Kabinetts“13, am 28. Juli 1879 traf sie sich zu ihrer letzten Sitzung, um noch einmal die Verleihung von Orden und einer Geheimratswürde zu erwirken14. Es war seit ihrer ersten Zusammenkunft am 17. Februar 1879 die 40. Sitzung. Am 10. August wurde dann das Demissionsgesuch Stremayrs angenommen und ℹ️Taaffe mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt15. Das alte Kabinett blieb bis zur definitiven Regierungsbildung im Amt, die zwei Tage später erfolgte.

ℹ️Mit der Ernennung des neuen definitiven Ministeriums am 12. August 187916 traten nun größere personelle Veränderungen ein, die dem Regierungsprogramm „Versöhnung und Verständigung“ Rechnung tragen sollten. Als liberale Minister blieben Stremayr, der weiterhin das Kultus- und Unterrichtsministerium leitete und zusätzlich anstelle von Julius Glaser Justizminister wurde, und der Minister für Landesverteidigung Julius Freiherr v. Horst – sie wurden aber von den Deutschliberalen nicht als ihre Vertreter anerkannt. Weitere Personen für Ministerposten wollten sie auch nicht zur Verfügung stellen, sodass Taaffe, um ihnen eine Tür offenzuhalten, zwei den Deutschliberalen zugerechnete Beamte mit der Leitung von Ministerien betraute: Carl Freiherr v. Korb-Weidenheim, der im Handelsministerium Johann Ritter v. Chlumecký ersetzte, und Emil Chertek, der im Finanzministerium Pretis nachfolgte. Die Konservativen waren durch Julius Graf v. Falkenhayn vertreten, der Ackerbauminister Hieronymus Graf v. Colloredo-Mannsfeld ersetzte. In seinem Amt als Minister ohne Portefeuille und mit den galizischen Agenden betraut blieb Florian Freiherr v. Ziemiałkowski. Neben ihn trat nun als zweiter Minister ohne Portefeuille Alois Freiherr v. Pražák, de facto zuständig für tschechische Agenden.

ℹ️Da sich die Deutschliberalen konsequent weigerten, die Regierung zu unterstützen, war diese umso mehr auf die Zustimmung der katholisch-konservativen, feudalen und föderalen Kräfte angewiesen, die im Laufe der Zeit entsprechend mehr Gewicht in der Regierung forderten. Dies führte bis Jänner 1881 zu drei größeren Umbildungen des Kabinetts.

ℹ️Die erste Umbildung erfolgte nur vier Monate nach Ernennung der Regierung Taaffe. Am 16. Februar 1880 gab Stremayr die Leitung des Kultus- und Unterrichtsministeriums ab, blieb aber Justizminister. Neuer Kultus- und Unterrichtsminister wurde Sigmund Freiherr Conrad v. Eybesfeld. Auch der erst vier Monate zuvor ernannte Chertek gab die Leitung des Finanzministeriums an Adolph Freiherr v. Kriegs-Au ab, der definitiver Finanzminister wurde17.

ℹ️Zur zweiten Umbildung kam es erneut vier Monate später am 26. Juni 1880. Minister für Landesverteidigung Horst verließ das Kabinett, ihn ersetzte Zeno Graf Welser v. Welsersheimb. Korb wurde als Handelsminister durch Alfred Ritter v. Kremer abgelöst. Stremayr ging nun auch als Justizminister, ihm folgte Moriz Freiherr v. Streit, und das Finanzministerium erlebte einen weiteren Wechsel seines Chefs. Anstelle von Kriegs-Au trat Julian Ritter v. Dunajewski in das Kabinett ein18.

ℹ️Die dritte Kabinettsumbildung erfolgte am 14. Jänner 1881, Kremer und Streit gingen. Neuer Handelsminister wurde Felix Freiherr Pino-Friedensthal, und der für tschechische Belange zuständige Pražák wurde mit der Leitung des Justizministeriums betraut. Damit hatte das Kabinett die Zusammensetzung erhalten, die es bis Ende 1885 unverändert behielt19.

ℹ️Nachdem der Versuch einer Zusammenarbeit mit den Deutschliberalen gescheitert war, blieb Taaffe auf die Unterstützung von drei Gruppen im Abgeordnetenhaus angewiesen: die Tschechen mit dem böhmischen Feudaladel, den Polenklub und den Hohenwartklub. Was die vielen unterschiedlichen Fraktionen zusammenhielt, war letztlich die Ablehnung der Deutschliberalen, ansonsten hatte diese heterogene Gruppe wenige Gemeinsamkeiten. Daher war Taaffes Position sehr instabil. Die Regierungsmitglieder waren nicht nur Minister, sondern auch Vertreter ihrer politischen Richtungen, um einerseits bereits im Kreise der Regierung Kompromisse zu erzielen und andererseits diese Kompromisse dann in ihren Fraktionen zu vertreten. So erwies sich die Regierungskonstellation trotz ihrer Heterogenität als beständig, und der ihr angehörende Abgeordnete Georg Lienbacher gab dieser Koalition später den sprichwörtlichen Namen „Eiserner Ring“20.

ℹ️b) Die Minister der Regierung nach der dritten Kabinettsumbildung

Als Taaffe (1833–1895) am 15. Februar 1879 zum Innenminister ernannt wurde21, war er in der Politik längst kein Unbekannter mehr. Vom 27. Juni 1867 bis 17. April 1869 war er bereits Ministerpräsidentstellvertreter und direkt im Anschluss bis zum 15. Jänner 1870 Ministerpräsident gewesen, zusätzlich hatte er vom 7. März bis Ende 1867 die Leitung des Innenministeriums inne, im Anschluss war er bis zu seiner Entlassung als Ministerpräsident am 15. Jänner 1870 Landesverteidigungsminister und im Ministerium Potocki (12. April 1870 bis 4. Februar 1871) erneut Innenminister sowie Leiter des Ministeriums für Landesverteidigung22. Danach wirkte er bis zu seiner Berufung in die Übergangsregierung Stremayr als Statthalter für Tirol und Vorarlberg in Innsbruck. 1867 bis 1870 saß er für den Großgrundbesitz im böhmischen Landtag und wurde von diesem in den Reichsrat gewählt. 1870 berief Franz Joseph ihn auf Lebenszeit ins Herrenhaus.

Pražák (1820–1901) hatte als Minister ohne Portefeuille die tschechischen Interessen wahrzunehmen. Er trat mit der Ernennung Taaffes zum Ministerpräsidenten am 12. August 1879 in die Regierung ein und sollte bis zum 4. August 1892 bleiben23. Vom 14. Jänner 1881 bis zum 11. Oktober 1888 war er auch mit der Leitung des Justizministeriums betraut. Aus zwei Gründen war Pražák für die Rolle als Vertreter der Tschechen im Kabinett prädestiniert. Einerseits war er in der tschechischen Politik fest verwurzelt. Er war bereits in den Reichstag von 1848/49 gewählt worden. Im Abgeordnetenhaus des Reichsrates saß er von 1861 bis 1864, schloss sich dann der tschechischen Abstinenzpolitik an. Andererseits war er Pragmatiker und betrachtete diese Abstinenzpolitik nicht als Selbstzweck. Schien es ihm opportun, gab er sie wieder auf. 1874 – nach der Wahlrechtsreform von 1873 – kehrte er wieder in den Reichsrat zurück. Er vertrat als Abgeordneter bis 1892 stets mährische Landgemeinden und wurde anschließend auf Lebenszeit ins Herrenhaus berufen. Durchgehend von 1861 bis 1896 war er auch Mitglied des mährischen Landtages.

Für die polnischen Interessen saß Ziemiałkowski (1817–1900) ebenfalls als Minister ohne Portefeuille in der Regierung. In dieser Eigenschaft war er bereits am 21. April 1873 in das Kabinett Adolph Auersperg geholt worden24. Er sollte dieses Ministeramt bis 11. Oktober 1888 innehaben. Dass Ziemiałkowski eine große politische Karriere als Minister in der Habsburgermonarchie haben würde, war bis 1865 nicht zu erahnen25. Seine polnisch-nationale Tätigkeit hatte ihn zuvor in ständigen Konflikt mit der Justiz gebracht. 1845 wurde er zum Tod verurteilt, dann begnadigt, 1849 nach Meran verbannt und 1864 durch ein Militärgericht zu drei Jahren Festungshaft verurteilt, 1865 aber amnestiert. Wie Pražák war auch Ziemiałkowski bereits 1848/49 Reichstagsabgeordneter gewesen und er gehörte dem galizischen Landtag 1861–1863 sowie ab 1867 an. Das Jahr 1867 brachte dann eine Wende in seinem Leben. Von nun an standen seine polnischen Interessen nicht mehr im Gegensatz zu einem Galizien in der Habsburgermonarchie. In der Frage, ob die polnischen Abgeordneten aus Galizien durch ihr Fernbleiben vom Reichsrat das neue Cisleithanien destabilisieren sollten, wie es die Tschechen taten, setzte sich Ziemiałkowski für die Beschickung des Wiener Parlaments ein und ging selbst dorthin, wo er Obmann des Polenklubs wurde; als er wegen interner Spannungen im Polenklub sein galizisches Landtagsmandat niederlegte, verlor er damit auch sein Abgeordnetenmandat. 1870 wurde er erneut in den galizischen Landtag gewählt. In das Abgeordnetenhaus des Reichsrates kehrte er erst nach den direkten Wahlen 1873 wieder zurück, dem er dann bis 1888 angehören sollte. Darauf wurde er auf Lebenszeit zum Herrenhausmitglied ernannt. Dem galizischen Landtag gehörte er noch bis 1895 an.

Ackerbauminister Falkenhayn (1829–1899) war Vertreter der katholisch-konservativen Interessen des Reichsrates, die sich im Hohenwartklub vereinigt hatten. Falkenhayn entstammte einer uradligen Familie26. Wie sein Vater schlug er die Militärkarriere ein, nahm an den Kämpfen 1848/49 in Italien und Ungarn teil, verließ 1857 aber die Armee, um in Oberösterreich die Verwaltung seiner Güter zu übernehmen. Hier war er 1867–1870 Mitglied des Landtages. 1879 wurde er ebenfalls in Oberösterreich in den Reichsrat gewählt, zunächst in der Städtekurie, ab 1885 durch den Großgrundbesitz. Er blieb bis zu seinem Tod Abgeordneter. Das Portefeuille des Ackerbauministeriums behielt er auch nach dem Rücktritt Taaffes in der Regierung von Alfred Fürst zu Windisch-Grätz bis zu deren Ende am 19. Juni 1895.

Die anderen vier Minister waren keine Männer der ersten Stunde. Sie kamen später hinzu. Bereits bei der ersten Regierungsumbildung am 16. Februar 1880 trat Conrad (1821–1898) in das Kabinett ein27. Er begann 1841 eine Beamtenkarriere, die ihn in viele Teile der Monarchie führte, so auch 1853 in die Statthalterei Temesvár, 1854 nach Mailand und 1857 als Stellvertreter des Banus nach Agram. Als weitere Stationen folgten 1861 Triest und 1865 Venedig. Nachdem er 1867 zum Landespräsidenten in Krain ernannt worden war, wurde er 1871 Statthalter in Ober- und 1872 in Niederösterreich. Hier blieb er, bis er als Kultus- und Unterrichtsminister in das Kabinett eintrat, ein Amt, das er bis zum 5. November 1885 behielt. Im Gegensatz zu den bisher besprochenen Ministerkollegen hatte Conrad außer seiner Mitgliedschaft im Krainer Landtag 1871/72 und im niederösterreichischen Landtag 1876/77 keine parlamentarische Erfahrung. Erst 1885 – bei einer Nachwahl – erhielt er ein freigewordenes Mandat der Landgemeinden der Bukowina. Da er jedoch mit seiner Entlassung als Minister wenig später zum lebenslangen Mitglied des Herrenhauses ernannt wurde, konnte er das Abgeordnetenmandat nicht lange ausüben. ℹ️Conrad, dem Taaffe „die Fähigkeit zutraute, sich mit Slawen und Deutsch-Klerikalen abzufinden, dabei doch den Schein der Verfassungsmäßigkeit zu wahren“28, vertrat in der Regierung die deutsche Position: Bewahrung der Dominanz des Deutschen als gemeinsamer Verkehrssprache im cisleithanischen Teil der Monarchie. Er konnte sich aber auch in seinen Agenden sehr oft nicht durchsetzen. So unterwarf er sich „der Anschauung der übrigen Minister“29, als sein Verordnungsentwurf über den Nachweis der Kenntnis der deutschen Sprache in den theoretischen Staatsprüfungen an der Prager Universität „mit böhmischer Unterrichtssprache“ – wie die neu gegründete tschechische Universität offiziell bezeichnet wurde – dahingehend abgeändert wurde, dass das Fach, das in Deutsch abzulegen war, statt von der Prüfungskommission vom Prüfling zu bestimmen sei und dies auch bei einer Wiederholung aufgrund ungenügender Leistung in der deutschen Sprache30.

Ursprünglich nicht eingeplant, rückte Dunajewski (1821–1907) am 26. Juni 1880 als Finanzminister nach, nachdem Chertek und Kriegs-Au sich jeweils nur vier Monate halten konnten31. Neben Ziemiałkowski war Dunajewski, der ebenfalls Mitglied des Polenklubs war, eine zweite polnische Stimme in der Regierung. Ursprünglich hatte Dunajewski eine wissenschaftliche Karriere eingeschlagen, 1861 war er zum Professor für die politischen Wissenschaften und Statistik an der Universität Krakau ernannt worden, deren Rektor er mehrfach war. Als solcher hatte er eine Virilstimme im galizischen Landtag. 1870 wurde er dann in einer Nachwahl von der Stadt Neusandec in den Landtag gewählt und, mit Einführung der direkten Reichsratswahlen, vom Wahlkreis Biała-Sandec-Wieliczka auch in den Reichsrat. 1891 legte Dunajewski sein Ministeramt nieder und trat bei den Reichsratswahlen nicht mehr an. Ein Jahr später wurde er in das Herrenhaus berufen. Dem Landtag gehörte er bis zu seinem Tod 1907 an. Als Finanzminister war sein Einfluss auf den Handlungsspielraum aller Minister und damit auf die gesamte Politik besonders groß. ℹ️Sein zentrales finanzpolitisches Ziel war ein ausgeglichener Staatshaushalt, den er auch erreichte. Immer pochte er auf Haushaltsdisziplin und wusste sich der Rückendeckung Taaffes wie auch des Monarchen sicher32. Als es um Vorschüsse für die Gemeinden aus Staatsmitteln für das durch die Unwetter vom September und Oktober 1882 verwüstete südliche Tirol ging, verlangte Dunajewski, „dass die Vorschüsse dem Lande gegen dessen Haftung gegeben werden“, weil „Vorschüsse, [wel]che vom Staate direkte den Gemeinden gegeben werden, in der Regel nicht hereinzubringen seien“33. 14 Tage vorher allerdings, es ging um die Höhe des Staatszuschusses für die galizischen Grundentlastungsfonds, empfahl der Finanzminister der Regierung „dem Ansinnen wegen der Gewährung eines weiteren rückzahlbaren Staatsbeitrages von [jährlich, ASK] 325.000 fl. nachzugeben“34.

Pino (1826–1906) trat am 14. Jänner 1881 in das Kabinett ein und ersetzte als Handelsminister Kremer35. Wie Conrad hatte Pino sein Berufsleben im Staatsdienst zugebracht, mit Stationen in den verschiedensten Regionen der Monarchie. 1870 wurde er Landespräsident in der Bukowina, 1874 Statthalter im Küstenland und wechselte in dieser Eigenschaft 1879 nach Oberösterreich, um dem bisherigen Finanzminister Pretis Platz zu machen, da diesem bei seiner Ernennung zum Finanzminister 1871 die Rückversetzung nach Triest im Falle seiner Entlassung zugesichert worden war36. Sein Ministeramt legte Pino am 16. März 1886 nieder und wurde wieder Landespräsident in der Bukowina. 1890 trat er wegen eines Augenleidens, an dem er erblindete, in den dauernden Ruhestand. Im Gegensatz zu Conrad hatte Pino eine parlamentarische Karriere: 1871–1876 war er Mitglied im Bukowinaer Landtag, 1876–1881 im Landtag von Görz und Gradisca. 1871–1879 saß er zudem für einen Wahlkreis der Bukowina im Reichsrat. Als es hier 1882 zu einer Nachwahl kam, weil Michael Pithey als Voraussetzung für seine Ernennung zum Oberlandesgerichtsrat sich verpflichtete, sein Abgeordnetenmandat zurückzulegen37, wurde Pino erneut in das Abgeordnetenhaus gewählt. Hier blieb er bis 1887, seit 1885 aber auf einem Mandat aus Kärnten. Von 1887 bis 1891 saß er dann erneut im Landtag der Bukowina. ℹ️Als Pino von Taaffe in das Amt des Handelsministers berufen wurde, zählte er politisch zum rechten deutschliberalen Lager38. Doch vertrat er in handelspolitischen Fragen oft keineswegs liberale Positionen, wie bei der Verstaatlichung der Eisenbahnen. Zwar hatte bereits die Regierung Adolph Auersperg den Weg dahin mit dem sogenannten Sequestrationsgesetz geebnet39. Dieses Gesetz ermöglichte es der Regierung, Privatbahnen in Staatsverwaltung zu nehmen, wenn diese die Staatsgarantien für Dividendenauszahlungen zu lange und zu intensiv in Anspruch nahmen. Doch wurde das Gesetz bis 1880 nicht angewandt. Dies änderte sich mit der Regierung Taaffe, und Pino war hier als Handelsminister intensiv involviert. Ebenfalls in Pinos Aufgabenbereich fiel die Reform der Gewerbeordnung von 1859, die in liberalem Sinne die freie Berufswahl festschrieb. Diese wurde nun durch die Einführung von Befähigungsnachweisen eingeschränkt.

Ab 16. Februar 1880 war Welsersheimb (1835–1921) als Landesverteidigungsminister Mitglied der Regierung. Er vertrat keine Parteirichtung, er war Vertrauensmann des Monarchen. Als solcher überdauerte er alle Regierungskrisen und verließ diesen Posten erst 25 Jahre später, am 9. April 190540. Seit seinem 17. Lebensjahr – als Kadett – gehörte Welsersheimb der Armee an. Er nahm am Krieg 1866 auf dem italienischen Kriegsschauplatz teil, war danach Militärattaché in Paris und 1870–1875 in Berlin. Als er in das Kabinett trat, hatte er den Rang eines Generalmajors. 1889 berief ihn Franz Joseph auf Lebenszeit ins Herrenhaus. In seinem Fall war dies allerdings nicht seine Lebenszeit, sondern die des Herrenhauses, das mit dem Ende der Monarchie 1918 aufhörte zu existieren.

Von diesen acht Mitgliedern des Kabinetts gehörten drei, Taaffe, Falkenhayn und Welsersheimb, alten gräflichen Familien an, die anderen fünf gehörten zum neueren Adel, als Freiherrn (Pražák, Ziemiałkowski, Conrad und Pino) oder Ritter (Dunajewski).

Nach der dritten Kabinettsumbildung im Jänner 1881 war von dem ursprünglichen Versuch Taaffes, die Deutschliberalen zu integrieren, nicht mehr viel übriggeblieben. Die meisten Minister standen gegen deren Anschauungen. Beim katholisch-konservativen Falkenhayn richtete sich dies besonders gegen deren gesellschafts- und wirtschaftsliberale Aspekte, bei Dunajewski, Ziemiałkowski und Pražák gegen den Zentralismus, bei Pražák zusätzlich gegen die deutsche Dominanz in Böhmen, Mähren und Schlesien. Nur Conrad und Pino passten nicht in diesen Gegenentwurf zum Deutschliberalismus, aber sie waren im Kabinett isoliert und konnten sich in kritischen Fragen nicht durchsetzen. Als Kultus- und Unterrichtsminister versuchte Conrad Deutsch als Verkehrssprache zu bewahren, Pino als Handelsminister vertrat wirtschaftsliberale Positionen. Aber beide waren kompromissbereit, eine Grundeinstellung, die sie mitbringen mussten, um sich in dieser Regierung halten zu können.

Herrschaftsabsicherung

ℹ️a) Mehrheiten in den parlamentarischen Körperschaften

ℹ️Als Taaffe am 12. August 1879 (zum zweiten Mal) das Amt des Ministerpräsidenten übernahm, bildete sich im Abgeordnetenhaus – ohne sein Zutun – ein Bündnis aus föderativen, konservativen und katholischen Kräften, das bereit war, seine Politik mitzutragen, wenn im Gegenzug die Regierung ihren Interessen entgegenkam. Je deutlicher wurde, dass die deutschliberalen Gruppierungen die Regierung nicht einmal tolerieren wollten, desto abhängiger wurde Taaffe von diesem Parteienbündnis, dem Eisernen Ring41.

ℹ️Aber das Abgeordnetenhaus konnte nur gemeinsam mit dem Herrenhaus Gesetze verabschieden, und dieses war nach den Interessen der damaligen liberalen Regierung Adolph Auerspergs geformt worden. Auch die Institutionen der Länder – die Landtage, der Gemeinderat von Wien oder Institutionen wie die Landesschulräte – konnten gegen die Interessen der Regierung arbeiten. Schließlich waren auch Beamte in der Lage, die ihnen vorgeschriebene Politik mit mehr oder weniger Elan umzusetzen. Ein Großteil von ihnen, besonders die Spitzenbeamten, verdankten ihre Ernennung den Anträgen der Vorgängerregierung.

ℹ️Der zunächst wichtigste Schritt für Taaffe war, das Herrenhaus unter seine Kontrolle zu bringen. Schon nach der Ernennung der Übergangsregierung Stremayr mit dem neuen Innenminister Taaffe am 15. Februar 1879 und der Regierungserklärung am 20. Februar42 bat Karl Fürst zu Auersperg um seine Enthebung vom Amt als Präsident des Herrenhauses, was aber zunächst noch abgelehnt wurde43. Am 11. und 23. September 1879 aber, Taaffe war gerade einmal einen Monat im Amt, begann die „Umfärbung“ des Herrenhauses. Auf Vorschlag der Regierung ernannte Franz Joseph 14 neue Mitglieder auf Lebenszeit, ℹ️am 19. beriet der Ministerrat über die Besetzung der Vizepräsidentenstellen und am 23., weil Karl Auersperg erneut um seine Enthebung gebeten hatte, auch über die des Präsidentenpostens des Hauses. Am 27. September schließlich einigte sich die Regierung auf einen Vorschlag über die Besetzung des Präsidiums, das noch am selben Tag vom Monarchen ernannt wurde; als Präsident Ferdinand Graf Trauttmansdorff-Weinsberg, Vizepräsidenten wurden Alexander Fürst Schönburg-Hartenstein und Constantin Fürst Czartoryski44.

ℹ️Damit hatte die Regierung jedoch noch keineswegs ein Herrenhaus, das ihre Politik mittragen wollte. ℹ️Zum ersten Zusammenstoß kam es bereits bei der Diskussion über die dem Monarchen zu gebende Antwort auf dessen Thronrede, der sogenannten Adressdebatte45. Denn statt, wie es üblich war, Einigkeit zu demonstrieren, trat die Adresskommission des Herrenhauses mit zwei Entwürfen vor das Haus: einem deutschliberalen Majoritätsantrag und einem regierungsfreundlichen der Minorität. Auch wenn beide Entwürfe gänzlich unterschiedlich strukturiert waren, verhinderten letztlich nur drei Worte des Majoritätsantrags eine Zustimmung der Minorität. ℹ️Es ging um die Frage, ob der „Freude“, dass die Tschechen aus Böhmen ihre Abstinenzpolitik aufgegeben hatten, mit einer Kritik an dieser Abstinenzpolitik verbunden werden sollte. Nachdem die Tschechen die Regierung unterstützten, war diese Kritik natürlich nicht im Sinne der Regierung. Die deutschliberale Mehrheit des Herrenhauses fügte hinter die Befriedigung der Anerkennung des Rechtsbodens durch die tschechischen Vertreter die Worte ein: „welchen sie betreten“46, womit unmissverständlich ausgedrückt war, dass sie bisher nicht auf dem Rechtsboden gestanden waren. In dieser Debatte ergriff Taaffe als Herrenhausmitglied das Wort und stellte zu Ende seiner Rede fest, er werde „selbstverständlich gegen dieses Alinea stimmen“47. Um einen Kompromiss zu finden, bot Alexander Freiherr v. Hübner an, den Minoritätsantrag zurückzuziehen, falls diese drei Worte „welchen sie betreten“ aus dem Mehrheitsantrag gestrichen würden. Der Antrag Franz Graf Falkenhayns – des älteren Bruders des Ackerbauministers – auf namentliche Abstimmung erhöhte den Druck auf die gegen die Regierung eingestellten deutschliberalen Mitglieder des Hauses. Dennoch ging die Abstimmung mit 78 zu 59 Stimmen gegen den Antrag auf Streichung der drei Worte aus und der Majoritätsantrag wurde angenommen. Die Mehrheit hatte sich – und besonders wegen der namentlichen Abstimmung – ganz offen gegen die Regierung deklariert. In der Reihe der Personen, die gegen den Antrag Hübners gestimmt hatten, findet sich auch Caspar Graf zu Lodron-Laterano48, der Landespräsident in Klagenfurt, und gerade sein Verhalten beschäftigte den Ministerrat speziell49.

ℹ️1879 und 1880 standen weitere Probleme mit dem Herrenhaus auf den Tagesordnungen der Ministerratssitzungen50. Daher musste die Regierung ihre Unterstützerbasis vermehren. Über vier Sitzungen zog sich im Jänner 1881 die Diskussion um die Auswahl neuer Herrenhausmitglieder, diesmal waren es zwölf51. Diese Ernennungen hatten zur Folge, dass sich nun die Themen änderten, mit denen das Herrenhaus in den Tagesordnungen des Ministerrates auftauchte, weg von liberalen hin zu konservativen Anliegen: ℹ️die Grundsteuergesetznovelle und ℹ️die Abänderung des Reichsvolksschulgesetzes von 1869, mit dem besonders auch die Dauer der Schulpflicht verkürzt werden sollte52. ℹ️Die einzige Herrenhausdebatte mit deutschliberalem Hintergrund, mit der sich die Regierung nun auseinandersetzen musste, war der Gesetzentwurf zur Teilung der Prager Universität, bevor er im Sinne der Regierung votiert wurde53. Am 12. November 1881 behandelte die Regierung die Ernennung neuer Herrenhausmitglieder in nur einer Sitzung, allerdings dem einzigen Tagesordnungspunkt dieser Zusammenkunft. Daraufhin ernannte Franz Joseph nun drei neue erbliche Mitglieder und elf berief er auf Lebenszeit in das Herrenhaus54.

ℹ️Als Taaffe dann am 28. Dezember 1882 die Ernennung von neuen Herrenhausmitgliedern erneut zur Sprache brachte, hielt er einleitend fest, da „es bei dem jetzigen Zustande einer gesicherten Regierungsmajorität nicht entsprechend wäre, die Opposition ohne Not zu reizen“, habe er erstens vor, dass „mit der Anzahl der Ernennungen nicht um vieles weiter gegangen werde, als die Zahl der entstandenen Lücken betrage“ und dass zweitens „nicht gerade Männer gewählt werden, welche prononciert zur Parteirichtung der Rechten gehören“, stattdessen „genüge, solche zu ernennen, von denen man eben nur versichert sei, dass sie mit der Regierung gehen werden“. Unter diesen Gesichtspunkten wurde neben einem Ersatz von vier verstorbenen Herrenhausmitgliedern nur eine Vermehrung um eine Person ins Auge gefasst55, und die neu zu Ernennenden waren nach ausgleichenden nationalen, politischen und fachlichen Kriterien auszuwählen. Zur Ernennung des „ultrakonservativen“ Theodor Maria Freiherr v. Risenfels musste Erzherzog Wilhelm vor Vortragserstattung noch gefragt werden, da Risenfels dem Deutschen Orden angehörte. Hingegen ergab sich beim liberalen Alois Czedik v. Bründlsberg eine längere Diskussion. Da Czedik jedoch Pino „schriftlich und mündlich die Zusicherung gemacht habe, in allen wichtigen Fragen mit der Regierung zu gehen und […] derselbe weiters erklärt habe, sich im Herrenhause keiner Partei anzuschließen und überhaupt jene Haltung beobachten zu wollen, welche der Handelsminister von ihm fordern werde“, und weil das Herrenhaus Eisenbahnexperten benötigte, fand sich auch für ihn eine Mehrheit56. Nur die Tatsache, dass für die aus Galizien zu nominierende Person noch der Statthalter Potocki zu befragen war, verschob den endgültigen Beschluss des Ministerrates57. Mit Ende 1881 war daher auch im Herrenhaus die Regierungsmehrheit gesichert, die in der weiteren Folge nur mehr vorsichtig und langsam ausgebaut wurde.

ℹ️Am 2. Mai 1881 brachten 52 Abgeordnete einen Antrag auf Abänderung der Wahlordnung für das Abgeordnetenhaus ein58, um die Wahlbezirke und Wahlorte der Kurie des großen Grundbesitzes, besonders in Böhmen, neu zu regeln. Zuvor war bereits ein anderer Wahlrechtsentwurf eingebracht worden, der einerseits in der Kurie des Großgrundbesitzes für den Steuerzensus die Gebäudesteuer großteils ausschließen und diese damit auf die Grundsteuer fokussieren sollte sowie andererseits den Zensus in der Kurie der Städte und der Landgemeinden auf fünf Gulden festsetzte59. Bisher wurde der Zensus nach den Landtagswahlordnungen von 1861 geregelt und variierte von Land zu Land. Für Städte betrug er in der Regel zehn Gulden, während er sich für die Landgemeinden hauptsächlich darüber definierte, dass der Steuerzahler zu den höchsten Steuerträgern gehörte, die zusammen zwei Drittel der Steuerleistung der Gemeinde erbrachten. Dieser Antrag auf Vereinheitlichung des Zensus wurde erst im März 1882 in den Gesamtentwurf des Ausschusses eingearbeitet. Vermutlich, weil diese Gesetzesinitiative nicht von der Regierung ausging, kam die Wahlreform nicht oft im Ministerrat zur Sprache, zumindest soweit die Titel der Tagesordnungen darüber Rückschlüsse zulassen. Im März 1882 wurde die Frage beraten, ob die Senkung des Wahlzensus in den Städten und Landgemeinden in den Gesetzentwurf aufgenommen werden sollte. Nachdem das Gesetz vom Reichsrat votiert worden war, brachte Taaffe das Thema noch zweimal in den Ministerrat, zunächst im Juni, weil er das Gesetz nicht sofort Franz Joseph zur Sanktion vorlegen, sondern damit noch bis zum Herbst warten wollte, und danach im September, da nun die Zeit zur Vorlage gekommen war. Der Monarch sanktionierte die geänderte Reichsratswahlordnung am 4. Oktober 188260.

ℹ️Diese Wahlrechtsänderung bewirkte dreierlei. Erstens konnte so die deutsche Dominanz in der böhmischen Kurie des Großgrundbesitzes endgültig beseitigt werden; zum Zweiten bewirkte die Fokussierung des Zensus in der Großgrundbesitzerkurie auf die Grundsteuer, dass die Gebäudesteuer nicht mehr (wie bisher) hinzugerechnet werden konnte, wodurch viele – deutschliberal wählende – Hausbesitzer in dieser Kurie ihr Wahlrecht verloren; zum Dritten reduzierte sich das Gewicht der deutschliberalen Wähler in der Kurie der Städte, weil die neuen Wahlberechtigten zum konservativen Mittelstand gehörten, zumeist Handwerker und kleinere Kaufleute. Wegen der Festsetzung des Zensus auf fünf Gulden, der in den meisten Ländern eine Ausweitung des Wahlrechts bedeutete, wurden die neu Wahlberechtigten „Fünfguldenmänner“ genannt61. Diese Wahlreform sollte die bisherige starke Position der oppositionellen Deutschliberalen brechen. Für die Parteien hingegen, die das Kabinett Taaffe unterstützten, stellte sie einen Vorteil dar und daher auch für die Regierung. Andererseits aber bedeutete diese Wahlreform eine zusätzliche Abhängigkeit der Regierung von ihren Unterstützerparteien.

ℹ️Nach Annahme der Wahlordnung für den Reichsrat Ende Mai dachte die Regierung darüber nach, eine entsprechende „Regierungsvorlage im [böhmi]schen Landtage einzubringen“62. Sie wurde aber in dieser Frage nicht aktiv. Als die tschechischen Abgeordneten im Landtag auf Anraten des Statthalters Alfred Freiherrn v. Kraus eine Interpellation zur Landtagswahlreform ankündigten, stieß diese Idee nicht mehr auf Gegenliebe bei Taaffe63. Denn mit einer klaren Befürwortung hätte sich die Regierung die Hände gebunden. Insofern forderte Taaffe den Statthalter auf, in seiner Antwort auf jeden Fall zustimmend, aber wenig konkret zu sein64. Dem kam Kraus nach65. Warum die Regierung diesem Wunsch der Tschechen gegenüber zurückhaltend war, machte Taaffe in einem Treffen „mit den Führern des Český klub“ deutlich, über das er im Dezember im Ministerrat referierte: „Vom Ministerpräsidenten wurde den Herren die Notwendigkeit dargelegt, dass die Majorität und bzw. die böhmische Partei die Regierung weiters unterstütze, zugleich jedoch auch bedeutet, dass es für die Regierung Gewissenspflicht sei, zu wissen, ob sie dieser Unterstützung sicher sei, bevor sie an Se. Majestät gewisse Anträge stelle, welche zur Befriedigung der Desiderien [der] böhmischen Partei führen [s]ollen.“66 Bei diesem Treffen erklärte sich Taaffe bereit, im Landtag eine „analoge Vorlage wegen Änderung des Wahlmodus aus dem Großgrundbesitze einzubringen“. In ihrer Interpellation aber hatten die Tschechen auch das Wahlrecht der Fünfguldenmänner für den Landtag gefordert67. Vielleicht lag es an dieser Diskrepanz – die Regierung arbeitete trotz der Zusicherung der Loyalität der Tschechen keine Wahlrechtsänderung für den böhmischen Landtag aus68. Den Gesetzentwurf auf Reduzierung des Wahlzensus auf fünf Gulden brachte in der Landtagssession 1884 vielmehr der deutschliberale Abgeordnete Eduard Herbst ein. Diesen Entwurf nahm der Landtag einstimmig an, er wurde aber auf Anraten der Regierung nicht sanktioniert69. In der nächsten Session stellte der deutschliberale Abgeordnete Ernst Edler v. Plener den Antrag erneut, der nun die Gründe der Ablehnung vom vorigen Jahr berücksichtigte. Auch dieser Antrag wurde ohne Gegenstimme angenommen und diesmal sanktioniert70.

b) Personalpolitik

ℹ️Von zentraler Bedeutung war für die Regierung die Personalpolitik, besonders die Besetzung von Schlüsselpositionen der Verwaltung. Dies waren in erster Linie die Statthalter bzw. die Landespräsidenten in den Kronländern, vertraten sie doch dort die Interessen der Regierung. Die Ursachen für Wechsel waren vielfältig. Zum einen war es der Tod, wie im Falle des Statthalters in Brünn Franz Ritter Kallina v. Urbanow am 10. Juli 1880 oder des Landespräsidenten in Troppau Alexander Freiherr v. Summer am 27. April 1882. Häufig wurde eine Position auch durch die Ernennung des Amtsinhabers zum Minister frei, wie im Fall Taaffes (1879), Conrads (1880) und Pinos (1881). Umgekehrt wurden auch Minister nach ihrer Entlassung Statthalter (Pretis 1879 im Küstenland, Korb 1880 in Mähren). In der Regel führte ein freiwerdender Statthalterposten zu einem „Sesselrücken“, indem diese Stellen durch andere Statthalter oder Landespräsidenten besetzt wurden, deren Stellen danach frei wurden. Neue Leute rückten fast ausschließlich als Landespräsidenten, nicht jedoch als Statthalter nach71. Nur wenn man keinem der üblichen Kandidaten die benötigten Fähigkeiten zutraute, griff man auf andere Personen zurück, wie Anfang Juli 1881 bei der Besetzung der Leitung der Statthalterei in Prag. Nachdem sich kein geeigneter Zivilbeamter fand – Pino brachte sogar den 33-jährigen Statthaltereirat Olivier Marquis de Bacquehem ins Spiel – wurde mit Kraus auf einen Militär zurückgegriffen. Eine generelle Ausnahme war die Statthalterei in Zara, weil die Leitung der Zivilverwaltung in der Regel in die Hand eines Militärs gelegt wurde, der gleichzeitig auch dalmatinischer Militärkommandant war.

ℹ️In einigen Fällen war ausschlaggebend für Positionswechsel aber auch die Unzufriedenheit der Regierung mit der politischen Position oder der Amtsführung des Landeschefs wie im Falle Lodrons. Er hatte eine untypische Karriere. Er war 1870 zum Landespräsidenten in Klagenfurt und noch im selben Jahr zum Statthalter in Innsbruck ernannt worden. Als Liberalen schickte Hohenwart ihn 1871 in den Ruhestand – an seine Stelle trat Taaffe, der zuvor Innenminister gewesen war –, Adolph Auersperg holte Lodron hingegen 1873 wieder zurück in den Dienst. Allerdings erhielt er keinen Statthalter-, sondern den Landespräsidentenposten in Klagenfurt, jedoch unter Beibehaltung seines Statthaltertitels72. Der Ministerrat vom 25. März 1879 beriet seine Pensionierung73, er blieb jedoch im Amt. Dann fiel er aber dem Ministerpräsidenten Taaffe bei der Adressdebatte des Herrenhauses negativ auf und der Ministerrat beschäftigte sich mit der „Haltung des Statthalters von Kärnten Grafen Lodron anlässlich der Abstimmung im Herrenhause über die Adresse“74. Es sollte noch ein Jahr vergehen, dann wurde der nun 65-jährige Lodron erneut in den Ruhestand geschickt75.

ℹ️Knapp entging Philipp Freiherr Weber v. Ebendorf seiner Pensionierung, aber er musste immerhin Anfang Juni 1881 den Abstieg vom Statthalter von Böhmen zu dem von Oberösterreich hinnehmen, weil er der politischen Lage in Prag nicht gewachsen war. Er befand sich gerade in Karlsbad auf Kur, als am 28. Juni 1881 Tschechen aus Prag, von deutschen Burschenschaftlern provoziert, das Stiftungsfest des Studentencorps Austria im Prager Vorort Kuchelbad stürmten. Von Taaffe aufgefordert, nach Prag zurückzukehren, antwortete Weber, „dass die Ärzte die Fortsetzung seiner Kur für notwendig erachten und dass er selbst wegen seines dermaligen Gesundheitszustandes sich nicht fähig fühle, die Amtsleitung wieder aufzunehmen“. Die Amtsgeschäfte überließ er seinem Stellvertreter, Ignaz Ritter v. Grüner, der „sich als nicht entsprechend“ erwies.76 Um die Situation wieder in den Griff zu bekommen, „werde von Sr. Majestät darauf Gewicht gelegt, dass die Leitung der politischen Verwaltung in die Hände eines geeigneten, energischen Beamten gelegt werde“77. Aus diesem Grund übernahm der Präsident des Militärobergerichtes Kraus die Leitung der Statthalterei78. Weber wurde später nach Linz versetzt, Grüner ohne Verleihung eines Ordens pensioniert79 und schließlich Kraus definitiv zum Statthalter in Prag ernannt80.

ℹ️Aus ähnlichen Gründen kam es auch zum Wechsel des Statthalters in Zara. Die Umsetzung des Wehrgesetzes von 1869 war in Süddalmatien damals ausgesetzt worden81. Nachdem nun für das neu okkupierte Bosnien-Herzegowina ein eigenes Wehrgesetz erlassen wurde, sollte auch für Süddalmatien das Wehrgesetz von 1869 aktiviert werden. Der Versuch der Durchführung einer Musterung führte zu einem großen Aufstand in Süddalmatien, der die Herzegowina mitriss und größere militärische Operationen zur Folge hatte. Im Ministerrat vom 10. November 1881 wurde daher die Ablösung des Statthalters FZM. Gabriel Freiherrn v. Rodich durch FML. Stephan Freiherrn v. Jovanović beschlossen82. Allerdings war „Jovanović ohnehin für Dalmatien ausersehen“, wie Taaffe bereits am 4. Juli 1881, also vor Beginn des Aufstandes, festgehalten hatte83.

ℹ️Hingegen konnte Olivier Marquis de Bacquehem84, ein Neffe von Taaffe, seine Karriere ungebremst fortsetzen. Bis 1876 stieg er zum Bezirkshauptmann auf. Nach der Okkupation Bosnien-Herzegowinas wurde er für die Dienstleistung in den okkupierten Provinzen als Beamter Cisleithaniens beurlaubt85. Hier war er nun in der Landesregierung tätig. 1880 kehrte er wieder in cisleithanische Dienste zurück, zuerst als Regierungsrat bei der Landesregierung in Klagenfurt, dann als Statthaltereirat in Linz. Als Anfang Juli 1881 wegen der sogenannten Kuchelbader Affäre die Leitung der Prager Statthalterei zur Disposition stand, brachte Handelsminister Pino Bacquehem in Diskussion, der aber von Taaffe mit der Begründung abgelehnt wurde, „Bacquehem habe sich als Bezirkshauptmann und als Präsidialsekretär gut bewährt, etwas anderes sei es aber, ob sich derselbe schon zum Leiter einer Statthalterei und unter solchen Umständen eigne.“86 Nicht ganz ein Jahr später wurde durch den Tod Summers im April 1882 der Posten des Landespräsidenten in Troppau frei. Nun war es Taaffe, der Bacquehem, zunächst nur für die Leitung der Landesregierung, favorisierte und auf ihm beharrte, obwohl Ziemiałkowski auf einen Polen „aufmerksam“ machte, Pražák meinte, er sei „schon be[stür]zt, dass nicht jemand [au]s dem Kreise der schlesischen Beamten genommen wurde“, und Conrad neben der Tüchtigkeit Bacquehems „jedoch auch dessen Jugend“ betonte. So wurde Bacquehem am 6. Mai 1882 mit der Leitung der Landesregierung betraut87 und am 15. September 1882 zum Landespräsidenten ernannt88. Damit war Bacquehem in den Kreis derer aufgestiegen, die für die höchsten Staatsämter infrage kamen. Nach dem Rücktritt Pinos als Handelsminister übernahm zunächst interimistisch Sektionschef Carl Freiherr v. Pusswald die Leitung dieses Ministeriums. Wegen seiner Pensionierung wurde das Amt drei Monate später erneut frei89, und diesmal wurde Bacquehem zum definitiven Handelsminister ernannt90.

ℹ️Die geänderte Personalpolitik der Regierung Taaffe gegenüber der Vorgängerregierung zeigen die erhaltenen Protokolle in drei Fällen sehr anschaulich. Der Antrag Pražák vom 20. Mai 1882 wegen Ernennung von Michael Pithey zum Oberlandesgerichtsrat in Czernowitz scheint Franz Joseph derart überrascht zu haben, dass er diese Angelegenheit im Ministerrat vom 30. Mai zur Sprache brachte. Pithey war nämlich vom Oberlandesgerichtspräsidenten nicht für diesen Posten vorgeschlagen worden, sodass nun seine Ernennung „den Anschein gewönne, als wären nicht sachliche, sondern politische Gründe für die Ernennung bestimmend gewesen“. Pithey war 1866 wegen einer Disziplinaraffäre degradiert und 1877 wegen des Vorwurfs, einen Handel mit Häusern zu betreiben, die Stelle eines Oberlandesgerichtsrates in Lemberg verwehrt worden91. Für Pino, der Pithey aus seiner Zeit als Landespräsident der Bukowina 1871–1874 kannte, „hätte man dem Landespräsidenten [1877] darüber gewiss Schauergeschichten erzählt, zumal Pithey zu jener Zeit auf einem der damaligen Regierung gegnerischen Standpunkt gestanden war“. Taaffe gab schließlich auch zu bedenken, „dass man nicht oft in die Lage komme, für einen Rumänen etwas zu tun92. Noch am Tag des Ministerrates, dem 30. Mai, folgte Franz Joseph dem Antrag Pražáks und ernannte Pithey zum Oberlandesgerichtsrat in Czernowitz93.

ℹ️Am 17. August 1882 beriet der Ministerrat über die Ernennung des außerordentlichen Professors der Landwirtschaftslehre und Güter-Verwaltungskunde an der böhmischen technischen Hochschule in Prag, Johann Baptist Lambl, zum ordentlichen Professor, ein Antrag, der schon seit Jahren vom Professorenkollegium dieser Hochschule gestellt wurde. Doch weil Gerüchte der Bestechlichkeit vorlagen, stand die Regierung Adolph Auersperg „damals von der Ernennung ab, ohne weiter in die Sache einzugehen oder Lambl Gelegenheit zur Rechtfertigung zu bieten”, wie das Protokoll festhielt. Untersuchungen 1879, also nach der Entlassung Adolph Auerspergs, „führten zu dem Resultate, dass keine Anhaltspunkte zu einer Beschuldigung Lambls vorliegen“94.

ℹ️In beiden Fällen wurde die liberale Vorgängerregierung zumindest des sorglosen Umgangs mit unbegründeten Vorwürfen der Bestechlichkeit bezichtigt. Die dadurch entstandenen Ungerechtigkeiten sollten nun behoben werden, im Fall Pitheys explizit mit dem Hinweis auf dessen politischen Gegensatz zur damaligen Regierung.

ℹ️Allerdings griff die Regierung aber auch hart gegen Beamte durch, wenn sie offen liberale Sympathien bekundeten. Am 15. Juni 1882 hatte der Reichsratsabgeordnete Ernst Edler v. Plener in Eger (Böhmen) eine gegen die Regierung gerichtete Rede gehalten. Bei dem Bankett tags darauf waren der Bezirkshauptmann Joseph Veit und der Finanzbezirksdirektor Bernhard Pitter anwesend, und Pitter „toastirt auf das Zusammenwirken der Beamten mit der Bevölkerung der deutschen reichstreuen Stadt Eger95. Diese Angelegenheit brachte Taaffe am 21. Juni im Ministerrat zur Sprache. Dunajewski meinte, es sei „eine sehr große Taktlosigkeit gewesen, dass die leitenden Beamten von Eger an einer Festivität teilnahmen, welche dem Abgeordneten v. Plener nach seiner tags vorher in der Egerer Handelskammer gehaltenen Rede gegeben wurde“96. Pitter wurde daraufhin wegen seiner politischen Haltung in die Finanzlandesdirektion nach Prag strafversetzt97. Bei Veit, der nicht gesprochen hatte, sollte zwar bei seiner Versetzung nach Prag der Eindruck einer Strafe vermieden werden, aber seinem unmittelbar darauffolgenden Ansuchen um Versetzung in den dauernden Ruhestand wurde entsprochen98. Vermutlich sollte mit dieser Aktion ein Exempel statuiert werden, nachdem die Regierungspolitik immer noch bei Teilen der liberalen Beamtenschaft auf Widerwillen, teilweise sogar passive Resistenz stieß.

ℹ️Auch Karl Auersperg hatte sich nach der Zurücklegung der Präsidentschaft im Herrenhaus keineswegs vollkommen aus der Politik zurückgezogen, denn – neben seinem Sitz im Herrenhaus an sich – blieb er weiterhin Oberstlandmarschall von Böhmen, also der Vorsitzende des böhmischen Landtages und des Landesausschusses. Von hier aus führte er einen Kleinkrieg gegen die Regierung Taaffe, wie dies auch einige hochrangige Beamte oder staatliche Institutionen taten. Dabei war der Ansatzpunkt dieses Widerstandes die neue Sprachenpolitik der Regierung. Besonders sie hatte für die Regierung Taaffe eine hohe Bedeutung, war es doch gerade diese, die den Ausschlag für die Tschechen gab, in den Reichsrat einzuziehen und mit der Regierung zu gehen. Durch ein Scheitern in der Sprachenpolitik war die Politik Taaffes daher am verwundbarsten.

ℹ️Sprachenpolitik

ℹ️Die Gleichberechtigung aller nationalen Gruppen (Volksstämme) war durch Artikel 19 des Staatsgrundgesetzes vom 21. Dezember 1867 „über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger“ geschützt, besonders für die Erlernung und für den öffentlichen Gebrauch ihrer Sprachen:

Alle Volksstämme des Staates sind gleichberechtigt, und jeder Volksstamm hat ein unverletzliches Recht auf Wahrung und Pflege seiner Nationalität und Sprache. Die Gleichberechtigung aller landesüblichen Sprachen in Schule, Amt und öffentlichem Leben wird vom Staate anerkannt.
In den Ländern, in welchen mehrere Volksstämme wohnen, sollen die öffentlichen Unterrichtsanstalten derart eingerichtet sein, daß ohne Anwendung eines Zwanges zur Erlernung einer zweiten Landessprache jeder dieser Volksstämme die erforderlichen Mittel zur Ausbildung in seiner Sprache erhält.99

Was darunter und ganz besonders unter „ohne Anwendung von Zwang“ konkret zu verstehen sei, wurde bis zum Ende der Monarchie 1918 nie durch eine für alle Kronländer gültige Rechtsnorm geregelt, weder im Gesetzes-, noch im Verordnungsweg. Letztlich bestanden schlicht die sehr unterschiedlichen Bestimmungen für einzelne Verwaltungsebenen (Kronländer, Gerichtssprengel etc.) aus der Zeit vor 1867 bis zu ihrer Abänderung fort, auch wenn sie sich nicht mit den Anforderungen des Artikels 19 deckten. Diese wurden im Bedarfsfall abgeändert, in der Regel durch Ministerialverordnungen oder -erlässe, im Falle Galiziens auch durch Landesgesetze. Hinzu kam, dass sich jemand, der sich in seinem Grundrecht verletzt fühlte, dagegen vor Gerichten Einspruch erheben konnte, letztinstanzlich beim Reichsgericht oder beim Verwaltungsgerichtshof. So entstand zum Thema der Sprachenrechte eine ausgeprägte Judikatur, die sich aber immer nur auf konkrete Fälle bezog. Nur dadurch kam eine gewisse Normsetzung durch höchstgerichtliche Entscheidungen zustande, indem hier tendenziell in vergleichbaren Situationen ähnlich entschieden wurde und die Behörden der unteren Instanzen im Sinne dieser Urteile entschieden. Allerdings änderte sich die Interpretation dieser Höchstgerichte mit der Zeit100. Sprachenpolitik in Cisleithanien bezog sich zum einen auf die Amtssprache, zum anderen auf die Unterrichtssprache. In beiden Bereichen wurde die Regierung Taaffe aktiv.

a) Verordnungen über die äußere Amtssprache

ℹ️Bei der Amtssprache muss zwischen der inneren und der äußeren Amtssprache unterschieden werden. ℹ️Die innere Amtssprache bezog sich auf die Sprachen im Verkehr der Behörden untereinander und war in allen Kronländern Deutsch, mit Ausnahme von Dalmatien und dem Küstenland, wo Italienisch, und Galizien, wo Polnisch vorgeschrieben war101; diesen Zustand änderte die Regierung Taaffe nicht. ℹ️Die äußere Amtssprache bezog sich auf die Sprachen im Verkehr der Behörden mit der Bevölkerung, hier blieben die vor 1867 bestehenden Regelungen in Kraft. Sie unterschieden sich zudem nicht nur regional, sondern konnten auch je nach der Zuständigkeit der Ministerien differieren. ℹ️Änderungen an der vor 1867 bestehenden Rechtslage ergaben sich meist aus politischen Rücksichten. So befürwortete 1872 Ministerpräsident Adolph Auersperg Zugeständnisse an die kroatische und serbische Bevölkerung Dalmatiens, weil die slawischen Abgeordneten des Kronlands „durch ihre Abstimmung über das Notwahlgesetz dem Ministerium den Sieg erringen halfen, und dadurch zu der nunmehr eingetretenen wesentlichen Verbesserung der Situation erfolgreich beigetragen haben“102. Darauf wurde Serbisch-Kroatisch in der äußeren Amtssprache Dalmatiens mit einer Ministerialverordnung aufgewertet, die auch im Landesgesetzblatt publiziert wurde103.

ℹ️Um die Tschechen aus Böhmen an der Reichspolitik zu beteiligen und sie zum Einzug in das Abgeordnetenhaus zu bewegen, wurden auch hier Zugeständnisse bei der äußeren Amtssprache notwendig. Es verwundert daher nicht, dass die Regierung zügig daranging, die Regelung der äußeren Amtssprache nun in Böhmen und Mähren den Bestimmungen des Artikels 19 der Grundrechte anzupassen. Ende 1879 forderte der Tschechische Klub des Abgeordnetenhauses die „Durchführung der Gleichberechtigung der Sprachen“104. Deutsche und tschechische Parlamentarier einigten sich auf ihre Grundsätze, die sich prinzipiell an die Verordnung für Dalmatien 1872 anlehnten105. Bereits am 19. April 1880 konnte je eine Verordnung „betreffend den Gebrauch der Landessprachen im Verkehre der politischen, Gerichts- und staatsanwaltschaftlichen Behörden mit den Parteien und autonomen Organen“ für Böhmen und für Mähren erlassen werden106.

ℹ️Allerdings scheint der Umstand, dass diese Verordnung nicht nur für Böhmen, sondern am selben Tag auch für Mähren erlassen werden sollte, der deutschen Seite nicht klar gewesen zu sein. Obwohl beide Verordnungen mit dem 19. April datiert waren und die Verordnung für Mähren (28. April) lange vor der für Böhmen (13. Mai) im Landesgesetzblatt erschien, hieß es am 29. April in der Neuen Freien Presse für den Vortag: „Die amtliche Brünner Zeitung publicirte heute die für Böhmen erlassene Sprachenverordnung auch für Mähren107. Am 28. April trafen sich die verfassungstreuen deutschen Abgeordneten Böhmens und Mährens, um über eine Interpellation zu beraten. Sie stellte dann den Beginn eines aggressiver werdenden deutschen Widerstandes dar, der besonders von der deutschen Presse getragen wurde108, ℹ️auch durch einen Gesetzentwurf, den die Abgeordneten Ladislaus Gundaker Graf Wurmbrand-Stuppach und Genossen am 10. Mai 1880 in das Abgeordnetenhaus einbrachten, der Deutsch als Staatssprache festschreiben sollte. Diese Initiative wurde schließlich am 29. Jänner 1884 vom Abgeordnetenhaus in zweiter Lesung abgelehnt109. ℹ️Der Vorwurf der Deutschen bezog sich gerade darauf, dass die Verordnung Artikel 19 der Grundrechte verletze, weil sie beide „Landessprachen“, nicht aber die „landesüblichen Sprachen“ gleichstellte. Da die exakte Bedeutung dieser Begrifflichkeiten nie normiert worden war, handelte es sich letztlich nur um eine Interpretationsfrage. Generell wurden unter dem Begriff „Landessprache“ jene Sprachen verstanden, die innerhalb eines Kronlandes geläufiger waren, unter einer „landesüblichen Sprache“ hingegen die Sprachen in den Bezirken und Gemeinden. So konnte es landesübliche Sprachen geben, die keine Landessprachen waren. Andererseits – und um diesen Punkt ging es bei der deutschen Kritik – mussten Landessprachen nicht im gesamten Kronland auch landesüblich sein110. ℹ️Diese sogenannten Taaffe-Stremayr’schen Sprachenverordnungen blieben dann bis zum Ende der Monarchie in Kraft, abgesehen von einer zweijährigen Unterbrechung durch die Badenischen bzw. Gautsch’schen Sprachenverordnungen 1897–1899111, auch wenn dies von den Gerichten nach 1900 sehr unterschiedlich interpretiert wurde112.

ℹ️Pražák, der seit 14. Jänner 1881 das Justizministerium leitete, sah auch für Schlesien die Zeit gekommen, die alten Regelungen aus dem Jahr 1851 durch solche zu ersetzen, die den Bestimmungen des Artikels 19 der Grundrechte entsprachen. Bisher war bei Gericht nur Deutsch zulässig, sodass „jetzt bei den Gerichten in Schlesien gar nichts [an]genommen werde, was nicht Deutsch sei, keine Beilage, kein Dokument und nicht einmal ein Taufschein“113. Am 9. September 1882 legte Pražák dem Ministerrat einen Erlass an das auch für Schlesien zuständige Oberlandesgericht Brünn vor, in dem in gemischtsprachigen Bezirken auch den anderen dort üblichen Landessprachen – Tschechisch und Polnisch – dieselben Rechte in der äußeren Amtssprache vor Gericht eingeräumt wurden wie der deutschen Sprache. Auch wenn „bei einer Norm, die nicht blos für die Gerichte, sondern auch für die Bevölkerung folgenreich und bindend sein soll“ der beste Weg ein Erlass durch das Landesgesetzblatt sei, sollte darauf verzichtet werden, weil diese Neuerung „zu auffallend“ sei114. Bacquehem, Leiter der Landesregierung, der dem Ministerrat am 9. September auch beiwohnte, wandte ein, „dass die leitenden polnischen und böhmischen Kreise durch die Verordnung nicht vollkommen befriedigt sein würden und dass dieselbe bei den Deutschen eine arge Verstimmung hervorrufen würde“. Mit diesem Einwand verhinderte Bacquehem den Erlass an das Oberlandesgericht Brünn nicht, aber bewirkte, dass er von ursprünglich 29 Seiten auf zwei Seiten reduziert wurde, indem an die Stelle einer ausführlichen Begründung lediglich eine stringente taxative Aufzählung der Bestimmungen trat115.

ℹ️Der ursprüngliche Plan, daneben auch eine Verordnung des Innenministeriums für die politischen Behörden in Schlesien zu erlassen116, um auch hier die Gleichberechtigung der landesüblichen Sprachen festzuschreiben, wurde fallengelassen, denn, wie Bacquehem bemerkte, wenn „diese Verordnung erlassen und nicht publiziert werde, so bleibe es diesfalls beim Alten“117. Weil diese Verordnungen aber nicht im Landesgesetzblatt erscheinen sollten, erfolgte keine Verordnung des Innenministeriums, weil sie schlicht überflüssig gewesen wäre.

ℹ️Knapp zwei Jahre zuvor, am 22. Dezember 1880, hatte das Oberlandesgericht Graz einen Entscheid des krainischen Bezirksgerichts Stein vom 1. Oktober 1880 aufgehoben118, weil es sein Erkenntnis in slowenischer Sprache, der Sprache der Eingabe, herausgegeben hatte. Dieses Erkenntnis, so das Oberlandesgericht Graz, hätte in deutscher Sprache erfolgen müssen. Mit seinem Urteil vom 16. Februar 1881 bestätigte der Oberste Gerichtshof das Urteil des Oberlandesgerichts Graz „in Erwägung, daß im Herzogthume Krain seit Einführung der a[llgemeinen] G[erichts-]O[rdnung] die deutsche Sprache ausschließlich die bei Gericht landesübliche Sprache war“ und daher „der in slovenischer Sprache verfasste Erkenntnißbescheid des Bezirksgerichtes Stein […] in formeller Beziehung mit einer von Amtswegen zu berücksichtigenden Nullität behaftet war“119. Am 11. März 1881 richtete daher der krainische Reichsratsabgeordnete Josef Ritter Schneid v. Treuenfeld an den Leiter des Justizministeriums eine Interpellation „um das durch diese oberstgerichtliche Entscheidung gekränkte Recht der Slovenen auf Gleichberechtigung ihrer Sprache im Amte wiederherzustellen“120. In seiner Antwort hielt Pražák zwar fest, dass er in die jetzt gefällten Erkenntnisse nicht eingreifen, aber „das Oberaufsichtsrecht des Justizministeriums auf dem Gebiete administrativer Maßnahmen“ zur Geltung bringen werde. Zukünftig sollte es also Aufgabe des Ministeriums und nicht die der Gerichte sein, „die genaue Beobachtung der in der Sprachenfrage von Seite des Justizministeriums erlassenen, in der obigen Interpellation bezogenen Verordnungen zu überwachen“121. Aufgrund dieser Oberaufsicht wurde mit Erlass des Justizministeriums vom 6. Oktober 1881 dem Oberlandesgericht Graz mitgeteilt, dass das Urteil des Obersten Gerichtshofes „den Charakter einer in einem speciellen Fall erlassenen Entscheidung“ habe. Damit kippte Pražák zwar das Erkenntnis des Obersten Gerichtshofs vom 16. Februar als prinzipielle Entscheidung, setzte aber keine eigene klare Interpretation der verworrenen Rechtslage für die Verwendung der slowenischen Sprache in jenen Gebieten des Oberlandesgerichtsbezirkes Graz, in denen Slowenen lebten122.

ℹ️Zur definitiven Klärung dieser Frage, so erklärte Pražák seinen Ministerkollegen123, plane er zwar keine Gesetzesvorlage an den Reichsrat, jedoch eine erneute Verordnung an das Oberlandesgerichts-Präsidium Graz sowie eine Aufforderung an den Obersten Gerichtshof, einen Plenarbeschluss hervorzurufen. So sollte zukünftig verhindert werden, dass der Oberste Gerichtshof in der Frage der Verwendung der slowenischen Sprache vor Gericht die Regierung nochmals in Verlegenheit bringen könne, wie dies mit seiner Entscheidung vom 16. Februar 1881 für die slowenischen im Oberlandesgerichtssprengel Graz ℹ️ (und vom 11. Jänner 1881 für das Küstenland) geschehen war. Nach der Zustimmung des Ministerrates wurde am 18. April 1882 die Verordnung herausgegeben und der Oberste Gerichtshof aufgefordert, einen Plenarbeschluss in dieser Frage zu fällen124.

ℹ️Dieser Ministerratsbeschluss erfolgte zwar ohne Gegenargument, aber die beiden polnischen Minister in der Regierung hielten fest, dass „die Betretung des [Ge]setzesweges zur Regelung [de]r fraglichen Angelegen[he]it nicht nur nicht am [P]latze, sondern geradezu un[z]ulässig wäre“ (Ziemiałkowski) bzw. „dass er niemals [zu]stimmen könnte, dass über [d]as Meritorische der Sprachen[f]rage in Österreich mittelst eines Gesetzes entschieden würde“ (Dunajewski)125. Die Besserstellung der Slowenen vor Gericht, deren Abgeordnete über den Hohenwartklub zur Regierungsmehrheit im Abgeordnetenhaus gehörten, sollte schlicht nicht auch den Ruthenen zuteilwerden, da dies nicht im Interesse der Polen lag, die ebenfalls über ihren Polenklub die Regierung mittrugen126.

b) Die Teilung der Prager Universität

ℹ️Am 26. Jänner 1881 stand zum ersten Mal die „Frage der Regelung der Verhältnisse der Prager Universität“ auf der Tagesordnung des Ministerrates127. Die Regierung beriet über eine Regierungsvorlage an den Reichsrat zur Teilung der Prager Karl-Ferdinands-Universität in eine mit deutscher und eine mit „böhmischer“ Vortragssprache. Damit wurde ein Antrag von František Ladislav Rieger auf Gleichberechtigung beider Sprachen an der Prager Universität aufgegriffen, den der böhmische Landtag 1866 in Form einer Aufforderung an die Regierung zur Umsetzung angenommen hatte128. Der Regierungsentwurf 1881 stellte einen Kompromiss tschechischer und deutscher Forderungen dar. Während die Tschechen parallele Lehrangebote an der gemeinsamen Prager Universität forderten, um nicht auf die Tradition und das Vermögen der alten Universität verzichten zu müssen, verlangten die Deutschen für die tschechische Universität eine Neugründung129. Die Regierung setzte sich nun für „eine Universität mit deutscher und eine Universität mit böhmischer Vortragssprache“ ein, aber „unter dem gemeinsamen Namen Carolo Ferdinandea“, deren Korporationsvermögen „als ein gemeinschaftliches Vermögen der beiden Universitäten, beziehungsweise der betreffenden Facultäten anzusehen“ sei. Dasselbe traf auf die Stiftungen zu, „insoweit in den betreffenden Stiftungsurkunden keine gegentheiligen Bestimmungen enthalten sind“130. Am 11. April 1881 genehmigte Franz Joseph prinzipiell den Umbau der Universität131 und, nach erneuten Besprechungen im Ministerrat, mit seiner Entschließung vom 5. Mai auch die Einbringung einer entsprechenden Regierungsvorlage in den Reichsrat, die dann am 15. Mai erfolgte132. Nachdem der Entwurf schnell das Abgeordnetenhaus passieren konnte133, zogen sich die Verhandlungen im Herrenhaus in die Länge. Erst am 10. Februar 1882 stimmte das Herrenhaus dem Antrag des Abgeordnetenhauses gegen das Majoritätsvotum zu134. Der Majoritätsantrag hätte vorgesehen, dass die „bereits bestehende Universität“, also die deutsche Universität, „im vollen Besitze und Genusse ihrer Vermögens- und sonstigen Rechte verbleibt“135. Die Verhandlungen im Herrenhaus hatten sich allerdings so sehr in die Länge gezogen, dass die ursprünglich vorgesehene Aktivierung der tschechischen Universität mit dem Wintersemester 1881/82 unmöglich war. Aus diesem Grund verschob der Gesetzentwurf des Herrenhauses den Beginn auf 1882/83. Dieser Änderung stimmte das Abgeordnetenhaus bereits am 15. Februar zu, und Franz Joseph konnte das Gesetz am 28. Februar 1882 sanktionieren136. Allerdings bestimmte das „Gesetz, betreffend die k. k. Karl Ferdinands-Universität in Prag“ weitaus deutlicher die organisatorische Trennung beider Universitäten, als es die ursprüngliche Regierungsvorlage vorgesehen hatte.

ℹ️Nur wenige Stunden bevor am 10. Februar das Universitätsgesetz vom Herrenhaus durch die Ablehnung des Majoritäts- und die Annahme des Minoritätsvotums angenommen wurde, nahm ein anderes Gesetz seine entscheidende Hürde im Abgeordnetenhaus: Mit 160 zu 146 Stimmen wurde § 1 des Gesetzes über einen neuen Petroleumzoll und die Einführung einer Petroleumbesteuerung angenommen. Dieses Ergebnis war zwar denkbar knapp, danach jedoch konnte das Gesetz schnell erledigt werden. Das Pikante dabei war, dass die tschechischen Abgeordneten, die sich zuvor an der Parlamentsdebatte nicht beteiligt hatten, geschlossen für diese Steuer stimmten, obwohl diese Steuer doch gerade die Hausindustrie in Böhmen und Mähren besonders traf. Die Neue Freie Presse sah für Regierung und Tschechen in den beiden Gesetzentwürfen ein „do ut des“, also einen Tauschhandel: Petroleumzoll und -steuer für die Regierung und im Gegenzug das Universitätsgesetz für die Tschechen137.

ℹ️Bereits in der Ah. Entschließung zur Errichtung einer Universität mit „böhmischer Vortragssprache“ am 11. April 1881 war Conrad aufgefordert worden, „solche Normen in Vorschlag zu bringen, welche volle Gewähr dafür bieten, daß kein Studierender der Universität mit ausschließlich böhmischer Unterrichtssprache in einen Zweig der öffentlichen Praxis übertritt, ohne die vollkommene Kenntnis der deutschen Sprache und die Fähigkeit, sich ihrer zu bedienen“138. Diese Aufforderung bezog Conrad aber nicht auf alle Studienrichtungen, sondern „zunächst und in erster Linie auf die von den Studierenden der Rechte abzulegenden theoretischen Staatsprüfungen“139. Darauf erteilte der Minister am 21. November 1881 dem Professorenkollegium der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät der – noch nicht geteilten – Prager Universität den Auftrag, über den Nachweis der deutschen Sprachkenntnis für die zukünftige tschechische Fakultät zu beraten140. Das Professorenkollegium war sich einig, dass eine einheitliche Staatsprüfungskommission für beide Fakultäten bestehen bleiben sollte und dass die Prüfung zumindest teilweise in deutscher Sprache abzulegen sei. Uneins war sich das Kollegium aber in der Frage, ob dieser Nachweis der Sprachkenntnis ausreiche und was zu geschehen habe, wenn die Kenntnis des Deutschen als ungenügend bewertet wurde. Die Mehrheit der Professoren meinte, es solle „zur Erprobung der deutschen Sprachkenntnis neben der mündlichen Prüfung auch eine schriftliche Prüfung mittelst einer Klausurarbeit abgehalten“ werden und „die ungenügende Kenntnis der deutschen Sprache die Reprobation der Kandidaten zur Folge haben“. Im Gegensatz dazu reichte dem Minoritätsvotum der mündliche Nachweis der Sprachkenntnis aus der Staatsprüfung, und „bei Unzureichenheit der Sprachkenntnis“ sollte nur „eine Nachprüfung lediglich aus dem betreffenden Fache und nur zur Erprobung der Sprachkenntnisse“ stattfinden141.

ℹ️Dieser zweiten Position (nur mündliche Prüfung und keine Reprobation, sondern eine Nachprüfung im Falle ungenügender Deutschkenntnisse) schloss sich Conrad an, wollte aber, dass die Kommission, nicht der Prüfling eines aus den vier Prüfungsfächern auszuwählen hatte, das in deutscher Sprache geprüft würde. Diese Bestimmung lehnte der Ministerrat jedoch ab142. Daher legte Conrad am 20. Mai einen neuen Entwurf vor, mit welchem die Wahl des Faches dem Prüfling vorbehalten war. Im Falle einer Nachprüfung wegen fehlender Deutschkenntnisse sollte jedoch die Kommission berechtigt sein, „auch aus den anderen Fächern einzelne Fragen zur Beantwortung in deutscher Sprache zu stellen, um dem Kandidaten Gelegenheit zu geben, die volle Kenntnis der deutschen Sprache auszuweisen“143, eine Forderung, die nach Conrad „das Minimum dessen wäre, was verlangt werden müsse“. In einer weiteren Sitzung am 9. Juni 1882144 stand nun diese Bestimmung auf dem Prüfstand. Aber auch hier teilte der Ministerrat nicht Conrads Position. Auf Vorschlag Pražáks wurde diese Berechtigung der Kommission gestrichen und wegen des Einwandes Dunajewskis festgehalten, es seien „aus der ungenügenden Sprachkenntnis“ keine anderen „Folgen für das Prüfungsergebnis zu ziehen“, als diese Absolventen nicht in den Staatsdienst aufzunehmen. Nur in der Bestimmung, dass das Doktorat der Rechte der tschechischen Universität „nur dann gleiche Wirkung mit den vollkommen abgelegten Staatsprüfungen“ haben sollte, „wenn jedes der Rigorosen mindestens aus einem Prüfungsfache in deutscher Sprache abgelegt worden ist“145, setzte sich Conrad durch. Mit den vom Ministerrat gemachten Modifikationen erstattete er am 15. Juni 1882 seinen Vortrag146.

ℹ️Allerdings forderte Franz Joseph von den Ministern Rechenschaft. So fragte er sich, ob mit der Regelung, dass bei ungenügender Kenntnis der deutschen Sprache „die Prüfung nur aus dem in deutscher Sprache geprüften Fache zu wiederholen sei, das Auslangen zu finden“ sei147. Conrad beteuerte, „dass er anfänglich allerdings weiter gehen“ wollte, „sich jedoch der Anschauung der übrigen Minister auf die Streichung dieser weitergehenden Forderung unterworfen“ habe. Von zwei Änderungen an anderen Stellen des Textes abgesehen akzeptierte Franz Joseph schließlich aber den Verordnungsentwurf und erteilte Conrad noch am selben Tag die Ermächtigung, die Verordnung zu erlassen148.

ℹ️Obwohl sich Conrad in wichtigen Punkten nicht durchgesetzt hatte, stieß diese Regelung keineswegs auf Gegenliebe bei den Tschechen, wurde doch der Nachweis deutscher Sprachkenntnisse als Demütigung der Tschechen verstanden. So stellte Pražák schon im Ministerrat vom 20. Mai 1882 enttäuscht fest, „dass es wünschenswert gewesen wäre, […] wenn für die Deutschen umgekehrt der Modus eingeführt würde, bei jeder Prüfung aus einem Gegenstande in böhmischer Sprache geprüft zu werden“149. Dem Argument hielt Welsersheimb entgegen, „der Zweck der Staatsprüfungen sei, Kandidaten für den Staatsdienst zu qualifizieren“, und da sei die Kenntnis der deutschen Sprache „unbedingt erforderlich“150. Es handele sich also nicht um eine Frage der Gerechtigkeit oder Parität.

ℹ️In der Frage der Prüfungssprache nahm für die Alttschechen Heinrich Jaroslav Graf Clam-Martinic Kontakt mit Taaffe auf. Mit dem Argument, „dass wohl sie, die Alttschechen, durch ihre Bemühungen, nicht aber die Jungtschechen durch ihren Lärm imstande seien, etwas zu erreichen“151, sollte zumindest die Bereitschaft der Regierung ausgesprochen werden, eine Revision des Erlasses in Erwägung zu ziehen. Bei seinem Besuch in Prag Anfang September machte Pražák den Alttschechen und den Studenten allerdings unmissverständlich klar, „dass jetzt von einer Änderung der Verordnung auf die laut gewordenen Rekriminationen hin keine Rede sein könne“152.

ℹ️Eine weitere Forderung der Tschechen war, nach der juridischen und der philosophischen auch die medizinische Fakultät zu aktivieren. Zwar war das prinzipiell vorgesehen, dennoch stand „die Aktivirung einer medizinischen Fakultät mit böhmischer Vortragssprache derzeit nicht in unmittelbarer Aussicht“, wie Conrad in seinem Vortrag vom 15. Juni 1882 über die Regelung der Prüfungssprache an der juridischen Fakultät festhielt153. Allerdings tauchte im Oktober 1882 ein praktisches Problem auf, das die baldige Errichtung einer tschechischen medizinischen Fakultät notwendig machte. Es war üblich, dass die naturwissenschaftlichen Vorprüfungen von den Professoren der medizinischen Fakultät unter Vorsitz ihres Dekans abgehalten wurden. Da die Naturwissenschaften zur philosophischen Fakultät gehörten, stellte sich nun die Frage, wie dies bei der tschechischen Universität praktiziert werden solle, nachdem sie ja keine eigene medizinische Fakultät hatte. Der Dekan der medizinischen Fakultät der deutschen Universität beanspruchte den Vorsitz für sich, der Statthalter schlug hingegen vor, den Vorsitz einem Tschechisch sprechenden Mitglied der deutschen medizinischen Fakultät zu übergeben, wenn weder Dekan noch Prodekan dieser Sprache mächtig sei. Conrad hingegen meinte, „dass der Vorsitz bei diesen Prüfungen ausnahmsweise bis zur Akti[vierung de]r böhmischen medizini[schen] Fakultät dem Dekan der [böhm]ischen philosophischen Fakultät [üb]erlassen werde“154. Diesem Antrag stimmte dann Franz Joseph zu155. Es stand aber bereits Ende Oktober fest, die böhmische medizinische Fakultät möglichst bald ins Leben zu rufen, damit „auf die Stimmung besänftigend gewirkt werde“156, wie der in den Ministerrat geladene böhmische Statthalter Kraus erklärte. Nun konnte es gar nicht schnell genug gehen. Kraus schlug vor, die „Ernennungen von drei Professoren für drei praktisch-medizinische Lehrkanzeln“ bereits jetzt vorzunehmen. Ihre Ablehnung dessen begründeten die Minister mit der Unmöglichkeit, „für eine Fakultät, welche noch gar nicht bestehe, Professoren zu ernennen“, wie sich Dunajewski ausdrückte. Um aber Entgegenkommen zu zeigen, schlug Conrad vor, „Professoren mit der Bestimmung für böhmischen Vortrag an der jetzigen Fakultät zu ernennen“ sowie „diejenige der fraglichen drei Persönlichkeiten, welcher noch keine Professur bekleide, den Dr. Janovský, für eine solche Ernennung in Aussicht zu nehmen“.

ℹ️Diese Zusage besänftigte die Stimmung der Tschechen aber nicht. Nach Gesprächen mit „Führern der tschechischen Partei“ erklärte Conrad eineinhalb Monate später, „dass man mit den proponierten Ernennungen in der Weise würde vorgehen können, dass die Rechtswirksamkeit der jetzt zu geschehenden Ernennungen von der Errichtung der medizinischen Fakultät an datiere“157. Rieger wünschte eine Aktivierung der Fakultät mit Wintersemester 1883/84. Zu diesem Zweck wurde die Bildung einer Kommission zur Vorbereitung der böhmischen medizinischen Fakultät beschlossen, die aus den zwei bereits jetzt in Prag tätigen tschechischen Professoren und zwei in Aussicht genommenen Kandidaten für die neue Fakultät sowie einem Ministerialbeamten bestehen sollte. Letztlich blieben zu Jahresende nur zwei prinzipielle Fragen offen: der Zeitpunkt der Einbringung des für die Errichtung der Fakultät notwendigen Nachtragskredits in den Reichsrat und die Frage der Räumlichkeiten der neuen medizinischen Fakultät. Nur wollte Dunajewski „eindringlich davor warnen, dass von ämtlicher Seite die Initiative zu Neubauten ergriffen werde“, und er „macht insbesondere aufmerksam, dass z. B. der Anatomiesaal ganz gut von den beiden Fakultäten zu verschiedenen Stunden benützt werden könne“. Diese Diskussionen wurden 1883 fortgesetzt158.

ℹ️Im Gegensatz zur medizinischen war eine eigene theologische Fakultät der tschechischen Universität nicht vorgesehen. Der Erzbischof von Prag, Kardinal Friedrich Fürst zu Schwarzenberg, war ein entschiedener Gegner der Teilung dieser Fakultät. Da er aber Nachteile für den Unterricht in tschechischer Sprache befürchtete, nachdem die Fakultät bei der dann nur mehr deutschen Universität verblieben war, schlug er vor, die theologische von den anderen Fakultäten abzusondern und so eine eigene theologische Universität zu gründen. Dem trat Conrad vehement entgegen, schon alleine, weil „eine Änderung in der bestehenden Einrichtung, wornach böhmische Kollegien neben den deutschen gelesen werden, durchaus nicht beabsichtigt“ sei159. Zwar wollte Pražák diese Idee Schwarzenbergs „nicht ganz abgewiesen“ sehen, doch Dunajewski erklärte sich mit Conrad „vollkommen einverstanden“ und schlug nur vor, den Bedenken des Kardinals „durch Errichtung neuer böhmischer Lehrkanzeln an der theologischen Fakultät“ zu begegnen. Somit sollte alles beim Alten bleiben, doch beschäftigte die Regelung der Verhältnisse den Ministerrat auch in den nächsten Jahren160. Erst zum Wintersemester 1891/92 sollte die tschechische Universität auch eine theologische Fakultät erhalten161.

ℹ️Die Errichtung der tschechischen Universität 1882 hatte auch eine verfassungsrechtliche Seite, denn der Rektor der Prager Universität hatte im böhmischen Landtag eine Virilstimme. Somit stellte sich mit der Verabschiedung des Gesetzentwurfes zur Teilung der Universität die Frage, ob nur einer der Rektoren – und welcher – oder beide zukünftig eine Virilstimme haben sollten. Den Vorschlag Pražáks, dass die beiden Rektoren „in der Ausübung des Virilstimmrechtes von Jahr zu Jahr alternierten“, damit vermieden werde, „dass man die beiden Rektoren stets in gegenüberstehenden Lagern“ sähe, lehnte der Ministerrat ab, und sprach sich für die Lösung Taaffes aus, beiden Rektoren je eine Virilstimme zuzuerkennen162. Nach Zustimmung des Landtages wurde das Gesetz am 6. Oktober 1882 sanktioniert163.

ℹ️Als daher am 26. September 1882 der Landtag zu seiner Session zusammentrat, gab es das Gesetz noch nicht. Aus diesem Grund hatte der Oberstlandmarschall – der Vorsitzende des Landtages war niemand anderer als Karl Auersperg – nur den Rektor der deutschen Universität zum Landtag geladen. Dagegen erhob der Abgeordnete Jan Kvíčala Protest, weil in der Landesordnung nur dem Rektor der Prager Universität eine Virilstimme zuerkannt worden war, somit weder dem der böhmischen noch dem einer speziell deutschen Universität. Dies verneinte Karl Auersperg und hielt außerdem fest, dass nur ihm als Oberstlandmarschall das Recht zustehe zu entscheiden, „ob der Virilstimmenberechtigte in den Landtag eintreten kann oder nicht“, weil es die Aufgabe des Landtagsvorsitzenden sei, „die Landesordnung und die Geschäfts-Ordnung zu schützen“. Den Protest Kvíčalas nahm Karl Auersperg hingegen nicht einmal an, weil ein Protest nur möglich war, wenn er die Geschäftsordnung betraf. Der Vorwurf Kvíčalas beziehe sich aber nicht auf die Geschäfts-, sondern die Landesordnung, womit der Protest unzulässig sei164. So begann die IV. Session der sechsten Wahlperiode des böhmischen Landtags wegen der ungeklärten Virilstimmenfrage der Universitätsrektoren mit einem Eklat.

ℹ️Wie diese Session des böhmischen Landtages begonnen hatte, so endete sie auch: mit einem Eklat. Taaffe hatte die Schließung aller Landtage mit spätestens 23. Oktober bestimmt. Karl Auersperg wollte aber, um noch eine Vorlage durchzubringen, erst am 24. schließen. Zweimal, zuerst von der Regierung, dann „unter Berufung auf den Ah. Auftrag“, wurde der Oberstlandmarschall aufgefordert, den Landtag am 23. zu schließen165. Allerdings ließ der Ministerpräsident den Oberstlandmarschall wissen, „dass die Abhaltung einer Abendsitzung am 23. selbstverständlich nicht ausgeschlossen ist“166. Ohne die Möglichkeit einer Abendsitzung zu nutzen, schloss Auersperg die Session um 1 Uhr 15 am Nachmittag und hielt in seinem Schlussplädoyer provokativ fest: „Über kaiserlichen Auftrag ist der Landtag heute zu schließen, womit er ein schnelles Ende findet und mehrfaches werthvolles Arbeitsmaterial der Kommissionen hinfällig wird.“167 Danach verließ er den Landtag ohne sich vom anwesenden Statthalter zu verabschieden, sagte eine Jagd ab und weigerte sich schließlich, beim Kronprinzen, der in Prag ein Kommando innehatte, um eine Audienz anzusuchen. Dies teilte Taaffe im Auftrag des Monarchen vertraulich dem Statthalter mit168. Dass Karl Auersperg danach nicht mehr politisch in Erscheinung trat, war daher gleichermaßen sein eigener Wunsch wie der Taaffes.

ℹ️Die Deutschliberalen sahen in der Errichtung der Prager tschechischen Universität einen Angriff auf ihre liberale sowie die deutsche Position in der Monarchie und in Böhmen. Andererseits befriedigte die neue Universität aber auch die Tschechen nicht. Die Prüfungsordnung, die in den Staatsprüfungen der juridischen Fakultät beider Universitäten nur den Nachweis der Kenntnis der deutschen, nicht aber auch der tschechischen Sprache verlangte, stellte faktisch nicht beide Universitäten auf gleiche Ebene, sondern ordnete die böhmische der deutschen unter. Insofern war die gefundene Lösung zwar in der Lage, der Regierung für bestimmte Ziele eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus zu verschaffen, nicht aber zum dringend notwendigen Interessenausgleich der beiden Nationalitäten beizutragen.

ℹ️c) Sprachenfragen im Unterrichtswesen

ℹ️An Sprachenfragen im Unterrichtswesen beschäftigten den Ministerrat die – bereits im vorhergehenden Abschnitt über die Teilung der Prager Universität behandelte – Kenntnis der deutschen Sprache für die Absolventen der juridischen Fakultät an der tschechischen Universität in Prag, der Deutschunterricht an den tschechischen Mittelschulen und die Errichtung von Privatschulen mit nichtdeutscher Unterrichtssprache. In der Diskussion um die Frage des Nachweises der deutschen Sprachkompetenz bei den Rigorosen an der juridischen Fakultät der neu errichteten tschechischen Prager Universität hatte Conrad in seinem Vortrag vom 15. Juni 1882 bemerkt, dass dieses Problem letztlich nicht über die Rigorosenprüfung gelöst werden könne, weil hier die Kenntnis ja nur festgestellt würde. Bessere Deutschkenntnisse seien nicht erreichbar, „so lange dem deutschen Sprachunterrichte an den böhmischen Gymnasien nicht eine größere Beachtung geschenkt wird“169. Ganz in diesem Sinne beantwortete Pražák auch eine Anfrage tschechischer Studenten, die befürchteten, dass sich ihr Studium wegen der Notwendigkeit des Nachweises der Beherrschung des Deutschen um ein Jahr verzögern würde: „Der Minister konnte darauf nur erwidern, dass es demnach wünschenswert sei, dass die Studierenden sich die Sprache schon früher aneignen.“170 ℹ️Als Franz Joseph den Deutschunterricht an tschechischen Gymnasien am 27. Juni 1882 zur Sprache brachte und die Regierung aufforderte, dass sie sich „mit dieser Frage noch speziell beschäftige“, erklärte Conrad allerdings, dass dies nicht einfach umzusetzen sei, stand dem doch der dritte Absatz von Artikel 19 der Grundrechte entgegen, der festhielt, dass die Erlernung einer zweiten Landessprache an öffentlichen Unterrichtsanstalten „ohne Anwendung eines Zwanges“ ermöglicht werden soll171. Da in dieser Frage an eine Änderung der Verfassung nicht gedacht werden konnte, wurden die Sprachkenntnisse des Deutschen letztlich der Einsicht der Schüler (bzw. deren Eltern) überlassen: „Wenn die Behörden in dieser Beziehung172 streng vorgehen und die Leute darnach die Überzeugung gewinnen, dass sie ohne vollkommene Kenntnis der deutschen Sprache nicht aufgenommen werden, werden sie sich die Erlernung der Sprache gewiss angelegen sein lassen.“173

ℹ️Diesem Wunsch nach Ausbau des Deutschunterrichts an den tschechischen Mittelschulen stand hingegen eine andere politische Maxime entgegen: der ausgeglichene Staatshaushalt. Um das Defizit möglichst gering zu halten, erwartete Dunajewski von Conrad, „dass vom Ressort des Unter[richtsministers] nach Ermessen des Ressortministers hinsichtlich der Verteilung noch ein Gesamtabstrich per 200.000 fl. vom jetzigen Stande des pro 1883 präliminierten Erfordernisses gemacht werde“174. In diesem Zusammenhang wies Ziemiałkowski neben anderen Bildungseinrichtungen auch auf „verschiedene entbehrliche Gymnasien namentlich in Mähren und Böhmen“ hin, „welche nicht not[wendig] sind“. Von diesen Kürzungen waren unmittelbar die deutschsprachigen Parallelklassen des tschechischen Gymnasiums in Wallachisch Meseritsch (Mähren) betroffen, deren staatlicher Unterhaltsbeitrag seit 1880 heruntergefahren wurde und die zum Schuljahr 1883/84 gänzlich aufgehoben wurden, was eine Ersparnis von 4.000 fl. bedeutete175. Ebenso wurde die Auflösung des deutschen Untergymnasiums im südostmährischen Stražnitz vorbereitet176.

ℹ️Ein anderes Thema im Ministerrat war die Bewilligung von Privatschulen, die keine Staatsausgaben nach sich zogen. Der Troppauer tschechische Schulverein „Matice Opavská“ hatte am 19. März 1882 den Antrag gestellt, in Troppau ein von ihm getragenes Untergymnasium zu gründen. Dieses Gesuch lehnte Conrad mit Erlass vom 23. Juni 1882 unter anderem deshalb ab, „weil Troppau nicht die geeignete Stadt zur Errichtung einer solchen Anstalt sei“177. Damit schloss sich Conrad den Argumentationen des schlesischen Landesschulrates, des Landesausschusses und des Troppauer Gemeinderates an. Das Argument, dass Troppau keine „geeignete Stadt“ für ein tschechischsprachiges Untergymnasium sei, bezog sich auf das von deutscher Seite immer wieder vorgebrachte stereotype Argument, die Bevölkerung habe kein Interesse an der Gleichberechtigung der Sprachen. Es wurde von den Landesbehörden auch wenige Monate später bei der Diskussion um den Erlass des Justizministeriums zur Verwendung der tschechischen und polnischen Sprache vor Gericht in Schlesien angeführt, aber – anders als zuvor von Conrad – vom Leiter des Justizministeriums Pražák verworfen178. Mit der Ablehnung der Errichtung einer Schule durch das Unterrichtsministerium gab sich der Verein „Matice Opavská“ nicht zufrieden und wandte sich an das Reichsgericht, das mit seinem Entscheid vom 17. Oktober 1882 den Erlass Conrads aufhob, denn „das im Art. 17 gewährleistete Recht, Unterrichtsanstalten zu gründen, ist weder in örtlicher Beziehung noch durch das Vorhandensein eines wirklichen Bedürfnisses beschränkt“179. Als Conrad dem Ministerrat diese Entscheidung des Reichsgerichtes vortrug, räumte er selbst ein, „dass das hinsichtlich der Örtlichkeit (Troppau) gebrauchte Motiv nicht haltbar sei180

ℹ️Vermutlich auch aufgrund dieses Erkenntnisses des Reichsgerichtes, dass „örtliche Motive nicht haltbar seien“, bewilligte Conrad das Gesuch des Komenský-Schulvereins, im Wiener X. Gemeindebezirk eine private tschechische Volksschule zu errichten181. Dieser Ministerialerlass wurde dann zwar vom niederösterreichischen Landesschulrat einstimmig zurückgewiesen, doch war der Landesschulrat dazu gar nicht berechtigt, es ging ihm lediglich darum, ein Zeichen des Protestes zu setzen.

ℹ️Daher stand auch nicht der Ministerialerlass an sich zur Diskussion im Ministerrat, sondern vielmehr, inwieweit der Statthalter in Wien Ludwig Freiherr Possinger v. Choborski ebenso dafür zur Rechenschaft gezogen werden könne, dass er als Vorsitzender des Landesschulrates diese Verhandlung über den Ministerialerlass überhaupt zugelassen habe, wie die Stadtschulräte, die gleichzeitig auch Beamte waren. Conrad war bemüht, den Vorgang herunterzuspielen. Seiner Darstellung nach wäre „eine Vorstellung des Landesschulrates an sich zulässig“ und „die Mo[vier]ung einer Vorstellung und den Anschluss an dieselbe entschuldbar“182. Die Ursache der unangenehmen Lage der Regierung, in einen fundamentalen Gegensatz zum Landesschulrat und zum Gemeinderat Wiens – der sich auch zu Wort gemeldet hatte – geraten zu sein, sah er vielmehr beim Komenskýverein, denn es sei von diesem „wenig klug, wenig taktvoll und wenig freundlich für die Regierung, dass ein solches Verlangen gestellt wurde, dessen Konsequenzen nicht in der Linie der Friedensförderung liegen“.

ℹ️Dies sah Pražák naturgemäß anders. Was das Verlangen des Komenskývereines nach einer tschechischen Volksschule in Wien betraf, war es für ihn schwer, „so vorweg über das Bedürfnis abzuurteilen“, worüber man sich in anderen Situationen „früher immer getäuscht“ habe. Vielmehr sei „durch das Auftreten des Gemeinderates und des Landesschulrates eine Aufregung provoziert“ worden, gegen die vorgegangen werden müsse. Die anderen Minister vertraten Mittelpositionen, und entsprechend war das Resultat ein Kompromiss. Conrad hatte Possinger „zur Rechtfertigung aufzufordern“, aber von der anfänglichen Überlegung Taaffes, „dass der Minister für Kultus und Unterricht in Erwägung nehme, in welcher Weise gegen die fraglichen Beamten vorzugehen sei“, war keine Rede mehr. Über die Antwort Possingers berichtete Conrad dann am 19. Dezember 1882, worauf Conrad an diesen einen Erlass richtete, was er sich von Possingers Verhalten in solchen Fragen zukünftig erwarte183. Die tschechische über den Schulverein Komenský finanzierte Volksschule wurde vom Wiener Bezirksschulrat am 13. Dezember 1882 „im Prinzipe“ und am 16. September 1883 für die erste Klasse bewilligt. „Die Entscheidung über die Voraussetzungen der Genehmigung zur Eröffnung der II. und folgenden Klassen an der genannten Schule wird nachfolgen.“ Hier wurden der Komenskýschule aber erneut Schwierigkeiten bereitet, denn es „genügt die für die deutsche Sprache in dem Lehrplan eingesetzte Stundenzahl nicht“184.

ℹ️Weitere Fragen zu Unterrichtssprachen betrafen die Ausdehnung des deutschsprachigen Unterrichts des Realgymnasiums in Brody in Ostgalizien von der Unter- auf alle Schulstufen185, weiters am 6. März 1880 die „Verfügung hinsichtlich des reichsgerichtlichen Erkenntnisses wegen Errichtung einer ruthenischen Volksschule in Lemberg“ und am 13. März desselben Jahres die „Umwandlung des italienischen Gymnasiums und der italienischen Realschule in Spalato in slawische Lehranstalten“186.

ℹ️In Sprachenfragen stellten Conrad – der die Interessen der deutschen Dominanz verteidigte – und Pražák – der die Gleichberechtigung des Tschechischen, aber auch des Slowenischen gegenüber dem Deutschen forcieren wollte – die beiden extremen Positionen der Regierung dar. Oft folgte der Ministerrat Pražák, alleine weil man besonders die Tschechen, aber doch auch die Stimmen der Slowenen für die Regierungsmehrheit benötigte. Allerdings bewirkte Conrad dennoch in vielen Fällen Kompromisse, so in der Frage der Prüfungssprache an der tschechischen Prager Universität und in der Frage der Reaktion auf die Vorgänge im niederösterreichischen Landesschulrat. Ergebnis war, dass mit den Regierungsentscheidungen weder die Deutschen zufrieden waren, weil der status quo überhaupt verändert wurde, noch die Tschechen, da ihre Sprache nicht gleichberechtigt neben die deutsche gestellt wurde, die als gemeinsame Verkehrssprache von allen Staatsbeamten verlangt wurde. Ebenso wie die Teilung der Prager Universität trug auch die Sprachenpolitik im Schulbereich nicht zum Interessenausgleich der beiden Nationalitäten bei, es verschärfte nur das Gegeneinander. Der Sprachunterricht wurde zum Kampf um den nationalen Besitzstand, in dem nationale Vertreter und Vereine zu den „Guardians of the Nation“ wurden187.

ℹ️Revision des Reichsvolksschulgesetzes

ℹ️Für ihre Unterstützung der Regierung forderten die Tschechen in Sprachenfragen ihren Tribut. Dies taten auch die katholisch-konservativen Kreise in der Frage der Revision des liberalen Reichsvolksschulgesetzes von 1869188. Dieses hatte am 14. Mai 1879 seinen zehnten Jahrestag, zu dem der VII. allgemeine österreichische Lehrertag in Wien seinen Dank aussprach189. Zu diesem Zeitpunkt waren aber bereits die ersten Schritte zu einer Reform des Gesetzes in die Wege geleitet worden. Über Antrag des Landtags- und Reichsratsabgeordneten Lienbacher hatte der Salzburger Landtag ein Landesgesetz beschlossen, mit dem die achtjährige Schulpflicht „erleichtert“ werden sollte. Dieser Entwurf wurde nicht sanktioniert190, „weil eine so proponierte Schulpflichterleichterung nur im Wege der Reichsgesetzgebung erfolgen könnte“, wie Conrad zu einem erneuten Vorstoß des Salzburger Landtages 1880 bemerkte191. In einer parallelen Aktion in der Session 1878 des Salzburger Landtages wurde außerdem der Antrag gestellt, auf ein Reichsgesetz zu wirken, das die Schulpflicht von acht auf sieben Jahre reduzieren sollte192.

ℹ️Mit dem Antrag Lienbachers im Reichsrat am 5. Februar 1880 sollte sein Vorstoß im Landtag, die Schulpflicht von acht auf sechs Jahre zu senken, nun durch ein Reichsgesetz verwirklicht werden193. In langwierigen Verhandlungen erst im Abgeordneten-, dann im Herrenhaus, schließlich zwischen ihnen blieb der Gesetzentwurf aber stecken, nachdem das Herrenhaus zum zweiten Mal eine andere Position als das Abgeordnetenhaus vertreten hatte194. Dabei entschärfte das Abgeordnetenhaus den Antrag Lienbachers, indem nicht die Schulpflicht per se auf sechs Jahre gesenkt wurde, sondern Kindern auf Verlangen der Eltern gestattet wurde, nach sechs Jahren den täglichen Unterricht in Wiederholungs- und Fortbildungsunterricht von höchstens vier Stunden wöchentlich umzuwandeln. Dieser Beschluss wurde dann im Herrenhaus noch weiter eingeschränkt, ℹ️insbesondere indem sie „der Schuljugend auf dem Lande, insbesondere der weiblichen Jugend, und den schulpflichtigen Kindern der ärmeren Volksclassen in Städten und Märkten Erleichterungen“ bringen sollte „durch Einschränkung des Unterrichts auf ein Halbjahr, halbtägigen Unterricht oder Abendschulen“195.

ℹ️Ein zweiter Angriff auf das Volksschulgesetz erfolgte vonseiten der Kirche. Die Bischöfe Böhmens hatten am 29. Dezember 1879 in einer Eingabe ihre alten Beschwerden gegen das Volksschulgesetz wiederholt, dass es den Schulen ihren konfessionellen Charakter nehme. In dieser Angelegenheit hatte der Abgeordnete Max Menger die Regierung interpelliert, was sie zu tun gedenke, „um die durch das Vorgehen der böhmischen Bischöfe bedrohte staatliche Ordnung und Achtung vor dem Gesetze aufrecht zu erhalten“. Darauf antwortete Taaffe, die Regierung werde zwar die Gesetze vollziehen, aber „da, wo sie Verbesserungen des Bestehenden auf Grundlage ihrer Erfahrungen für nothwendig erachtet, sie im administrativen oder legislativen Wege zur Geltung“ bringen196. Als sich daher Ende 1881 herausstellte, dass der von Lienbacher angestoßene Gesetzentwurf wegen Differenzen zwischen beiden Häusern des Reichsrates nicht realisierbar war, ergriff die Regierung die Initiative und arbeitete einen eigenen Gesetzentwurf aus, den sie am 24. Jänner 1882 in das Herrenhaus einbrachte197.

ℹ️Diese Regierungsvorlage verband nun beide Strömungen: den Vorstoß zur Aufweichung der achtjährigen Schulpflicht und das Verlangen der Bischöfe nach stärkerer Konfessionalisierung. Außerdem sollten auch die Rechte der regionalen und lokalen Behörden ausgebaut werden. So war nun in § 19 vorgesehen, dass bei Festsetzung des Lehrplanes von Bürgerschulen (1. Punkt) „auf die speciellen Bedürfnisse des Schulortes und des Bezirkes Rücksicht zu nehmen“ sei. Was die Schulpflicht anbelangte (§ 21), wurde der Text des Gesetzesentwurfs des Herrenhauses mit nur wenigen Abänderungen übernommen, deren wichtigste war, ℹ️dass bei der Reduktion der Schulpflicht für Kinder am Land Mädchen nicht besonders hervorgehoben wurden198. Darüber hinaus wurde durch viele Bestimmungen der Einfluss der Kirchen auf das Schulwesen deutlich ausgebaut. So sollte (§ 1) aus der „sittlich-religiösen“ Erziehung der Kinder im Reichsvolksschulgesetz nunmehr eine „religiös-sittliche“ werden199. Konkret wurde der konfessionelle Einfluss u. a. dadurch ausgebaut, dass (§ 36) Religionslehrer „bezüglich der Rechte und Pflichten den Hauptlehrern gleichgestellt“ und (§ 48) das Amt des Direktors, das an öffentlichen Schulen bisher „ohne Unterschied des Glaubensbekenntnisses“ zugänglich war, nun auf Personen beschränkt werden sollte, „welche auch die Befähigung zum Religionsunterrichte jenes Glaubensbekenntnisses nachweisen, welchem die Mehrzahl der Schüler […] angehört“. Eine weitere Änderung betraf die Stärkung der Geschlechterrollen im Mädchenunterricht, besonders (§§ 3, 17, 30) indem Turnen nur noch für Knaben als obligater Lehrgegenstand vorgesehen war.

ℹ️Diese Vorlage wurde im Herrenhaus der Unterrichtskommission zugewiesen, die bis Mai 1882 das Gesetz im Sinne der Regierung mit Ausnahme des § 21 über die – verkürzte – Schulpflicht und § 48 annahm. In den Bestimmungen des § 48 musste nicht unbedingt der Direktor, sondern nur mindestens ein Lehrer das Glaubensbekenntnis der Mehrzahl der Schüler haben. Der Antrag der Mehrheit der Unterrichtskommission zur Änderung des § 48 hätte eine entscheidende Einschränkung des konfessionellen Einflusses gegenüber dem Regierungsentwurf bedeutet. Ursache für diesen gegen die katholisch-konservativen Forderungen gerichteten Vorstoß war, dass die Mehrheit des Ausschusses noch aus liberalen Herrenhausmitgliedern bestand, die in der Ära Adolph Auersperg ernannt worden waren. Mit diesem Ergebnis konnte die klerikale Fraktion des Herrenhauses keineswegs zufrieden sein. Obwohl Conrad daher bereits am 7. Mai 1882 den Abschluss der Kommissionsberatungen dem Ministerrat mitgeteilt hatte200, sollte es bis zum 19. Februar 1883 dauern, bis das Herrenhaus mit der zweiten Lesung begann201. Denn die Mehrheit der deutschliberalen Opposition in der Kommission und die Mehrheit der Unterstützer der Regierung im Herrenhaus selbst blockierten dies, indem Letztere den Kommissionsbericht zu kippen versuchte. Da also die aktuelle Mehrheit der Unterrichtskommission nicht mehr jener des Hauses entsprach und in der Kommission „zumeist principielle und hochwichtige Fragen zur Berathung und zum Austrage kommen müssen, in welcher die verschiedenen Ansichten scharf einander entgegentreten“, beantragte Franz Falkenhayn am 16. Dezember 1882, die Zahl der Kommissionsmitglieder um sieben auf 21 zu erhöhen, um die Mehrheitsverhältnisse zu drehen. Dies war jedoch nach der Schlussabstimmung der Kommission, wie Anton Freiherr Hye v. Gluneck ausführte, geschäftsordnungswidrig202. Dennoch wurde der Antrag Falkenhayn angenommen. Darauf traten alle bis auf ein Mitglied aus der Unterrichtskommission aus, nachdem dies zuvor bereits der Berichterstatter der Kommission, Alfred Ritter v. Arneth, getan hatte203.

ℹ️Mit der Fassung des § 48 im Regierungsentwurf war aber nicht nur die deutschliberale Mehrheit der ursprünglichen Unterrichtskommission unzufrieden. Auch „die Minorität des Ausschusses“ hatte „Bedenken, ob nicht die Proposition der Regierungsvorlage bei den Polen auf Widerstand stoßen würde“204. Denn dies hätte bedeutet, dass ℹ️ein Lehrer mit römisch-katholischem Glauben nicht Schulleiter einer Schule mit mehrheitlich griechisch-katholischen Schülern hätte sein können. Dies hätte den polnische Einfluss auf ruthenische Schulen reduziert. Um deswegen das gesamte Gesetz nicht zu gefährden, schlug Conrad vor, „den § 48 lediglich unter die im § 75 zitierten Paragrafe aufzu[nehmen]“, wodurch Galizien von § 48 ausgenommen werden sollte. Diese Lösung wurde dann vom Herrenhaus unter Hinzufügung Dalmatiens205 übernommen206.

ℹ️Doch auch die neue Mehrheit des Ausschusses war mit der Regierungsvorlage keineswegs zufrieden, allen voran die Bischöfe. ℹ️Deren Wortführer, der Prager Erzbischof Schwarzenberg, einigte sich mit Taaffe darauf, dass die Kritik der Bischöfe „darauf beschränkt werde, bei der Plenarverhandlung ihren prinzipiellen Standpunkt zu wahren“207. Abgesehen von kleinen Änderungen an Formulierungen im Regierungsentwurf bestand dieser prinzipielle Standpunkt darin, dass auf Änderungen der §§ 1, 2 und 5 (Zweck und Einrichtung der Schulen, Bestimmungen zum Religionsunterricht) verzichtet wurde. Dies aber nicht, weil die Bischöfe diese Paragrafen des Gesetzes von 1869 beibehalten wissen wollten, sondern „damit die Bischöfe, welche im Jahre 1869 bei der Beschließung der Reichs-Volksschulgesetzes nicht mitwirkten, nicht in die Lage kommen, durch ein Stimmen für die §§ 1, 2 und 5 die in diesen Paragrafen ausgedrückten Prinzipien zu billigen“. Daher wurden diese drei Paragrafen von der Herrenhauskommission aus dem Regierungsentwurf gestrichen, mit dem Effekt, dass die von der Regierungsvorlage im § 1 vorgesehene Umdrehung des Auftrags der Schule von einer „sittlich-religiösen“ zu einer „religiös-sittlichen“ Erziehung unterblieb. Damit hatte die Gesetzvorlage ihre entscheidende Hürde im Herrenhaus genommen208. Der Entwurf wurde von der neuen Unterrichtskommission des Herrenhauses erneut beraten, worauf der Antrag der Kommission dem Plenum am 19. Februar 1883 vorgelegt209 und bereits einen Tag später in 3. Lesung angenommen wurde210. ℹ️Schon am 22. Februar kam der Gesetzentwurf in das Abgeordnetenhaus, wo er erneut heftig diskutiert wurde. Es waren die Stimmen der fünf Minister, die auch Abgeordnete waren, die hier für eine Mehrheit sorgten. Das Gesetz wurde am 28. April 1883 ohne Änderung mit einer Majorität von lediglich drei Stimmen (170 : 167) angenommen211 und trat nach der Sanktion durch Franz Joseph mit seiner Publizierung im Reichsgesetzblatt am 19. Juni in Kraft212.

Wie mit den Tschechen in der Frage der Aktivierung der böhmischen medizinischen Fakultät, so gelang der Regierung Ende 1882 auch eine Einigung mit den konservativen Kreisen bei deren zentralen Anliegen, der deutlichen Erhöhung des konfessionellen Einflusses auf die Volksschulen und der faktischen Verkürzung der Schulpflicht für Kinder am Land und der „unbemittelten Volksclassen in Städten und Märkten“213.

Religiöse Themen im Ministerrat

Themen mit unmittelbarem Bezug zu Religionsfragen standen, abgesehen von Besetzungen frei gewordener Bischofssitze und Auszeichnungen an höhere geistliche Würdenträger, nur wenige auf der Tagesordnung des Ministerrates. Dennoch hatte besonders die Frage des Umgangs mit der griechisch-katholischen Kirche in Galizien eine zentrale Bedeutung.

ℹ️a) Das Verhältnis zur griechisch-katholischen Kirche in Galizien

ℹ️Als am 1. Februar 1882 der Bezirkshauptmann des galizischen Bezirks Zbaraż mitteilte, dass von 552 Einwohnern des Dorfes Hnilice małe 129 vom griechisch-katholischen zum griechisch-orthodoxen Glauben übertreten wollten, schrillten in der galizischen Statthalterei und bei der Regierung die Alarmglocken. Sofort wurden die Behörden tätig. Bereits am 3. Februar leitete die galizische Statthalterei beschlagnahmte Briefe an die Oberstaatsanwaltschaft in Lemberg weiter, am 7. Februar teilte der Statthalter diesen Sachverhalt Conrad mit. Am 10. folgte bereits ein Bericht über die ersten Erhebungen, von denen Conrad dann mit seinem Vortrag vom 15. Februar Franz Joseph berichtete. Der Monarch nahm sie am 17. zur Kenntnis214.

ℹ️Dieser Vorfall führte zunächst zu einer Untersuchung „wider Olga Hrabar und Genoßen wegen panslawischer Agitationen“215. Der Prozess endete am 29. Juli 1882 mit der Verurteilung von vier der elf Angeklagten, die wegen Ruhestörung zu Strafen zwischen drei Monaten einfachen bis acht Monaten schweren Kerkers verurteilt wurden. Hochverrat konnte nicht nachgewiesen werden. Zu den Freigesprochenen gehörte auch Hrabar216. Nicht der Prozess selbst stand im Ministerrat auf der Tagesordnung. Anlass war ein Schreiben des Oberprokurators der heiligen Synode in St. Petersburg, Konstantin Petrowitsch Pobedonoszew, welches er dem Botschafter Österreich-Ungarns, Anton Graf Wolkenstein-Trostburg, offiziell übergeben hatte217. In seinem Schreiben entkräftete Pobedonoszew den Vorwurf, die Angeklagten hätten mit ihm gegen Österreich-Ungarn konspiriert. Dieses Schreiben enthielt, wie Pražák – als Leiter des Justizministeriums – ausführte, „verletzende Anwürfe wider die Politik der Regierung und das Vorgehen ihrer Organe“. Daher wurde das Schreiben im Prozess nicht zugelassen, worauf „Pobedonoszew alle anschuldigenden Momente seiner ersten Schrift zurückzog und eine neue Darlegung produzierte, welche sich lediglich über die tatsächlichen Prozessmomente erging“218. Nachdem das Schreiben Pobedonoszews „soeben in den Blättern verhandelt und teilweise entstellt werde“, einigte sich der Ministerrat, unter welchen Bedingungen „eine Berichtigung von Regierungswegen“ stattzufinden hätte.

ℹ️Die „verletzenden Anwürfe“ Pobedonoszews, die Pražák bewogen, das erste Schreiben im Prozess nicht zuzulassen, bezogen sich nicht auf die Monarchie und die Regierungspolitik an sich, sondern auf die Aussage, es sei „der Neid und der Fanatismus der Polen (welche leider freie Hand in der Administration Galiziens haben), welche dieses Manöver gegen die ruthenische Nationalität unternahmen“219. Es sei dahingestellt, welche Motivation Pobedonoszew zu dieser Stellungnahme bewog. Außer Zweifel steht aber, dass die Politik der Polonisierung in Galizien einen zentralen Anteil an der Unzufriedenheit der Ruthenen mit ihrer griechisch-katholischen Kirche hatte220. Diese Unzufriedenheit stand durchaus auf realem Boden. So teilte die Neue Freie Presse über die Einvernahme von Hrabar und ihren Mitangeklagten mit: „Da von den Untersuchungsrichtern keiner der ruthenischen Sprache mächtig ist, hat die Mehrzahl der Inhaftirten es vorgezogen, in deutscher Sprache einvernommen zu werden.“221

ℹ️Über die Ursachen des versuchten Übertritts der 129 Einwohner von Hnilice małe führte Conrad in seinem au. Vortrag vom 15. Februar 1882 auch an, „dass diese Vorkommnisse kaum denkbar wären, wenn sich alle griech. kathol. Seelsorger ihre Pflichten stets gegenwärtig halten und an Glaubenseifer, Sittenreinheit und Menschenliebe ihren Pfarrlingen voranleuchten, und zu deren religiösen und sittlichen Erziehung das ihrige beitragen würden“222. Diese Kritik richtete sich besonders gegen den griechisch-katholischen Basilianerorden, dessen Aufgabe die Schulpflege war; er habe sich „fast vollständig von [dies]er seiner Aufgabe entfe[r]nt, sei überhaupt in arge[m] Verfall und sei dessen Disziplin gänzlich gelockert“223. Bereits am 25. Dezember 1881 hatte der Ordensprovinzial für Galizien, Clemens Sarnicki – ein Pole, der zum griechisch-katholischen Glauben übergetreten war –, eine Reform des Ordens vorgeschlagen, und ab Februar 1882 begannen im Vatikan konkrete Beratungen224, deren Ergebnis der päpstliche Nuntius, Monsignore Serafino Vannutelli, Ende April Außenminister Gustav Graf Kálnoky de Kőrös-Patak übergab225. Das für die Novizenausbildung zuständige Kloster Dobromil sollte der Leitung der Jesuiten unterstellt werden. Dieser Vorschlag stieß aber sowohl bei den griechisch-katholischen Würdenträgern Galiziens wie im Ministerrat auf ein geteiltes Echo. Neben Zustimmung sahen andere den Erfolg alleine dadurch in Gefahr, dass in der ruthenischen Bevölkerung ein Antagonismus gegen „die römisch-katholische [Gei]stlichkeit und insbesondere gegen die Jesuiten“ bestehe226. Daher beschloss der Ministerrat, „der Kurie unter einem zu bemerken, ob es nicht möglich wäre, die Regenerierung durch griechisch-katholische Weltgeistliche zu bewirken“. Dennoch unterstellte Papst Leo XIII. am 12. Mai 1882 mit seiner Bulle „Singulare Praesidium“ die Ausbildung der Novizen der Basilianer im Kloster Dobromil polnischen Jesuiten. Vorgabe war, die Ordensregeln nicht anzutasten, „die Ordensverfassung aber den neuen Zeitverhältnissen“ anzupassen227. Die Jesuiten sollten die Novizenausbildung des Basilianerordens noch bis 1904 leiten228.

ℹ️Ein weiteres die griechisch-katholische Kirche betreffendes Thema des Ministerrates war die Verleihung der geheimen Ratswürde an deren Metropoliten, den griechisch-katholischen Erzbischof von Lemberg Joseph Sembratowicz. In drei Sitzungen stand zunächst die Verleihung dieser Würde auf der Tagesordnung, dann die Zurückbehaltung des entsprechenden Antrags und schließlich erneut deren Verleihung „aus Anlass der Ah. Reise Sr. Majestät nach Galizien229. Der Grund, warum der ursprüngliche Vortrag für diese Auszeichnung Sembratowicz’ zunächst zurückbehalten wurde, lag vermutlich darin, dass ihm von polnischer Seite und vom Vatikan Untätigkeit gegenüber russophilen Tendenzen unterstellt wurde230. Diese Auszeichnung war die letzte Anerkennung für Sembratowicz. Der Vorfall in Hnilice małe wurde wahrscheinlich als Bestätigung für die Vorwürfe gegen ihn gesehen. Auch wenn sich Sembratowicz in einer Konferenz zur Frage der Reform der Basilianer Anfang Mai 1882 ganz hinter den Vorschlag stellte, die Novizenausbildung den Jesuiten zu überantworten231, wurde er am 4. September 1882 von Franz Joseph aufgefordert, sein Amt niederzulegen, und kam dieser Aufforderung umgehend nach232.

ℹ️Auch wenn Franz Joseph und die cisleithanische Regierung ähnliche Interessen wie der Vatikan verfolgten – und dem Römischen Stuhl daher freie Hand in der Frage des Basilianerordens ließen –, so stand im Gegensatz zum Vatikan für Cisleithanien nicht das Verhältnis der römisch- zur griechisch-katholischen Kirche im Vordergrund, sondern das der Ruthenen zu den Polen und, als Folge dessen, das zu Russland. Die Einstellung der Regierung zu Ruthenen und Polen änderte sich ab 1879 unter der Regierung Taaffe. Für die deutschliberale Regierung unter Adolph Auersperg war die polnische Sonderstellung Galiziens stets nur ein notwendiges Übel gewesen, um eine parlamentarische Zweidrittelmehrheit für Gesetze im Verfassungsrang zu erhalten. So waren die Fragen des Wahlreformen 1872/73 eng mit der Frage der polnischen Sonderrechte verknüpft233. Die Regierung Taaffe benötigte jedoch die polnischen Stimmen schon für die einfache Mehrheit und konnte sich daher den polnischen Wünschen faktisch nicht entgegenstellen. So wurde Anfang 1883 bei der Novelle des Reichsvolksschulgesetzes von der Regel, dass Schulleiter die Religion der Mehrheit der Schüler haben müssen, Galizien ausgenommen, damit in Volksschulen mit mehrheitlich griechisch-katholischer und damit ruthenischer Bevölkerung römisch-katholische Polen Direktoren sein konnten. Innerhalb der Regierung Taaffe waren es mit Stremayr und Conrad auch zwei Deutschliberale, die als Minister für Kultus und Unterricht die geheime Ratswürde für Sembratowicz beantragten. Und es war Conrad, der zumindest den zaghaften Versuch unternahm, mit der Reform des Basilianerordens statt der Jesuiten griechisch-katholische Weltgeistliche zu beauftragen234. Nur setzte er sich hier ebenso wenig durch wie in seiner Bemühung, die Vorrangstellung der deutschen Sprache ungeschmälert zu erhalten. So wie die Regierung in den Kronländern Böhmen, Mähren und Schlesien die tschechische sowie im Bereich der Oberlandesgerichte Graz und Triest die slowenische Sprache im Rechtswesen, in der Verwaltung und im Unterricht aufwertete, so wirkte sie in Galizien gegenüber den Ruthenen in umgekehrter Richtung, indem sie den Schutz dieser schwächeren Bevölkerungsgruppe vor den wirtschaftlich und politisch dominanten Polen noch weiter abbaute.

b) Andere konfessionelle Themen

ℹ️Im Jahr 1871 war die Einberufung einer orthodoxen Synode in Czernowitz beschlossen worden235. Die Synode war prinzipiell notwendig geworden, weil der österreichisch-ungarische Ausgleich von 1867 eine Trennung der Diözesangrenzen zwischen beiden Teilen der Monarchie notwendig gemacht hatte. ℹ️Die Errichtung einer eigenen Metropolie in Czernowitz 1873, der auch die beiden weiteren orthodoxen Bistümer Cisleithaniens, Zara und Cattaro in Dalmatien, unterstellt worden waren236, machte die Einberufung der Synode nicht mehr dringlich und sie unterblieb vorerst237. Zehn Jahre danach beriet nun der Ministerrat über „die Frage der Einberufung überhaupt, sodann bei Zulassung des Kongresses um den Zeitpunkt der Tagung desselben, weiters um die Bestellung des landesfürstlichen Kommissärs für den Kongress, endlich um die Frage der Instruktion für den lf. Kommissär bzw. die Frage der Einschränkung []“238. Der Kirchenkongress tagte dann vom 26. Juli bis 10. August 1882239.

ℹ️Nach der Klärung der inneren Verwaltungsstruktur der Erzdiözese auf dem griechisch-orientalischen Kongress in Czernowitz schritt die Regierung daran, auch die „eine besonders autonome Stellung genießenden, griechisch-orientalischen Kirchengemeinden in Wien und Triest (je zwei Gemeinden in jeder dieser Städte)“ der Metropolie Czernowitz zu unterstellen. Dabei sollten die Verfügungen „zunächst für die beiden Wiener Gemeinden getroffen werden, weil für Triest noch weitere Erhebungen im Zuge seien“240. Am 19. März 1883 unterstellte Franz Joseph die beiden griechisch-orientalischen Kirchengemeinden zur „Heiligen Dreifaltigkeit“ und zum „Heiligen Georg“ in Wien der Metropolie Czernowitz241. Allerdings scheint dies tatsächlich nur bei der Gemeinde zur Heiligen Dreifaltigkeit geschehen zu sein, denn nur sie erscheint seit 1885 im Hof- und Staatshandbuch als Gemeinde des Bukowinaer Erzbistums, wie dies von 1895 bis 1897 auch für die später entstandene serbische Wiener Gemeinde des Heiligen Sava der Fall war242. Bei der Gemeinde zum Heiligen Georg dürfte dies deswegen nicht der Fall gewesen sein, weil sie ausdrücklich die Gemeinde türkischer Untertanen in Wien war.

ℹ️Ein weiteres konfessionelles Thema im Ministerrat war ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs. Am 28. August 1881 hatte das Kultus- und Unterrichtsministerium konfessionslose Eltern verpflichtet, ihre Tochter taufen zu lassen. Diese Entscheidung wurde mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes am 22. April 1882 kassiert243, weil Artikel I des Gesetzes vom 25. Mai 1868 über die Regelung interkonfessioneller Verhältnisse der Staatsbürger244 besagte, dass Kinder der Religion ihrer Eltern folgen. Daher können konfessionslose Eltern nicht zur Taufe ihres Kindes verpflichtet werden. Conrad brachte „dieses beklagenswerte Erkenntnis des Verwaltungsgerichthofes deshalb hier zu Erwähnung, weil er beabsichtige, auch in künftigen analogen Spezialfällen wie im obigen Falle nach der vom Ministerium für Kultus und Unterricht angenommenen Norm zu ent[scheiden]“ 245.

ℹ️Auch der streitbare Bischof von Linz, Franz Joseph Rudigier, beschäftigte den Ministerrat246. Im Jahr 1861 waren dem Bischof von Linz die Einkünfte der Güter des oberösterreichischen Religionsfonds Garsten und Gleink – 35.000 bis 40.000 Gulden – gewidmet worden. Dies geriet mit den Grundrechten der Dezemberverfassung in Widerspruch, weil hier Artikel 15 bestimmte, jede anerkannte Kirche und Religionsgemeinschaft „bleibt im Besitze und Genusse ihrer für Cultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und Fonde“247. Ihre Erträge konnten daher nicht zu anderen Aufgaben gewidmet werden, wie eben der Finanzierung des Bischofs. Das Abgeordnetenhaus hatte daher 1869 die Regierung aufgefordert, „dem Bischofe von Linz die Güter Garsten und Gleink gegen Anweisung der normalmäßigen Dotation per 12.600 fl. abzunehmen“; diese normalmäßige Dotation war seinerzeit von Kaiser Josef II. festgesetzt worden. Kultus- und Unterrichtsminister Leopold Hasner Ritter v. Artha hatte dieser Aufforderung mit seinem Erlass vom 31. Dezember 1869 entsprochen248. Dieser Betrag wurde dem Bischof in Form einer Papierrente in Höhe von 300.000 Gulden, verzinst mit 4,2% – also eben jenen 12.600 Gulden –, ausgefolgt.

ℹ️Rudigier akzeptierte diese Entscheidung zwar nicht, war aber machtlos. Am 20. April 1880 forderte nun das nicht mehr deutschliberal dominierte Abgeordnetenhaus die Regierung auf, die Regelung Hasners „einer eingehenden Prüfung“ zu unterziehen249. Dem kam Conrad nach, indem er mit Rudigier einen Kompromiss zu finden suchte. Nur langsam näherten sich beide Seiten in langwierigen Verhandlungen an250. Während Conrad zu Beginn der Verhandlungen anbot, die Jahresdotation auf 16.000 Gulden anzuheben, forderte Rudigier 21.943 Gulden als Wertpapiere in Höhe von 522.935 Gulden und zudem statt in einer Papier- in einer Silberrente, sowie weitere Einnahmen von netto 512 Gulden, insgesamt 22.455 Gulden. Im Gegenzug würde er die Abänderung der Regelung von 1861 hinnehmen, dies aber unter dem Vorbehalt der Zustimmung der Kurie und der prinzipiellen Anerkennung des Rechtsstandpunktes Rudigiers. Während Conrad „[die g]estellten Be[dingungen] für nicht akzeptabel“ hielt, beschloss die Mehrheit der Minister – Taaffe, der konservative Vertreter Falkenhayn, außerdem Pražák und Pino –, die Forderung Rudigiers in ihrer Höhe anzunehmen, „die vom Bischofe beabsichtigte Einholung der Zustimmung der Kurie seinem [Er]messen anheim zu stellen“, und „den von demselben betonten Rechtsstandpunkt des Jahres 1869 aber mit Stillschweigen zu übergehen“251. Dunajewski stimmte zwar nicht gegen Conrad, hatte sich aber in der Diskussion im Sinne der Annahme der Forderung ausgesprochen und erhob als Finanzminister keinen Einwand gegen diese finanzielle Mehrbelastung. Auch in dieser Frage versuchte Conrad von der liberalen und „antiklerikalen“ Regelung Hasners zu retten, was zu retten war, stand aber auch hier auf verlorenem Posten. Sogar der andere – zumindest ehemals – liberale Vertreter in der Regierung, Pino, stellte sich gegen ihn. Zieht man in Betracht, dass Dunajewski nicht mit der Mehrheit stimmte, sicherte Pino so die Annahme von Rudigiers Forderungen ab.

ℹ️Weitere Themen zur römisch-katholischen Kirche betrafen fast ausschließlich Besetzungen von verwaisten Bischofssitzen, so die von Leitmeritz252 und Brünn253. ℹ️Eine besondere Rolle spielte die Anerkennung der Rechte des neuen Fürstbischofs von Breslau. Er wurde über Zustimmung des preußischen Königs ernannt, zu seinem Bistum gehörte aber auch das österreichische Schlesien und damit verbunden der Sitz im cisleithanischen Herrenhaus und im schlesischen Landtag. Die Problematik dieser grenzüberschreitenden Zuständigkeit zeigte sich bei Fürstbischof Heinrich Förster, der wegen seines Widerstandes gegen die Kirchengesetze Fürst Otto v. Bismarcks 1875 nach Cisleithanien geflohen und in Preußen abgesetzt worden war. Seither residierte er auf Schloss Johannesberg in Österreichisch-Schlesien. Nach seinem Tod am 20. Oktober 1881 beriet der Ministerrat über die „Frage der Dismembration des Breslauer Bistums“, also die Abtrennung der österreichisch-schlesischen Teile vom preußischen Fürstbistum Breslau254. Dafür, dass dies nicht geschah, dankte der neue Breslauer Fürstbischof, Robert Herzog255.

Wirtschafts- und Sozialpolitik

ℹ️Als die Regierung Taaffe 1879 ihr Amt antrat, waren die Folgen des Börsenkrachs von 1873 immer noch nicht überwunden. Dies musste die von Deutschliberalen geprägte Wirtschaftspolitik, sowohl vor wie auch nach diesem Ereignis, massiv infrage stellen. Unmittelbar aktiv wurde die Regierung im Bereich der Sozialpolitik durch den Ausbau von Arbeiterrechten in der Gewerbeordnung. Zunächst war keine grundlegende Abkehr von den wirtschaftsliberalen Werten geplant. Je stärker Taaffe aber durch die Weigerung der deutschliberalen Parteien zur Zusammenarbeit genötigt war, sich auf konservative Kräfte zu stützen, desto stärker war seine Regierung gezwungen, auch deren antiliberale Wirtschaftsauffassungen zu übernehmen256.

a) Die Reform der Gewerbeordnung

ℹ️Bereits in seiner Thronrede am 8. Oktober 1879 hatte Franz Joseph die „Revision der Gewerbegesetze mit Beachtung der seit Erlassung der Gewerbeordnung gewonnenen Erfahrungen“ erwähnt257. Eine solche Novelle war im Handelsministerium schon seit den 1870er Jahren in Verhandlung, aber nie in den Reichsrat eingebracht worden. ℹ️Am 24. November 1879 legte Handelsminister Korb dem Abgeordnetenhaus einen Gesetzentwurf „betreffend die Abänderung und Ergänzung der Gewerbeordnung“ vor, der zwar „nicht das ganze Gesetz neu formulirt“, dessen Bestimmungen aber, „ohne in der successive vorzunehmenden Revision der Gewerbeordnung einen Stillstand eintreten zu lassen, zunächst nur jene Partien herausgreifen, deren Regelung besonders wünschenswerth und dringlich erscheint“ 258. Der Entwurf war nicht entsprechend der Gewerbeordnung strukturiert und umfasste drei Titel: I. Gewerbliches Hilfspersonale, II. Gewerbeinspektoren und III. Gewerbliche Hilfskassen sowie Normativbestimmungen für registrierte gewerbliche Hilfskassen259. Besonders dringlich sah es die Regierung also an, das Sechste Hauptstück der Gewerbeordnung zu novellieren, das sich mit dem gewerblichen Hilfspersonal beschäftigte. Ein Reformschwerpunkt lag bei den (nun in gewerbliche Hilfskassen umbenannten) Unterstützungskassen, die von einem Paragrafen (§ 85) auf 16 Artikel anwuchsen, wozu noch Normativbestimmungen für diese Kassen mit 60 Paragrafen hinzukamen. Zusätzlich war die Schaffung der Institution der Gewerbeinspektoren vorgesehen. Allerdings blieb dieser Gesetzentwurf im Ausschuss hängen. Korbs Nachfolger Kremer zog den Entwurf im Dezember 1880 wieder zurück und brachte gleichzeitig einen neuen ein260.

ℹ️Im Gegensatz zur alten Regierungsvorlage handelte es sich bei der neuen um eine Gesamtrevision der Gewerbeordnung, die nicht nur das Sechste, sondern auch die anderen Hauptstücke umfasste. Auch dieser neue Regierungsentwurf strukturierte das Gesetz neu. ℹ️Die ersten beiden Hauptstücke der Gewerbeordnung wurden in einem I. Abschnitt zusammengeführt, während statt des Sechsten Hauptstückes über das Hilfspersonal die drei Teile der ersten Regierungsvorlage als Abschnitte VI (Gewerbliches Hilfspersonal), VII (Gewerbeinspektoren) und VIII (Gewerbliche Hilfskassen) aufgenommen wurden. Dem Regierungsentwurf waren wie dem vorangegangenen Entwurf Normativbestimmungen für diese Kassen angehängt. Ziel der zweiten Vorlage war also nicht ein prinzipielles Abweichen von den Zielen des ersten Entwurfes. Die Ursache für den neuen Entwurf war vielmehr, dem vom Abgeordnetenhaus geäußerten Wunsch zu entsprechen, „daß es sich bei dem Zusammenhange, welcher zwischen den einzelnen Theilen der Gewerbeordnung besteht, empfehlen würde, die Revision der Gewerbeordnung in ihrem ganzen Umfange einheitlich vorzunehmen“261.

ℹ️Die Verhandlungen im Gewerbeausschuss, dem das Abgeordnetenhaus den Gesetzentwurf zuwies, zogen sich in die Länge, und mit der zweiten Lesung konnte erst am 6. Dezember 1882 begonnen werden262. Die Ausschussvorlage glich einerseits die Regierungsvorlage wieder dem zu novellierenden Gesetz an und teilte andererseits die Regierungsvorlage in zwei separate Gesetzentwürfe. Unmittelbar vorgelegt wurden nur die Revision der Hauptstücke I, II, III, IV und VII, ℹ️während das VI. Hauptstück – also das über die Hilfsarbeiter, deren Hilfskassen und die Gewerbeinspektoren – noch in Verhandlung des Ausschusses blieb263. Gerade der Abschnitt also, den die Regierung als „besonders wünschenswerth und dringlich“ bezeichnet hatte, wurde zurückgestellt, während nur die nachgereichten Teile, die es dem Haus ermöglichen sollten, „die Revision der Gewerbeordnung in ihrem ganzen Umfange einheitlich vorzunehmen“, abgeschlossen wurden.

ℹ️Sah die Regierungsvorlage an der wirtschaftsliberalen Ausrichtung der Gewerbeordnung keine Änderung vor, griff der Ausschussentwurf hier intensiv ein. Die bestehende Gewerbeordnung – und mit ihr die Regierungsvorlage – teilte die Gewerbe im § 1 in freie und konzessionierte. Zusätzlich fügte der Ausschuss als dritte Kategorie die handwerksmäßigen Gewerbe ein, „bei denen es sich um Fertigkeiten handelt, welche die Ausbildung im Gewerbe durch Erlernung und längere Verwendung in demselben erfordern und für welche diese Ausbildung in der Regel ausreicht“. Dies bedeutete einen massiven Eingriff in die bestehende Gewerbeordnung – und so auch in die Regierungsvorlage. Denn für die Errichtung eines handwerksmäßigen Betriebes war nun ein Befähigungsnachweis vorgesehen. Ein solcher war mit der Gewerbeordnung 1859 durch die Aufhebung der handwerklichen Korporationen – der Innungen oder Zünfte – bewusst abgeschafft worden. Genossenschaften – als Nachfolger der alten Korporationen – waren beschränkt worden auf Regelung interner Streitigkeiten, Klärung von Konflikten mit anderen Genossenschaften, Förderung von Fachschulen, Gründung von Hilfskassen für ihre Mitglieder und Unterstützung der Handels- und Gewerbekammern sowie der Staatsverwaltung264. Diesen Aufgaben fügte der Ausschussentwurf wieder die Regelung des Lehrlingswesens hinzu (Ausschussentwurf § 114 b). Eine weitere Änderung war die Regionalisierung der Genossenschaften, die nun direkt am Ort ihre Aufgaben wahrnehmen konnten. Hatten sie bisher mit der „Mitwirkung in allen Vorkehrungen der öffentlichen Verwaltung“ (Gewerbeordnung § 114 f) nur einen beschränkten übertragenen Wirkungskreis, sollten sie nun mit der Regelung und Kontrolle der Lehrlingsausbildung einen autonomen Wirkungskreis erhalten265.

ℹ️Diese Änderungen akzeptierte Pino im November 1882, wenn auch ungern, weil „von den vielen und weitgehenden Forderungen der Gewerbetreibenden wenigstens der Befähigungsnachweis nicht würde abgeschlagen werden können“. Er hielt es „bei der heutigen Lage der Dinge geradezu für unmöglich, diesfalls auf dem Standpunkte der Regierungsvorlage zu verbleiben“266. Auch wenn sich die meisten Minister für ein Eingehen auf diese Forderungen aussprachen, zeigten sich zwischen liberaleren und konservativen Argumentationen deutliche Differenzen. So hatten die konservativen Mitglieder keine Bedenken, von der alten Regierungsposition bedingungslos abzugehen. Falkenhayn etwa bemerkte, er sei schon immer der Ansicht gewesen, „dass die Regierung die Sache der Forderung des Befähigungsnachweises zur ihrigen mache“. Taaffe gab neben dem Hinweis auf das starke Drängen aus dem Parlament, aber auch angesichts der Beschlüsse des Gewerbetages in Wien, der vom 12. bis 14. November 1882 getagt hatte267, zu bedenken, dass, „wenn die Regierung jetzt gegen die Forderung Front machen sollte, die Stellung im Abgeordnetenhause geradezu zu einer unmöglichen würde“. Auch für Pražák und Ziemiałkowski waren die Beschlüsse des Gewerbetages ausschlaggebend für ihre Zustimmung zum Befähigungsnachweis.

ℹ️Pino und Conrad, die neben Dunajewski einen wirtschaftsliberalen Standpunkt vertraten, lehnten diesen Nachweis zwar nicht ab, hatten jedoch gewisse Bedenken. Für Conrad waren die Beschlüsse des Gewerbetages „ein Notschrei [d]es kleinen Gewerbes, welches von der Industrie erdrückt wurde“. Allerdings sei nicht die Industrie Ursache der Probleme, sondern die fehlende Ausbildung im „kleinen Gewerbe“. Er glaube daher, „dass für die Regierung bei der Zugestehung des Befähigungsnachweises wesentlich nur der Gesichtspunkt maßgebend sein könne, das kleine Gewerbe durch eine bessere Ausbildung zu kräftigen“, wogegen „andere Gesichtspunkte wie Einschränkung der Konkurrenz usw. für sie nicht maßgebend sein können“. Ziel habe daher die Förderung des Gewerbeschulwesens zu sein. Wenn ausreichend Schulen vorhanden wären, könne „der in Alinea 4 des § 24 der Vorlage erwähnte Nachweis der Befähigung durch ein Zeugnis über den mit Erfolg zurückgelegten Besuch einer gewerblichen Unterrichtsanstalt“ erbracht werden. Damit wäre aber wieder die Aufwertung der Genossenschaften untergraben worden. Dieser Position „neigte“ auch Pino „zu“.

ℹ️Die einzige klare Ablehnung eines Befähigungsnachweises kam von Dunajewski. Die Probleme der Gewerbetreibenden lägen nicht im fehlenden Befähigungsnachweis, sondern vielmehr darin, „dass das kleine Gewerbe schlechter arbeite, als es könnte und dass die Gewerbsleute weniger sparen, als sie sollten“. Außerdem war eine Ursache – und hier stimmte er Conrad zu –, „dass die Industrie mit den natürlichen und vom Staate selbstverständlich nicht [zu ändern]den Faktoren einer [höhe]ren Arbeitsleistung und ei[n]er größeren Kapitalskraft auf das Kleingewerbe drücken“. Aber dies sei schlicht nicht zu verhindern, und Dunajewski fragte, „ob sich die Regierung nicht eine moralische Verantwortung für die künftige Entwicklung der Dinge auflade, wenn sie jetzt die Erwartung wachrufe, dass sich die Verhältnisse des Handwerkerstandes nunmehr bessern werden“.

ℹ️Ein weiterer bemerkenswerter Aspekt in der Diskussion vom 23. November war die Frage der Vertretung der Meister und Gesellen in den Genossenschaften. Der dem Abgeordnetenhaus dann vorgelegte Ausschussentwurf sah eine Genossenschaftsversammlung der Gewerbeinhaber und eine getrennte Gesellenversammlung vor. Beide hatten aus ihrer Mitte Vertretungen in die Vorstände der Krankenkassen (§ 121 c) zu wählen, wobei die Gehilfen wegen ihrer größeren Beitragsleistung zwei Drittel und die Gewerbetreibenden ein Drittel der Mitglieder des Vorstandes beschicken sollten. Die schiedsgerichtlichen Ausschüsse (§ 122) waren hingegen paritätisch zu besetzen.

ℹ️Der Ministerrat beschloss am 23. November, „dass von Seite der Regierung für die Forderung des Befähigungsnachweises eingetreten, den übrigen Propositionen des Entwurfes aber nicht entgegengetreten werde“268. Am 6. Dezember 1882 legte der Ausschuss seinen Bericht dem Abgeordnetenhaus vor, der ihn bereits am 18. Dezember in dritter Lesung annahm269. Das Herrenhaus nahm zwar am Abgeordnetenhausbeschluss viele Änderungen vor270, die aber in der Regel inhaltlich nur geringfügig eingriffen, oder nur stilistischer Art bzw. Korrekturen waren. Das Herrenhaus stimmte am 15. Februar 1883 in dritter Lesung zu und leitete diese neue Fassung an das Abgeordnetenhaus, das dem Herrenhausbeschluss ohne Änderung beitrat271. Somit konnte Franz Joseph das Gesetz „betreffend die Änderung und Ergänzung der Gewerbeordnung“ am 15. März 1883 sanktionieren272. Letztlich stellte dieses Gesetz eine zweifache Niederlage der Regierung gegenüber den sie unterstützenden Parteien des Abgeordnetenhauses dar. Die erste Niederlage war die Einführung der Kategorie der „handwerksmäßigen Betriebe“ für die zukünftig Befähigungsnachweise notwendig waren. Dabei konnte die Regierung den Befähigungsnachweis an sich leichter akzeptieren, das Problem war vielmehr, dass mit der Verwaltung des Nachweises die Genossenschaften betraut wurden und nicht die Gewerbeschulen273. ℹ️Die zweite Niederlage bestand darin, dass der Sechste Teil der Gewerbeordnung über die Hilfsarbeiter, dessen Reform die Regierung als besonders dringend angesehen hatte und den sie ursprünglich zuerst behandelt wissen wollte, vom Abgeordnetenhaus zurückgestellt wurde. Ende 1882, als sich die Verhandlungen um Änderungen der anderen Teile der Gewerbeordnung ihrem Ende näherten, bereitete die Regierung die Parlamentsberatungen für das Sechste Hauptstück erst vor.

b) Sozialpolitisch motivierte Maßnahmen

ℹ️Die vom Reichsrat votierten Änderungen an der Gewerbeordnung stellten eine Kehrtwende in der bisherigen wirtschaftsliberalen Laissez-Faire-Politik dar. Dabei war aber weniger die Regierung als der Reichsrat die treibende Kraft, wie gerade bei der Aufwertung der Genossenschaften in der Gewerbeordnung gezeigt worden ist.

ℹ️Vermutlich verhielt es sich ähnlich in der Frage der Verbesserung der Lage des kleinen Grundbesitzes. Hier brachte zwar Falkenhayn Anträge in den Ministerrat ein274, doch scheint sich dieser nicht auf konkrete Maßnahmen geeinigt zu haben. Stattdessen erfolgte am 4. Dezember 1880 eine Interpellation von Hohenwart „und Genossen“, zu denen die Mitglieder des konservativen Hochadels im Abgeordnetenhaus zählten. Darin drückten sie ihre Ungeduld wegen der Untätigkeit der Regierung aus, denn obwohl sie „der hohen Regierung die nöthige Zeit zur Vorbereitung ihrer Maßnahmen“ gegönnt hatten, waren dem Abgeordnetenhaus „solche Vorlagen bisher nicht zugekommen“. Für Hohenwart stand außer Frage, „daß nur durch schleunige und energische legislative Maßnahmen der österreichische Bauernstand, der ein so wesentliches Element der wirthschaftlichen Kraft der Monarchie bildet, von den ihm drohenden Ruine gerettet und neuerdings befestigt werden kann“275.

ℹ️Um die Beantwortung dieser Interpellation rang der Ministerrat eineinhalb Monate276, sodass Taaffe erst am 25. Jänner 1881 antworten konnte277. ℹ️Letztlich zeigt die Antwort die Zerrissenheit der Regierung zwischen einer wirtschaftsliberalen und einer feudalistisch-antikapitalistischen Position. Zum einen erklärte Taaffe als Ursache der Probleme der „landwirtschaftlichen Bevölkerung“ den „Uebergang von der auf den landwirthschaftlichen Besitzungen betriebenen Naturalwirthschaft zur Geldwirthschaft“ – wesentlich also die Grundentlastung von 1848/49278 –, die Änderung der Erbfolge bei Bauerngütern 1868279 und die Aufhebung der Beschränkungen ihrer Teilbarkeit und ihres Verkaufes 1868/69280. Diese Maßnahmen hätten eine steigende Verschuldung am Land gefördert281 und so mit der „durch eine einseitige Pflege des mobilen Capitals verschärfte Krise des Jahres 1873“ den Bauernstand nachhaltig geschädigt. Mit dieser Erklärung unterstrich Taaffe die feudal-konservative Kritik an der wirtschaftsliberalen Politik seit 1848 und besonders seit 1868. Allerdings hielten sich die Maßnahmen, welche die Regierung nach Taaffes Ausführungen bereits gesetzt hatte und die sie „demnächst“ setzen wollte, vollkommen im Rahmen einer wirtschaftsliberalen Politik. Taaffe zählte auf:

  • ℹ️das Viehseuchengesetz – weiter unten behandelt –;
  • ℹ️einen Gesetzentwurf zur Regelung der Zusammenlegung und Teilung von Grundstücken282;
  • ℹ️ein Gesetz zur Senkung von Erbschaftsgebühren283;
  • ℹ️mit der Gesetzinitiative zur Vereinfachung geringwertiger Nachlassenschaften, um Kosten zu vermeiden, waren vermutlich Erleichterungen bei der sogenannten Legalisierung, der notariellen Beglaubigung von Unterschriften, gemeint284;
  • ℹ️Gebührenerleichterungen bei Umschuldungen von höher zu niedriger verzinsten Krediten285;
  • ℹ️Regelungen der Eisenbahntarife, damit der „Transport landwirthschaftlicher Producte billiger bewerkstelligt werden“ könne286;
  • ℹ️Beteiligung des Staates an Meliorationen287;
  • ℹ️Förderung landwirtschaftlicher Fachschulen durch den Staat, deren Finanzierung aber prinzipiell Aufgabe der Länder war.

Zwei weitere von Taaffe angeführte Maßnahmen zum Schutz der notleidenden „landwirtschaftlichen Bevölkerung“ beschäftigten den Ministerrat besonders intensiv: ℹ️zum einen die Förderung von Vorschusskassen und Kreditvereinen, ℹ️zum anderen die „Zusammenfassung und Verbindung der Einzelnen in eine Organisation“.

ℹ️Die Förderung von Vorschusskassen und Kreditvereinen erfolgte einerseits durch die Reduktion der Erwerbs- und Einkommensteuer für diese288, andererseits auch durch die Ausweitung der Begünstigung bei Stempel- und unmittelbaren Gebühren, die bisher privaten Vorschusskassen zugutekam, die auf Gemeinde- und Landesgesetzen beruhten289. Für diese Förderung hatte Pino wenig Verständnis, weil „er die vielfach geschonten Konsumvereine überhaupt nicht so sehr berücksichtigungswürdig erachten könne, da er von der besonders wohltätigen Wirkung derselben keineswegs überzeugt sei“290. Er stimmte daher – wie auch die anderen Minister – dem Antrag des Finanzministers zu, die Bitte des I. Niederösterreichischen Arbeiter-Consumvereins in Neuhaus um die Erlassung seiner Steuerschuld abzulehnen.

ℹ️Zur „Zusammenfassung und Verbindung der Einzelnen in eine Organisation“ brachte die Regierung Gesetzentwürfe zur Bildung von Bezirksgenossenschaften und Landeskulturräten in den Landtagen ein, wobei die Entwürfe für Galizien291, Tirol292, Salzburg293, Vorarlberg294, Böhmen (nur Bezirksvorschusskassen)295 und Istrien296 im Ministerrat besprochen wurden. Ausgiebig wurden ebenfalls die Statuten des böhmischen Landeskulturrates beraten297.

ℹ️Auch wenn Taaffe viele Maßnahmen zur Rettung des Bauernstandes in seiner Rede als Initiativen der Regierung bezeichnet hatte, gingen die meisten jedoch letztlich nicht von der Regierung selbst aus, sondern wurden durch Anfragen aus dem Reichsrat angestoßen: ℹ️So die Reform des Landeskulturrates in Böhmen durch eine Petition mehrerer landwirtschaftlicher Vereine vom 4. Juli 1879, deren Beantwortung der Abgeordnete Georg Fürst Lobkowicz monierte und deren Behandlung der Ackerbauminister zusagte298.

ℹ️Reformanstöße kamen aber keineswegs nur aus konservativen Reihen. So gab der deutschliberale Abgeordnete August Weeber den Anstoß zur Regulierung von Kreditgeschäften. Bestehende Wucherregulierungen waren 1868 abgeschafft worden299. Diese sollten nun zwar nicht wieder eingeführt werden, aber die vollkommene Freiheit doch begrenzt werden. Weeber legte dem Abgeordnetenhaus am 9. Oktober 1879 einen ausgearbeiteten Gesetzentwurf „betreffend die Zinsen und Nebenleistungen bei Creditgeschäften“ vor, weil „jenen unredlichen Vorgängen bei Creditgeschäften entgegengetreten werden muß, welche die finanziellen und socialen Verhältnisse insbesondere in den Kreisen der Kleingewerbe und der Landbevölkerung bereits so tief erschüttert haben“300. Dies setzte nun die Regierung unter Zugzwang, und sie reichte im Abgeordnetenhaus am 27. Oktober 1879 einen eigenen Regierungsentwurf nach301. Im zuständigen Ausschuss verschmolzen beide Diskussionen. Erst nach langwierigen Verhandlungen und nachdem das Abgeordnetenhaus die Änderungen des Herrenhauses akzeptiert hatte, wurde das inzwischen vollkommen neu gestaltete Gesetz am 20. Mai 1881 vom Reichsrat angenommen und am 28. Mai sanktioniert302. Das Gesetz „betreffend Abhilfe wider unredliche Vorgänge bei Creditgeschäften“ wurde auch kurz Wuchergesetz genannt. Dieses Gesetz bezeichnete Justizminister Viktor Ritter v. Hochenburger zu Beginn des Ersten Weltkriegs – anlässlich der Ausweitung des Wucherbegriffes vom Kredit- auch auf den Sachwucher – als „schon immer unzureichend“303. Neben dem Ausbau der Rechte des Schuldners arbeitete die Regierung auch am Gläubigerschutz. Das dem Reichsrat vorgelegte Gesetz wurde am 16. März 1884 sanktioniert304.

ℹ️Der Versuch der Regierung, mit der Revision der Gewerbeordnung eine „zeitgemäße Regelung des Verhältnisses zwischen Arbeitgebern und Hilfsarbeitern“305 einzuführen, zeigt ihre Bereitschaft zu sozialpolitischen Reformen. Es war der Reichsrat – und hier speziell das Abgeordnetenhaus –, der die Novellierung des Sechsten Hauptstückes der Gewerbeordnung zurückstellte. Damit war das Thema aber keineswegs ad acta gelegt worden. Als Pino am 23. November 1882 über den Bericht des Gewerbeausschusses des Abgeordnetenhauses im Ministerrat referierte, meinte er abschließend, dass es, sollte diese Parlamentskammer die bisher ausgesparten Themen der Gewerbeordnungsnovelle, Hauptstück VI über die Hilfsarbeiter, zur Sprache bringen, „gut wäre, zu sagen, dass die Regierung dieses Kapitel sowie das der Fabriksinspektoren in Behandlung zu nehmen bereit sei“. ℹ️Voraussetzung sei allerdings „die Einbringung eines Gesetzes über die Haftpflicht bei Unfällen“306. Außerdem kündigte er eine Enquête „behufs der Beratung der Prinzipien für Invaliditätsversorgung der Arbeiter“ an307. Elf Tage später legten der Leiter des Justizministeriums Pražák und der Sektionsrat im Justizministerium Emil Steinbach das Memorandum „Zur Haftpflichtfrage“ vor308. Alle Minister erkannten die Notwendigkeit einer Haftpflicht der Unternehmer bei Unfällen an, nur Falkenhayn hielt sie „für eine Frage, die bei uns insoferne noch nicht reif für eine Regelung im Wege der Gesetzgebung sei, als in den Massen das Bedürfnis nach einer solchen Einrichtung noch nicht empfunden werde“309. Zudem solle man, „anstatt sich diesfalls [an di]e deutsche Gesetzgebung an[zule]hnen“, sich „das bei uns schon eingelebte und bewährte Institut der Bruderladen, welches die fraglichen Versorgungszwecke bei den Gewerkschaften schon jetzt nahezu vollkommen versieht, zum Vorbilde zu nehmen“. Doch mit dieser gegenüber dem Versicherungswesen skeptischen Position blieb der Ackerbauminister alleine. Allerdings verhinderte er, dass die zu seinem Ministerium ressortierenden Bergarbeiter in diese Reform gleich zu Beginn mit einbezogen wurden.

ℹ️Wieder wenige Tage später, am 13. Dezember, legte dann Falkenhayn einen Gesetzentwurf wegen Normierung von „Arbeitszeit und Sonntagsruhe bei Bergarbeitern“ vor310, ℹ️der auch „die Verwendung von jugendlichen Arbeitern und Frauenspersonen“ beschränkte. Diese Initiative des Ackerbauministers fiel in eine Zeit von Streikbewegungen, die beispielsweise auch am 30. April 1882 in einem Ministerrat unter Vorsitz des Monarchen angesprochen wurden311. Dem Gesetzentwurf stimmten die Minister ohne große Diskussion zu. Zuvor hatte sie Pino auf deren „ganze Tragweite“ aufmerksam gemacht; denn für den Handelsminister stand außer Frage, dass „es in der Folge nicht möglich sein werde, einer Festsetzung der Arbeitszeit und der Sonntagsruhe auch hinsichtlich der übrigen Arbeiter auszuweichen“, und indem die Regierung „den vorliegenden Entwurf einbringe, sich damit zugleich schon für die gedachte weitere Reform engagiere“. Der Gesetzentwurf Falkenhayns wurde, nach Zustimmung des Monarchen, umgehend in das Abgeordnetenhaus eingebracht und konnte – nach längeren Diskussionen im Parlament – am 21. Juni 1884 sanktioniert werden312. Darauf fügte Pino entsprechende Regelungen auch in die Novelle des Sechsten Hauptstückes der Gewerbeordnung ein313.

ℹ️Ebenfalls zu den sozialen Maßnahmen gehören die Novellen der Personensteuern (Erwerbsteuer, Aktiensteuer, Rentensteuer und Personaleinkommensteuer)314. Weil aber „eine angemessene Erhöhung der Staatseinnahmen zur Deckung der an die Finanzen herantretenden, unabweislichen erhöhten Anforderungen“ erzielt werden musste, stellte sich der Regierung auch die Frage, ob die Steuerträger „eine solche Erhöhung gleichmäßig vertragen oder nicht“315. Somit wurde die Steuerfrage durchaus auch als soziale Frage aufgefasst. Es war Landesverteidigungsminister Welsersheimb, der diesen Sachverhalt in der Beratung über die große Reform der Personensteuern am zweiten Tag der Debatte, am 30. November 1882, in aller Deutlichkeit zum Ausdruck brachte, sodass seine Ausführungen kommentarlos stehen gelassen werden können:

ℹ️Der Standpunkt des Ministers für Landesverteidigung sei:
ℹ️a) Trachten, die Besteuerung möglichst ergiebig zu machen, nicht nur, um laufende Erfordernisse zu decken, sondern auch Kredit für Kriegszeiten zu sparen.
ℹ️b) Vorsorge zu treffen, dass die schwere Belastung der Steuerträger in einer Weise geregelt werde, damit nicht die Begünstigung der Herrschaft des Kapitalismus eine Bewegung fördere und zu Krisen führe, in welchen die bewaffnete Macht gegen die eigene Bevölkerung zur Bekämpfung einer Frage gebraucht werden müsste, welche durch Waffengewalt doch nimmermehr zu lösen sein wird.316

c) Landwirtschaftliche Themen

ℹ️Eine besondere Reformtätigkeit legte die Regierung Taaffe auf landwirtschaftlichem Gebiet an den Tag. Viele Landesgesetze wurden abgeändert oder neu beschlossen. ℹ️Nachdem ein cisleithanienweites Binnenfischereigesetz vom Reichsrat nicht umgesetzt wurde – es sollte erst 1885 zustande kommen317 – wurde die Binnenfischerei über Landesgesetze geregelt. Diese kamen in 14 Tagesordnungspunkten zur Sprache318; ℹ️achtmal standen Landesgesetze für Wildschonung auf der Tagesordnung319, ℹ️siebenmal zu Aufforstungen oder den Forstschutz, ℹ️fünfmal zu Jagdkarten, ℹ️viermal zum Feldschutz, dreimal zur Unkrautbekämpfung320 und ℹ️dreimal Gesetze zur Bekämpfung der Phylloxera, der Reblaus. ℹ️Drei Tagesordnungspunkte beschäftigten sich mit der Viehzucht, zwei davon sind wegen eines Landesgesetzes für Istrien über „das Halten und Weiden von Ziegen“ erhalten321.

ℹ️Ein Thema, das die Regierung Taaffe von ihrer Vorgängerin übernommen hatte, war ein Gesetzeskomplex zur Tierseuchenbekämpfung. Dieser Komplex bestand aus drei Gesetzen, von denen der Reichsrat in seiner 1879 endenden V. Legislaturperiode nur zwei erledigen konnte. Das vom Reichsrat votierte Gesetz zur Desinfektion von Eisenbahnwagen und Schiffen nach Viehtransporten erhielt am 19. Juli 1879 die kaiserliche Sanktion322. Auch das Gesetz „betreffend die Abwehr und Tilgung ansteckender Thierkrankheiten“ nahm der Reichsrat an323, es wurde allerdings zunächst Franz Joseph nicht zur Sanktion vorgelegt324. Ein Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Rinderpest blieb allerdings unerledigt und wurde von der Übergangsregierung Stremayr wieder zurückgezogen325, dann aber von der Regierung Taaffe dem neuen Reichsrat wieder vorgelegt, der es nun schnell erledigte. Es wurde darauf gemeinsam mit dem bereits 1879 vom Reichsrat votierten Tierseuchengesetz am 29. Februar 1880 sanktioniert326.

ℹ️Allerdings ergab sich das Problem, dass die angedrohten Höchststrafen bei Verletzung der Seuchenbestimmungen zu hoch waren, um als – im rechtlichen Sinne – Übertretungen zu gelten, sie mussten als Vergehen eingestuft werden. Daher waren auch nicht die Bezirks- sondern die Landes- und Kreisgerichte erstinstanzlich zuständig. Und dies wieder führte zu einer Überlastung ebendieser Gerichte. So wurden im ersten Dreivierteljahr nach Inkrafttreten des Gesetzes 5.326 Anzeigen aufgrund der Viehseuchengesetze erstattet, davon 2.032 alleine in Wien327. Um nun die Landes- und Kreisgerichte zu entlasten, wurde in einer Novelle der Staatsanwaltschaft das Recht zugestanden, Fälle auch an Bezirksgerichte zu überweisen, mit der Folge, dass dann die Höchststrafen entsprechend reduziert werden mussten. Diese Änderung der beiden Viehseuchengesetze wurde am 24. Mai 1882 sanktioniert328.

ℹ️Die neuen Viehseuchengesetze machten auch eine Reform des Zentralviehmarktes St. Marx in Wien notwendig329. Zur Führung der Fleischkassa stand die Regierung in Verhandlung mit der kurz zuvor gegründeten Länderbank, die allerdings „zur Führung der Geschäfte der Wiener Vieh- und Fleischmarktkassa auch eine besondere Aktiengesellschaft“ gründen können wollte. Dieser Wunsch führte im Ministerrat zu Diskussionen330. Eine Entscheidung kam 1882 nicht zustande, die Beratungen setzten sich in den folgenden Jahren fort331.

ℹ️d) Länderbank und Postsparkasse, zwei neue Geldinstitute

In die Anfangsjahre der Regierung Taaffe fiel die Gründung zweier bedeutender Geldinstitute. Am 15. Oktober 1880 erhielt die französische Société de l’Union générale die Bewilligung zur Gründung der k. k. privilegierten Länderbank332. Ihre Bewerbung um die Führung der Fleischkassa am Wiener Zentralviehmarkt in St. Marx beschäftigte den Ministerrat, wie im vorstehenden Abschnitt dargestellt wurde.

Das andere Geldinstitut war die Postsparkasse, die mit dem Gesetz vom 28. Mai 1882 gegründet wurde333. Dieses Institut unterstand dem Handelsministerium und diente kleineren Anlegern334. So war die Höchstsumme der Einlagen 300 Gulden und einschließlich nicht abgehobener Zinsen und Zinseszinsen 1.000 Gulden335. Im Verordnungsweg wurde die konkrete Umsetzung des Gesetzes geregelt336 und am 9. Jänner 1883 Adolph Fürst Schwarzenberg als Vorsitzender des Beirates zum Präsidenten des Postsparkassenamtes ernannt337. 1883 setzten sich die Beratungen über weitere Regelungen dieses Amtes fort338.

e) Die mit Ungarn gemeinsame Außenhandelspolitik

ℹ️Mit der Sanktionierung des Wirtschaftsausgleichs zwischen Cisleithanien und Ungarn am 27. Juni 1878339 war das gemeinsame Zollgebiet für zehn Jahre, bis Ende 1887, verlängert worden. Daher mussten sich beide Teile der Monarchie auf eine gemeinsame Außenhandelspolitik und damit auf ein gemeinsames Vorgehen gegenüber den Handelspartnern einigen. Der Wirtschaftsausgleich von 1878 bedeutete auch eine Kehrtwende von der zuvor betriebenen Freihandels- zu einer Schutzzollpolitik. ℹ️Die Freihandelspolitik beruhte auf individuellen Handelsabkommen mit anderen Staaten, sodass die Zollsätze für dieselben Waren in der Ein- und Ausfuhr je nach Staat variierten. Oft wurde einem Handelspartner die sogenannte Meistbegünstigungsklausel, also die Zollsätze des Staates mit den meisten Begünstigungen gewährt. Einem allgemeinen Zolltarif waren nur jene Staaten unterworfen, mit denen gar keine Handelsabkommen bestanden. Er diente sozusagen als Strafzoll. ℹ️Im Gegensatz zum Freihandel baute eine Schutzzollpolitik gerade auf dem allgemeinen Zolltarif auf, der damit von der Ausnahme zur Regel wurde. In den Diskussionen rückte dieser allgemeine Zolltarif daher ins Zentrum des Interesses.

ℹ️Der seit 1868 mit dem Norddeutschen Bund bzw. ab dessen Gründung mit dem Deutschen Reich bestehende Handelsvertrag war Ende 1877 ausgelaufen340. Für 1878 wurde er provisorisch verlängert341, während für 1879 ein neuer Handelsvertrag geschlossen wurde, der jedoch auch nur ein Jahr in Kraft bleiben sollte342. Ursache für die provisorischen Regelungen war, dass die Interessen beider Staaten weit auseinanderlagen343 und keinen definitiven Kompromiss zuließen344. Ein wesentlicher Aspekt der Abmachungen mit Deutschland waren die Verhandlungen mit Ungarn über das weitere Vorgehen. Diese Beratungen mit Ungarn beschäftigten die Regierung Taaffe intensiv345. Der auf ein Jahr befristete Handelsvertrag vom 16. Dezember 1878 wurde abermals, wenn auch nur teilweise, für ein weiteres halbes Jahr verlängert346, danach trat an die Stelle dieses Handelsvertrages eine einjährig befristete Handelskonvention, die aber nur die Verlängerung prolongierte347. Erst am 23. Mai 1881 kam dann ein neuer Handelsvertrag zustande, der mit 1. Juli 1881 in Kraft trat und bis Ende 1887, also dem Ende des österreichisch-ungarischen Zoll- und Handelsbündnisses, befristet war348.

ℹ️Besonderen Wert legten Österreich-Ungarns Regierungen auf die Abschaffung des sogenannten Veredlungsverkehrs. Damit wurde die Möglichkeit bezeichnet, ausländische Rohstoffe oder Halbfabrikate zollfrei ins Land zu lassen, um sie hier weiterzuverarbeiten – zu „veredeln“, wie es genannt wurde – und dann in einer bestimmten Frist wieder ins Ausland auszuführen. Da weitaus mehr Rohstoffe/Vorprodukte Österreich-Ungarns in Deutschland weiterverarbeitet wurden als umgekehrt, wirkte diese Regelung netto als Hemmnis besonders der cisleithanischen Industrie. Auf Wunsch der Monarchie wurde daher im Handelsvertrag von 1881 der über Erlaubnisscheine abgewickelte Veredlungsverkehr mit 31. Dezember 1881 abgeschafft, diese Frist dann aber noch bis Ende 1882 verlängert349. Der Veredlungsverkehr ohne Erlaubnisschein, der sogenannte „kleine Veredlungsverkehr“, blieb aber weiterhin aufrecht350. Ende 1882 wollte Cisleithanien auch den kleinen Veredlungsverkehr auslaufen lassen. Der Wunsch, ein entsprechendes Gesetz dem Reichsrat vorzulegen, scheiterte jedoch, weil Ungarn auf einer Regelung im Verordnungsweg bestand. Aber auch diese Verordnung kam nicht zustande, „weil die ungarische Regierung schließlich auch einer solchen verordnungsweisen Anordnung nicht zugestimmt habe“351. Der kleine Veredlungsverkehr blieb daher auch über 1882 bestehen352.

ℹ️In jeweils nur einer Sitzung besprach der Ministerrat die Handelsverträge mit Spanien, Frankreich und Italien353. Ein Salzlieferungsvertrag mit Montenegro354 stand ebenso auf der Tagesordnung wie ein Handelsvertrag und eine Donau-Schifffahrtskonvention mit Serbien355.

ℹ️Was die neuen von den alten Handelsverträgen unterschied, war das Fehlen von Zollbestimmungen. Die Handelsverträge regelten nur mehr Verfahrensfragen bei Streitigkeiten, gewisse Ausnahmeregelungen wie den Marktbesuch und Ähnliches. Die Zollsätze wurden generell in allgemeinen, für alle Staaten gültigen Zolltarifen geregelt. Dies erlaubte nunmehr eine gezielte Schutzpolitik für die heimische Produktion und gab die Möglichkeit, die Zollsätze aller Güter jederzeit zu ändern, ohne dabei Handelsverträge kündigen zu müssen. Bereits mit dem Wirtschaftsausgleich von 1878 war auch der allgemeine Zolltarif neu geregelt worden356, doch erwiesen sich seine Sätze für eine tatsächliche Schutzzollpolitik in den Folgejahren als nicht ausreichend, da Ungarn zu diesem Zeitpunkt noch für Industriegüter auf relativ geringen Sätzen und bei vielen Rohstoffen und landwirtschaftlichen Produkten auf der Zollfreiheit bestand. Daher begannen bald darauf Verhandlungen zwischen beiden Regierungen zur Revision des allgemeinen Zolltarifs, deren Ergebnis dann den beiden Parlamenten vorgelegt wurde357.

ℹ️Der neue Zolltarif sollte auch die eigenen Adriahäfen fördern, denn ein Großteil der Kolonialwaren kam bisher via Hamburg in die Monarchie. Um nun den Import in die eigenen Häfen zu verlagern, wurde für solche Importgüter ein Zollnachlass (Detaxe) zugestanden. Bei Kaffee ergaben sich jedoch zwischen den cisleithanischen und den ungarischen Interessen Differenzen. Weil der Zollsatz für Kaffee von 24 auf 40 Gulden für 100 kg sehr deutlich erhöht worden war358, bemühte sich der Zolltarifausschuss des Abgeordnetenhauses, im Gegenzug zumindest die Detaxe anzupassen. Statt drei Gulden für 100 kg Kaffee, auf die sich die beiden Regierungen geeinigt hatten, wollte das Abgeordnetenhaus fünf Gulden Nachlass. Am 17. April 1882 meinte Pino noch erwartungsvoll: „Vielleicht gehe Un[g]arn nur ein gegen ein weiteres Äquivalent, nachdem [vo]m ursprünglich begehrten Vollzoll abgegangen wurde und Ungarn bisher als Äquivalent nur eine Detaxe für rohen Reis erhalten habe. Die Sache werde also bei der morgigen Verhandlung mit den ungarischen Ministern entschieden werden müssen.“359 Doch sollte es bei der Kaffee-Detaxe von drei Gulden bleiben.

ℹ️Gerade die Zollnachlässe bei Einfuhr über die eigenen Adriahäfen bewog Außenminister Kálnoky, sich gegen sie auszusprechen, weil „bei einer solchen Stellungnahme gegenüber den Interessen Deutschlands unsere politischen Beziehungen zu Deutschland leiden dürften“360. Dieser Einwand änderte aber nichts an der Entscheidung. Der Zolltarif wurde nach der Zustimmung des Reichsrates – und des ungarischen Reichtages – einschließlich der entsprechenden Zollnachlässe bei der Einfuhr über See am 25. Mai 1882 vom Monarchen sanktioniert361.

ℹ️Ein weiteres den Außenhandel betreffendes Thema bezog sich auf das gemeinsame Zollgebiet an sich, denn die Grenzen Österreich-Ungarns waren nicht mit denen des Zollgebietes deckungsgleich. So bestanden mehrere Zollausschlüsse. Brody als Grenzstadt zu Russland und mehrere Adriahäfen waren nicht in das Zollgebiet integriert. Weiters bildete Dalmatien mit den Quarnerischen Inseln ein eigenes Zollgebiet, und schließlich lag auch das okkupierte Bosnien-Herzegowina noch außerhalb des gemeinsamen Zollgebietes. Alle diese Gebiete wurden mit Ausnahme der Hafenstädte Triest und Fiume, die weiterhin außerhalb des Zollgebietes blieben, nun in das österreichisch-ungarische Zollgebiet aufgenommen362: die Zollausschlüsse363, Dalmatien364 und Bosnien-Herzegowina365.

ℹ️Die mit Ungarn gemeinsame Außenhandelspolitik war somit geprägt durch die Verhandlungen für einen Handelsvertrag mit Deutschland, die Erneuerung des allgemeinen Zolltarifs und die Vereinigung fast aller Gebiete Österreich-Ungarns in ein gemeinsames Zollgebiet.

Infrastrukturpolitik

ℹ️Am 18. November 1879 beschäftigte sich die Regierung mit der prinzipiellen Ausrichtung ihrer Eisenbahnpolitik366. Dabei handelte es sich zum einen um die „Frage der Verstaatlichung der Eisenbahnen“ und zum anderen um die „Frage der Sekundärbahnen“. Auch wenn die Regierung Auersperg in beiden Fällen bereits die Weichen in die nun einzuschlagende Richtung gestellt hatte, so bedeutete die Politik des Kabinetts Taaffe mit deren Umsetzung doch einen Bruch gegenüber der Vorgängerregierung.

a) Übernahme der Verwaltung und Einlösung von Privatbahnen durch den Staat

ℹ️1854 hatte Österreich beschlossen, sich aus finanziellen Gründen aus dem staatlichen Bahnbau zurückzuziehen. Gleichzeitig hatte es begonnen, die im Staatsbesitz befindlichen Bahnlinien zu privatisieren. Am 1. Jänner 1855 wurden die ersten Linien an die (private) Staatseisenbahn-Gesellschaft verkauft, und mit der Veräußerung der gerade fertiggestellten Linie Wien–Triest an die Südbahn-Gesellschaft wurde 1858 dieser Prozess abgeschlossen. Um die Motivation privater Investoren zu steigern, sowohl Staatsbahnlinien zu kaufen als auch neue Strecken zu bauen, bot der Staat den privaten Betreibern und Investoren verschiedene Begünstigungen: eine 90- statt zuvor 50-jährige Privilegiumsdauer, diverse Steuer- und Gebührenbefreiungen – z. B. beim Erwerb der Trassen – und Zollreduktionen für Güter des Eisenbahnbedarfs367. Im Zentrum aber stand eine Zinsgarantie von 5%, die der Staat in Form eines Darlehens der Bahngesellschaft über deren Verlangen zahlen musste, wenn die Gewinne der Bahn unter einer solchen 5%igen Dividende blieben. Spätere Gewinne der Gesellschaft über 5% sollten dann zur Rückzahlung der Staatsdarlehen verwendet werden368. Nachdem ab dem Börsenkrach 1873 die Bahnen teilweise defizitär arbeiteten, musste der Staat den Bahngesellschaften größere Zinsgarantiedarlehen zahlen. Ende 1878 hatte der Staat insgesamt 148 Millionen Gulden an Darlehen für Zinsgarantien vergeben, zudem waren 24,5 Millionen Gulden an Zinsen angefallen, die die Gesellschaften wegen fehlender Einnahmen noch nicht hatten begleichen müssen, sodass die Gesellschaften dem Staat 172,5 Millionen Gulden oder über 23.000 Gulden pro Eisenbahnkilometer schuldeten.

ℹ️Da vollkommen unklar war, wann dieser Zustand enden würde, zog die Regierung Auersperg 1877 mit dem sogenannten Sequestrationsgesetz die Notbremse369. Dieses Gesetz ermöglichte es der Regierung, Privatbahnen in Staatsverwaltung zu übernehmen. Bei Bahnen, die sich über die Dividendenaufstockung auch die Bedeckung von Betriebskostenabgängen vom Staat hatten zahlen lassen, war die Regierung dazu unmittelbar berechtigt (§ 2), bei Bahnen, die „mehr als die Hälfte des garantierten Reinerträgnisses jährlich in Anspruch genommen“ hatten, wenn die Gesellschaft dies fünf Jahre hintereinander getan hatte (§ 4). Zudem musste die Regierung seit Beginn der 1870er Jahre mehrfach den Bau von im Staatsinteresse gelegenen Strecken insolventer Bahngesellschaften selbst ausführen370. Das Streckennetz der Staatsbahnen, das 1870 lediglich 13 km betragen hatte, war auf diese Weise bis Ende 1878 auf 876 km angewachsen371.

ℹ️Doch obwohl die Privatgesellschaften die Zinsgarantie weiter in Anspruch nahmen, unternahm die Regierung Auersperg wenig, um das Sequestrationsgesetz auch praktisch anzuwenden. Lediglich die niederösterreichische Südwestbahn, die Süd- und Westbahn miteinander verband, war vom Staat 1878 übernommen worden372.

ℹ️Diese Politik änderte sich nun mit der Regierung Taaffe nach „der Annahme des Prinzips der Verstaatlichung der Eisenbahnen“373 grundlegend. Nun begannen Beratungen wegen der Übernahme der Kronprinz-Rudolf-Bahn374 und der Erzherzog-Albrecht-Bahn375 in staatliche Verwaltung, die dann 1884 gesetzlich geregelt wurden. Die Verwaltung der Kaiserin-Elisabeth-Westbahn wurde hingegen schon 1881 der cisleithanischen Regierung übertragen, und gleichzeitig wurde über deren Ankauf verhandelt376. Dass mit dem Gesetz vom 23. Dezember 1881 lediglich von einer „eventuellen Einlösung“ die Rede war, lag an der ungeklärten Frage der Rückzahlung der Prioritätsobligationen. Bevor die Elisabethbahn tatsächlich in Staatsbesitz überging, sollte die private Bahngesellschaft die Differenzen mit den Gläubigern klären377. Bis zu einem solchen – für Cisleithanien zufriedenstellenden – Abkommen zwischen der Betreibergesellschaft und den Besitzern der Prioritätsobligationen blieb die Übernahme in den Staatsbesitz offen. Mit der Übernahme der Verwaltung der Bahn bediente die Regierung auch die jährlichen Dividendenzahlungen in Höhe von fünf Millionen Gulden sowie alle Zins- und Schuldrückzahlungen. Spätestens 1911 musste die Bahn dann in den Staatsbesitz übergehen, und ab 1912 waren die Aktien über 40 Jahre sukzessive einzulösen, wofür Jahresausgaben von etwa vier Millionen Gulden veranschlagt waren. Um die Jahresbelastung bis 1911 zu senken, arbeiteten Handels- und Finanzminister einen alternativen Tilgungsplan aus, der aber schließlich durch höhere Zahlungen in den späteren Jahren zu einer Gesamtmehrbelastung von 51 Millionen Gulden führte378. Wegen der Meinungsverschiedenheit zwischen dem Handelsministerium, das diese Änderung im Verordnungsweg in Kraft setzen wollte, und dem Finanzministerium, das meinte, die Angelegenheit müsse durch ein Gesetz geregelt werden, kam dieses Abkommen aber zunächst nicht zustande. Es wurde erst 1890 im Gesetzgebungsweg umgesetzt379.

ℹ️Nachdem sich die Regierung prinzipiell für ein Staatsbahnsystem entschieden hatte, stellte sich ihr mit der Kaiserin-Elisabeth-Westbahn als erster größerer Linie unmittelbar die Frage, wie zukünftig diese Staatsbahnen organisiert werden sollten380. Ein Diskussionspunkt war, ob die gesamte Betriebsorganisation zentral von Wien aus oder dezentral von lokalen Direktionen mit einer nur koordinierenden Oberbehörde erfolgen sollte381. Einer definitiven Lösung wurde diese Frage 1882 noch nicht zugeführt382. ℹ️Zunächst errichtete man eine Direktion für den Staatseisenbahnbetrieb, ℹ️zu deren Präsident – und zum Sektionschef extra statum im Handelsministerium – der vormalige Generaldirektor der Kaiserin-Elisabeth-Westbahn, Czedik, ernannt wurde383. Da der Staat diese Bahngesellschaft aber noch nicht definitiv erworben hatte, blieb sie weiterhin eine private Gesellschaft und in ihrem Verwaltungsrat saß auch Czedik. Da er aber als Präsident der Direktion für den Staatseisenbahnbetrieb nun im Staatsdienst stand, „müsste er in Gemäßheit der Ah. Anordnung vom 5. November 1859 die Verwaltungsratsstelle niederlegen“. Allerdings, so erklärte Pino seinen Kollegen am 15. November 1882, „erscheine es aber im staatlichen Interesse förderlich, wenn Czedik fortan im Verwaltungsrate bleibe, weil er daselbst als Vertrauensmann der Regierung und wegen seines Einflusses bei einer Reihe von noch zu regelnden Verhältnissen gute Dienste leisten könne“384. Aus diesem Grund durfte Czedik trotz seines Beamtenstatus im Verwaltungsrat der Kaiserin-Elisabeth-Westbahn bleiben385.

ℹ️Um den Privateisenbahngesellschaften generell die Umwandlung ihrer alten in neue Eisenbahn-Prioritätsobligationen zu erleichtern, wurden die Gesellschaften von den Gebühren für die neu auszugebenden Obligationen und Urkunden befreit386. Dieses Gesetz war allerdings bis Ende 1881 befristet und wurde im Anschluss nicht unmittelbar verlängert. Erst am 15. November 1882 beantragte Finanzminister Dunajewski ein neues Gesetz, weil „die Verhältnisse, welche zu [diesem Gesetze den Grund lieferte]n, [n]och fortdauern und durch die Gebührenerleichterungen insbesondere auch Schwierigkeiten bei den Verhandlungen über Verstaatlichung von Eisenbahnen beseitigt werden“387. Zudem sollten mit dem neuen Gesetz die Bedingungen zur Umwandlung weiter erleichtert werden. Dem stimmte der Ministerrat zu, und Dunajewski konnte seinen bereits eine Woche zuvor fertiggestellten Gesetzentwurf Franz Joseph mit der Bitte vorlegen, den Entwurf in den Reichsrat einbringen zu dürfen. Dazu wurde der Finanzminister kurz darauf vom Monarchen ermächtigt388.

ℹ️Auch mit der Österreichischen Staatseisenbahn-Gesellschaft stand die Regierung in Verhandlung, aber ursprünglich nicht wegen einer Einlösung, sondern einer Vereinigung dieser Bahn mit der ihr gehörenden Brünn–Rossitzer Bahn389. Als Gegenleistung wurde von der Bahngesellschaft eine Statutenänderung gefordert, deren Ziel es war, sie zu einer „Verzichtleistung auf die Staatsgarantie oder mindestens ein Zugeständnis hinsichtlich der Verminderung derselben“ sowie dazu zu bewegen, „dass in Zukunft nicht mehr sowohl Inländer als Ausländer, sondern nur Inländer (Staatsbürger der beiden Ländergebiete der Monarchie) im exekutiven [Eisenba]hndienste der Gesellschaft [sol]lten verwendet werden können“390. Das Recht ausländischer Gesellschaftsbeamter war der Bahn 1855 eingeräumt worden, da sie mehrheitlich in französischem Besitz war.

ℹ️In diese Verhandlungen platzte die Nachricht, dass Ungarn kurz vor einem Abkommen mit der Staatseisenbahn-Gesellschaft stehe, das es Ungarn erlaubte, die dort gelegenen Linien der Gesellschaft bereits 1895 einlösen zu können, obwohl das 1855 erteilte Privilegium eigentlich eine Dauer von 90 Jahren hatte. Von diesem ungarischen Alleingang wurde die cisleithanische Regierung sichtlich überrumpelt. Handelsminister Pino konnte „begreiflicherweise zur Sache nicht Stellung nehmen, bevor er sich nicht über Inhalt und Tragweite der fraglichen Vereinbarungen Aufklärung verschafft hatte“ und erst „nachdem von Seite der ungarischen Regierung mit [] [Prä]liminarvertrag mi[tgeteilt] wurde, wurde der Gegenstand im Handelsministerium studiert“391. Verärgert überlegten die Minister in Wien, durch eine Verweigerung ihrer Zustimmung den Vertrag zu verhindern, entschieden sich aber schließlich dafür, ihm „zuzustimmen unter einzelnen Ablehnungen und unter Bedingungen für unsere Interessen“. Aufgrund dieses ungarischen Abkommens nahm die Gesellschaft dann den Namen „Österreichisch-Ungarische Staatseisenbahn-Gesellschaft“ an392. Nun stellte Pino gegenüber der Bahngesellschaft als neue Forderung auf, die cisleithanischen Linien der Bahn ebenfalls bereits 1895 einlösen zu können. Auf dieser Basis kam dann ein Protokollar-Übereinkommen mit der Gesellschaft zustande, das den Forderungen der Regierung weitgehend entsprach, insbesondere in der Frage des prinzipiellen Einlöserechts ab 1895. Nur in der Frage der Anstellung ausländischer Beamter wollte „die Gesellschaft lieber vom ganzen Übereinkommen abstehen, als in die Änderung“ einzugehen393.

ℹ️Als Pino die Diskussionen mit Ungarn über dessen Abkommen mit der Staatseisenbahn-Gesellschaft im Ministerrat referierte, kritisierte er letztlich die auf das Privatbahnsystem setzende Eisenbahnpolitik Österreichs seit 1854, die Cisleithanien ab 1867 fortgesetzt hatte. Ungarn, das bereits 1867 wieder in den Staatseisenbahnbau eingestiegen war, besaß ein deutlich größeres Staatsbahnnetz (1.133 km im Jahr 1875 und 4.212 km im Jahr 1886394) als Cisleithanien mit seinen (1882) weniger als eintausend Kilometern, das gerade erst wieder mit einer gezielten Staatsbahnpolitik begonnen hatte. „Ungarn könne aber vermöge der Kraft, die ihm der Besitz eines ausgedehnten Staatsbahnnetzes verleiht“, die Staatsbahn-Gesellschaft „zu gewissen Vertragsabmachungen zwingen“, führte Pino aus. Cisleithanien hingegen „habe diese Kraft nicht und könnte daher, solange sie nicht ein entsprechendes Netz von Staatsbahnen in Händen habe, nicht in gleicher Weise auftreten“395. Insbesondere konnte Ungarn dadurch seine Interessen in der Tarifpolitik auch bei den Privatbahnen für deren Strecken in Cisleithanien durchsetzen.

b) Der Bau neuer Staatsbahnlinien

ℹ️Ein weiteres Thema der neuen Staatseisenbahnpolitik betraf den Bau neuer Linien als Staatsbahnen. 1879 schlugen Versuche fehl, für den Bau der Arlbergbahn als Verbindungslinie zwischen den Tiroler Linien der Südbahn und der privaten Vorarlberger Bahn ein Konsortium unter Beteiligung von Schweizer und französischem Kapital zustande zu bringen396. ℹ️Ungarn verlangte für die Zustimmung zum Bau Kompensationen in Form der Erhöhung der Zucker- und Petroleumsteuer sowie Konzessionen beim deutschen Handelsvertrag397. ℹ️Daher entschloss sich die Regierung, die Arlbergbahn auf eigene Kosten als Staatsbahn zu bauen398. Der Bau wurde schnell in Angriff genommen, sodass „wegen der großen Fortschritte, die der Bau der Arlbergbahn genommen habe, ein Nachtragskredit von zwei Millionen [Gulde]n pro 1882 erforderlich sei“399. Ohne die bewilligte Gesamtsumme zu erhöhen, wurde die für dieses Jahr freigegebene Summe von 5,5 Millionen Gulden400 auf 7,5 Millionen erhöht401. Im Zusammenhang mit dem Bau der Arlbergbahn stand auch die Übernahme der privaten Vorarlberger Bahn in den Staatsbetrieb am 1. Juli 1882, für den „angesichts der baldigen Vollendung der Arlbergbahn der geeignete Zeitpunkt“ gekommen war402.

ℹ️Noch in der 1879 endenden V. Legislaturperiode forderte der Abgeordnete Sigmund Ritter v. Kozłowski von der Regierung Aufklärung, warum sie den 1872 und 1873 durch Gesetze beschlossenen Ausbau des westgalizischen Eisenbahnnetzes403 nicht umsetze. Die Antwort des damaligen Handelsministers Chlumetzký war noch ganz im Stil der alten Privatbahnpolitik gehalten. Die für den Bau eingeräumten Begünstigungen seien „nicht so geartet gewesen, um Unternehmungen, welche die volle Gewähr für die entsprechende Ausführung des Baues geboten hätten, zu einer ernsten Concessionswerbung zu veranlassen“, besonders weil „jede Belastung des Staatsschatzes mit neuen Garantieleistungen thunlichst zu vermeiden“ sei404. Zu Beginn der neuen Legislaturperiode forderte Kozłowski die Regierung erneut auf, den Eisenbahnbau in Galizien zu intensivieren405. Der Druck dazu wurde mit der Forderung polnischer Abgeordneter „als Preis für die Zustimmung zur Arlbergbahn“ erhöht406. Unmittelbar nach Sicherstellung des Baus der Arlbergbahn beschäftigten daher mehrere große galizische Eisenbahnprojekte den Ministerrat.

ℹ️Dazu gehörte besonders die „galizische Transversalbahn“. Dieses Bauprojekt war im eigentlichen Sinne keine geschlossene Transversalbahn, es handelte sich vielmehr um den Bau der dazu noch fehlenden Teile. Mit dem Bau der Strecken Saybusch–Neusandec, Grybów–Zagórz und schließlich Stanislau–Husiatyn sollte eine durchgehende Eisenbahnlinie durch das südliche Galizien von der mährischen bis zur russischen Grenze entstehen. Bereits 1872 und 1873 – mit einer etwas anderen Streckenführung – wurde der Regierung die Ermächtigung erteilt, besondere Begünstigungen anzubieten, um Privatinvestoren für den Bau zu finden407. Der Ausführung machte jedoch der Börsenkrach 1873 einen Strich durch die Rechnung, einmal, weil nun das Kapital fehlte und zum anderen, weil die Regierung Adolph Auersperg weder Mittel noch Interesse hatte, den Eisenbahnbau durch Gewährung von Zinsgarantien zu fördern. Daher kam dieses Projekt nicht zur Ausführung.

ℹ️1880 wurde ein neuer Anlauf zum Bau der Bahn unternommen. Die erste Beratung im Ministerrat beschäftigte sich mit „Begünstigungen seitens des Landes Galizien hinsichtlich des Ausbaues der galizischen Transversalbahn408. Es folgten Diskussionen um das in den Reichsrat einzubringende Gesetz409. Vermutlich war ein Gegenstand der Debatte die Frage, ob die Strecken als Privatbahn oder als Staatsbahn zu bauen seien. Der mit Schreiben Pinos vom 4. April 1881 in den Reichsrat eingebrachte Gesetzentwurf sah in Artikel I auf jeden Fall den Weg der „Erteilung der Concession“ vor, zu deren Bau der Staat einen unverzinslichen Vorschuss von acht Millionen Gulden leisten wollte410. ℹ️Nachdem aber der Eisenbahnausschuss „gleich von vornherein den Staatsbau“ forderte, erklärte sich Pino „sofort mit der Änderung einverstanden und vertrat dieselbe auch im Parlamente“411. Der vom Ausschuss modifizierte Entwurf sprach dann auch davon, dass die Bahn „auf Staatskosten herzustellen“ sei412. ℹ️In diesem Sinne konnte Franz Joseph schließlich Ende 1881 das vom Reichsrat verabschiedete Gesetz ebenso wie ein galizisches Landesgesetz sanktionieren, das eine Beitragsleistung des Landes zum Bau der Bahn von einer Million Gulden und für die „Bedeckung der Auslagen für die Aenderung der Richtung und die Umlegung der öffentlichen nicht ärarischen Strassen“ von 100.000 Gulden zusagte413. Für das zu diesem Zweck aufzunehmende Landesanlehen wurden die Interimsscheine, Teilschuldverschreibungen und Kupons von der Stempelgebühr befreit414. Die Bedeutung der Transversalbahn lag besonders darin, dass sie die großen galizischen Erdölfelder verkehrstechnisch erschloss. An deren Anbindung an das Eisenbahnnetz hatte dann auch Ungarn großes Interesse. Vielleicht liegt darin der Grund, dass sich der Ministerrat bereits am 16. September 1881, also noch bevor die Bewilligung zum Bau der Transversalbahn parlamentarisch erledigt war, mit einem Streckennutzungsübereinkommen (Péagevertrag) dieser vorläufig nur projektierten Bahn mit der Ersten Ungarisch-Galizischen Eisenbahn beschäftigte415. Die Teilstrecken der Transversalbahn wurden zwischen 1884 und 1885 eröffnet.

ℹ️Am 16. Mai 1882 beriet der Ministerrat dann über die Frage, ob die Bauvergabe für die galizische Transversalbahn für jeden Arbeitsbereich an Einzelunternehmer im Wege von Einheitspreisen erfolgen, oder ob damit ein Generalvertreter beauftragt werden solle, der „das ganze Baugeschäft von der Grundeinlösung angefangen bis zur Fertigstellung der Bahn“ abzuwickeln habe416. Die Entscheidung fiel zugunsten eines Generalunternehmers, denn dies „vereinfache die staatliche Aufsicht, die bei der Vergebung an Einzelunternehmer einen teueren Aufsichtsapparat erfordere“. ℹ️Diese Entscheidung hatte ein juristisches Nachspiel. Denn der Abgeordnete Ignaz Ritter v. Kamiński strengte gegen Carl Freiherrn v. Schwarz, der als Generalunternehmer beauftragt worden war, eine Zivilklage auf Zahlung von 625.000 fl. an. Denn „es sei seinem Einflusse auf die maßgebenden Regierungsorgane gelungen, die Regierung zu bestimmen“, wie es der Antrag des Abgeordneten Joseph Kopp und Genossen für einen Untersuchungsausschuss gegen Kamiński formulierte, „die Regelung des Baues der Galizischen Transversalbahn im Wege der Generalunternehmung“ auszuschreiben. Zudem habe Kamiński Schwarz über die anderen Angebote informiert, „damit dieser das günstigste Offert stelle, ohne daß der Preis zu sehr gedrückt werde“417. Diese Affäre sollte den Ministerrat dann in den Jahren 1883 und 1884 beschäftigen418. Sie ist im Zusammenhang mit der Entscheidung des Ministerrates für die Bauvergabe über einen Generalunternehmer einerseits durch den Vorwurf der Beeinflussung der „maßgebenden Regierungsorgane“ interessant, andererseits dadurch, dass sich der Ministerrat dreimal mit der Veröffentlichung der Unterlagen, die Kamiński in seiner Zivilklage als Belege seiner Behauptungen beigelegt hatte, und mit der Veröffentlichung der Untersuchungsprotokolle beschäftigte419.

ℹ️Zu den großen Eisenbahnprojekten für Galizien gehörte ebenfalls der Bau von Anschlusslinien an die galizische Transversalbahn. Die Beratungen dazu begannen mit der „Frage der Sicherung der Eisenbahnlinie Saybusch–Czacza420. Nachdem der in das Abgeordnetenhaus eingebrachte Gesetzentwurf Ende April 1882 immer noch im Eisenbahnausschuss steckte, wurde die Regierung von höchster Stelle aufgefordert, Druck auf den Ausschuss auszuüben: „[Se. Majes]tät geruhen zu [beme]rken, dass Allerhöchstdiesel[be]n insbesondere auf die Abzweigungen der galizischen Transversalbahn Gewicht legen, weil dieselben in militärischer Hinsicht sehr wichtig seien.“421 Am 23. Mai 1882 sah sich Landesverteidigungsminister Welsersheimb „veranlasst, zur Anregung zu bringen, ob nicht dahin gewirkt werden könne, dass die Vorlage wegen der Herstellung von Abzweigungen der galizischen Transversalbahn noch in diesem Sessionsabschnitte zur Erledigung gebracht werde“422. Dem hielt jedoch Handelsminister Pino entgegen, dass es nicht möglich sei, die Sache „im [Abgeordnetenh]ause zu urgie[ren, wei]l es sich dabei, bei der [de]r Erledigung noch im jetzigen Sessionsabschnitte abgeneigten Stimmung des Liechtenstein’schen Klubs, leicht ereignen könnte, dass unmittelbar vor der Vertagung des Hauses die Regierungsmajorität gesprengt würde“. Das Gesetz wurde erst im folgenden Sessionsabschnitt mit dem Beitritt des Herrenhauses zum Abgeordnetenbeschluss erledigt und dann von Franz Joseph sanktioniert423.

ℹ️Ein drittes galizisches Eisenbahnprojekt war die Vollendung der bereits 1871 konzessionierten Eisenbahnlinie Lemberg–Stryi–Skole–Beskid424, die in Ungarn Anschluss an eine Bahnlinie nach Munkács finden sollte. Auch hier wurde wegen militärischer Interessen auf den Bau gedrängt. Aber da es sich um eine Verbindungsbahn zwischen Ungarn und Cisleithanien handelte, musste der Bau zunächst mit dem anderen Teil der Monarchie koordiniert werden. Ungarn schlug vor, dass die ungarische Nordostbahn-Gesellschaft „diese Bahn im Vereine mit einigen entsprechenden Anschlusslinien als gemeinsame Bahn zur Herstellung und zum Betriebe gegen eine von beiden Staaten zu leistende Zinsengarantie übernehme“425. Obwohl auch Kriegsminister Artur Graf v. Bylandt-Rheydt „dieses Projekt als bei der Stellungnahme der ungarischen Regierung einzig zum Ziele führend“ bezeichnete, ℹ️war es für die cisleithanische Regierung nicht annehmbar. Zum einen stehe es „im Widerspruche mit dem jetzt zur Geltung gekommenen Systeme“, dem Staatsbahnsystem, zum anderen aber würde dadurch Ungarn in die Lage versetzt, „[durch Lah]mlegung des Ve[rkehrs auf d]en galizischen Bahnen und namentlich der Transversalbahn den Verkehr von Osten her über Ungarn und nach der Richtung zur See auf dem kürzesten Wege über Fiume abzulenken“. Pino bevorzugte vielmehr, dass Cisleithanien „die galizische Teilstrecke als Staatsbau unter der Voraussetzung herstelle, dass auch von ungarischer Seite die Anschlusslinie gesichert werde“. Erst im nächsten Jahr behandelte der Ministerrat das Thema erneut426. Schließlich kam Anfang 1882 auch das Staatsbahnprojekt einer kurzen Linie von Triest nach Herpelje im Triester Hinterland zur Sprache427.

ℹ️Mit der Entscheidung der Regierung Taaffe zu einer Staatseisenbahnpolitik kam nach einem Jahrzehnt Stillstand wieder Bewegung in den Eisenbahnbau.

c) Das Lokalbahngesetz

ℹ️Am 13. Oktober 1879 stellte der Deutschliberale Heinrich Reschauer mit 33 weiteren Abgeordneten den Antrag zur Ausarbeitung eines Gesetzentwurfs, um in Gebieten, „die durch den Bau von Secundärbahnen dem ökonomischen Niedergange entrissen würden, die Herstellung solcher Bahnanlagen“ zu ermöglichen428. Dem zu diesem Zweck gewählten Eisenbahnausschuss wurde dann auch die mit Zuschrift von Handelsminister Korb vom 28. November 1879 in das Abgeordnetenhaus eingebrachte Regierungsvorlage „betreffend die Zugeständnisse und Begünstigungen für Localbahnen“ zugewiesen429. ℹ️Anlass für dieses Gesetz war zum einen die Tatsache, dass das Hauptbahnnetz „bis auf wenige zur Ergänzung erforderlichen Hauptlinien, welche voraussichtlich vom Staate mit bedeutendem Kostenaufwande herzustellen sein werden, nahezu als vollendet anzusehen ist“, und zum anderen, ℹ️dass sich das Kapital „von der Finanzirung und Durchführung größerer Eisenbahnunternehmungen fast ganz zurückgezogen hat“. Daher sei ein Interesse privater Investoren nur mehr „in jenen Fällen zu erwarten, wo diese Eisenbahnunternehmungen von den Interessenten nicht in der Absicht auf gewinnbringenden Handel mit den neu zu creirenden Effecten, sondern zunächst nur im Hinblicke auf die Errichtung bestimmter, selbstständiger Verkehrszwecke ins Leben gerufen werden, eine Voraussetzung, die füglich wohl nur bei Localbahnen mit geringeren, ganz oder zum Theile von den Interessenten selbst aufzubringenden Anlagekosten zutrifft“430. Anders formuliert, Privatinvestoren konnten nicht mehr für große Bahnprojekte gewonnen werden, weil aus der Spekulation mit Eisenbahnaktien zu wenig Gewinn zu erwarten war, sondern nur mehr für kleinere Bahnen, bei denen das Interesse des Investors stärker darauf lag, mithilfe der Bahn seine eigenen Unternehmen besser an das überregionale Bahnnetz anzubinden. Die Bahn sollte hier also weniger selbst die Dividende generieren als Mittel zum Zweck dafür sein, indem die neuen Linien die dadurch angebundenen Unternehmen profitabler machten.

ℹ️Dazu wurden zum einen technische und finanzielle Erleichterungen geschaffen: geringere Beschränkungen der Fahrtgeschwindigkeit als auf Hauptbahnen, Befreiung von Stempelgebühren für Verträge und Aktienausgabe und von der Erwerb- und Einkommensteuer für bis zu 30 Jahre. Außerdem waren Zuschüsse des Staates zum Bau möglich. Zinsgarantien gab es aber keine mehr. Das Gesetz wurde durch den Reichsrat angenommen und am 25. Mai 1880 sanktioniert431 und war bis 31. Dezember 1882 befristet. ℹ️Da beim Eisenbahnbau immer auch das Militär mitzureden hatte und den Bahngesellschaften teilweise sehr teure Verpflichtungen auferlegen konnte432, behandelte der Ministerrat auch „die Stellungnahme des Reichskriegsministeriums in Fällen von Ansuchen um Vorkonzessionen für Lokalbahnen“433. Die Verlängerung des Gesetzes bis Ende 1884 erfolgte mit Gesetz vom 26. Dezember 1882434.

ℹ️In der hier behandelten Periode beschäftigten sich 44 Tagesordnungspunkte mit Lokalbahnen, davon 20 mit Bahnen in Böhmen, zwölf in Mähren, je vier in Nieder- und in Oberösterreich, zwei in Galizien und je einer im Küstenland und in Tirol435.

d) Weitere Eisenbahn- und andere Verkehrsthemen

ℹ️1882 behandelte der Ministerrat zweimal das Thema der Wiener Stadtbahn436. Dieses Projekt, mit dem die Bahnhöfe Wiens miteinander verbunden und Zweiglinien zu den Vorstädten Wiens erbaut werden sollten, war bereits in den frühen 1870er Jahren ins Auge gefasst worden, wurde aber aufgrund des Börsenkrachs zunächst nicht weiterverfolgt437. 1880 wurde ein neuer Anlauf für eine Privatbahn unternommen. Das Handelsministerium und die Statthalterei in Wien sprachen sich für das Projekt der englischen Ingenieure James C. Bunton und Joseph Fogerty aus438. Der Wiener Gemeinderat, der sich auch zu äußern hatte, bat mehrfach um Fristerstreckung für seine Antwort, um dann am 21. März 1882 zu erklären, dass er „zwar im Prinzipe für die Anlage einer Stadtbahn sei, [dass] er jedoch derzeit [keinem] der vorliegenden Projekte zustimme, da mit der Ausführung der Stadtbahn gleichzeitig auch die Regulierung der Wien und die Auflassung der Linienwälle zu verbinden wäre“439. Pino schlug nun seinen Kollegen vor, man solle trotz der ablehnenden Haltung des Wiener Gemeinderates den nächsten Schritt der Konzessionierung setzen und „mit der Konzessionsprüfung unter der Bedingung des Nachweises der Geldbeschaffung vorgehen“, obwohl „die Konzessionserteilung momentan einen Sturm in der Öffentlichkeit hervorrufen würde“. Dem traten die meisten Minister aber entgegen, weil sie nicht gegen den ausgesprochenen Wunsch der Gemeinde Wien vorgehen wollten. Vielmehr sollten zunächst die Konzessionäre „[ihr Sta]dtbahnprojekt [dem Regu]lierungsprojekte der Gemeinde“ anpassen, das dann erneut dem Gemeinderat vorzulegen sei. Am 7. Juli 1882 beschloss der Gemeinderat dann, einen eigenen Entwurf für die Stadtbahn und die Wienfluss-Regulierung ausarbeiten zu lassen, womit das ℹ️Stadtbauamt beauftragt wurde. Der Wunsch Pinos, den Bau der Stadtbahn zügig in Angriff zu nehmen – und zwar auf Basis des Angebotes Bunton und Fogerty –, zerschlug sich daher440.

ℹ️Weitere Eisenbahnthemen, mit denen sich der Ministerrat auseinandersetzte, waren in der Zeit der Übergangsregierung Stremayr ein Staatsvorschuss in Höhe von 75.000 fl. für die Mährische Grenzbahn441, die Erhöhung der Zinsgarantie für die Kaschau–Oderberger Bahn442 und ℹ️die Verlängerung der staatlichen Donauuferbahn von der Stadlauer Brücke bis Kaiserebersdorf443.

ℹ️Seit Ernennung Taaffes zum Ministerpräsidenten standen bis Ende 1882 auf der Tagesordnung des Ministerrats noch die Bestellung eines Regierungsvertreters im Verwaltungsrat der Pilsen–Priesener Bahn444, ℹ️die böhmisch-mährische Transversalbahn von der ungarischen zur bayerischen Grenze, deren Baukosten so hoch waren, dass keine privaten Investoren gefunden werden konnten, für die aber auch der Staat das Geld nicht hatte445, ℹ️die Privilegiumsverlängerung der Kaiser-Ferdinands-Nordbahn446, ℹ️die Verlängerung der Steuerfreiheit der Südbahn und ℹ️die „Verwendung des Kaufschillingsrestes der Südbahn zur Defizitsdeckung“447. ℹ️Ein weiteres Thema waren Landesgesetze zur Herstellung und Erhaltung von Eisenbahn-Zufahrtsstraßen448.

ℹ️Um den internationalen Güteraustausch zu erleichtern, fanden in Bern zwischen 20. September und 10. Oktober 1881 Konferenzen statt, an denen sich neben der Schweiz und den gemeinsam auftretenden Cisleithanien und Ungarn unter anderem auch Frankreich, Italien und die Niederlande, nicht jedoch das Deutsche Reich beteiligten. Ziel war es, dass sich die beteiligten Staaten auf Normen einigten, beispielsweise international vereinheitlichte Frachtbriefe, um die bisher langwierigen Zollbehandlungen zu beschleunigen. Das Ergebnis der Konferenz war ein weitgehender Kompromiss, zu dem allerdings viele Staaten, darunter auch Cisleithanien und Ungarn, Vorbehalte angemeldet hatten. Diese sollten in einer Schlusssitzung ausgeräumt werden449. Um die Einigung zu beschleunigen, erklärten mehrere Staaten, „dass sie von ihren Vorbehalten abstehen und in die En-bloc-Annahme eingehen wollen, wenn auch wir auf unseren Vorbehalt verzichten“450. Wie auch sein ungarisches Pendant sprach sich der cisleithanische Ministerrat für einen Verzicht auf den Vorbehalt aus, „zumal wir darauf hier auch umso leichter verzichten können, als die Frage des Wagenregulatives bei der heuer in Bern abgehaltenen Konferenz in Sachen der technischen Einheit im Eisenbahnwesen zur Sprache gebracht wurde und dort im künftigen Jahre zu verfol[gen sein] werde“. Schließlich beriet der Ministerrat auch darüber, ob das Kriegsministerium „behufs Geltendmachung allfälliger militärischer Anschauungen von der Konvention in Kenntnis zu setzen“ sei451, kam aber zu dem Ergebnis, „dass der Inhalt desselben keinen Anlass gebe, um von militärischer Seite ein Bedenken geltend zu machen“. Allerdings sah sich Welsersheimb veranlasst, „von seinem Standpunkte das ausdrückliche Verlangen zu stellen, dass die Sache dem Reichs[k]riegsministerium mitgeteilt werde“452.

ℹ️Das Handelsministerium verfolgte dabei nicht nur das Ziel, den internationalen Eisenbahnfrachtverkehr an sich zu erleichtern, sondern auch, der zunehmenden wirtschaftlichen Abhängigkeit vom Deutschen Reich entgegenzutreten. So kommentierte Pino die Einigung, es sei „die s[einer]z[eit] von unserem Delegierten mit Geschick u[nd] Erfolg angestrebte Isolierung des Deutschen Reiches in der That zur Wahrheit geworden und wird es nur noch von einem gleich umsichtigen Vorgehen bei der Schluss-Conferenz abhängen, die gewonnenen Resultate dauernd zu sichern“453. Das Thema kam noch dreimal im Ministerrat zur Sprache, bevor 1890 das Internationale Übereinkommen über den Eisenbahn-Frachtverkehr zustande kam, deren ratifizierte Urkunden zwei Jahre später ausgewechselt wurden454. Zu den Mitunterzeichnern gehörte 1890 dann auch das Deutsche Reich.

ℹ️Andere zwischenstaatliche Eisenbahnthemen beschäftigten sich mit dem ungarischen Vorschlag „für den Abschluss einer Eisenbahntarifvereinbarung mit Deutschland455, mit einem „Operat für die Verhandlungen à quatre mit Serbien, Türkei und Bulgarien wegen der Eisenbahn gegen Konstantinopel und Salonich456, besonders intensiv aber mit einer Eisenbahnkonvention mit Serbien, die am 9. April 1880 zustande kam457. Zu bosnisch-herzegowinischen Eisenbahnthemen siehe im Kapitel zu Bosnien-Herzegowina.

ℹ️Neben Eisenbahn- standen auch Schifffahrtsfragen auf der Tagesordnung des Ministerrates. ℹ️Im Berliner Vertrag vom 13. Juli 1878 (Artikel XXIX, 6. Absatz) war Österreich-Ungarn auch die Ausübung der Schifffahrts- und Sanitätspolizei im Montenegro zugeschlagenen Hafen von Antivari übertragen worden, deren Durchführung am 25. März 1879 vom Ministerrat besprochen wurde458. ℹ️Der Berliner Vertrag hatte auch eine Additionalakte zur Folge, um ihn in Einklang mit der Schifffahrtsakte für die Donaumündung zu bringen, die am 28. Mai 1881 unterzeichnet wurde459. ℹ️Die Übergangsregierung Stremayr beriet ein Gesetz über die Registrierung der Seehandelsschiffe460 und ℹ️die „Amnestie für Seeleute der Handelsmarine, welche sich des Vergehens der Entweihung von österreichischen Handelsschiffen schuldig gemacht haben“461. ℹ️Auf der Tagesordnung der Regierung Taaffe standen dann eine Regierungsvorlage „betreffend die Einhebung einer Abgabe von dem Personen- und Reisegepäckstransporte auf Eisenbahnen und Dampfschiffen“, die aber nicht Gesetzeskraft erhielt462, ℹ️die „Zustimmung zu Verhandlungen der österreichisch-ungarischen Lloydgesellschaft mit der türkischen Regierung wegen Ankaufes von türkischen Schiffen behufs Fahrten unter türkischer Flagge“463 und die Beantwortung der Interpellation der Abgeordneten Josef Michael Teuschl und Genossen ℹ️„wegen Unterstützung ausländischer Schifffahrtsunternehmungen seitens Ungarns464. ℹ️Ein Thema zur Flussschifffahrt war die „Vorlage betreffend den mit Deutschland abgeschlossenen Elbe-Schifffahrtsvertrag“465.

ℹ️Am 15. Jänner 1882 interpellierte der istrianische Abgeordnete und Landeshauptmann Franz Vidulich die Regierung, den Schiffsbau und die Schifffahrt zu fördern466. Darauf legte Pino nach eingeholter Ermächtigung durch den Monarchen dem Reichsrat einen Gesetzentwurf vor, durch den Dampfer für die Seefahrt, die im Inland erbaut wurden, von der Erwerb- und Einkommensteuer befreit werden sollten. Nach der Annahme des Gesetzes durch den Reichsrat wurde es am 29. Mai 1883 sanktioniert467 und war bis Ende 1887 befristet.

Finanzpolitik

ℹ️Franz Joseph hatte in seiner Thronrede bei der Eröffnung der VI. Legislaturperiode des Reichsrates am 8. Oktober 1879 die „Herstellung des Gleichgewichts im Staatshaushalt“ als eine zentrale Aufgabe der Finanzpolitik bezeichnet. Dies war zwar eine stereotype Forderung – und das bis heute. ℹ️Wie wichtig es aber Franz Joseph 1879 war, unterstrich die Ergänzung, dass Einsparungen „auch das Kriegsbudget umfassen“ sollten, allerdings mit der Einschränkung „soweit dies mit der Machtstellung und Sicherheit des Reiches vereinbar erscheint“468. Damit wurde der Beitrag des Militärs zur Herstellung des ausgeglichenen Staatshaushalts vollständig relativiert. Denn die Armee verursachte alleine durch die dauerhafte Dislozierung eines Armeekorps nach Bosnien-Herzegowina Zusatzkosten von etwa acht Millionen Gulden469, rund 9% der bisherigen Militärausgaben. Aber auch ohne diesen Okkupationskredit lag das von den Delegationen bewilligte Militärbudget 1883 um 8% über dem von 1878, zusammen wurden dem Militär 1883 17% mehr Gelder bewilligt als 1878 (nach Abzug der eigenen Einnahmen des Kriegsministeriums 1878 101 und 1883 119 Millionen Gulden)470. Vergleicht man den Voranschlag 1883 mit dem von 1878471 – im cisleithanischen Budget war immer auch der Beitrag zu den gemeinsamen Ausgaben enthalten –, so stiegen die Ausgaben um 16,3% (von 423 auf 492 Millionen Gulden). Generell waren daher die Zivil- gegenüber den Militärausgaben etwas weniger gestiegen.

ℹ️a) Einnahmensteigerungen

ℹ️In der Thronrede am 8. Oktober 1879 hieß es, dass ein Weg zur Deckung des Abgangs „durch Vermehrung der Einnahmen“ geschehen solle472. Daher beschäftigten sich die Regierung und der Reichsrat mit einigen Steuergesetzen. Noch in der alten Legislaturperiode war ein neues Grundsteuergesetz zustande gekommen473. Mit ihm wurde das Vorgängergesetz vom 24. Mai 1869474 abgeändert, aber doch in seinem Prinzip beibehalten. So wurde nicht die Höhe der Besteuerung mit dem Gesetz festgeschrieben, sondern eine Grundsteuerhauptsumme, die dann über den Reinertrag – d.i. der vom Rohertrag verbleibende Überschuss unter gewöhnlichen Bedingungen – von Kommissionen auf die Länder, Bezirke, Gemeinden und einzelnen Grundbesitzer verteilt wurde. Alle 15 Jahre hatte eine Revision des Reinertrages und damit auch der Steueraufteilung stattzufinden. Nicht dieses Prinzip, sondern nur einige Verfahrensbestimmungen waren 1879 abgeändert worden. Damit war die Mehrheit des neuen Reichsrates jedoch unzufrieden und revidierte die Bestimmungen. Diese Änderungen betrafen drei Bereiche: den Verfahrensprozess zur Bestimmung der Steueraufteilung475, die Reklamationsfristen476 und das Aufteilungsverfahren der Hauptsumme477. Die Hauptsumme an sich verblieb unverändert bei 37,5 Millionen Gulden jährlich (Artikel I).

ℹ️Mit dieser Novellierung der Grundsteuer wurden daher die dringend benötigten Mehreinnahmen nicht erreicht. Dies erhoffte Finanzminister Chertek dagegen über eine „Ergänzungssteuer“ zu erreichen, die „ihrem Zwecke gemäß nur im Jahre 1880 eingehoben werden soll“478. Diesen Zweck definierte § 1 des Entwurfes: „Zur theilweisen Bedeckung des im Jahre 1880 sich ergebenden Abganges im Staatshaushalte wird als außerordentliche Abgabe eine Ergänzungssteuer im Betrage von vier Millionen Gulden eingehoben.“479 Einkommen ab 1.400 fl. sollten in einer nach oben offenen Skala mit dieser Steuer belegt werden, wobei nach der Klasseneinteilung (§ 4) der unterste Steuersatz mit 9 fl. für Einkommen von 1.400 bis 1.600 fl. etwa 0,6% des Einkommens ausmachte und am Ende, mit Einkommen ab 105.000 fl., 2,7 bis 2,9% erreichte480. Je nach berechneter Steuerleistung und nach Erhebung der Einkommen sollte eine Vermehrung oder Verminderung der Steuersätze eintreten, um das Ziel der Einnahme von vier Millionen Gulden zu erreichen (§ 5). Dieser Gesetzentwurf blieb jedoch bereits im Steuerausschuss hängen und wurde am 5. März 1880 von Cherteks Nachfolger Kriegs-Au wieder zurückgezogen481. Parallel zur Ergänzungs- wurde auch eine Transportsteuer auf „Personen- und Reisegepäcktransporte auf Eisenbahnen und Dampfschiffen“ eingebracht, ebenfalls mit dem Ziel der Deckung des Defizits 1880. Auch sie erreichte nicht die zweite Lesung des Abgeordnetenhauses482.

ℹ️Hingegen wurden die Gebäudesteuern (Hauszins- und Hausklassensteuer), die bereits Finanzminister Dunajewski dem Abgeordnetenhaus vorlegte483, novelliert. Sie standen im Zusammenhang mit der Grundsteuer. Im Gegensatz zu dieser hatten sie keine festgeschriebene Einnahmenhöhe, sondern genau geregelte Steuersätze. Die größte Änderung trat für Tirol und Vorarlberg ein, die bisher der Gebäudesteuer nicht unterlagen, nun aber miteinbezogen wurden. Neben diesen beiden Ländern wurden auch für andere Länder und Orte Übergangsfristen bestimmt, in denen die Steuer sukzessive auf die volle Höhe gesteigert wurde. Mit einigen Änderungen nahm der Reichsrat das Gesetz „betreffend einige Abänderungen der Gebäudesteuergesetze“ an, das am 9. Februar 1882 sanktioniert werden konnte484. Die Steuerberechnung erfolgte mit Anfang 1882. Die Einnahmen stiegen nur langsam an. Während das Finanzgesetz von 1878 Einnahmen aus den alten Gebäudesteuern in Höhe von 23,5 Millionen Gulden erwartete, waren es 1883 25,2 Millionen und zusätzlich eine Einnahme von 1,3 Millionen durch eine im Gesetz enthaltene „[ f]ünfpercentige Steuer vom Ertrage hauszinssteuerbefreiter Gebäude“. 1885 sollten die Einnahmen dieser Steuern mit 26,4 und 1,4 Millionen Gulden präliminiert werden485.

ℹ️Wegen der zunehmenden Abhängigkeit der Regierung Taaffe von Tschechen, Polen und den konservativen Kreisen im Reichsrat trug auch die Steuerpolitik antiliberale Züge. Zur Deckung der Staatsausgaben sollten stärker als bisher Einkommen nach ihrer Höhe herangezogen werden, besonders Börsengewinne (mobiles Kapital), die auf konservativer Seite für die Wirtschaftskrise verantwortlich gemacht wurden, in der Cisleithanien seit dem Börsenkrach steckte. Allerdings, so urteilte Gustav Kolmer, der die Entwicklung sehr stark von deutschliberaler Seite betrachtete, vermied es die Regierung zunächst, „bei ihrer Geldnot und der wirtschaftlichen Depression den Geldmarkt durch hohe Besteuerung des mobilen Kapitals ihren Geldbedürfnissen noch schwerer zugänglich zu machen“486. Denn dieser Geldmarkt wurde in den ersten Jahren nach der ℹ️Okkupation Bosnien-Herzegowinas besonders benötigt.

ℹ️Erst Ende 1882 legte Dunajewski dem Reichsrat vier Vorlagen für Personensteuern vor. Sie betrafen eine reformierte Erwerb- und eine reformierte Einkommensteuer, nun Personaleinkommensteuer genannt, und außerdem eine Aktien- sowie eine Rentensteuer – eine Steuer auf Zinsgewinne –, die beide bisher in der Einkommensteuer integriert waren487. Die Einkommensteuer war 1848 bis 1850 in mehreren Etappen eingeführt worden und erweiterte die bereits seit 1829 bestehende Erwerbsteuer zu einer Besteuerung aller Einkommen488. Mit der von Dunajewski vorgeschlagenen Reform dieser Personensteuern wurde aus der bisherigen Doppel- letztlich eine Viergleisigkeit, wobei besonders die Erwerbsteuer zusätzlich noch in die Subkategorie der selbstständigen und unselbstständigen Erwerbseinkommen geteilt und bei der Rentensteuer die Zinsleistungen aus Staatsobligationen ausgenommen waren. Auch wenn diesen Vorlagen letztlich zugestimmt wurde, zeigen die Diskussionen im Ministerrat insgesamt Kritik an diesem wenig homogenen Besteuerungssystem. So wurde besonders bemängelt, dass die Personaleinkommensteuer auch das ohnehin bereits über den Grund- und Gebäudebesitz versteuerte Einkommen erneut belastete. Letztlich änderte der Ministerrat nur die beiden Tarifskalen der Erwerbsteuer ab, indem die Sätze der selbstständigen Einkommen (Tarif A) ab 4.100 fl. etwas angehoben, während jene der unselbstständigen Arbeit (Tarif B) ab Einkommen von 7.000 fl. etwas reduziert wurden, sodass nun die selbstständigen Einkommen auch in den höheren Kategorien etwas stärker als die unselbstständigen belastet waren489. Dennoch blieb Landesverteidigungsminister Welsersheimb, der sich „in so wichtiger Frage auch über die Ressortgrenzen des bloßen Kartätschentums hinaus“ zu Wort meldete, mit seiner Meinung alleine, dass „der Perzentsatz für das Einkommen, welches auf mit Risiko verbundene Arbeit – sei selbe physischer oder geistiger Natur – beruht, auf ein gewisses Maß beschränkt werde, welches hinter jenem wesentlich zurückbleibt, das den Besitz, den Genuss und die reine Spekulation treffen soll und kann“490. Die vier Gesetzentwürfe wurden mit Zuschrift Dunajewskis vom 4. Dezember 1882 in das Abgeordnetenhaus eingebracht491. Allerdings konnte die Regierungsmehrheit des Hauses für diese Entwürfe nicht gewonnen werden, sie wurden daher nicht votiert. Die Reform der Personensteuern sollte erst 1896 gelingen, indem alle zu einer einzigen Steuer, der Personaleinkommensteuer, zusammengefasst wurden492.

ℹ️Eine weitere Einnahmequelle wurde in den Verzehrungssteuern gesehen, einerseits in der Erhöhung der Zuckersteuer und andererseits in der Einführung einer Besteuerung von Petroleum. In diesen Steuerfragen konnte Cisleithanien aber nur im Einvernehmen mit Ungarn vorgehen, weil sie in beiden Teilen zwar jeweils eigene Einnahmen waren, die jedoch nach gemeinsam festzulegenden Regelungen zu behandeln waren493. Insofern waren die Beratungen im Ministerrat geprägt durch die Diskussionen mit Ungarn. Nach den prinzipiellen Entscheidungen, die der Ministerrat in einem mit „Steuervorlagen zur Defizitbedeckung. Petroleumsteuer und Zuckersteuer“ übertitelten Tagesordnungspunkt fällte494, fanden die Beratungen über beide Steuerobjekte getrennt voneinander statt. ℹ️Die Zuckersteuer wurde wegen der Differenzen mit Ungarn erst nach langwierigen Beratungen495 mit Gesetz vom 18. Juni 1880 um etwa 10% angehoben, bei getrockneten Rüben von 73 Kreuzern auf 80 Kreuzer pro 100 kg. Gleichzeitig wurde auch das durch die Steuer und die Zolleinnahmen zu erreichende Reinerträgnis, das für die Betriebsperiode 1878/79 sechs Millionen Gulden und jährlich um 500.000 Gulden steigend bis 10,5 Millionen ausmachen sollte, angehoben auf zehn Millionen in der Betriebsperiode 1880/81, steigend um 400.000 Gulden bis 12,8 Millionen496.

ℹ️Am 13. Mai 1880 beantragte der Abgeordnete Felix Graf Vetter von der Lilie, „daß auf internationalem Wege die Beseitigung der in anderen Staaten bestehenden Prämie auf den Export von Zucker angestrebt werde“ und „daß womöglich schon im Jahre 1881 ein Gesetzentwurf vorgelegt werde, welcher die Besteuerung des Rübenzuckers in Oesterreich-Ungarn von der Erzeugungsperiode 1886/87 ab nach der Menge des Erzeugnisses regelt“497. Die Verzehrungssteuern, so auch die auf Zucker, wurden bereits mit der Produktion eingehoben. Die gezahlte Steuer wurde dann über den Preis vom Produzenten auf die Käufer übertragen. Dies betraf jedoch nur den im eigenen Zollgebiet abgesetzten Zucker, während für den exportierten Zucker die bereits gezahlte Steuer dem Produzenten rückvergütet wurde. Wegen der europaweiten Schutzzollbewegung, deren Ziel ja der Ausschluss fremder Erzeugnisse von den heimischen Märkten war, weiteten die Zuckerexportländer ihre Rückvergütungen zu einem System von Exportprämien aus, indem den Exporteuren höhere Beträge rückvergütet wurden, als sie zuvor an Steuern bezahlt hatten. Faktisch übernahm die Staatskasse einen Teil der erhöhten Zollausgaben der Unternehmen, damit deren Produkte auf fremden Märkten konkurrenzfähig bleiben konnten. Dieses System stand zwar 1880 erst an seinem Beginn, aber gerade die Zucker exportierenden Länder waren sich schnell bewusst, dass damit zum einen der Schutzzoll seine Wirkung verfehlen musste und zum zweiten die Zollmehreinnahmen in die erhöhten Prämienzahlungen fließen mussten. Somit bezweckte der Antrag Vetter zweierlei. Einerseits sollte eine internationale Lösung für das kostspielige System aus Schutzzoll und Zuckerexportprämie gefunden werden. Andererseits sollte durch die Besteuerung des Endproduktes und nicht der Produktion das ebenfalls kostspielige System aus Einhebung der Steuer auf die gesamte Produktion und Rückvergütung der gezahlten Steuer für die exportierten Mengen beseitigt werden. Wenige Monate nachdem das neue Zuckersteuergesetz in Cisleithanien und Ungarn beschlossen worden war, beschäftigte sich der Ministerrat mit dem Antrag Vetters: „Frage der Änderung der Rübenzuckerbesteuerung. Teilnahme an einer internationalen Konferenz über die Frage der Zuckerexportprämien.“498 Es sollte noch bis 1903 dauern, bis in Brüssel eine Zuckerkonvention zustande kam, die in Europa einerseits die Zuckerexportprämien abschaffte und andererseits die Zollsätze regelte499.

ℹ️Bereits die Regierung Adolph Auersperg hatte versucht, mit dem neuen Wirtschaftsausgleich 1878 eine mit Ungarn gemeinsame Verzehrungssteuer auf Petroleum einzuführen, war damit aber am Widerstand des Abgeordnetenhauses gescheitert500. Um diese Einnahmequelle dennoch für den Staat zu erschließen, unternahm Finanzminister Chertek einen weiteren Versuch und legte dem Abgeordnetenhaus am 28. Oktober 1879 den ein Jahr zuvor abgelehnten Gesetzentwurf erneut vor501. Zwei Jahre später musste allerdings sein Nachfolger Dunajewski den Entwurf wieder zurückziehen, um eine weitere parlamentarische Ablehnung zu verhindern. Stattdessen brachte er gleichzeitig einen modifizierten Entwurf ein502. Dieser Gesetzentwurf konnte dann zügig verabschiedet werden und erhielt mit der Ah. Entschließung vom 25. Mai 1882 die kaiserliche Sanktion503. Gemeinsam mit diesem Besteuerungsgesetz wurden auch die Zollsätze für raffiniertes Petroleum angehoben, während die für Rohöl relativ niedrig blieben.

ℹ️Kaum war das Gesetz zur Petroleumbesteuerung vom Reichsrat votiert worden, ergriff die Regierung auch die Initiative zur Regulierung und Förderung des Erdölabbaus, indem dieser in das Bergrecht integriert werden sollte504. Eine weitere Maßnahme in diese Richtung war mit dem Bau der galizischen Transversalbahn die Anbindung der galizischen Erdölgebiete an das Eisenbahnnetz505.

Bei ℹ️Branntwein wurden nur die Regelungen der vereinfachten Pauschalierungsversteuerung ausgeweitet506. Nicht gemeinsam mit Ungarn zu regeln war die ℹ️Besteuerung von Kunstwein507 – sie wurde neu eingeführt508 – und ℹ️Fleisch, wobei hier die Steuerbestimmungen aber unverändert blieben509. ℹ️Deutlich angehoben wurde auch der Spielkartenstempel510. ℹ️Mit allen Steuererhöhungen gelang es der Regierung, die Einnahmen bis 1883 um 16% gegenüber dem Voranschlag von 1878 zu erhöhen (von 400 auf 464 Millionen Gulden).

ℹ️b) Ausgabensenkungen

ℹ️Nicht nur über Einnahmensteigerungen, auch durch Ausgabensenkungen sollte das Defizit im Staatshaushalt reduziert werden: „Eine erhebliche Herabminderung der Staatsausgaben ist durch Vereinfachung der Verwaltung in einzelnen Zweigen des öffentlichen Dienstes“ zu erreichen, hielt schon die Thronrede vom 8. Oktober 1879 fest511. Dieses große Ziel wurde jedoch nicht erreicht, vielmehr lagen die Gesamtausgaben Cisleithaniens 1883 um 16,3% über denen von 1878, die Ausgabensteigerung war daher etwas größer als jene der Einnahmen (16%). Allerdings waren die Zivilausgaben etwas weniger gestiegen als die Einnahmen, da mit den Ausgaben für die gemeinsamen Angelegenheiten auch die oben beschriebenen um 17% gestiegenen Militärausgaben einbezogen waren.

Die Ausgaben entwickelten sich in den einzelnen Ressorts sehr unterschiedlich. ℹ️Besonders das Handelsministerium sticht mit einer Erhöhung seiner Ausgaben um 150% hervor. ℹ️Dies war aber ausschließlich auf die neue Staatsbahnpolitik zurückzuführen. Die Eisenbahnausgaben stiegen von 3,7 auf 40 Millionen Gulden. Dem stand – außerhalb des Handelsressorts – jedoch ein Rückgang der Ausgaben für Zinsgarantien (von 21 auf 14 Millionen Gulden) gegenüber, außerdem stiegen die Einnahmen aus dem Staatseisenbahnbetrieb von 1,4 auf 16,7 (mit Einrechnung des galizischen Beitrags zu ihrer Transversalbahn von 1,1 waren es 17,8) Millionen Gulden. Während netto 1878 also 23,3 Millionen Gulden für Eisenbahnen ausgegeben worden waren, waren es 1883 mit 36,2 Millionen um 55% mehr512. ℹ️Um 40% erhöhte Ausgaben wies auch das Finanzministerium aus (von 72 auf 101 Millionen Gulden), ℹ️was aber besonders auf die Änderungen der Verzehrungssteuerrestitution im Ausgleich von 1878 zurückzuführen war (die veranschlagten Ausgaben stiegen von acht auf 26 Millionen Gulden). Neben der Anhebung der Restitutionsleistung im Zolltarif beruhte diese Steigerung auch darauf, dass sie ab 1879 nicht mehr zwischen beiden Teilen der Monarchie nach dem Quotenschlüssel (70 : 30), sondern nach dem Produktionsschlüssel der Verzehrungssteuergüter aufgeteilt wurde. Da Cisleithanien weit über 70% der Verzehrungssteuergüter herstellte, bedeutete diese Regelung eine deutliche Verschiebung der Restitutionszahlungen zulasten Cisleithaniens. ℹ️Auch das Ministerratspräsidium zeigte Mehrausgaben von 13,4% (von 0,9 auf eine Million Gulden), zurückzuführen auf die Errichtung einer Presseabteilung der Regierung, des Telegrafenkorrespondenzbüros (1883 veranschlagt mit 94.000 fl.). ℹ️Die Unterrichtsabteilung des Kultus- und Unterrichtsministeriums verfügte 1883 über 14% mehr Geld als 1878 (Zunahme von 10,7 auf 12,2 Millionen Gulden).

ℹ️Gerade das Unterrichtswesen war in den Verhandlungen im Ministerrat für das Budget 1883 eine zentrale Angriffsfläche, nicht nur für Dunajewaski als Finanzminister, sondern auch für Ziemiałkowski und Pražák, denen sich auch der Ministerpräsident anschloss. Für Ziemiałkowski, der hier tonangebend war, ging es darum, „dass man jene Anstalten, welche nicht not[wendig] sind, aufhebt“, denn „so werde man dadurch nebst ausgiebiger Ersparung zugleich auch noch mehr Mittel für die notwendigen Anstalten erlangen“513. Die „nicht notwendigen Anstalten“ waren für ihn neben der Hochschule für Bodenkultur und der Universität in Czernowitz, „welche ein ganz künstliches Gewächs sei und keinem Bedürfnisse entspreche“, auch „verschiedene entbehrliche Gymnasien namentlich in Mähren und Böhmen, endlich die Lehrerbildungsanstalten, von denen ohne jede Beeinträchtigung des Zweckes die Hälfte aufgelassen werden könnte“. Franz Joseph, der sonst sehr sparsam mit Randbemerkungen in Ministerratsprotokollen war, hielt sich mit seinen Zustimmungsbemerkungen nicht zurück und ergänzte die Ausführungen Ziemiałkowskis mit „sehr richtig, auch einige technische Hochschulen“. Als der Monarch dies am 4. November 1882 im Ministerrat selbst zur Sprache brachte, assistierte ihm der Mährer Pražák, „dass die technische Hochschule in Brünn ganz gut aufgelassen werden könnte“514.

ℹ️Allerdings ging es den polnischen und tschechischen Ministern keineswegs um Einsparungen im Bildungsbereich, vielmehr dienten sie als Argumentationsbasis für ihre eigentlichen Anliegen. Als Conrad das Thema der „Errichtung und Erweiterung von Staatsmittelschulen, dann wegen Übernahme und Subventionierung von Kommunalmittelschulen“ zur Sprache brachte515, hielt Dunajewski fest, er sei „der Anschauung, dass in Böhmen und Mähren sich zu viele, namentlich zu viele deutsche Mittelschulen befinden“, und Pražák erklärte, „dass es entsprechend und das beste Korrektiv wäre, [wen]n die Mittelschulen ganz aus dem Reichsbudget ausgeschieden und in die Landesbudgets übernommen würden“. Neben Einsparungen über die Auflassung von weniger frequentierten deutschen Bildungseinrichtungen – siehe dazu weiter oben bei der Sprachenpolitik – sollte das Unterrichtsressort zumindest in längerer Perspektive durch die Auslagerung der Schulfinanzierung vom Staats- in die Landesbudgets, also durch die Föderalisierung der Schulpolitik, entlastet werden. Letztlich blieb es bei wenigen und finanziell kaum ins Gewicht fallenden Einsparungen wie der Auflassung der deutschen Parallelklassen im tschechischen Gymnasium in Wallachisch Meseritsch in Mähren516. Erst nach dem Wechsel im Amt des Kultus- und Unterrichtsministers von Conrad zu Paul Gautsch v. Frankenthurn am 5. November 1885 wurde ein weiterer Anlauf zu einer Reform des Unterrichtswesens unternommen, der aber diesmal deutsche und tschechische Schulen traf: „Auflassung des Staatsgymnasiums in Freiberg [in Mähren] und Nichtzuerkennung des Öffentlichkeitsrechtes für ein etwa daselbst zu errichtendes Kommunalgymnasium mit böhmischer Unterrichtssprache517. Generell war aber von Einsparungen auf Kosten der Hochschule für Bodenkultur, der Universität Czernowitz oder der technischen Hochschule in Brünn keine Rede mehr. Das Unterrichtsbudget stieg auch in den folgenden Jahren weiter, von 1883 bis 1885 gemäß dem Voranschlag um 7,7% (von 12,2 auf 13,1 Millionen Gulden)518.

ℹ️In der Debatte um das Budget äußerte sich Ziemiałkowski auch zu den ℹ️Einsparungsmöglichkeiten in den Verwaltungszweigen der Justiz und ℹ️der Finanzen und stellte damit letztlich die infolge der Revolution von 1848 vollzogene Verstaatlichung der Verwaltung wieder einmal infrage: „Der Minister macht in dieser Beziehung zunächst wieder auf die Abschaffung der dritten Instanzen für Rekursentscheidungen und auf die Steuereinhebung durch die autonomen Organe aufmerksam.“519 Gerade die Abschaffung der dritten Instanz in der Rechtsprechung hätte die Einheitlichkeit der Rechtsprechung infrage gestellt und diese damit föderalisiert. Die Steuereinhebung durch autonome Organe hätte hingegen ein Schritt in das Ständewesen vor 1848 bedeutet, da die wesentliche Aufgabe der Stände ja die Einhebung der direkten Steuern gewesen war. Dass diese Vorschläge zur Auslagerung von Staatsaufgaben im Unterrichts-, Justiz- und Finanzwesen auf die Länder – oder andere autonome Organe – zu einer Entlastung der Staatskasse geführt hätten, muss aber bezweifelt werden. Denn diese zusätzlichen Landesaufgaben waren ja weiterhin zu finanzieren, wenn nicht durch den Staat, so durch die Länder, sodass es mit der Übertragung dieser neuen Aufgaben ebenso zu einer Neuverteilung der Einnahmen zwischen Staat und Ländern hätte kommen müssen, was ab den 1890er Jahren durch Zweckwidmung von Einnahmen aus den Verzehrungssteuern für die Landeshaushalte auch geschah. Insofern waren diese Reformansätze für strukturelle Lösungen der einnahmeseitigen Sanierung des Defizits wenig brauchbar.

ℹ️Das Bemühen Dunajewskis, das Defizit möglichst gering zu halten, betraf aber nicht nur das Budget selbst, sondern auch andere außerordentliche Ausgaben. Eingebrachten Nachtragskrediten anderer Minister hatte der Finanzminister in der Regel bereits zugestimmt520, während einige Bauvorhaben sich selbst finanzierten521. In zwei Fällen aber – in den erhaltenen Protokollen – kam es zu solch einem Einvernehmen im Vorfeld nicht. ℹ️Das eine Mal ging es um einen Vorschuss von 100.000 fl. „für die Triester Aus[s]tellung à conto der künftigen [Einnahmen]“522. Aus Anlass der 500-jährigen Zugehörigkeit Triests zur Habsburgermonarchie sollte eine Gewerbeausstellung stattfinden, für die am 23. April 1882 das Ausstellungskomitee um den Vorschuss gebeten hatte523. Gegen diese Forderung wandte nun der Finanzminister ein, „so politisch die fragliche Ausstellung [auch] sein möge, so sei sie jedenfalls nur ein Privatunternehmen, für welche er sich nicht berechtigt halten könne, aus Staatsmitteln einen Vorschuss [z]u leisten“. Da die anderen Minister der Meinung waren, dass das Gelingen der Ausstellung ein Politikum sei, beugte sich Dunajewski, aber weil „er als Finanzminister sich nicht herbeilassen könnte, die Anweisung lediglich von Regierungswegen vorzunehmen“, musste Pino das Geld über eine Gesetzesvorlage vom Reichsrat erbitten524.

ℹ️Hingegen ließen die Unwetter, die Tirol im September und Oktober 1882 heimsuchten, keine Zeit für vorherige Absprache mit dem Finanzminister. Der Statthalter in Innsbruck, Bohuslav Freiherr v. Widmann, teilte den Ministern mit, dass „in Landtagskreisen“ eine Kreditoperation des Landes geplant sei, „um Subventionen zu erteilen für Bachregulierungen, Ufersicherungen, Herstellung von Wegen und Brücken, für welche Herstellungen die Gemeinden aufzukommen hätten, von denen jedoch bei den obwaltenden Umständen keinerlei Last übernommen werden könne“. Daher dürfte nun der Landtag mit der Bitte kommen, „dass der Staat erstlich gleichfalls mit einer Subventionssumme beispringe und dass er weiters über das, was ihm als Geschenk zu geben möglich ist, hinaus Vorschüsse aus Staatsmitteln gewähre“525. Dieser Punkt stieß nun bei Dunajewski auf Ablehnung. Er wollte staatliche Gelder nicht direkt den Gemeinden geben, weil diese Vorschüsse dann „in der Regel nicht hereinzubringen seien“. Daher wurden die Vorschüsse dem Land Tirol für seine Gemeinden nur „gegen dessen Haftung“ gegeben, sodass das Land, nicht aber der Staat auf das Geld verzichten müsse, wenn es bei den Gemeinden „nicht hereinzubringen“ sei.

ℹ️Weniger sparsam zeigte sich Dunajewski hingegen in der Frage der Grundentlastungsfonds für Ost- und Westgalizien. Mit Ah. Patent vom 7. September 1848 und kaiserlichem Patent vom 4. März 1849 war der Untertänigkeitsverband aufgehoben und die Entlastung des bäuerlichen Besitzes geregelt worden526. In Galizien war dies bereits mit dem Patent vom 17. April 1848 wegen Aufhebung der Robot geschehen. Die Ablösefrage wurde hier dann auch getrennt von den übrigen Ländern mit dem kaiserlichen Patent vom 15. August 1849 speziell geregelt527. So wurde „für Galizien eine aparte Bestimmung über die Entschädigungsleistung getroffen, indem ein von den Untertanen zu leistendes Entschädigungsdrittel nicht aufgenommen wurde“528. Stattdessen wurden die gesamten Ablösekosten vom Staatsschatz übernommen. Allerdings wurde ca. die Hälfte der jährlichen Leistungen (2,625 von 5,5 Millionen Gulden) nur als unverzinslicher Vorschuss des Staates für die mit der Abwicklung der Ablösung gebildeten galizischen Grundentlastungsfonds betrachtet. Dieser unverzinsliche Vorschuss machte 1882 bereits über 75 Millionen Gulden aus. Dessen Rückzahlungsmodalitäten waren jedoch nie geregelt worden. Nun sollte die Frage der galizischen Grundentlastung prinzipiell auf Basis eines von Ziemiałkowski ausgearbeiteten Planes definitiv geregelt werden: Die bisher angefallenen staatlichen Vorschüsse (die 75 Millionen Gulden) seien vom Staatsschatz abzuschreiben, dafür aber seien bis 1897 die jährlichen staatlichen Vorschüsse um 525.000 auf 2,1 Millionen Gulden zu reduzieren, sodass nun die Differenz direkt aus den galizischen Landeseinnahmen zu zahlen sei. Mit Ablauf des Jahres 1898 hätte dann Galizien die Vorschüsse an den Staat rückzuerstatten. Diese Regelung bezeichnete Dunajewski als Mittelweg zwischen den Extremen, „das Land habe 75 Millionen vom Staat genommen, es müsse daher dieselben zurückzahlen“ und der Staat sei verpflichtet „alle Entschädigung zu zahlen“.

ℹ️Doch mit diesem Angebot war der Landesausschuss Galiziens keineswegs zufrieden, da das Land künftig jährlich 525.000 fl. selbst zu tragen hätte. In den Verhandlungen verlangte der Landesausschuss daher einen weiteren jährlichen Zuschuss von 325.000 fl., sodass die jährlichen Lasten Galiziens nur mehr 200.000 fl. betragen würden. Weil die Regierungsvorlage im galizischen Landtag „absolut nicht durchzubringen wäre“, führte Dunajewski aus, „scheine es ihm notwendig, doch noch ein weiteres Zugeständnis zu machen, obwohl er obige Forderung als zu weit gehend erachte, und möchte der Finanzminister proponieren, dem Ansinnen wegen der Gewährung eines weiteren rückzahlbaren Staatsbeitrages von 325.000 fl. nachzugeben“. Damit setzte er sich durch, obwohl Conrad dagegen Einwände erhob529.

ℹ️Dunajewski maß folglich mit zweierlei Maß. Trotz anerkannter politischer Notwendigkeit sprach er sich vehement gegen einen Vorschuss für die Triester Gewerbeausstellung aus, und den von einer Überschwemmung schwer geschädigten Tiroler Gemeinden wollte er einen Vorschuss nur gegen Haftung des Landes gewähren, weil die Rückzahlungen durch die Gemeinden ihm zu unsicher schienen. Hier war die Rücksicht auf den Staatsschatz der Boden seiner Argumentation. Gegenüber Galizien aber zeigte er sich sehr spendabel. Neben der Abschreibung von 75 Millionen Gulden und einer jährlichen Zahlung von unverzinsten Vorschüssen von 2,1 Millionen Gulden zugunsten Galiziens über 14 Jahre (1883 bis 1897) war es schließlich maßgeblich er, der die Forderung des Landesausschusses nach einer Aufstockung des jährlichen Vorschusses um weitere 325.000 fl. im Ministerrat durchzusetzen half. Seine berüchtigte Sparsamkeit machte an den Grenzen seines Heimatlandes Halt.

c) Die Budgetdebatten

ℹ️Das jährliche Budget bestand aus zwei getrennt voneinander bestimmten Teilen: dem gemeinsamen Budget (den Ausgaben für die Außenpolitik, das gemeinsame Militär und für deren Finanzverwaltung) und dem cisleithanischen Budget. Das cisleithanische Budget enthielt neben den eigenen Einnahmen und Ausgaben auch den Quotenanteil der gemeinsamen Ausgaben. Der gemeinsame Ministerrat530 beschloss den gemeinsamen Voranschlag, der den Delegationen vorzulegen war. Bei diesen Sitzungen waren beide Regierungen durch ihre Ministerpräsidenten und Finanzminister vertreten. Die Beratungen fanden meist im September/Oktober statt, kurz bevor die Delegationen zusammentraten. Von dem Ergebnis dieser Beratungen informierten Ministerpräsidenten und Finanzminister der beiden Regierungen dann ihre jeweiligen Ministerkollegen. Erst danach, aber noch vor dem Beschluss der Delegationen arbeitete der jeweilige Finanzminister mit jedem der Fachminister einzeln deren Einnahmen und Ausgaben aus und führte sie zu einem Gesamtvoranschlag zusammen. Dieser Gesamtvoranschlag wurde dann im Ministerrat beraten und nach dessen Zustimmung, nach erhaltener Vorsanktion durch den Herrscher und nach dem von den Delegationen bewilligten gemeinsamen Budget dem Reichsrat bzw. dem ungarischen Reichstag vorgelegt. Der Grund für diese Nachreihung der beiden Staatsbudgets hinter die Regelung des gemeinsamen Budgets lag darin, dass das gemeinsame Budget über die Quote von beiden Teilen der Monarchie zu tragen war und für die beiden Parlamente eine nicht mehr zu hinterfragende Ausgabengröße des jeweiligen Budgets darstellte. Die gemeinsamen Ausgaben machten etwa 18% der gesamten Ausgaben Cisleithaniens und Ungarns aus.

ℹ️Insofern wurden das cisleithanische und ungarische Budget des Folgejahres immer erst gegen Jahresende fertiggestellt und dann den Parlamenten vorgelegt. Selbst ohne größere parlamentarische Schwierigkeiten konnte daher ein Finanzgesetz nicht rechtzeitig zu Jahresbeginn erledigt sein, sodass immer sogenannte Budgetprovisorien die Zeit bis zur Sanktionierung des Finanzgesetzes überbrücken mussten. Schließlich ergab sich während eines Budgetjahres immer die Notwendigkeit von sogenannten Nachtragskrediten, also im Finanzgesetz nicht vorgesehene Ausgaben, denen der Reichsrat nachträglich seine Bewilligung erteilte. Da diesen Ausgaben aber keine zusätzlichen Steuereinnahmen entgegenstanden, stimmte der Reichsrat immer auch einer entsprechenden Kreditaufnahme zu. Dieser Ablauf – Informierung über das den Delegationen vorzulegende gemeinsame Budget, Besprechungen des eigenen Budgets, Budgetprovisorien und Nachtragskredite – wiederholte sich jedes Jahr: 1879531, 1880532, 1881533, 1882534 und 1883535. Nur 1881 dachte der Ministerrat über die „Einbringung auch des Budgets für das Jahr 1883 in der nächsten Reichsratssession“ nach536; es kam aber nicht dazu.

ℹ️Zwar hatten die Budgetdebatten ℹ️gerade für die tschechischen und die polnischen Interessengruppen und deren Vertreter im Ministerrat eine besondere Bedeutung durch den Einfluss auf die zukünftige Ausrichtung der Unterrichtspolitik, sollte damit doch die Dominanz der deutschen Unterrichtsanstalten in Böhmen und Mähren reduziert und das Schulwesen insgesamt föderalisiert werden. ℹ️Prinzipiell aber ging es um die Beseitigung des Defizits, das infolge der Okkupation Bosnien-Herzegowinas 1878 in die Höhe geschnellt war, wie bereits bei der Entwicklung der Militärausgaben dargelegt worden ist. Um dieses Defizit für 1882 – ohne allfällige Nachtragskredite – zu senken, forderte Dunajewski die Minister zu einer Reduzierung ihrer Ausgaben von insgesamt einer Million Gulden auf. Sein Ressort übernahm davon 300.000 fl., im Unterrichtsbereich wurden 200.000 fl. gestrichen, Innen-, Justiz- und Ackerbauministerium übernahmen je 100.000 fl., sodass die Ausgaben – im Wesentlichen durch das Verschieben von Ratenzahlungen für Staatsbauten – zumindest im Voranschlag wenn auch nicht um eine Million, so doch um 800.000 fl. gesenkt werden konnten537.

ℹ️Zur Bekämpfung des Defizits hatte Franz Joseph Ende 1881 die Einberufung einer Ersparungskommission angeordnet538. Sie sollte Vorschläge für Einsparungen im Verwaltungsapparat ausarbeiten. Ihr Präsident Hohenwart und ihre Mitglieder wurden Anfang 1882 ernannt539. Diese Kommission erbat sich die „Erteilung von Auskünften über den Geschäftsstand und die Geschäftsverhältnisse im Ministerium“540. Die von der Ersparungskommission geforderten Informationen zur Arbeitsbelastung der einzelnen Referenten waren jedoch für den Finanzminister so tiefgreifend, dass die zur Beantwortung aufzubringende „Arbeit gleichfalls einen außerordentlichen Aufwand an Zeit und Mühe erheischen würde, ohne daß dadurch der Zweck: der Ersparungs-Commission einen tieferen Einblick in die Thätigkeit des Finanzministeriums zu gewähren, – erreicht würde“, wie Dunajewski der Kommission mitteilte541. Davon informierte der Minister seine Kollegen, „weil er glaube, dass es zweckmäßig sein dürfte, wenn in dieser Beziehung ein gleichmäßigeres Vorgehen der Ministerien der Ersparungskommission gegenüber stattfände“. Die Kommission sollte ihre Vorschläge dann Mitte 1884 vorlegen, die aber nie umgesetzt wurden. Kolmer kommentierte, dass diese Kommission „nur das Mitleid ihrer Freunde und den Spott ihrer Gegner hervorgerufen habe“542.

ℹ️Auch wenn die Arbeit der Ersparungskommission keine praktischen Resultate brachte, so gelang es Dunajewski doch, dass das Defizit bis zum Voranschlag für 1883 zumindest strukturell nicht stieg. Ausschlaggebend dafür waren aber weniger die Einsparungen als vielmehr die Massenkonsumsteuern: die Anhebung der Zuckersteuer, die Einführung der Petroleumsteuer und der neue schutzzöllnerische Zolltarif. Auch die Gebäudesteuer, die das Geldkapital treffen sollte, steigerte die Einnahmen. Hingegen scheiterte der Versuch der Reform der direkten Personensteuern, die Ende 1882 in den Reichsrat eingebracht wurde.

d) Bank- und Staatsnoten

ℹ️In der Monarchie kursierten zwei Arten an Geldscheinen: die Banknoten der Oesterreichisch-ungarischen Bank und das Staatspapiergeld, das vom gemeinsamen Finanzministerium ausgegeben wurde. Es war mit dem Gesetz vom 5. Mai 1866 entstanden, als die bisherigen Banknoten zu 1 und 5 fl. auf den Staatsschatz übernommen, also von Bank- in Staatsnoten umgewandelt wurden543.

ℹ️Um die „Verfälschung“ dieser papierenen Geldzeichen zu erschweren, sollten sie ab 1881 eingezogen und durch Noten mit neuem Design ersetzt werden. Dies kam am 23. Jänner 1880 im Ministerrat zur Sprache544. Daraufhin wurden in den folgenden Jahren die Geldscheine sukzessive ersetzt, zuerst die Banknoten545, später auch das Staatspapiergeld546. Bei der Herausgabe der neuen Banknoten ergab sich jedoch das Problem, dass bei der Erneuerung des Bankprivilegiums 1878 in Artikel 82 festgehalten worden war, die Banknoten seien auf beiden Seiten „mit dem Wappen der österreichisch-ungarischen Monarchie [zu] versehen“547. Allerdings konnten sich beide Teile der Monarchie in den folgenden Jahren nicht auf ein gemeinsames Wappen einigen548. Um zu vermeiden, dass die ab 1880 ausgegebenen neuen Banknoten im Widerspruch zu den statutenmäßigen Bestimmungen stünden, einigten sich der cisleithanische und der ungarische Finanzminister mit der Bank, die Verpflichtung der Notenbank, „wonach die Anweisung dieser Bank (Banknoten) mit dem Wappen der österreichisch-ungarischen Monarchie zu versehen sind, hat bis auf Weiteres nicht in Ausführung zu kommen“549. Das 1887 erneuerte Privilegium der Oesterreichisch-ungarischen Bank enthielt dann diesen Passus nicht mehr550. Es sollte bis 1915 dauern, bevor sich beide Teile der Monarchie auf ein gemeinsames Wappen einigen konnten551.

ℹ️Die Herausgabe der neuen 10-Gulden-Banknoten führte zu einem weiteren Problem. Denn die neuen Geldscheine, die auf der einen Seite in ungarischer und auf der anderen Seite in deutscher Sprache beschriftet waren, wurden – vermutlich auf ihrer deutschen Seite – vielfach von privater Seite in den verschiedenen Landessprachen überschrieben bzw. überstempelt552. Über die Frage, wie mit diesen „verfälschten“ 10-Gulden-Banknoten und dann – prophylaktisch – mit den später ausgegebenen neuen 5-Gulden-Staatsnoten umzugehen sei, beschäftigte mehrfach den Ministerrat. Beschlossen wurde ein Erlass an die Staatskassen, der die Einziehung dieser überschriebenen Banknoten anordnete, während für die Staatsnoten eine analoge Verordnung des gemeinsamen Finanzministers erfolgte553. Danach tauchte das Thema nicht mehr im Ministerrat auf. Erst mit der Einführung der neuen Kronengeldscheine nach 1900 wurde bestimmt, dass bei den neuen Geldscheinen auf der „deutschen Seite“ die untere Randverzierung den Nennwert der Note „in den acht verschiedenen Landessprachen enthält“554.

Militärgesetze

ℹ️Der Okkupationsfeldzug 1878 beschäftigte den Ministerrat in den folgenden Jahren, einerseits wegen der langfristigen Kosten für den Unterhalt eines Armeekorps als Besatzung in diesen Provinzen, andererseits wegen militärischer Reformen in der bewaffneten Macht, die sich aufgrund der Erfahrungen aus diesem Feldzug als notwendig herausgestellt hatten.

a) Wehrgesetz und Heeresorganisation

ℹ️Mit einem Wehrgesetz werden rechtliche Bestimmungen festgeschrieben, wie das Militär in Friedens- und Kriegszeiten personell ergänzt und erhalten wird. Im Gegensatz dazu bestimmt die Organisation des Militärs dessen innere Struktur. Beides, Wehrgesetz und Heeresorganisation, beschäftigte den Ministerrat in der Zeit von 1879 bis 1882.

ℹ️Als 1868 ein neues Wehrgesetz eingeführt wurde, hatte dieses Gesetz an sich zwar eine unbegrenzte Geltungsdauer, aber zwei Paragrafen liefen nach zehn Jahren aus: § 11 – der die Kriegsstärke des stehenden Heeres und der Kriegsmarine mit 800.000 Mann festlegte – und § 13 – der die Aufteilung des Rekrutenkontingents auf beide Teile der Monarchie bestimmte555. Im Jahr 1878 gelang es aber nicht, eine Einigung zwischen beiden Teilen der Monarchie herzustellen, worauf die Bestimmungen der §§ 11 und 13 zunächst nur provisorisch für das Jahr 1879 verlängert wurden556. Weil in der Zeit der Übergangsregierung Stremayr – die ersten 40, allerdings nicht erhaltenen, Protokolle dieses Bandes – dieses Thema nicht auf der Tagesordnung des Ministerrates stand, war die Zeit für Taaffe nach seiner Ernennung zum Ministerpräsidenten im August 1879 bereits sehr knapp geworden. Zunächst galt es, eine Einigung mit Ungarn herzustellen, damit beide Regierungen ihren Parlamenten idente Gesetzesvorlagen präsentieren konnten. Im Ministerrat ging es zunächst um die „Feststellung der Prinzipien der Vorlage wegen des Wehrgesetzes“557, danach standen die Verhandlungen mit dem Kriegsminister und Ungarn auf der Tagesordnung558. Das Ergebnis, das Landesverteidigungsminister Horst mit seiner Zuschrift vom 9. Oktober 1879 dem Abgeordnetenhaus vorlegte, sah keine Änderung der Bestimmung von 1868 vor, sondern verlängerte sie nur bis Ende 1889559.

ℹ️Allerdings stieß die Gesetzesvorlage sofort auf Schwierigkeiten im Parlament, denn die damals noch gehegte Hoffnung Taaffes, zumindest Teile der Deutschliberalen für seine Politik gewinnen zu können, erwies sich als falsch. Da es aber noch keine gegen die Deutschliberalen gerichtete Regierungsmehrheit im Abgeordnetenhaus gab, drohte das Wehrgesetz schnell zu scheitern, und die Regierung dachte deswegen bereits Anfang November über ihre Demission nach560. Allerdings bildete sich eine konservativ-föderalistische Parlamentsmehrheit (Tschechischer, Polen- und Hohenwartklub), die auf der einen Seite die Regierung unterstützte und als Gegenleistung auf der anderen Seite in ihren Anliegen die Förderung der Regierung erhielt561. Doch die Verhandlungen zogen sich weiterhin in die Länge und wurden mit der Forderung vermischt, nicht nur die beiden §§ 11 und 13 zu verlängern, sondern auch einige Punkte des Wehrgesetzes zu ändern. Die Berücksichtigung dieser Forderungen sagte die Regierung für ein später einzubringendes eigenes Gesetz zu562. Auch in Budapest war der Reichstag mit der Vorlage unzufrieden, sodass dort der ungarische Ministerpräsident eine Erklärung abgab, die dann Gesprächsstoff im cisleithanischen Ministerrat war563. Schließlich ergriff Taaffe als Ministerpräsident im Abgeordnetenhaus das Wort, wofür ihm Horst dankte, und Taaffe rechtfertigte diesen Schritt im Ministerrat564. Dennoch strich das Abgeordnetenhaus den § 2 des Gesetzes, der die Verlängerung des § 13 des Wehrgesetzes bestimmte, sodass die Aufteilung des Rekrutenkontingentes zwischen beiden Teilen der Monarchie offenblieb. Doch auch nach der Annahme im Abgeordnetenhaus565 war das Problem für die Regierung keineswegs überwunden, denn das Herrenhaus verfügte noch über eine deutschliberale Mehrheit566. Letztlich zeigte sich das Herrenhaus aber staatstragend und fügte sogar den § 2 wieder ein. Es brachte die Vorlage damit wieder auf den Stand der Regierungsvorlage zurück567. Nachdem Abgeordneten- wie Herrenhaus in einer zweiten Verhandlungsrunde auf ihren unterschiedlichen Beschlüssen beharrten, kam es schließlich am 18. Dezember 1879 zu einer gemeinsamen mündlichen Verhandlung beider Häuser, in welcher der Beschluss des Herrenhauses, also die ursprüngliche Regierungsvorlage, akzeptiert wurde568. Das Gesetz erhielt – nachdem es auch in Ungarn verabschiedet worden war – am 20. Dezember 1879 die Sanktion des Monarchen569.

ℹ️Kaum waren die §§ 11 und 13 bis Ende 1889 verlängert, schritt die Regierung daran, „mehrere Paragraphe des Wehrgesetzes vom 5. December 1868“ abzuändern, wie sie ihren Gesetzentwurf übertitelte570. Die Ursachen für die Novelle des Wehrgesetzes waren vielfältig. Zum einen wurden Bestimmungen durch ein neues Vokabular präzisiert. So sprach beispielsweise § 15 des Gesetzes von 1868 unter Punkt a) davon, dass die Landwehr durch „die Einreihung der Reservemänner“ ergänzt werde, während es in der Novelle nun hieß „durch die Übersetzung der Reservemänner“; bei Punkt b) dieses Paragrafen hieß es im Gesetz „durch unmittelbare Eintheilung der Wehrpflichtigen“, in der Novelle hingegen „durch die unmittelbare Einreihung von Stellungspflichtigen“571. Zum anderen reagierte man auf schlechte Erfahrungen mit bestimmten Regelungen. ℹ️So wurde im § 4 die Dienstzeit in der Kriegsmarine von drei auf vier Jahre verlängert, dafür aber die Reserve von sieben auf fünf Jahre reduziert; ℹ️in § 31 wurde hingegen die jährliche Stellung von „April bis Mai“ auf die Zeit „März bis April“ vorverlegt.

ℹ️Der dritte und bei weitem größte Änderungskomplex ergab sich aus den Problemen, die sich im Okkupationsfeldzug herausgestellt hatten. So wurde ein Minimalersatz für die Landwehr fixiert und für die Ersatzreserve eine achtwöchige Ausbildungszeit vorgeschrieben. ℹ️Weiters wurde mit § 21 der Kreis der Berechtigten der Einjährig-Freiwilligen, die nach ihrer aktiven Dienstpflicht zu Reserveoffizieren wurden, deutlich ausgebaut. ℹ️Darüber hinaus wurden für Mediziner Sonderbestimmungen aufgenommen, um im Mobilisierungsfall über mehr Militärärzte zu verfügen. Den mit Ungarn ausgehandelten Gesetzentwurf legte Ziemiałkowski – in Vertretung Horsts – dem Abgeordnetenhaus am 23. April 1880 vor572.

ℹ️Die Verhandlungen zogen sich in die Länge. Mit einigen Änderungen an der Regierungsvorlage wurde das Gesetz vom Abgeordnetenhaus am 14. Dezember 1881 – seit der Einbringung am 23. April 1880 waren 20 Monate vergangen – angenommen573. Die Verhandlung im Herrenhaus, das inzwischen eine regierungsfreundliche Mehrheit besaß, verlief dagegen wesentlich schneller, und es nahm die Fassung des Abgeordnetenhauses im März 1882 an574. Bis zur Sanktion sollte es aber noch bis 2. Oktober 1882 dauern, denn diese sollte für beide Gesetze, das cisleithanische und das ungarische, gleichzeitig geschehen, und außerdem mussten vorher noch die Durchführungsverordnungen festgelegt werden. Gemeinsam mit der Zustimmung zur Durchführungsverordnung erteilte der Ministerrat am 26. September 1882 auch sein Einverständnis zur Einholung der Sanktion zum Gesetz575. Auch wenn Horsts Nachfolger, Welsersheimb, dieses Gesetz von cisleithanischer Seite mit ausgehandelt hatte, kritisierte er im Ministerrat die bei seiner Ernennung zum Minister „bereits eingebrachte“ Wehrgesetznovelle scharf:

ℹ️Er hielt die Vorlage, die er vorfand, von Haus aus für sehr unvollkommen und vom allgemeinen wie vom speziell militärischen Standpunkte vieles zu wünschen lassend. Dieselbe wurde aber eben als das Summum des infolge langer und schwieriger Verhandlungen namentlich auch mit der kgl. ung. Regierung Erzielbaren dargestellt, für dessen Durchbringung nun auch die beiderseitigen Regierungen einstehen mussten. 576

ℹ️Ebenso war Welsersheimb auch mit den Durchführungsbestimmungen nicht zufrieden. Zwar gelang es, den ungarischen Versuch in den Verhandlungen abzuwehren, „den Wirkungskreis des Reichskriegsministeriums zugunsten des Landesverteidigungsministeriums zu beschränken, Letzterem die entscheidende Stimme in Fragen über den Stand des Heeres einzuräumen, und die Interessen der Landwehr gegen jene des stehen[den] Heeres in erste Linie zu ste[lle]n“577. ℹ️Doch gerade die Erweiterung des Zugangs zum Einjährig-Freiwilligen-Recht sah Welsersheimb sehr kritisch, weil dies „zur Verschlechterung des ohnehin schon jetzt nicht durchwegs vorzüglichen Materials für Einjährig-Freiwillige führen müsse“. Aus diesem Grund und wegen der unterschiedlichen Durchführungsverordnungen in beiden Teilen der Monarchie bezüglich der Verteilung der Rekruten zwischen gemeinsamer Armee und den Landwehren betonte der Minister, dass er „keine moralische Verantwortung trage und auch nicht übernehme“578. ℹ️Nach der Zustimmung des Ministerrates zu dieser Verordnung wurde nachträglich noch zu § 54 die Bestimmung aufgenommen, die „Ersatzreservisten sind bezüglich der Entlassung zum Zwecke der Auswanderung gleich wie die Reservemannschaft zu behandeln“579.

ℹ️Ebenfalls aufgrund der Erfahrungen des Okkupationsfeldzuges ergab sich die Notwendigkeit einer Reform der Heeresorganisation, worüber der Ministerrat durch Welsersheimb jedoch nur informiert wurde, aber selbst kein Mitspracherecht besaß, besonders weil „ein erhöhtes Rekrutenkontingent nicht in Anspruch zu nehmen sein werde, und dass der Heeresaufwand nach durchgeführter Reorganisation wohl in einzelnen Budgettiteln, nicht aber im Ganzen des Ordinariums eine Veränderung bzw. Erhöhung der Ansprüche an die Staatsfinanzen mit sich bringen solle“580. ℹ️Auch wenn es später noch zu weiteren Reformen kommen sollte, so wurde hier doch die Basis der Organisation der Infanterie gelegt, die bis 1914 Bestand haben sollte. Mit ihr wurde durch die Reduktion der Bataillone pro Regiment von fünf auf vier sowie der Umwandlung von acht Jägerbataillonen in zwei Infanterieregimenter zu je vier Bataillonen nicht nur die Anzahl der Infanterieregimenter, sondern damit auch die mit den Regimentern korrespondierende Einteilung der Militärergänzungsbezirke von 80 auf 102 vermehrt 581.

ℹ️Diese Veränderungen besonders bei der Infanterie und den Ergänzungsbezirken hatten zur Folge, dass sich einige 5. Bataillone und einige Jägerbataillone in neuen Regimentern wiederfanden, die sich von nun an aus dem anderen Teil der Monarchie rekrutierten. Für Cisleithanien stellte dies kein Problem dar, weil es hierzu keine gesetzlichen Bestimmungen gab. Hingegen enthielt § 32 des ungarischen Wehrgesetzes eine Bestimmung, die das cisleithanische Pendant nicht kannte: In Ungarn durften die in die gemeinsame Armee eingereihten Wehrpflichtigen „mit alleiniger Ausnahme der Sanitäts-Truppen, ausschließlich in die ungarischen Truppen eingetheilt werden“582. Aus diesem Grund suchte der ungarische Ministerpräsident Kálmán Tisza v. Borosjenő bei Franz Joseph um die Einbringung eines Gesetzentwurfes im ungarischen Reichstag an, mit dem „die ausnahmsweise Eintheilung einiger Bataillone ungarischer Infanterieregimenter, in die neu zu bildenden und vom Jahre 1883 angefangen nicht aus den Ländern der ungarischen Krone zu ergänzenden Infanterie-Regimenter“ ausgesprochen werden sollte. Einen Tag, nachdem die Ermächtigung am 2. November 1882 Tisza erteilt worden war, stand dieses Thema auch schon im cisleithanischen Ministerrat auf der Tagesordnung583. Denn neben der „ausnahmsweisen“ Bewilligung, dass die nun in cisleithanischen Einheiten Eingereihten der Stellungsjahrgänge 1873 bis 1882 bis zu ihrem Austritt aus der gemeinsamen Armee weiter zu ihren alten Bataillonen gehören durften, sollte im § 2 auch die umgekehrte Bestimmung aufgenommen werden, mit der Ungarn es den Einwohnern Cisleithaniens ermöglichen wollte, in ungarischen Bataillonen Dienst zu tun.

ℹ️Welsersheimb beabsichtigte in einem Schreiben an Kriegsminister Bylandt „gegen dieses einseitige Vorgehen insbesondere aber bezüglich des § 2 des Entwurfes Verwahrung einzulegen“. Dieses Schreiben fand die Zustimmung des Ministerrates. Das Gesetz an sich konnte dadurch nicht verhindert werden, war es doch nach ungarischer Rechtslage notwendig. Aber § 2 wurde gestrichen, denn weder das cisleithanische noch das ungarische Wehrgesetz verbot das Dienen von Einwohnern Cisleithaniens in ungarischen Regimentern584.

b) Die Militärtaxe sowie die Invaliden- und Hinterbliebenenversorgung

ℹ️Mit dem cisleithanischen und dem ungarischen Wehrgesetz von 1868 war die allgemeine Wehrpflicht in Österreich-Ungarn eingeführt worden. Dem trugen die Versorgungsgesetze von 1875 keine Rechnung, weil hier nur Ansprüche auf Pension und Invalidenversorgung von Personen behandelt wurden, die sich zu einer längeren Dienstzeit verpflichtet hatten585. Nicht berücksichtigt war daher die Masse der Soldaten des neuen Heeres, die Wehrpflichtigen, ℹ️sowie deren Hinterbliebene im Falle des Todes eines Soldaten. Ursache war, dass bei länger dienenden Soldaten im Falle einer Heirat die Ehefrauen für sich und ihre Kinder auf staatliche Unterstützungen verzichten mussten und sie diese nur über Gnadengesuche erhalten konnten. Wehrpflichtige hingegen wurden mit Beendigung ihrer aktiven Dienstzeit wieder zu Zivilisten, die in ihrer Familienplanung nicht den Regeln des Militärs unterworfen waren.

ℹ️Zur Durchführung der Okkupation Bosnien-Herzegowinas wurden nun die Reservisten von mehr als drei Armeekorps einberufen, ℹ️von denen bei den militärischen Operationen etwa 1.000 starben und 4.000 verwundet wurden586. ℹ️Gegenüber diesen Opfern und ihren Hinterbliebenen musste der Staat Verantwortung übernehmen. Dies führte in der vorletzten Sitzung des Abgeordnetenhauses der 1879 endenden Legislaturperiode zu dem Beschluss, der die Regierung aufforderte, ℹ️die in § 55 des Wehrgesetzes von 1868 zur Invalidenversorgung zwar vorgeschriebene, aber noch nicht eingeführte Militärtaxe nun umzusetzen. Mit dieser Taxe sollte dreierlei finanziert werden: erstens der Einschluss aller Invaliden, auch jener aus der bisher nicht berücksichtigten Masse der Wehrpflichtigen, in die Invalidenversorgung unter gleichzeitiger Aufbesserung der Verpflegssätze; zweitens sollten auch Witwen und Waisen versorgt und schließlich Familien der einberufenen Reservisten unterstützt werden, da diese für die Dauer des Reservedienstes ihr Einkommen aus dem Zivilberuf verloren587.

ℹ️Auf diese Initiative reagierend setzte sich die Regierung Taaffe umgehend mit dem nun zu kreierenden Militärtaxgesetz auseinander588, das sie anschließend dem Abgeordnetenhaus vorlegte589. Steuerpflichtig sollten alle männlichen Personen sein, die zum Militärdienst untauglich oder von ihm befreit waren oder vor Ende der Dienstpflicht auswanderten, sofern sie nicht mittel- und erwerbslos waren. Die Taxe wurde in acht Klassen geteilt, wobei in der 1. Klasse jährlich 80 fl., in der 8. 1 fl. zu entrichten war (§ 16). Die Einteilung erfolgte nach den Vermögensverhältnissen, war jedoch kryptisch definiert: Als Anhaltspunkt hatte zu dienen, dass die Einteilung unter die ersten sieben Klassen „nicht unter jenem Classensatze bemessen werden darf, welcher der nach dem Verhältnisse der Zahl der im gemeinsamen Haushalte lebenden Kinder und beziehungsweise Enkel von dem vierten Theile der Jahresschuldigkeit an directen Steuern entfallenden Quote zunächst entspricht“. ℹ️Von den Einnahmen waren jährlich 1,142.530 fl. in einen speziellen Fonds einzuzahlen590 (§ 6), dessen Zweck die Aufbesserung der Invalidenversorgung war. ℹ️Mehreinnahmen waren zur Versorgung hilfsbedürftiger Witwen und Waisen sowie ℹ️für die Unterstützung von hilfsbedürftigen Familien mobilisierter Reservisten zu verwenden. Dabei regelte § 8 die Aufbesserung der Invalidenversorgung und die §§ 10 und 11 die Unterstützung von Familienmitgliedern im Falle der Mobilisierung, während § 9 die Versorgung von Witwen und Waisen auf ein später zu erlassendes eigenes Gesetz verwies591.

ℹ️Neben einigen Richtigstellungen nahm der Wehrausschuss an diesem Gesetz drei zentrale Änderungen vor: Zunächst erweiterte er ℹ️den Kreis der Bezugsberechtigten um einberufene Landsturmmänner, die in der Regierungsvorlage unberücksichtigt geblieben waren. Dann vermehrte er die Taxklassen auf zehn, wobei die erste Klasse nun 100 fl. zu zahlen hatte. Schließlich versuchte der Ausschuss, die Taxbemessung klarer zu formulieren, wobei noch der Zusatz eingefügt wurde, dass „die Einreihung jedoch je nach Maßgabe der gesammten übrigen zu berücksichtigenden Verhältnisse (Vermögen, Erwerb, reines Einkommen) in eine entsprechend höhere oder niederere Classe erfolgen kann“592. Allerdings wurde dieser Bericht vom Abgeordnetenhaus wieder zurück an den Ausschuss verwiesen.

ℹ️Die darauf folgende neue Vorlage des Ausschusses strukturierte das Gesetz grundsätzlich neu. Es sah nun 14 Taxklassen vor, ohne allerdings den Höchstsatz von 100 fl. anzuheben (§ 3). Als Bemessungsgrundlage waren nun statt 25 nur noch 10% der direkten Steuerleistung vorgesehen593. Außerdem wurden einerseits die den cisleithanischen Anteil für den gemeinsamen Unterstützungsfonds übersteigenden Militärtaxeinnahmen zur allgemeinen Staatseinnahme und ℹ️andererseits die „Unterstützung der hilfsbedürftigen Familien von Mobilisierten“ zu einer Staatsaufgabe erklärt. Das Abgeordnetenhaus entkoppelte damit die Leistungen von den Taxeinnahmen. Das Abgeordnetenhaus nahm am 12. Mai 1880 diese Neufassung an, der das Herrenhaus schnell beitrat, sodass es am 13. Juni sanktioniert werden konnte594.

ℹ️Auch in Ungarn wurde ein Militärtaxgesetz verabschiedet, das sich aber besonders darin vom cisleithanischen Gesetz unterschied, dass die unterste Taxklasse 3 fl. betrug und die Taxhöhe mit dem Einkommensgesetz korrespondierte595. Voll Bedauern musste Welsersheimb 1882 dem Monarchen erklären, nach Abzug der Unterstützungen habe Ungarn vom Taxgesetz „einen beträchtlichen Überschuss, während wir im ersten Jahre ein Defizit von 600.000 fl. hatten“. Ursache sei, „dass unser Minimalsatz mit 1 fl. zu niedrig gegriffen scheine und dass auch die Taxeintreibung durch die politischen Behörden manches zu wünschen übrig lasse“596. ℹ️Zudem überließ das ungarische Gesetz nicht nur die Witwen- und Waisenversorgung einem zukünftigen Gesetz (§ 9 a), wie dies in Cisleithanien der Fall war, ℹ️sondern auch die Versorgung der Familien der Einberufenen (§ 9 b). 1881 und 1882 folgten in Cisleithanien sechs Durchführungsverordnungen, wodurch die Einteilung der Taxpflichtigen in die 14 Klassen sowie das Prozedere bei Auswanderung eines Taxpflichtigen von einem Teil der Monarchie in den anderen geregelt wurde597.

ℹ️Mit diesem Gesetz war aber nur die Pflichtigkeit und Einhebung der Taxe selbst sowie die Versorgung der Invaliden und der Familien der eingezogenen Reservisten bestimmt worden. Für Witwen und Waisen bedeutete das Gesetz nur die Ankündigung, dass ihre Ansprüche in einem späteren Gesetz geregelt werden sollten. Aus diesem Grund forderte das Abgeordnetenhaus die Regierung gleichzeitig mit der Annahme des Militärtaxgesetzes auf, „baldmöglichst den Entwurf eines Gesetzes einzubringen, durch welches die Art der Versorgung hilfsbedürftiger Witwen und Waisen von Angehörigen des stehenden Heeres, der Kriegsmarine und der Landwehr, sowie des Landsturmes, welche vor dem Feinde gefallen oder in Folge von Verwundungen oder von Kriegsstrapazen gestorben sind, geregelt wird“598. Für die Übergangszeit bis zur Verabschiedung eines Hinterbliebenengesetzes gewährte § 22 des Taxgesetzes den Hinterbliebenen provisorisch sechs Monate nach dem Tod des Soldaten die Fortzahlung der erhaltenen Mobilisierungsunterstützung.

ℹ️Zwar hatte die Regierung für einen entsprechenden Gesetzentwurf „die Regelung der im § 16 des Taxgesetzes vorgesehenen Versorgungsfrage bereits beschlossen“, sie konnte „jedoch nicht einseitig vorgehen“, sondern musste „daher die Entschließung der ungarischen Regierung abwarten“599. Diese Verhandlungen zogen sich jedoch in die Länge und wurden schließlich wegen des Todes des ungarischen Landesverteidigungsministers Béla Szende am 18. August 1882 unterbrochen. ℹ️Besondere Brisanz erhielt dieses Gesetz wegen des Ende 1881 losgebrochenen Aufstandes in der Herzegowina und in Süddalmatien. Zur Unterdrückung der Aufstände wurden mehr als 62.000 Mann eingesetzt, darunter viele Reservisten, und ℹ️im Verlauf der Kämpfe starben 73 Soldaten, während 255 verwundet wurden600. ℹ️Aus diesem Grund entschloss sich Welsersheimb mit einer provisorischen und einseitigen cisleithanischen Regelung vorzupreschen, damit für die Witwen und Waisen der eingezogenen Soldaten „auch nach Ablauf der sechsmonatlichen Frist und bis zum Inslebentreten des definitiven Versorgungsgesetzes die ihnen bisher nach der Reservistenversorgung zukommenden Bezüge aus dem Taxfonds verabfolgt werden“601. Am 20. Mai 1882 wurde das Gesetz dem Abgeordnetenhaus vorgelegt, am 23. Mai von ihm und am 26. vom Herrenhaus angenommen und schließlich am 7. Juni sanktioniert602. Bis zum Zustandekommen eines definitiven Militärversorgungsgesetzes sollte es allerdings noch bis 1887 dauern603.

c) Andere Militärgesetze

Zu Ende der ℹ️1879 auslaufenden V. Legislaturperiode kam noch das sogenannte Bequartierungsgesetz zustande. In langwierigen Verhandlungen von 1869 bis 1878 hatten sich beide Teile der Monarchie auf einen Entwurf geeinigt604, der 1878 dann in den Reichsrat eingebracht und noch im Mai 1879 verabschiedet wurde605. ℹ️Ein weiteres Thema waren rechtliche Lücken in der Behandlung von mobilisierten Volksschullehrern, wie ihre Wiederverwendung nach Mobilisierungsende oder die Behandlung ihrer Dienstwohnungen während der Mobilisierung. Da dies Angelegenheiten der Kronländer waren, kamen einige diesbezügliche Landesgesetze im Ministerrat zur Sprache606. ℹ️Auch das Thema einberufener Ärzte beschäftigte ihn607, ℹ️ebenso wie – während der Unterdrückung des Aufstands in der Herzegowina und in Süddalmatien – die „Frage des Fortdienens der im Staatdienste stehenden, ausgedienten Landwehroffiziere“ und die „Behandlung der aus dem jetzigen Anlasse zur Militärdienstleistung einberufenen Zivilstaatsbediensteten hinsichtlich ihrer Bezüge“608. ℹ️Eine Militärstrafprozessordnung wurde beraten, ohne dass die Vorverhandlungen zu Resultaten führten609.

Darüber hinaus beschäftigte sich der Ministerrat noch mit weiteren militärischen Gesetzen. ℹ️Eines betraf das Schießstandwesen610. Dabei trug Welsersheimb Bedenken, es in den Reichsrat einzubringen, „solange die nationalen Verhältnisse noch auf dem Standpunkte einer solchen Bewegung seien, bei der er aus der Organisierung des Schießstandswesens [So]rg[en] für [die Ordnung im] Frieden schöpfen müsste“611. ℹ️Andere Gesetzesinitiativen Welsersheimbs kamen Ende 1882 erstmals zur Sprache: eine Novelle des Pferdestellungsgesetzes612 und, nach Erledigung der Änderungen am Wehrgesetz, ℹ️ein neues Landwehrgesetz613. Für die Landwehr, die in erster Linie, ohne allzu große Einmischungen des Kriegsministeriums oder Ungarns, in Welsersheimbs Verantwortung lag, fand der Minister viele lobende Worte. Um diese billige „Armee von mehr als 100.000 Mann Landwehr, von der man hoffen könne, dass sie im ernsten Momente eine wirkliche Unterstützung sein werde“, so meinte er am 28. Oktober 1882, „können uns die anderen Staaten beneiden“614. ℹ️Ebenfalls beraten wurde ein neues Landsturmgesetz615, dessen Bestimmungen „sich aber an die über die Landwehr anschließen, daher naturgemäß die Landwehrreform vorausgehen müsse“616.

ℹ️In der Zeit der Übergangsregierung Stremayr und in den ersten Jahren der Regierung Taaffe konnten mit Bequartierungs-, Wehr- und Militärtaxgesetz wichtige Militärgesetze sowie die Heeresreform erledigt werden. Dies waren Etappenschritte für weitere darauf aufbauende Gesetze, wie das Landwehr-, das Landsturm- und das Pferdestellungs- oder das Militärversorgungsgesetz, deren Konkretisierung 1882 erst begannen. ℹ️Je mehr diese Gesetze auf Kompromissen beider Teile der Monarchie beruhten, desto langwieriger war die Entscheidungsfindung. So begannen sie beim Bequartierungsgesetz 1869, 1878 konnte der Gesetzentwurf dann den Parlamenten vorgelegt und schließlich 1879 verabschiedet werden. Ähnlich verhielt es sich mit dem Versorgungsgesetz Hinterbliebener von gestorbenen Soldaten, das erst 1887 zustandekam. Relativ schnell erfolgte hingegen die Einigung bei der Revision des Wehrgesetzes. Die Beratungen mit Ungarn begannen 1877 und konnten trotz Regierungswechsels und Beginn einer neuen Legislaturperiode in Cisleithanien 1882 abgeschlossen werden.

Nach der Okkupation: Die Integration Bosnien-Herzegowinas

ℹ️Das zentrale Thema der Regierung in den ersten Jahren des in diesem Band behandelten Zeitraums war die Eingliederung des gerade okkupierten Bosnien-Herzegowina in die Doppelmonarchie. Im Zentrum standen die Fragen des Aufbaus der Verwaltung, des Einschlusses der Provinzen in das österreichisch-ungarische Zollgebiet und die verkehrstechnische Erschließung des Landes. Gleichzeitig waren beide Teile der Monarchie darauf bedacht, möglichst viel Einfluss auf die Politik in Bosnien-Herzegowina auszuüben, ohne dabei aber finanzielle Verpflichtungen einzugehen.

ℹ️a) Die Diskussion um die Verwaltung Bosnien-Herzegowinas

Aufgrund des Artikels XXV des Berliner Vertrages von 1878 wurden die Provinzen des Osmanischen Reiches Bosnien und Herzegowina von Österreich-Ungarn besetzt, was am 20. Oktober 1878 abgeschlossen war617. Unmittelbar danach stand im Zentrum der Überlegungen die Frage, wie die Verwaltung dieser Provinzen organisiert werden sollte. Diese Beratungen begannen bereits unter der Regierung Auersperg. Dabei ging es zuerst um den Aufbau einer provisorischen Zivilverwaltung. ℹ️Mit Ah. Entschließung vom 16. September 1879 wurde eine „bosnische Kommission“ eingerichtet, in der die drei gemeinsamen Ministerien sowie Delegierte der cisleithanischen und ungarischen Regierung vertreten waren. Ihre Aufgabe bestand „in erster Linie in der Ausarbeitung eines Entwurfes des provisorischen Wirkungskreises des Armee-Commandanten in Bosnien und in der Herzegowina, sowie jenes der Commission selbst“618. Dies geschah innerhalb eines Monats. Mit Ah. Entschließung vom 29. Oktober 1878 wurde der „provisorische Wirkungskreis der Commission für die Angelegenheiten Bosnien’s und der Herzegowina“ und der „provisorische Wirkungskreis des Chefs der Landesregierung in Bosnien und der Herzegowina“ bestimmt619. § 1 des Wirkungskreises der Landesregierung ordnete diese dem gemeinsamen Ministerium unter, und § 1 des Wirkungskreises der bosnischen Kommission definierte diese als „berathendes Organ in allen wichtigeren Angelegenheiten der Administration Bosnien’s und der Herzegowina und zur Evidenzhaltung des Ganges der Verwaltung dieser Länder“.

ℹ️Diese Organisation erwies sich jedoch als zu schwerfällig. Sie wurde am 26. Februar 1879 dahingehend abgeändert, dass nur mehr das gemeinsame Finanzministerium mit der Verwaltung der okkupierten Provinzen im Namen des gemeinsamen Ministeriums betraut wurde, und dass sich die Tätigkeit der bosnischen Kommission „nur auf die Abgabe von Gutachten über prinzipielle Fragen, Organisationsentwürfe und jene Angelegenheiten zu beschränken habe, bei welchen die vorgängige meritorische Mitwirkung beider Regierungen notwendig erscheint“620. ℹ️Die bosnische Kommission trat dann am 27. Mai 1879 zu ihrer 34. und damit letzten Sitzung zusammen, in der sie den III. Teil des IV. Hauptstückes des Strafgesetzbuches beriet621.

ℹ️Danach schlossen sich im Ministerrat Verhandlungen über die rechtliche Regelung der Beziehung der okkupierten Provinzen zu beiden Teilen Österreich-Ungarns an. Dabei handelte es sich um je ein in Cisleithanien und in Ungarn zu verabschiedendes Gesetz, das den Einfluss beider Teile der Monarchie auf die Politik Bosnien-Herzegowinas regelte. Mit der Übernahme des Vorsitzes durch Stremayr begann sich der Ministerrat mit dem Thema zu beschäftigen622 und setzte seine Beratungen unter Taaffe weiter fort. Die Gesetze kamen schließlich im Februar 1880 zustande623. ℹ️Im § 1 wurden die Regierungen beider Teile der Monarchie „ermächtigt, beziehungsweise angewiesen“, auf die Verwaltung dieser Provinzen „unter verfassungsmäßiger Verantwortung Einfluß zu nehmen“. ℹ️Ebenso bestimmten die folgenden Paragrafen den Einfluss der beiderseitigen Regierungen und Parlamente beim Bau von Eisenbahnen, bei der Kreditaufnahme und bei der Umsetzung der Bestimmungen des Zoll- und Handelsbündnisses in den okkupierten Provinzen. ℹ️Jede Änderung des „Verhältnisses dieser Länder zur Monarchie“ wurde von „der übereinstimmenden Genehmigung der Legislative der beiden Theile der Monarchie“ abhängig gemacht. Dabei war nach § 3 die „Verwaltung dieser Länder so einzurichten, daß die Kosten derselben durch die eigenen Einkünfte gedeckt werden“. War dies nicht möglich, etwa wenn das Land Kredite für Investitionen aufnehmen wollte, bedurfte dies der Zustimmung beider Regierungen, oder, wenn auch beide Teile der Monarchie finanziell involviert waren, der beiden Parlamente624. Mit der rechtlichen Integration der Provinzen in die Doppelmonarchie wurden auch die österreichisch-ungarische Konsulartätigkeit und deren Gerichtsbarkeit in diesen Gebieten überflüssig und sie wurde aufgehoben625.

ℹ️Um möglichst schnell und effektiv auf eine Zivilverwaltung zurückgreifen zu können, entsandten beide Teile der Monarchie Beamte nach Bosnien-Herzegowina, um die Lokalverwaltung aufzubauen und heimische Beamte in die Verwaltungspraxis einzuführen. Zu diesem Zweck wurden Beamte zunächst für zwei Jahre beurlaubt. 1881 konnte ein drittes und 1882 ein viertes Jahr usw. angehängt werden626. Diese Beamten sollten auch bei den zu reformierenden bzw. den neu zu kreierenden Gesetzen mitwirken. Denn nicht nur die Verwaltung an sich, auch alle rechtlichen Normierungen wurden umgebaut. ℹ️So beschäftigte sich der Ministerrat auch mit der „Beratung der bosnischen Kommission wegen Einführung eines Strafgesetzes in Bosnien und der Herzegowina627. ℹ️Dezidiert für seine Verdienste beim Aufbau des Bergwesens in Bosnien-Herzegowina stimmte der Ministerrat der Verleihung des Ritterkreuzes des Franz-Joseph-Ordens an Ludwig Jaroljmek zu, der ihm von Franz Joseph am 1. August 1882 verliehen wurde628. ℹ️Für andere Beamte bedeutete die Verwendung in Bosnien-Herzegowina mit ihrer Rückkehr nach Cisleithanien einen Sprung in der Karriere, wie bei dem bereits erwähnten Bacquehem, der nach seiner Verwendung in der Landesregierung in Sarajewo von der Bezirks- in die Landesverwaltungen wechselte: 1880 wurde er Regierungsrat in Kärnten, 1881 Statthaltereirat in Oberösterreich und schließlich 1882 zuerst Leiter der schlesischen Landesregierung und dann definitiver Landespräsident. 1886 sollte er dann Handelsminister werden629.

ℹ️In der Vorbereitung auf die kommende Delegationssession beschäftigten sich die gemeinsamen Ministerratssitzungen vom 23. und 24. Oktober 1882630 ganz besonders mit der Frage, wie die gemeinsamen Minister mit einer möglichen Anfrage aus einer der Delegationen bezüglich einer Annexion von Bosnien-Herzegowina umgehen sollten. Am 23. Oktober einigten sich die gemeinsamen Minister mit beiden Ministerpräsidenten darauf, dass, wenn „in den Delegationen die Frage der Aenderung der staatsrechtlichen Verhältnisse Bosniens und der Herzegowina angeregt werden sollte, die Discussion über diesen Gegenstand einfach abzulehnen“ sei, wie der Außenminister den Beschluss in der Sitzung am folgenden Tag dem Monarchen zusammenfasste631. Dieses Vorgehen genehmigte Franz Joseph, hielt aber in aller Deutlichkeit fest, er geruhe „zugleich jedoch darauf hinzuweisen, daß Seitens der Regierung möglichst bald daran gegangen werden müsse, eine Einigung über die endgiltige Gestaltung der staatsrechtlichen Verhältnisse Bosniens und der Herzegowina zu erzielen“. Er fuhr fort:

ℹ️Man könne sich nicht verhehlen, daß eine Consolidirung der Verhältnisse in den beiden Ländern erst dann ermöglicht sein werde, wenn durch die Annexion derselben eine unzweifelhaft legale Basis für das Vorgehen der Regierung geschaffen würde. Aber auch wenn die Annexion ins Leben treten sollte, sei eine vollkommene Klarheit über die künftige Gestaltung der staatsrechtlichen Verhältnisse Bosniens und der Herzegowina, beziehungsweise über die Art ihrer Einfügung in die Monarchie schon aus dem Grunde wichtig, um bei allen Maßnahmen in den occupirten Ländern für jene Einverleibungsmodalität, für welche man sich entscheiden würde, vorarbeiten zu können.632

ℹ️Über die darauffolgenden Besprechungen der gemeinsamen Minister mit den beiderseitigen Ministerpräsidenten und Finanzministern, die möglicherweise nicht protokolliert wurden, referierte Taaffe in der Sitzung des cisleithanischen Ministerrates am 15. November 1882633. Zwei Konzepte standen zur Beratung: jenes des Außenministeriums und jenes der ungarischen Regierung634. Der Vorschlag des Außenministeriums wollte Bosnien und die Herzegowina im Falle der Annexion zu einem Reichsland machen „ohne sie als solches zu bezeichnen“. Für dieses Gebiet sollte dann ein eigener gemeinsamer Minister eingesetzt werden und die Delegationen sollten dafür zuständig sein. Im Gegensatz dazu schlug die ungarische Regierung vor, die beiden Provinzen nach dem Quotenschlüssel (70 : 30) zwischen beiden Teilen der Monarchie zu teilen. Dieser Vorschlag stieß auf vehemente Ablehnung Taaffes, weil „ohne Rücksicht auf historische oder ethnografische Momente lediglich nach dem Maßstabe des bestehenden Beitragsschlüssels zu den gemeinsamen Auslagen die Aufteilung eines Ländergebietes stattfinden“ solle. Dunajewski assistierte Taaffe, als er meinte, „dass es sich bei einer Zuteilung von Ländergebieten nicht bloß um den Boden, der sich allerdings mathematisch zerteilen lasse, sondern wesentlich auch um den Menschen handle“. Daher schlug Taaffe in den Konferenzen vor, dass „bis zu einer einvernehmlich vereinbarten definitiven Neugestaltung vorläufig das durch das bosnische Gesetz vom 22. Februar 1880 statuierte Verhältnis auch nach der Annexion weiter zu bestehen habe“. Mit dieser Position war der Ministerrat einverstanden und wurde „die Mitteilung des Ministerpräsidenten zur befriedigenden Kenntnis genommen“635. Zur Annexion kam es allerdings damals nicht, sie wurde aber Mitte der 1890er Jahre erneut im gemeinsamen Ministerrat beraten und erfolgte erst nach der Jungtürkischen Revolution 1908636.

ℹ️b) Die Integration in den gemeinsamen Wirtschaftsraum

Neben dem Aufbau der Verwaltung waren die Verhandlungen mit Ungarn über die Integration der okkupierten Provinzen in den gemeinsamen Wirtschaftsraum ein zweites intensiv behandeltes Thema zu Bosnien-Herzegowina637. ℹ️Denn um Teil des Zollgebietes werden zu können, mussten die Bestimmungen des österreichisch-ungarischen Wirtschaftsausgleichs auch in Bosnien-Herzegowina Anwendung finden: ℹ️also die Regelungen des Außenhandels, ℹ️der gemeinsamen Verzehrungssteuern (Bier, Branntwein und Zucker, ab 1882 auch Petroleum) und der Staatsmonopole (Salz, Tabak, Lotto und – als Monopol der Militärverwaltung – Schießpulver). ℹ️Ebenso war die Währung der Monarchie, der Gulden österreichischer Währung, in den okkupierten Provinzen einzuführen und das Privilegium der Oesterreichisch-ungarischen Bank auf sie auszudehnen. ℹ️Dabei war ein Mitspracherecht Bosnien-Herzegowinas bei der gemeinsamen Wirtschaftspolitik nicht vorgesehen, lediglich „im Falle besondere Bedürfnisse Bosniens und der Herzegowina eine ausnahmsweise Berücksichtigung bei den erwähnten Normen erheischen, werden diese nach Einvernehmung der Landesverwaltung Bosniens und der Herzegowina zu erlassen sein“638. ℹ️Für eine Übergangsfrist wurde zwischen Österreich-Ungarn und Bosnien-Herzegowina eine Zwischenzolllinie eingerichtet (§ 15 des Gesetzes vom 20. Dezember 1879, das die Herstellung eines Zollverbandes Österreich-Ungarns mit Bosnien-Herzegowina regelte), die am 16. Juli 1882 aufgehoben wurde639. ℹ️Eine Besonderheit war das sogenannte Zollaversum, eine Abfindung für entgangene Zolleinnahmen. Denn die bosnisch-herzegowinischen Zolleinnahmen wurden „für Rechnung des gemeinsamen Zollgefälles“ eingehoben. Dies widersprach jedoch den Bestimmungen der Konvention mit der Türkei, nach der die Einnahmen der Provinzen – zu denen auch die Zolleinnahmen zählten – für sie zu verwenden seien640. Als Ausgleich erhielt Bosnien-Herzegowina daher jährlich 600.000 fl. als Abfindung (Aversum) für die ihm entgangenen Zolleinnahmen641.

ℹ️Am 15. April 1881 waren mit gleichen Gesetzen für Cisleithanien und Ungarn die seit 1850 bestehenden Spielkarten- und Kalenderstempel angehoben worden642. § 2 hielt fest, dass die seit 1868 bestehende Regelung, wonach die Versteuerung „in der Reichshälfte erfolgt, wo die Erzeugung oder die Einfuhr aus dem Auslande stattfindet und daß bei einer Ueberführung in die andere Reichshälfte keine weitere Versteuerung Platz greift“643. Eine entsprechende Bestimmung für Bosnien-Herzegowina war 1881 nicht notwendig, da es ja eine Zwischenzolllinie gab; es „bestehe das Verhältnis wie zum Auslande“. Mit der Aufhebung derselben galt es nun auch für Kalender und Spielkarten „dieses Ver[hältnis her]zustellen, wie es [zwisc]hen den beiden Reichs[hä]lften besteht“644. Unter der Voraussetzung, dass in Bosnien-Herzegowina „ein mit unserem Gesetze gleichartiges Spielkartennormal eingeführt werde“645, wurde die in Bosnien-Herzegowina gezahlte Stempelgebühr für dort erzeugte oder dorthin über die gemeinsame Zollgrenze eingeführte Spielkarten und Kalender in die Gebühren eingerechnet, die in Cisleithanien und in Ungarn anfielen646.

ℹ️In den sogenannten paktierten Angelegenheiten, die entsprechend der Ausgleichsgesetze von 1867 zwar getrennt verwaltet, aber von Cisleithanien und Ungarn gemeinsam festgelegt wurden, erhielt Bosnien-Herzegowina mit der Okkupation kein wie auch immer geartetes Mitspracherecht, obwohl auch diese Provinzen alle Regelungen umzusetzen hatten. Lediglich beim Wunsch nach abweichenden Bestimmungen war eine „Einvernehmung“ (kein Einvernehmen, sondern lediglich eine Anhörung) zugestanden worden. Diese Frage wurde erneut bei den Diskussionen um das nach der Annexion 1908 zu erlassende Landesstatut dieser Provinzen beraten647.

c) Eisenbahnbau und andere Themen

ℹ️Der dritte im Ministerrat behandelte Themenkomplex war die Verlängerung der im Juni 1879 fertiggestellten Bahnstrecke Bosanski Brod–Zenica648 nach Sarajewo649. Während die Schmalspurstrecke Bosanski Brod–Zenica vom Militär auf Kosten des Okkupationskredits in einfachster und kostengünstiger Bauweise hergestellt worden und entsprechend auch nur wenig leistungsfähig war, sollte die Strecke Zenica–Sarajewo zwar auch als Schmalspurbahn gebaut werden, aber deutlich leistungsfähiger sein. Zudem war sie so zu konzipieren, dass sie später in eine Normalspurbahn umgewandelt werden könne650. Da die für den Kredit notwendigen Zinsleistungen von den Provinzen nicht alleine getragen werden konnten, waren Zahlungen beider Teile der Monarchie notwendig, sodass hier die Gesetzgebungen in Wien und Budapest dem Kreditgeschäft und damit dem Bahnbau selbst zustimmen mussten, was auch geschah. Die Gesetze erhielten im Februar 1881 die Sanktion651. Die Strecke konnte dann im August 1882 eröffnet werden. Auch die zukünftige Betriebsführung der bosnischen Bahnen652 und die Pensionsregeln der Beamten dieser sogenannten Bosnabahn653 beschäftigten den Ministerrat.

Zwei Bosnien-Herzegowina betreffende religionspolitische Themen wurden auch besprochen. ℹ️Am 23. September 1879 handelte es sich um „Verhandlungen wegen Unterordnung der griechisch-orientalischen Christen in den okkupierten Ländern unter den Metropoliten in Belgrad654. Dies, wie auch die in Diskussion stehende Alternative, die griechisch-orientalischen Bistümer unmittelbar dem Patriarchen im ungarischen Karlóca zu unterstellen, wurde nicht umgesetzt. Stattdessen wertete man das Bistum Sarajewo zu einem Erzbistum auf, dem alle Bistümer in Bosnien-Herzegowina unterstellt wurden. Nominell unterstand das Erzbistum aber weiterhin unmittelbar dem Patriarchen von Konstantinopel655. ℹ️Das zweite Thema war eine Interpellation des Reichsratsabgeordneten Clam über einen Erlass des bosnischen Bezirksamtes Wisoko, der es Muslimen verbot, zum christlichen Glauben überzutreten656. In seiner Antwort auf diese Interpellation am 10. Mai 1880 stellte Taaffe klar, dieser Erlass der Bezirksbehörde stehe „in vollem Widerspruche mit dem klaren Sinne der Belehrung, welche die Landesregierung den Behörden zu ertheilen für nothwendig befunden hatte, weßhalb der erwähnte Bezirksvorsteher diesfalls zur Verantwortung gezogen und wegen der den Absichten der Landesregierung geradezu widersprechenden Interpretation auch bereits aus der bosnischen Verwaltung entfernt“ worden war657. Das gemeinsame Ministerium erblickte „in der Enthaltung der Behörden von jeder Einwirkung auf das gegenseitige Verhältniß der in Bosnien nebeneinander stehenden Religionen und Glaubensbekenntnisse und in der Sicherstellung der vollen Freiheit in Glaubensfragen, das einzige Mittel, um die Ruhe der Gemüther zu erhalten und die Verhältnisse sich friedlich entwickeln zu lassen“. Daher seien Religionsübertritte rein durch die „betreffenden geistlichen Vorstehungen, also des Odža und Imam, und des betreffenden christlichen Seelsorgers“, abzuwickeln.

ℹ️Ein Thema kam trotz seiner Bedeutung nur einmal im Ministerrat zur Sprache: das provisorische Wehrgesetz658, mit dem in Bosnien-Herzegowina die allgemeine Wehrpflicht eingeführt wurde659. Dieses Gesetz war schon alleine deshalb problematisch, weil Österreich-Ungarn durch den Berliner Vertrag ja nur mit der Verwaltung der Provinzen beauftragt worden war, sie aber weiterhin Teil des Osmanischen Reiches blieben. Nun war es – wie die Verordnung der Landesregierung festhielt – „Seine Majestät der Kaiser und König“, der befahl (§ 1 des provisorischen Wehrgesetzes): „Alle wehrfähigen Landesangehörigen Bosniens und der Hercegovina sind verpflichtet, an der Vertheidigung des Landes und der Monarchie, welche diesen von ihr verwalteten Ländern Schutz und Sicherheit gewährt, persönlich theilzunehmen.“ Dass damit die Monarchie letztlich die Grenze des durch die Okkupation Zulässigen überschritt, bestätigte bereits Hans Schneller in seiner Dissertation an der Juridischen Fakultät der Universität Berlin 1892: „Mit Ausnahme des Wehrgesetzes ist keine der erwähnten Thatsachen [die in dem Werk behandelt wurden] geeignet, der Souveränität der Türkei über die in Rede stehenden Provinzen ernstlich Abbruch zu thun; und auch die Ausübung der Militärhoheit durch Oesterreich-Ungarn kann unmöglich die gänzliche Vernichtung des bestehenden Souveränitätsverhältnisses zur Folge haben, wenngleich sie – wie wir zugeben müssen – eine ernste Gefährdung derselben bildet.“660 Eine ähnliche Meinung vertrat auch Ferdinand Schmid in seinem Standardwerk aus dem Jahr 1914 über die Verwaltung Bosnien-Herzegowinas:

ℹ️Tatsächlich bildeten die bosnisch-herzegowinischen Truppen von Anfang an einen Bestandteil der gemeinsamen Wehrmacht der Monarchie, da ihre Angehörigen schon nach dem provisorischen bosnischen Wehrgesetze vom Jahre 1881 (§ 1) nicht nur zur Verteidigung dieser Länder, sondern der gesamten Monarchie verpflichtet waren.661

Unruhen

ℹ️Im Zeitraum, den dieser Band behandelt, kam es zu drei größeren politischen Unruhen: 1881 entluden sich die nationalen Differenzen zwischen Deutschen und Tschechen in der sogenannten Kuchelbader Schlacht, die sich schnell auf Prag ausweitete und drohte, ganz Böhmen zu erfassen; 1881/82 kam es in Süddalmatien und auch in der Herzegowina zu einem aktiven Widerstand gegen die Umsetzung bzw. Einführung der Wehrpflicht; und 1882 kam es während der 500-Jahr-Feierlichkeiten des Anschlusses Triests an die Habsburgermonarchie zu zwei Attentaten.

ℹ️a) Die Kuchelbader Schlacht

ℹ️Am 26. Juni 1881 begann das 20. Stiftungsfest des am 23. Februar 1861 gegründeten Prager akademischen Studentencorps „Austria“. Es bestand aus 13 „Burschen“, drei „Füchsen“ und sieben außerordentlichen Mitgliedern662. Zu dem Fest waren neben den vollzählig erschienenen Prager deutschen Studentenverbindungen Abordnungen der Verbindungen aus Cisleithanien sowie einige Vertreter von Verbindungen aus Deutschland gekommen. Dieses Stiftungsfest fand in einer politisch aufgeheizten Situation statt. Nur kurze Zeit zuvor, am 11. April, hatte Franz Joseph die Teilung der Prager Universität bewilligt. Um die aufgeheizte Stimmung nicht eskalieren zu lassen, forderte die Prager Polizeidirektion das Rektorat der Prager Universität bereits am 19. Juni „wegen einer gereizten Spannung zwischen der czechoslavischen Bevölkerung und der deutschen Verbindungs-Studenten“ auf, „auf die deutschen Studenten, welche Burschenschaften oder Verbindungen angehören, gefälligst einwirken zu wollen, daß sie durch provokatisches Benehmen nicht Anlaß zu Ausschreitungen geben mögen“663. Das Stiftungsfest wurde jedoch, besonders in Toastreden664, gerade für politische Manifestationen genutzt. Einem Aufruf der Prager Zeitung Národní listy folgend, überfielen darauf am 28. Juni Tschechen die deutschen Studenten in dem nahe Prag gelegenen Kuchelbad. Die deutschen Studenten flohen darauf zurück nach Prag665 und es gab Verletzte. In den folgenden Tagen weiteten sich die Auseinandersetzungen auf Prag aus.

ℹ️Die lokalen Ordnungskräfte waren im Dauereinsatz. Weil daher „die k. k. Sicherheitswache in Folge mehrtägiger, continuirlicher Anstrengung erschöpft in ihrer Diensttauglichkeit erlahmen dürfte“, erbat die Polizeidirektion vom Generalkommandopräsidium in Prag „nur für den Bedarfsfall zur Bewältigung größerer Ruhestörungen innerhalb des Polizei-Rayons vom morgigen Tage angefangen, eine Militärbereitschaft gefälligst beistellen zu wollen“666. Dieses mit 30. Juni datierte Schreiben wurde erst am 2. Juli expediert, denn diese Anfrage stellte ein Politikum dar. Die Notwendigkeit „mit aller Energie und eventuell mit Militärgewalt gegen weiter vorkommende Exzesse einzuschreiten“ stand für Taaffe – und auch den Monarchen – außer Frage. Aber zu diesem Zeitpunkt führte Kronprinz Rudolf in Vertretung des abwesenden FML. Johann Freiherr v. Dumoulin den Befehl über die Truppen in Prag. Dass aber der Kronprinz den Befehl zum Einsatz von Militär gegen die Zivilbevölkerung gebe, war für Franz Joseph ausgeschlossen, und er ordnete daher an, dass „anstelle des durchlauchtigsten Kronprinzen ein anderer General den Befehl über die Truppen in Prag übernehme“. Darauf kehrte Dumoulin frühzeitig nach Prag zurück und übernahm wieder das Kommando667. Der „Bedarfsfall“ trat nicht ein, das Militär musste keine „Militärbereitschaft beistellen“. Für den 4. Juli konnte das Prager Tagblatt berichten: „Die Straßen unserer Stadt tragen wieder ihre gewohnte Physiognomie und es herrscht vollkommene Ruhe.“668

ℹ️Bereits am 2. Juli 1881 hatte Franz Joseph gefordert, „daß die arretierten Exzedenten schnell und exemplarisch gestraft werden“669. Am 13. August wurde gegen drei Tschechen, die keine Akademiker waren, Anklage wegen öffentlicher Gewalttätigkeit erhoben670, die am 19. September mit zwei Schuldsprüchen, einer fünfmonatigen und einer dreimonatigen schweren Kerkerstrafe, und einem Freispruch endeten671. Der Senat der Prager Universität – noch war die Trennung der Universität nicht erfolgt, der Senat daher deutsch dominiert – verwies vier tschechische Studenten für immer, einen auf vier und einen auf zwei Semester von der Universität, zwei erhielten Verweise. Dem Rektor der tschechischen technischen Hochschule wurde mitgeteilt, dass sich sieben Studenten an den Ausschreitungen beteiligt hatten, und der Advokatenkammer wurde das Verhalten eines seiner Mitglieder angezeigt672. Schließlich empfahl der akademische Senat noch ein Vorgehen gegen den tschechischen akademischen Leseverein, da er „bei der Theilnahme an dem Kuchelbader Excesse verdächtig“ erschien, doch ergaben die Untersuchungen der Polizei keine Hinweise in diese Richtung673.

ℹ️In den ersten Julitagen beschäftigte sich der Ministerrat täglich mit den „Prager Exzessen“674. Dabei standen aber weniger die „Exzesse“ selbst im Vordergrund, sondern die Probleme mit der Statthalterei. Statthalter Weber befand sich gerade zur Kur in Karlsbad und folgte dem Wunsch des Monarchen, nach Prag zurückzukehren, aus gesundheitlichen Gründen nicht675. Hingegen bezog Vizestatthalter Grüner klar eine pro-deutsche Position676. Damit war er aus Sicht Taaffes nicht der richtige Mann, „zumal auch die von Seiten der Verfassungspartei für Prag beabsichtigten Zusammenkünfte irgendein entsprechendes Einschreiten erheischen dürften“677. Der Grund, warum Taaffe Grüner nicht trauen konnte, liegt auf der Hand. Die Position Taaffes, der seine Ministerpräsidentschaft gerade der politischen Integration der Tschechen mit ihrem Einzug ins Abgeordnetenhaus verdankte und sich in seiner Politik wesentlich auf sie stützte, war durch diese Ausschreitungen geschwächt worden. Der auf deutschliberaler Seite stehende Grüner war daher die falsche Person für die Leitung der Statthalterei. Taaffe erhielt von Statthaltereisekretär Alois Hofmann die vertrauliche Mitteilung, „daß rücksichtlich der Studentenexzesse in Prag in nationalen Kreisen die Überzeugung herrsche, daß dieselben nur eine geplante Fortsetzung der Demonstrationen seien, welche von deutscher Seite bisher gegen die gegenwärtige Regierung in Szene gesetzt wurden und welche den Zweck haben sollen, das Fiasko der von E[uer] E[xzellenz] inaugurirten Politik darzuthun“678. Auch der mit der Leitung der Prager Polizeidirektion beauftragte Franz Ritter v. Stejskal schickte Taaffe ein vertrauliches Schreiben gleichen Inhalts und am 4. Juli ein „der früheren Darlegung homogenes“ Schreiben679. Ebenfalls am 4. Juli schickte Stejskal jedoch auch eine offizielle Mitteilung über den Weg der Statthalterei, also vermittels Grüner, mit dem entgegengesetzten Inhalt, in dem es hieß, „daß die deutschen Studenten zu Provokationen weder gehetzt wurden, noch überhaupt Excesse provoziren wollten“680. Bereits am Folgetag, dem 5. Juli, wurde, nachdem kein ziviler Beamter von den Ministern als geeignet befunden wurde, auf Wunsch Franz Josephs der Präsident des Militärobergerichtes, Kraus, zum Leiter der Statthalterei ernannt und Grüner am 11. Juli in den dauernden Ruhestand versetzt681.

ℹ️Vor der Kulisse dieser „Kuchelbader Schlacht“ tobte ein zweiter Kampf zwischen der Regierung und den Deutschliberalen um die Deutung dieser Ereignisse. „In den schärfsten Worten verurtheilten die Wiener Blätter die bedauerlichen Excesse in Kuchelbad“, vermeldete das deutschliberale Prager Tagblatt am 1. Juli682. Der Wiener Gemeinderat verabschiedete in seiner Sitzung am 1. Juli zwei Dringlichkeitsanträge zu den „Prager Exzessen“, einen von 67 Gemeinderäten, die der Entrüstung „über die in letzter Zeit wiederholt vorgefallenen Deutschenhetze in Prag und Umgebung“ Ausdruck gab, und einen der Mitglieder der „äußersten Linken683, wie das offizielle Protokoll der Gemeinderatssitzung festhielt, „ähnlichen Inhalts“684. Allerdings beinhaltete diese zweite Resolution keineswegs nur eine Kritik an den Tschechen, sondern zielte direkt auf die Regierung:

ℹ️Der Gemeinderath wolle sein tiefstes Bedauern über jene Vorfälle aussprechen und der zuversichtlichen Hoffnung Ausdruck geben, daß bald solche Maßnahmen ergriffen werden, welche den unerträglichen Zuständen der jetzigen Regierungspolitik ein Ende zu setzen geeignet erscheinen. Wird angenommen.685

ℹ️Aus diesem Grund war die Regierung bemüht, durch Konfiszierung von Zeitungen die nach außen dringenden Informationen zu kontrollieren. Das offizielle Protokoll des Gemeinderates reduzierte den für die Regierung brisanten Antrag der äußersten Linken auf einen Antrag „ähnlichen Inhalts“, und außerdem hatte Taaffe „sonach abends noch dem Staatsanwalte die Weisung zugehen lassen, diejenigen der heutigen Morgenblätter zu konfiszieren, welche etwa den Wortlaut der fraglichen Resolution brächten“686. So erging es auch einer Wiedergabe eines Artikels des Pester Lloyd687. Dieser Pressekrieg ebbte aber bald ab. Ein Grund wird gewesen sein, „daß die Redactionen der czechischen Journale sich gegenüber den czechisch-feindlichen Berichten der deutschen Blätter über die Prager Excesse zu der Taktik geeinigt haben sollen, keine Repliken zu bringen, weil die natürliche Folge nichts anderes wäre, als ein womöglich noch vehementerer Federkrieg gegen die Czechen“688. Das Prager Tagblatt, das über die Exzesse zwischen 27. Juni und 7. Juli 1881 ausführlich berichtet hatte, teilte das Gerichtsurteil am 19. September nur mehr in einer kleinen Randbemerkung in seiner Abendausgabe mit689.

Doch nicht nur die Regierung und die Deutschliberalen rangen um die „richtige“ Lesart der Ereignisse. Ein paralleles Ringen fand zwischen Alt- und Jungtschechen statt. In einem vertraulichen Bericht, den Statthaltereisekretär Hofmann verfasst hatte, teilte er Taaffe mit, dass Rieger im Vorfeld des Stiftungsfestes über die Polizeidirektion versucht hatte, mäßigend auf die deutschen Studenten einzuwirken690. Rieger vermutete als Drahtzieher hinter dem Angriff den Redakteur Josef Barták von der Zeitung Národní listy, die dem Jungtschechen Julius Grégr gehörte691. Rieger lehnte auch die Bitte einer Gruppe tschechischer Studenten, „er möge sich bei der Interpellations-Beantwortung über die Juni-Exceße im Abgeordnetenhause in Wien der czechischen Studenten annehmen“, „rundweg“ ab. Folge war, und dies war dem Polizeipräsidenten eine Mitteilung an die Statthalterei wert, dass der Tochter Riegers von den tschechischen Studenten verweigert wurde, den akademischen Ball 1882 als Vortänzerin zu eröffnen692.

ℹ️Schließlich gab es noch ein viertes Ringen. Denn mit diesen „Exzessen“ und dem Frontalangriff, den die Deutschliberalen damit auf die Regierung unmittelbar unternahmen, zeigte sich deren Schwäche. Dies wiederum nutzten die drei Regierungsparteien, um Taaffe enger an sich zu binden. So berichtete Hofmann Taaffe bereits am 28. Juni 1881 über Äußerungen Riegers gegenüber mehreren „intimen Freunden“:

ℹ️Das ewige Lavieren und Schwanken E[urer] E[xzellenz] nach allen Seiten hin müße endlich ein Ende nehmen. Zu dieser Überzeugung seien nach Rieger’s Nachrichten alle hervorragenden Mitglieder der 3 Clubs der Reichsraths-Majorität gekommen. Durch den von E[uer] E[xzellenz] in den letzten Berathungen des Herrenhauses eingeschlagenen Standpunkt und durch die unvermuthet erfolgte Schließung desselben – hätten E[ure] E[xzellenz] selbst diese Krise heraufbeschworen und werde dieselbe zu Beginn des Reichsrathes in aller Schärfe hervortreten. Was geschehen werde, wisse er (Rieger) nicht; doch sei es möglich, dass die Entscheidung auch noch früher erfolge und zwar von Seite der Krone, nachdem die Hofkreise mit der gegenwärtig geschaffenen Situation gleichfalls nicht zufrieden seien.693

ℹ️Inwieweit die Aktivitäten Taaffes in der Kuchelbader Affäre, die er und die Regierung nun an den Tag legten, auf diesen Bericht und den Druck der Majorität des Abgeordnetenhauses zurückzuführen sind, ist unklar. Eine Regierungsumbildung trat jedoch nicht ein und die drei Klubs unterstützten mit ihrer Mehrheit im Abgeordnetenhaus die Regierung auch weiterhin.

ℹ️b) Der Aufstand gegen das Wehrgesetz in Süddalmatien

Die Kuchelbader Schlacht war noch nicht geschlagen, da deutete sich bereits ein anderer Konflikt an. Mit der Entscheidung, auch die Einwohner Bosnien-Herzegowinas zur Verteidigung des Landes und der Monarchie heranzuziehen und ein Wehrgesetz zu erlassen, wurde ebenfalls beschlossen, die Wehrpflicht, die in den süddalmatinischen Wehrkreisen Cattaro und Ragusa seit 1870 sistiert gewesen war, jetzt umzusetzen694. Dass die beiden süddalmatinischen Kreise bisher von der Wehrpflicht ausgenommen gewesen waren, lag an dem mehrmonatigen Aufstand der Bevölkerung 1869/70, um die Erfassung der wehrpflichtigen Bevölkerung zu verhindern. Darauf war die Wehrpflicht zwar nicht aufgehoben worden, aber auf ihre Umsetzung wurde verzichtet. Nun sollte – gleichzeitig mit der Einführung der Wehrpflicht in Bosnien-Herzegowina – diese auch in den süddalmatinischen Wehrkreisen Cattaro und Ragusa umgesetzt werden695. Am 11. Mai 1881 wurde die Stellung im Wehrkreis Ragusa für den Juli 1881 angeordnet, und schon am 13. Juni beschäftigten den Ministerrat „[e]ventuelle Maßnahmen im Falle der Renitenz gegen die Durchführung des Wehrgesetzes hinsichtlich der Distrikte von Ragusa und Cattaro696. Am 12. Juli wurde dann die Stellung im Wehrkreis Cattaro für den Oktober kundgemacht697. Ab November stand darauf das Thema Süddalmatien permanent auf der Tagesordnung des Ministerrates698.

ℹ️Im Gegensatz zu 1869/70 sollte diesmal durchgegriffen werden, daher kam es schnell zu einem Wechsel in der Person des Statthalters und Militärkommandanten in Dalmatien. FML. Rodich – der den Aufstand von 1869/70 durch Nachgeben friedlich beigelegt hatte – musste gehen, an seine Stelle trat der im Okkupationsfeldzug erprobte FML. Jovanović699. Ende November 1881 begann der Aufstand in Süddalmatien, der sich im Dezember auf die Herzegowina ausweitete. Es sollte bis Ende Mai 1882 dauern, ehe „kein Gegner gefunden“ werden konnte700. Die Aufständischen waren großteils nach Montenegro geflohen. Um die Militäroperationen nicht frühzeitig bekanntzugeben, beriet der Ministerrat die „Einschärfung der Weisungen bezüglich Hintanhaltung von Pressmitteilungen über militärische Dispositionen“701.

ℹ️Am 15. Februar 1882 wurde aufgrund des § 429 der Strafprozessordnung von der dalmatinischen Statthalterei „die Einleitung des standrechtlichen Verfahrens im ganzen Umkreise der politischen Gemeinde Risano und in der Fraktion Orahovac der politischen Gemeinde Cattaro“ kundgemacht702. ℹ️Allerdings schränkte die Regierung ohnehin nur kurze Zeit später die Grundrechte ein, sodass die Statthalterei ihre Kundmachung wieder zurückzog703. Parallel dazu brachte Pražák am 16. Februar einen Gesetzentwurf für eine „Ausnahmsgerichtsbarkeit“ in den Reichsrat ein, mit dem für vier Monate Strafverfahren in den Bezirkshauptmannschaften Cattaro, Metković und Ragusa an die Militärgerichte übertragen werden sollten. Nach Annahme durch den Reichsrat wurde das Gesetz am 28. Februar sanktioniert704. ℹ️Es wurde – weil der Reichsrat nicht versammelt war – mit Notverordnung vom 25. Juni um weitere sechs Monate verlängert705. Diese Notverordnung legte Pražák verfassungsgemäß dem Reichsrat nach dessen Zusammentritt gemeinsam mit einem Gesetzentwurf zur erneuten Verlängerung der Ausnahmsgesetzgebung um sechs Monate vor. Beidem stimmte der Reichsrat zu706. Während in den Bezirkshauptmannschaften Metković und Ragusa die Zuständigkeit der Militärgerichte Mitte 1883 endete, blieb sie in Cattaro noch bis Mitte 1885 bestehen707. ℹ️Schließlich beriet der Ministerrat auch die Einstellung der Geschworenengerichte in Süddalmatien, da Verfahren vor Geschworenen tendenziell öfter in Freisprüchen endeten oder niedrigere Strafen verhängt wurden708. Weil aber kaum Fälle anhängig waren oder „mangels der Habhaftwerdung [d]er Täter noch nicht so weit [r]eif seien, um zur Verhandlung gebracht werden zu kö[n]nen“, schien es Pražák „[jetzt] nicht angemessen, mit [de]r Maßregel der Einstellung vorzugehen“709. Dies änderte sich jedoch nach dem Aufstand, denn es „stehe nämlich die Eventualität in nicht ferner Aussicht, dass eine bedeutende Zahl von Aufständischen zurückkehre und die strafgerichtliche Untersuchung in vielen der oben erwähnten Fälle, welche der Gerichtsbarkeit der Geschwornen zugewiesen sind, teils aufgenommen, teils fortgeführt und zum Abschlusse gebracht werde“710. Daher beschloss der Ministerrat die Einstellung der Geschworenengerichte im Kreisgerichtssprengel Cattaro für ein Jahr711 und legte dem Reichsrat im Dezember Rechenschaft darüber ab712. Die Geschworenengerichte blieben hier, jährlich verlängert, noch bis Juni 1890 eingestellt713.

ℹ️Die anfallenden militärischen Kosten – nicht nur in der Herzegowina, auch in Süddalmatien – waren eine gemeinsame Ausgabe und mussten daher von den Delegationen bewilligt werden. Für zwei Nachtragskredite in Höhe von zusammen 21,7 Millionen Gulden traten die Delegationen zweimal – vom 28. Jänner bis 6. Februar 1882 zu ihrer XV. und vom 15. bis 27. April 1882 zur XVI. Session – zusammen714. ℹ️In den Krediten waren Kosten zur Herstellung von Befestigungsbauten zur zukünftig besseren Sicherung des südlichen Dalmatiens enthalten, nicht jedoch einige vom Kriegsminister geforderte Gendarmeriekasernen und Wegherstellungen, die Cisleithanien alleine zu tragen hatte. Obwohl prinzipiell Landessache, sah die Regierung „[ausna]hmswei[se] []s es gerechtfer[tigt an,] den Reichsrat heran[zuziehen,] und dies umso mehr, als das Land auch nicht in der Lage wäre, diese Kosten zu bestreiten“. Jovanović wurde aufgefordert, „die erforderlichen Daten zur Verfassung und Motivierung der Vorlage der k. k. Regierung vorzulegen“715. Die vom Statthalter beantragten Kosten überstiegen aber die seinerzeit vom Kriegsminister geforderte Summe, indem nun „teilweise Bauten auf solchen Punkten, an welchen auch vom gemeinsamen Ministerium Militärbauten vorgenommen werden wollen“, beantragt wurden716. Die am 30. April 1882 geforderte Aufklärung717 beantwortete Jovanović erst am 6. Juni und damit zu spät für das in den Reichsrat eingebrachte Gesetz für einen entsprechenden Kredit. Dieser enthielt nur die vom Kriegsminister veranschlagten Kosten von 210.000 fl. für Gendarmeriekasernen und 145.000 fl. für Wegherstellungen718. Den Antrag Jovanovićs vom 6. Juni nach Mehrforderungen beantwortete Welsersheimb am 21. Juni und auf dessen Nachfrage am 30. Juli erneut dahingehend, dass die bewilligten Kosten von 355.000 fl. nicht überschritten werden dürften719. Dennoch beantragte der Statthalter am 9. November 1882 erneut mehr Gelder für Unterkünfte, die aufgrund der Vermehrung der Gendarmerie notwendig geworden seien. Doch auch diesmal lehnte Welsersheimb eine Übernahme weiterer Kosten durch den Staat ab. Die erforderlichen Mehrausgaben hatte Dalmatien zu tragen720.

ℹ️Besondere Probleme bei dem Aufstand bereitete Montenegro. Die Berichte des dortigen diplomatischen Vertreters der Monarchie, des Ministerresidenten in Cetinje Gustav Freiherr v. Thömmel, kamen bereits im Februar 1882 zur Sprache721. Als sich der Sieg der Armee abzeichnete, flohen immer mehr Aufständische über die Grenze nach Montenegro, und es stellte sich die Frage, wie mit diesen Flüchtlingen umzugehen sei722. Jovanović hatte beantragt, sie zu expatriieren und ihren Besitz zu konfiszieren, und dieser Position schloss sich Welsersheimb an. Auch wenn die anderen Minister eine solche Lösung begrüßten, konnte sie praktisch nicht umgesetzt werden. Zum einen hatte Montenegro weder Interesse noch die wirtschaftlichen Kapazitäten, die Neuankömmlinge auf Dauer aufzunehmen. Das arme Land würde Geld fordern, das Cisleithanien zu geben aber nicht bereit war. Zudem gab es auch keine rechtliche Handhabe für die Konfiszierungen. Daher schlug Außenminister Kálnoky im Ministerrat vom 30. Mai 1882 vor, die Flüchtlinge aus Süddalmatien – der Crivoscie, wie das Gebiet um die Bocche di Cattaro genannt wurde – zwar zur Rückkehr aufzufordern, ihnen aber keine Amnestie anzubieten, wie dies für die Flüchtlinge aus der Herzegowina geschehen sei. Warum die Süddalmatiner im Gegensatz zu den Herzegowinern nicht amnestiert werden sollten, erläuterte Franz Joseph: „Nicht nur die in staatsbürgerlicher Beziehung und hinsichtlich der vorausgegangenen Verhältnisse obwaltende Verschiedenheit recht[fertigen] [] [Crivosc]ianern [] während die [anderen Aufst]ändischen nur in [wenigen] Ausnahmsfällen jene [U]nmenschlichkeiten begingen, welche bei den Crivoscianern in Regel vorkommen“723. Entsprechend wurde Jovanović instruiert, die Flüchtlinge aus Süddalmatien zwar zur Rückkehr aufzufordern, ihnen aber keine Amnestie anzubieten724.

ℹ️Letztlich waren der dalmatinische Landtag und der Landesausschuss mit diesem harten Vorgehen der Regierung alles andere als glücklich. So behandelte der Ministerrat eine „Vorstellung der dalmatinischen Reichsratsabgeordneten bezüglich der Aktivierung der Landwehr in Dalmatien“ am 11. Februar 1882725. Die ablehnende Haltung des Landesausschusses gegen das harte Durchgreifen der Regierung in Süddalmatien zeigte sich auch in dessen Erklärung, warum das Land nicht für die zusätzlichen Ausgaben für Gendameriekasernen aufkommen wollte. Der Ausschuss erklärte, „dass die Gendarmerievermehrung nicht wegen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, sondern wegen der Durchführung des Wehrgesetzes erfolgt sei“726.

ℹ️Dreimal beriet der Ministerrat über die Einberufung des dalmatinischen Landtages zu einer Session 1882. Das erste Mal war das Thema der Vorschlag von Jovanović, den Landtag 1882 nach Spalato einzuberufen, weil die Lage in der Landeshauptstadt Zara wegen nationaler Differenzen zwischen Italienern und Kroaten unsicher sei727. Die beiden anderen Male war das Thema, ob der Landtag 1882 überhaupt zusammentreten müsse, was schließlich verneint wurde728. Der dalmatinische Landtag wurde in diesem Jahr tatsächlich nicht einberufen.

ℹ️Um die Ursachen der Probleme besonders in Süddalmatien kennenzulernen, unternahm Falkenhayn vom 20. September bis 13. Oktober 1882 eine Reise durch Dalmatien, deren Ergebnisse er – für die einzelnen Ministerien – in einem Memorandum festhielt, das den Ministerrat beschäftigte729. Schließlich berieten die Minister am 14. September 1882 über Ordensauszeichnungen für Beamte, die sich während des Aufstandes verdient gemacht hatten730.

ℹ️c) Die Kaiserreise nach Triest 1882

ℹ️Im Jahr 1882 jährte sich die Unterwerfung der Stadt Triest unter die Herrschaft der Habsburger zum 500. Mal. Zu diesem feierlichen Anlass war eine Kaiserreise ins Küstenland geplant, und die Stadt ging daran, eine große Gewerbeausstellung zu organisieren. ℹ️Das Ausstellungskomitee hatte bereits 1881 um die Möglichkeit eines staatlichen Vorschusses von 100.000 fl. angesucht, der aus den Einnahmen der Ausstellung zurückzuzahlen sei731. Diesen Vorschuss erbat das Komitee schließlich am 23. April 1882, um ein Scheitern der Ausstellung zu verhindern, das „im Wunsche der Italianissimi gelegen sei“732. Allerdings waren die projektierten Einnahmen aus der Ausstellung die einzige vom Komitee gebotene Sicherheit für die Rückzahlung des Vorschusses. Dies war Dunajewski zu unsicher, denn es „lehren doch die bei Ausstellungen gemachten Erfahrungen, dass die Erträgnisresultate oft sehr weit hinter den Annahmen zurückbleiben, daher es wohl eintreffen könne, dass die Vorschuss[s]umme nicht mehr zurücker[la]ngt werde“. Dennoch stimmte die Regierung dem Vorschuss zu. Allerdings gab der Finanzminister diese Gelder nicht direkt frei, sondern Dunajewski bestand auf einer Bewilligung im Gesetzgebungsweg durch den Reichsrat733.

ℹ️Die Ausstellung wurde zwar planmäßig am 2. August 1882 eröffnet, stand aber schon im Vorfeld unter keinem guten Stern. Eineinhalb Monate zuvor hatten die Wahlen zum Stadtrat stattgefunden, die zu einer Pattsituation von 27 zu 27 Mandataren zwischen der pro-österreichischen Partei der Patrioten und der italienischliberalen Partei der Progessionisten führten734. Dies bedeutete faktisch eine Wahlniederlage für die Patrioten, da sie zuvor eine deutliche Mehrheit gehabt hatten. Zwar wurde das amtierende Stadtoberhaupt, Richard Bazzoni, erneut zum Podestà gewählt, allerdings mit dem Nebeneffekt für die „Patrioten“, nun im Ratsplenum in der Minderheit zu sein, weil der Podestà nicht stimmberechtigt war735.

ℹ️In Anspielung auf diese politische Konstellation war es für die Neue Freie Presse „ein glücklicher Gedanke, gerade die Form einer Ausstellung und nicht irgend eine andere banale Festlichkeit für diese Gelegenheit vorzuschlagen“, denn „die Ausstellung bildet gewissermaßen ein neutrales Gebiet, wo die kleinen Farbennüancen des Patriotismus, von welchen bisweilen aus Triest berichtet wird, ganz und gar verschwinden müssen“736. Wie sehr der Redakteur hierbei irrte, sollte sich bereits am Tag nach der Eröffnung der Ausstellung zeigen. Am 3. August warf ein Attentäter eine Bombe in den Festzug des Veteranenvereins, der auf dem Weg zur Huldigung des gerade per Bahn angekommenen Erzherzogs Carl Ludwig war737. Es gab einige Verletzte. Am 19. August berieten die Minister über die Konsequenzen. Im Raum stand die Auflösung des Stadtrates „und die interimistische Übertragung der Verwaltung an einen kaiserlichen Kommissär“738. Beides könne aber, so die Meinung der Minister, erst nach der Ausstellung erfolgen. Es wurde auch die Frage aufgeworfen, ob der Besuch Franz Josephs nicht abgesagt werden solle. Hier wurde kein Beschluss gefasst. Darauf reiste Taaffe nach Triest, um sich selbst von der Situation in der Stadt einen Eindruck zu machen. Die „für und gegen den Ah. Besuch sprechenden Momente“ brachte er darauf dem Monarchen vor, habe „sich jedoch nicht für berufen erachtet, einen au. Antrag zu stellen“739. Franz Joseph hatte „indessen beschlossen, die Reise nach Triest zu unternehmen und werden an der Ah. Reise auch Ihre Majestät die Kaiserin teilnehmen“.

ℹ️Der Aufenthalt wurde dann vollends zum Desaster. Im Vorfeld hatte Dunajewski die schwersten Bedenken gegen einen Besuch Franz Josephs in Triest geäußert. Doch war es „nicht etwa eine Petarde, die er besorge, aber bei den einmal bewegten Wogen könne man hinsichtlich irgendeiner unliebsamen das patriotische Gefühl störenden Demonstration doch nicht ganz sicher sein“740. Die Gefahr war aber weit konkreter als nur eine „das patriotische Gefühl störende Demonstration“.

ℹ️Am 16. September 1882, einen Tag vor der Ankunft des Monarchen in Triest, war Guglielmo Oberdan verhaftet und bei ihm eine Bombe sichergestellt worden. Oberdan war ein italienischer Nationalist, der seinen eigentlichen Geburtsnamen, Wilhelm Oberdank, italienisiert hatte. Während also die Bombe Oberdans sichergestellt werden konnte, gelang es Donato Ragosa, eine zweite Bombe nach Triest zu bringen und einen Tag später, am 17. September, ein Attentat auf Franz Joseph zu verüben. Die Bombe verfehlte zwar das Ziel, aber zwei Personen fielen dem Angriff zum Opfer741. Der Attentäter konnte entkommen. Nicht von dem Attentat, nur über die Verhaftung Oberdans berichteten die Zeitungen.

ℹ️Die beiden Anschläge vom 3. August und 17. September zeigten den Kontrollverlust des Staates in Triest nur zu deutlich. Während seines Besuches in Triest nach dem Anschlag vom 3. August zur Einschätzung der Lage hatte Taaffe den Podestà darauf hingewiesen, dass „[man au]ch von allen Krei[sen] eine Unterstützung der Polizei“ erwarten könne742. Das war offensichtlich nicht eingetreten. Während Ragosa nach Italien fliehen konnte und hier später von einem Geschworenengericht freigesprochen wurde, befand sich Oberdan, der selbst kein Attentat verübt hatte, weil er ja vor dessen Ausführung verhaftet worden war, in österreichischem Gewahrsam.

ℹ️An ihm sollte nun ein Exempel statuiert werden. Da Oberdan als österreichisch-ungarischer Soldat desertiert war, wurde er vor ein Kriegsgericht gestellt. Angeklagt wegen Hochverrats war das Todesurteil bei einem Schuldspruch obligatorisch743. Das „vermutlich bevorstehende Todesurteil“ veranlasste den Statthalter im Küstenland, Pretis, „wiederholt“ um die Begnadigung Oberdans zu bitten, „indem zu besorgen stünde, dass dann aus dieser Persönlichkeit ein politischer Märtyrer geschaffen würde“744. Im Ministerrat stimmten zwar alle Kabinettsmitglieder darin überein, dass „das Ministerium nicht berufen sei, einen Antrag zu stellen“. Doch in der Einschätzung der Lage waren die Meinungen geteilt. Taaffe und Welsersheimb vertraten die Ansicht, „dass keine genügenden Gründe vorhanden seien, der Justiz nicht freien Lauf zu lassen“, während Pino und Pražák Argumente für die Begnadigung vorbrachten.

ℹ️Dunajewski argumentierte zwar gegen die Begnadigungsgesuche von Pretis, aber nicht, weil er das Todesurteil an sich befürwortete. Er nutzte diese Angelegenheit vielmehr zu einem Frontalangriff gegen den Statthalter. Hier scheint eine persönliche Aversion gegen Pretis bestanden zu haben. Pretis war als ein Vorgänger Dunajewskis von 1872 bis 1879 Finanzminister gewesen und gehörte als Liberaler dem gegnerischen politischen Lager an.

ℹ️Ziemiałkowski und Falkenhayn äußerten sich – soweit es der Protokollführer festgehalten hatte – nicht, und Conrad war bei der Sitzung nicht anwesend. Aber es ging bei dieser Beratung nicht darum, einen Beschluss zu fassen, sondern nur, bezüglich der Entscheidung des Monarchen das Für und Wider abzuwägen. Vermutlich waren es die weit auseinanderlaufenden Meinungen, die Franz Joseph bewogen, diese Angelegenheit selbst erneut im Ministerrat zur Sprache zu bringen745. Die Argumente beider Seiten wiederholten sich, nur Dunajewski argumentierte weniger gegen Pretis, sondern nun eher für eine Begnadigung, Conrad, der diesmal anwesend war, sprach sich auch dafür aus. Ziemiałkowski schwieg – vermutlich, weil es keine Galizien betreffende Angelegenheit war – und Falkenhayn enthielt sich der Stimme. Ohne Schlussstatement Franz Josephs endete die Protokollführung dieses Ministerrates.

ℹ️Genau genommen stand die Frage, ob Franz Joseph Oberdan begnadigen solle, gar nicht zur Diskussion. Denn weil „es sich hier um ein militärgerichtliches Urteil handle, hänge die Entscheidung nicht von Sr. Majestät ab“, Franz Joseph stand nämlich das Begnadigungsrecht gar nicht zu. Denn nach der für den Militärprozess geltenden peinlichen Kriminalgerichtsordnung vom 31. Dezember 1768 war der Gerichtsherr nicht der Monarch, sondern der jeweilige Militärkommandant746, und nur dieser konnte auch begnadigen. Die Frage, über die im Ministerrat sinniert wurde, war daher, ob Franz Joseph dem Militärkommandanten eine Begnadigung empfehlen solle. Denn es war allen klar, dass ohne eine solche Empfehlung der Militärkommandant das Todesurteil vollziehen lassen würde. Franz Joseph entschied sich schließlich dafür, wie Taaffe empfohlen hatte, „dass der Justiz freier Lauf gelassen werde“747. Am 20. Dezember 1882 wurde Oberdan gehenkt.

ℹ️Nicht erst mit seiner Initiative für eine Begnadigung Oberdans ℹ️hatte sich der Statthalter des Küstenlandes, Pretis, bei Taaffe und anderen Regierungsmitgliedern unbeliebt gemacht, besonders bei Dunajewski. Für ihn fehlte „Pretis die nötige Voraussicht und die nötige Kenntnis der Stimmung“, womit seinem „[Ur]teil über die [dortigen] Verhältnisse und Stim[mu]ngen man nicht mehr vertrauen könne“748. Es verwundert daher nicht, dass Dunajewski die Bitte des Statthalters, den bei Kaiserreisen üblichen „Ordensregen“ auch dem Küstenland zukommen zu lassen, gänzlich ablehnte. „Der Finanzminister könnte höchstens zustimmen, dass man jene Beamten, welche zur Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung und zur Verhinderung von Attentaten gewirkt haben, berücksichtige. Im Übrigen aber wäre er dafür, die Auszeichnungsanregungen wenigstens für vorläufig ruhen zu lassen.“749 Taaffe teilte im Prinzip diese Position. Dies zeigte sich darin, dass er erst nach den von Pretis „bereits in drei Berichten vorgebrachten Auszeichnungsanregungen“ bereit war, diese dem Ministerrat vorzulegen. Ganz vermeiden konnte man Auszeichnungen zwar nicht, aber, so führte der Ministerpräsident aus, „was von den beiden Vorrednern angedeutet wurde, gebe jedoch gewiss Beweggrund ab, die Auszeichnungsanträge zu restringieren, was ihm sehr entsprechend scheine“. Im Klartext bedeutete dies, dass die 118 Auszeichnungsanträge Pretis’ „– und die Sache dürfte noch nicht abgeschlossen sein –“ sowohl in der Menge als auch im Grad der Auszeichnung zu reduzieren seien. Es wurde ein (Streich-)Komitee, bestehend aus Taaffe und den gemäßigteren Ministern Pino und Conrad gebildet. Gleichzeitig forderte man den Landespräsidenten von Kärnten auf, entsprechende Anträge zu stellen, da Franz Joseph dort auf seiner Reise ins Küstenland Station gemacht hatte. Die 118 Anträge von Pretis, die 50 Ordensverleihungen, 46 Verdienstkreuze, drei Erhebungen in den Freiherrnstand, vier Nobilitierungen und 15 Titel oder Anerkennungen mit 31 „sehr hohen Auszeichnungen“ umfassten, reduzierte das Komitee und dann das Plenum des Ministerrates um 67 auf 51: 21 Ordensauszeichnungen, 18 Verdienstkreuze, einen Freiherrnstand, zwei Erhebungen in den Adelsstand und neun weitere Anerkennungen, von denen neun sehr hohe Auszeichnungen waren750.

ℹ️Die Anträge des Kärntner Landespräsidenten erfuhren dagegen kaum Reduktionen. Sieben von neun beantragen Ordensverleihungen, wobei eine Streichung damit begründet wurde, dass es sich um einen Ausländer handle, dessen Berücksichtigung die Verleihung insgesamt verzögern würde, sowie alle 14 Anträge auf Verleihung von Verdienstkreuzen wurden befürwortet. Beide Auszeichnungsanträge, für das Küstenland und für Kärnten, nahm Franz Joseph am 13. November 1882 an751.

ℹ️Von einer Session des Gemeinderates als Landtag von Triest wurde 1882 ebenso Abstand genommen, wie dies auch beim Landtag von Dalmatien der Fall war752.

ℹ️Dass Oberdan mit seiner Hinrichtung zum Märtyrer stilisiert würde, war ein zentrales Argument derer, die sich für seine Begnadigung ausgesprochen hatten. Dies sollte sich bewahrheiten, gilt er doch bis heute als einer der großen Helden des Risorgimento753.

d) Andere Unzufriedenheitsbekundungen auf der Tagesordnung im Ministerrat

Neben diesen drei im Ministerrat sehr intensiv behandelten Ereignissen beschäftigten andere Unruhen den Ministerrat nur sehr sporadisch. ℹ️Zweimal handelte es sich um eine „Studentendemonstration in Wien und dagegen zu treffende Vorkehrungen“. Studenten hatten vor der Wohnung des katholisch-konservativen Salzburger Abgeordneten Lienbacher demonstriert. Infolge wurde die „akademische Lesehalle“ geschlossen754. ℹ️Ein anderes Mal stand auf der Tagesordnung: „Vorgehen in Bezug auf die Emanation der Wanderversammlung des ‚Deutschen Vereines‘ von Wien in Purkersdorf. Einschreiten überhaupt gegen Zustimmungserklärungen zu gesetzwidrigen Demonstrationen“755.

ℹ️Auch ein Krakauer und ein Wiener Sozialistenprozess kamen zur Sprache756. Arbeiterunruhen wie Streiks wurden dagegen kaum beraten757, obwohl sie keineswegs selten oder unbedeutend waren758. Am Rande kam ein böhmischer Bergarbeiterstreik unter dem Tagesordnungspunkt „Bezüglich der vom Reichsrate in diesem Sessionsabschnitte noch zu erledigenden Angelegenheiten“ 759 zur Sprache. Neben dem repressiven Einsatz von Militär wurden die Streikenden von der Prager Statthalterei damit beschwichtigt, dass die Regierung ein Gesetz zur Sonntagsruhe im Bergbau vorbereite. Ein entsprechender Gesetzentwurf wurde dann Ende 1882 vom Ministerrat verhandelt760.

ℹ️Ein Tagesordnungspunkt zu Arbeiterunruhen ist erhalten. Am 9. November 1882 setzte sich der Ministerrat mit den „Ausschreitungen durch Zusammenrottungen am Neubau in Wien“ auseinander761. Wegen der Auflösung der Schuhmachergewerkschaft wegen des Besitzes verbotener Bücher kam es über mehrere Tage zu abendlichen Versammlungen, die mit Polizei und Militärassistenz „zerstreut“ wurden. Am 8. November „wurden seitens der Polizei Warnungsplakate veröffentlicht“ und für den Folgetag, den Sitzungstag des Ministerrates, war geplant „noch schärfere Proklamationen“ zu erlassen und „unter einem für heute auch eine größere Militärmacht“ bereitzuhalten. Als nächster Schritt „träte an die Regierung die Aufgabe der Anordnung von Ausnahmsverfügungen heran“. Um seine Ministerkollegen darauf vorzubereiten, brachte Taaffe diese Angelegenheit in den Ministerrat. Von der tatsächlichen Notwendigkeit ging der Ministerpräsident aber nicht aus – und er sollte recht behalten.

ℹ️Den Grund dieser „Zusammenrottungen“ vermutete Taaffe keinesfalls im Verbot der Schuhmachergewerkschaft selbst. Weil sich „mitten in dem Haufen anständig gekleidete Persönlichkeiten befanden und von Damen, welche in Einspännern angefahren kamen, Zigarren verteilt worden sein sollen“, vermutete Taaffe, „dürfte die Sache wohl auch im Konnexe mit der Wahlagitation gegen Dr. Kronawetter, den man von Seite seiner Gegner als Sozialisten hinstellte, gewesen sein“. Ferdinand Kronawetter war ein klubfreier und sozial engagierter Abgeordneter, der immer wieder Anliegen von Sozialdemokraten im Abgeordnetenhaus zur Sprache brachte. Bei sozialpolitischen Themen stimmte er öfters mit der konservativen Regierung gegen die deutschliberale Opposition762. Er hatte im September 1882 einen von ihm angestrengten Ehrenbeleidigungsprozess gegen die Neue Freie Presse verloren und darauf sein Abgeordnetenmandat, das er für den Wahlbezirk Wien 8 (Josefstadt, benachbart zu Neubau) innehatte, niedergelegt, trat aber bei der darauf notwendigen Nachwahl wieder an. Für diese Wahl, so sind die Ausführungen Taaffes zu verstehen, hatten die liberalen Gegner Kronawetters die Schuhmachergehilfen in Neubau zu den Demonstrationen angestachelt, um die Angst der bürgerlichen Kreise – nur sie waren ja wahlberechtigt – vor den Arbeitern zu schüren. Diese Unruhen diskreditierten so Kronawetter und seinen Einsatz für soziale Themen. Die Nachwahl fand am 8. November statt, danach ebbten die Unruhen schnell ab. Kronawetter unterlag seinem Kontrahenten Franz Edlen v. Stourzh mit 602 gegen 795 Stimmen763. Erst bei den Reichsratswahlen 1885 konnte er das Mandat der Josefstadt wiedererlangen.

ℹ️Ein bedeutender Anschlag im Ausland, der im Ministerrat Erwähnung fand, war die Ermordung des russischen Zaren Alexander II. am 13. März 1881764. Besprochen wurden „polizeiliche Maßnahmen anlässlich der Katastrophe“.

Naturkatastrophen und Unglücksfälle

ℹ️1879 fiel die Herbsternte generell, besonders aber im Küstenland schlecht aus, in „Görz und noch mehr in Istrien wird über eine complette Mißernte von allen Halmfrüchten sehr geklagt“, wie die Wiener landwirtschaftliche Zeitung berichtete765. Darauf bereiste Falkenhayn die beiden Kronländer, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Der Ministerrat beschäftigte sich mit dieser Reise766 sowie mit einem Gesetzentwurf „betreffend die Gewährung von Vorschüssen aus Staatsmitteln zur Beschaffung von Saatgetreide für die durch Nothstand heimgesuchten Gegenden der Markgrafschaft Istrien und der gefürsteten Grafschaft Görz und Gradisca“ bis zum Betrag von 60.000 fl.767, wovon zunächst 10.000 fl. als Vorschuss bewilligt wurden768.

ℹ️Die größte Naturkatastrophe im Zeitraum dieses Bandes waren die Unwetter, die Kärnten und vor allem das südliche Tirol in zwei Phasen, vom 14. bis 16. September sowie vom 27. und 28. Oktober 1882, heimsuchten. ℹ️Unmittelbar nach der ersten großen Überschwemmung einigte sich der Ministerrat darauf, Tirol unverzüglich Gelder in Höhe von 500.000 fl., davon 200.000 „zur geschenkweisen Verwendung“, und Kärnten 200.000 fl., davon 50.000 ohne Rückzahlung, zur Verfügung zu stellen. Da der Reichsrat nicht versammelt war, wurden diese Gelder durch eine Notverordnung769 freigegeben. Dabei blieb Taaffe mit dem „Geschenk“ von 200.000 fl. für Tirol hinter der Bitte des Tiroler Statthalters Widmann zurück, der um mindestens 300.000 fl. angesucht hatte. ℹ️Diese Reduktion begründete Taaffe: „wenn er in seiner Proposition hinsichtlich der geschenksweisen Zuwendung nicht so weit gehe, als es der Statthalter und der Landeshaupt[mann] [] [, so weil] er [sich von] dem Gesichtspunkte leiten lasse, dass die Regierung bei einer Verfügung nach § 14 der Verfassung nicht mehr tun sollte, als unumgänglich notwendig sei“. Er fügte aber hinzu: „Wenn später die Reichsvertretung weiter gehen wollte, würde er von seinem Standpunkte aus nicht dagegen sein.“770 Da §14 die Anwendung einer Notverordnung ausschloss, wenn es sich um eine „dauernde Belastung des Staatsschatzes“ handelte, gab es 1882 anscheinend Skrupel, ihn zur Ausgabe von Geldern zu verwenden. Diese Skrupel sollten ab 1897 sukzessive schwinden771.

ℹ️Weil die Sache sehr dringend war, sollte die Publikation dieser Verordnung innerhalb eines Tages erfolgen. Allerdings war die rechtliche Voraussetzung für eine Notverordnung nicht gegeben, denn sie musste von allen Ministern unterschrieben werden, und es konnte die „ausdrückliche Zustimmung der beiden im heutigen Ministerrate [nich]t anwesenden Minister nich[t] mehr eingeholt werden“. Um eine Verzögerung dennoch zu vermeiden, wurden „dieselben doch als Unterzeich[n]er der Verordnung in die Publikation“ aufgenommen772. Insofern trifft das den Unterschriften von Falkenhayn und Conrad angehängte m.p. (manu propria, eigenhändig) am Ende der Notverordnung schlicht nicht zu773.

ℹ️Statthalter Widmann hielt sich gerade in Wien auf, um die notwendigen Maßnahmen mit den Regierungsmitgliedern zu koordinieren, als sich die zweite Unwetterfront über Tirol entlud. ℹ️Der im Beisein des Statthalters abgehaltene Ministerrat erhöhte als ad-hoc-Maßnahme die nicht rückzahlbare Summe auf die gesamten bewilligten 500.000 fl. und beschloss zur Aufnahme der Schäden Tirol zehn zusätzliche Beamte, teilweise durch Versetzungen aus anderen Kronländern, zur Verfügung zu stellen. Kärnten, wo die Schäden nach den Septemberunwettern sich bereits als weniger gravierend herausgestellt hatten und das im Oktober kaum betroffen war, erhielt dagegen keine Erhöhung der staatlichen Zuwendungen774.

ℹ️In der weiteren Diskussion, die sich in späteren Sitzungen fortsetzte, wurden die Maßnahmen für Tirol und die Aufteilung ihrer Kosten zwischen dem Land und dem Staat besprochen. Zunächst ging es um das entsprechende Tiroler Landesgesetz, das in einer außerordentlichen Session vom Landtag verabschiedet wurde775, und danach um die Zustimmung des Reichsrats zu den beiden Notverordnungen und um einen Gesetzentwurf, der die gesamtstaatlichen Lasten bewilligte776. ℹ️Eine weitere Maßnahme, wofür die Regierung aber die Zustimmung Ungarns benötigte, war die Aufhebung des Getreidezolls für die Einfuhr von Italien nach Tirol, weil die eigene Ernte großteils vernichtet war und die Verkehrsverbindungen nach Norden durch die Unwetter unterbrochen waren. Erst nach langem Zögern und nachdem Franz Joseph zusicherte, „den ungarischen Ministerpräsidenten zur Zustimmung zu veranlassen“777, konnte die zollfreie Einfuhr umgesetzt werden778.

ℹ️Die Diskussionen im Ministerrat legen aber auch tiefer gehende Probleme im Zusammenhang mit diesen Unwettern offen. So beinhaltete die Hilfe für Tirol unter anderem die „Gewährung eines Betrages von einer Million Gulden zur Verwendung für nicht rückzahlbare Unterstützungen sowie zu Aufforstungen“779. Die Schutzwirkung der Gebirgswälder war also durchaus bekannt, nur wurden sie anscheinend in „normalen“ Zeiten, in denen deren Pflege lediglich als Kostenfaktor wahrgenommen wurde, vernachlässigt. Ähnlich verhielt es sich mit Schutzbauten an Flüssen. In der Regel wurden hier die Kosten zwischen den Anrainergemeinden, dem Land und dem Staat gedrittelt. Dies bedeutete aber auch, dass solche Bauten nur umgesetzt werden konnten, wenn sich alle Beteiligten den Bau auch leisten konnten oder wollten. Dabei hatten die Anrainergemeinden zusätzlich ihr Drittel unter sich aufzuteilen. Somit war stets die Zustimmung aller Beteiligten notwendig, mit der Folge, dass die Bewilligung für solche Maßnahmen meist sehr schleppend erfolgte. So beschäftigten zwei Etsch-Regulierungen den Ministerrat über viele Jahre780.

ℹ️Schließlich wurden auch aus diesem Anlass Orden für Verdienste während der Überschwemmungen verliehen781. ℹ️Von Interesse in diesem Zusammenhang ist der Vorschlag des Statthalters, der Präsidentin des patriotischen Frauenhilfsvereins in Bozen, Leopoldine Freiin v. Waideck, die Ah. Zufriedenheit auszusprechen. Darin sah Taaffe eine „formelle Schwierigkeit“, weil „es nicht gut anginge, wenn der Freiin v. Waideck bloß einfach mit anderen die Ah. Zufriedenheit ausgedrückt würde, während andererseits doch wieder kein solcher Anlass vorliege, um hier mit einem Ah. Handschreiben“ vorzugehen782. Während für Männer ein diffiziles System vorhanden war, das auf den Rang in der Gesellschaft, die Stellung in der bürokratischen Hierarchie und die Verdienste Rücksicht nehmen konnte, gab es für Frauen kaum Auszeichnungsmöglichkeiten. Der einzige bestehende Frauenorden, der Sternkreuzorden783, war ein Ehrenzeichen für die Hofgesellschaft. Für Verdienste wie hier für karitatives Engagement bei der Unwetterhilfe konnte Frauen (und auch Männern) als unterste Stufe nur die Ah. Zufriedenheit ausgesprochen bzw. Verdienstkreuze verliehen werden, oder aber sie konnten als sehr hohe Auszeichnung ein Ah. Handschreiben erhalten, wie die noch lebende Ehefrau Erzherzog Johanns Anna Gräfin v. Meran am 29. Juni 1882 für ihre Verdienste um das Rote Kreuz784. Zwischenstufen gab es nur für Männer, nicht aber für Frauen.

ℹ️Eine Katastrophe ganz anderer Art ereignete sich am 8. Dezember 1881. Während einer Vorstellung kam es zum Brand des Wiener Ringtheaters, wobei in den Flammen über 900 Menschen starben. Bereits einen Tag später erfolgte die Zuschrift Dunajewskis an das Abgeordnetenhaus wegen eines Gesetzentwurfes „betreffend einen Credit von 50.000 fl. behufs Linderung der Nothlage der durch den Brand des Ringtheaters in Wien Beschädigten“, und Taaffe begründete den Entwurf in der Sitzung des Hauses am 10. Dezember 1881785. Erst am 11. Dezember wurde der Ministerrat darüber informiert und erteilte nachträglich beidem, Gesetzentwurf und Rede, seine Zustimmung786. Zum „Gedächtnis der Brandopfer“ ordnete Franz Joseph am 24. Dezember 1881 die Errichtung einer Stiftung an, die mit dem Gesetz vom 8. April 1882 von Stempel- und unmittelbaren Gebühren befreit wurde. ℹ️Ebenfalls befreit von diesen Gebühren waren die aufgrund des Brandes „stattfindenden Vermögensübertragungen und bücherliche Eintragungen“. Dadurch wurde den Erben der Brandopfer die Erbschaftsgebühr erlassen787.

ℹ️Das juristische Nachspiel der Katastrophe beschäftigte den Ministerrat am 7. Mai 1882. Das Vorgehen der Polizei stieß auf scharfe Kritik der Öffentlichkeit, da damit „die Autorität der Sicherheitswache beim Publikum untergraben“ würde. Pražák als Leiter des Justizministeriums bemerkte, „dass er schon bei der Einleitung des Prozesses den betreffenden Organen nahegelegt habe, die Autorität der Behörden zu schonen“788. ℹ️Als Folge des Brandes war der Wiener Polizeipräsident Wilhelm Freiherr Marx v. Marxberg pensioniert worden. An seiner Stelle war Carl Ritter Krticzka v. Jaden zunächst mit der Leitung der Polizeidirektion betraut und später zum definitiven Polizeipräsidenten ernannt worden789. Dabei gab Taaffe seinen Plan auf, „an die Spitze dieser Behörde in Zukunft eventuell nur einen Beamten der V. Rangklasse fungieren zu lassen“, weil die „mittlerweile durch den Ringtheaterprozess herbeigeführte Erschütterung des Ansehens und der Autorität der Polizei“ es notwendig mache, „mit aller Anstrengung auf die Wiederherstellung der Autorität hinzuwirken, weshalb auch der Chef der Stelle mit der entsprechenden hervorragenden Position bekleidet werden müsse“. Krticzka wurde daher als Polizeipräsident mit den höheren „systemmäßigen Bezügen der IV. Rangsklasse“790 angestellt.

ℹ️Eine weitere Folge des Ringtheaterbrandes waren Änderungen der Bauvorschriften für Theater. Dabei handelte es sich um eine Länderangelegenheit. In Niederösterreich waren bereits am 1. Juli 1882 Änderungen im Verordnungswege erlassen worden, und am 15. Dezember 1882 konnte auch ein vom Landtag votiertes Gesetz sanktioniert werden. Es war „bestimmt, das Supplement zu bilden zu der vom Statthalter in Niederösterreich bezüglich der Theater erlassenen Verordnung und harmoniere mit der Tendenz und der Richtung derselben, indem darnach für die Staatsbehörden der entsprechende Einfluss auch in Fragen der baulichen Zustände der Theater beansprucht wird“791.

ℹ️Nicht seinen Weg auf die Tagesordnung des Ministerrates fand der Brand des Prager (tschechischen) Nationaltheaters am 12. August 1881, wenige Monate vor dem Ringtheaterbrand. ℹ️Nur die „Anträge wegen Erwirkung von Ah. Auszeichnungen für Prag anlässlich der Vermählung des durchlauchtigsten Kronprinzen und anlässlich der Vollendung des Baues des böhmischen Nationaltheaters“ berieten die Minister am 18. Juni 1881792. Das Gebäude war nämlich erst zwei Monate vor dem Brand, am 11. Juni, frühzeitig zu Ehren der Vermählung von Kronprinz Rudolf mit Stephanie, der Tochter des belgischen Königs Leopold II., eröffnet und danach für die Endarbeiten wieder geschlossen worden. So wurde durch den Brand zwar das Gebäude zerstört, aber Menschen kamen nicht ums Leben793.

Miszellen

Einige Fragen, mit denen sich der Ministerrat beschäftigte, waren zwar nur Randthemen, betrafen aber wichtige Institutionen, interessante juristische Fragen oder bemerkenswerte Ereignisse. Hierzu zählen die höchsten Gerichtshöfe, Grenzfragen, die Frage der Landtagswahlperiode sowie Jubiläen und Gedenktage.

a) Zentrale Institutionen

Einige Male ℹ️stand das Reichsgericht auf der Tagesordnung des Ministerrates. Beraten wurde die Besetzung der Stelle des Präsidenten (Josef Unger) und des Vizepräsidenten (Carl Habietinek)794 sowie von Richtern795. ℹ️In der Sitzung vom 1. April 1882 beschloss der Ministerrat, dass der Ministerpräsident und nicht der Präsident des Reichsgerichtes den Reichsrat von der Besetzung von Richterstellen informiere796. Dagegen protestierte dessen Präsident Unger, was aber der Ministerrat verwarf797. Als darauf Unger diese Ablehnung „nicht akzeptieren“ zu können glaubte798, stimmte der Ministerrat dem Vorschlag Pražáks zu, „auf diese [Z]uschrift keine weitere Ant[wo]rt mehr zu geben“799. Erwähnenswert ist auch die vom Ministerrat behandelte „Frage der Mitteilung Ah. resolvierter au. Vorträge und der Mitteilung von internen Amtsakten überhaupt an das Reichsgericht“800.

ℹ️Auch der Verwaltungsgerichtshof beschäftigte den Ministerrat mehrfach. Zum einen ging es um die Besetzung des Präsidentenpostens (Richard Graf Belcredi)801 und von erledigten Ratsstellen802. ℹ️In der Frage der Ernennung der Sekretäre ergab sich jedoch ein Kompetenzkonflikt zwischen dem Verwaltungsgerichtshof und der Regierung. Bei der Errichtung dieses Gerichtshofes 1876803 waren die drei Hofsekretäre von Franz Joseph auf Vorschlag des Ministerpräsidenten ernannt worden. Dennoch vertrat nun der Verwaltungsgerichtshof die Meinung, dass die Besetzung dieser Stellen analog zum Obersten Gerichtshof ihm zustehe804. Diese Position teilte zwar Pražák nicht, schlug aber dennoch vor, dem Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofes das Recht der Ernennung der Hofsekretäre zuzugestehen, „weil nicht zu verkennen sei, dass die Ungleichheit derartiger Einrichtungen bei den höchsten Gerichtshöfen leicht zu Missverständnissen, Kränkungen und unliebsamen Vergleichungen Anlass geben könne, welche nach Tunlichkeit zu vermeiden, im Interesse des Ah. Dienstes gelegen sein dürfte“805.

ℹ️Ein weiteres den Verwaltungsgerichtshof berührendes Thema war die „Disziplinarbehandlung der richterlichen Beamten und die unfreiwillige Versetzung derselben auf eine andere Stelle oder in den Ruhestand“806. Eine Regelung war bereits im Zuge der Errichtung des Gerichtshofes 1876 angekündigt, aber bisher noch nicht umgesetzt worden. Unstrittig in den Diskussionen 1881/82 zwischen Justizministerium und Verwaltungsgerichtshof war, dass sich diese Regelung an die Bestimmungen für den Obersten Gerichtshof anlehnen sollte. Nur wollte der Verwaltungsgerichtshof die Angelegenheit in einem Gesetz geregelt sehen, während es für Pražák außer Zweifel stand, dass hier eine Verordnung ausreichend sei. Außerdem vertrat der Verwaltungsgerichtshof die Meinung, dass sowohl die Mitglieder des Gerichtshofs als auch die richterlichen Beamten und Hilfsbeamten in gleicher Weise wie jene des Obersten Gerichtshofes behandelt werden sollten. Die Integration der richterlichen Hilfsbeamten beim Obersten Gerichtshof, so führte hingegen Pražák aus, habe „seinen Grund darin, dass es sich sowohl bei den selbstständigen Richtern als auch bei den richterlichen Hilfsbeamten um Beamte mit richterlicher Qualifikation handle“. Im Gegensatz dazu sei bei den Hilfsbeamten des Verwaltungsgerichtshofs eine „richterliche [Qualifika]tion gar nicht erforderlich“. Daher „wären also in dem proponierten Verordnungsentwurfe anstatt der Worte: ‚richterliche Beamte des Verwaltungsgerichtshofes‘ stets die Worte ‚Mitglieder des Verwaltungsgerichtshofes‘ zu setzen“807. Nach Zustimmung des Ministerrates wurde die Disziplinarordnung des Verwaltungsgerichtshofes im Sinne Pražáks erlassen, wobei die Gleichstellung lediglich der Mitglieder und nicht auch der Hilfsbeamten des Verwaltungsgerichtshofes mit dem Obersten Gerichtshof erfolgte, jedoch nicht durch ein Gesetz, sondern im Verordnungsweg808. Diese Verordnung blieb aber „bis zum Beginne des künftigen Jahres in suspenso“, wie der Präsident des Verwaltungsgerichtshofes Belcredi vermerkte809.

ℹ️Der Oberste Gerichtshof war nur wegen der Besetzung von Senatspräsidenten Thema im Ministerrat810. In der Sitzung vom 26. Juni 1882 wurde für eine Stelle der ehemalige Justizminister im Ministerium Hohenwart, Carl Habietinek, dem Monarchen vorgeschlagen, wobei „Habietinek mit Rücksicht auf seinen Rang als quieszierter Minister an erster Stelle der Senatspräsidenten rangiert werde“811. Habietinek war darauf sowohl Erster Senatspräsident am Obersten Gerichtshof wie auch Vizepräsident des Reichsgerichts. Die „Frage der Systemisierungsregelung der Hofratsstellen am Obersten Gerichtshofe“ behandelte der Ministerrat am 10. April 1882812.

ℹ️Schließlich beriet der Ministerrat auch eine Reform des Obersten Rechnungshofes, der den Namen „Staatsrechnungshof“ erhalten sollte813. Eine entsprechende Regierungsvorlage wurde zwar vom Abgeordneten-, nicht aber vom Herrenhaus angenommen814.

b) Grenzfragen

ℹ️Aufgrund des Artikels XXIX des Berliner Vertrages von 1878 war Österreich-Ungarn berechtigt, das südlich von Cattaro liegende Gebiet von Spizza seinem Kronland Dalmatien anzuschließen. Dies wurde mit dem Gesetz vom 15. April 1879 vollzogen815. Danach wurde aus diesem neu erworbenen Gebiet eine Ortsgemeinde gebildet816.

ℹ️Eine weitere Grenzfrage, mit der sich der Ministerrat beschäftigte, betraf den in der Militärgrenze an der Grenze zu Krain gelegenen Sichelburger Distrikt und die Ortsgemeinde Marienthal817. Diese Gebiete waren im 16. Jahrhundert von Krain zur Ansiedlung von Flüchtlingen, die aus den vom osmanischen Reich besetzten Gebieten kamen, zur Verfügung gestellt worden und so Teil der Militärgrenze geworden818. Als die Militärgrenze dann von 1871 bis 1882 sukzessive in den ungarischen Teil der Monarchie eingegliedert wurde, forderte Cisleithanien die Rückgabe des Sichelburger Distriktes sowie Marienthals819. Ungarn erkannte das Recht Krains prinzipiell an820. Am 14. Oktober 1882 konnte Taaffe den Ministern mitteilen, dass Ungarn bereits eine Grenzregulierungskommission gebildet habe. Von cisleithanischer Seite wurde als Vorsitzender Hohenwart bestimmt, „dem zugleich die Verhältnisse Krains besonders bekannt seien“821. Diese Frage kam am 29. April 1885 erneut zur Sprache822, wurde aber bis zum Ende der Monarchie nie geklärt.

ℹ️Schließlich wurde auch die Stadterweiterung Triests beraten. Ein entsprechendes Gesetz wurde am 1. April 1882 sanktioniert, aber erst 1885 publiziert823.

c) Landtagswahlperioden

ℹ️Eine immer wieder aufkommende Frage betraf die Berechnung der Wahlperiode der Landtage, die vom Zeitpunkt der Wahl oder vom Beginn der ersten Landtagssession berechnet werden konnte. So wurde der Krainer Landtag „im Juli [18]77 gewählt und trat am 12. September 1878 zusammen“824. Je nach Interpretation endete die Wahlperiode entweder 1883 oder 1884. ℹ️Weil nun 1883 die 600-jährige „Jubiläumsfeier des Anschlusses Krains an das Ah. Kaiserhaus“ begangen werden sollte, „zu welcher Feier Se. Majestät nach Krain zu kommen beabsichtigen“, wandte sich der Landespräsident des Kronlandes an Taaffe. Bei einer Berechnung der Wahlperiode von der Wahl 1877 aus würden die Neuwahlen 1883 „unmittelbar vor die Jubiläumsfeier“ fallen. Er bat daher um eine frühzeitige Auflösung des Landtages. Die Frage der Wahlperioden der Landtage war zuvor bereits dreimal im Ministerrat besprochen worden, 1876, 1878 und 1882825. 1876 und 1878 hatte der Ministerrat beschlossen, die Perioden vom ersten Zusammentritt des Landtags zu berechnen. Diesen Standpunkt lehnte Dunajewski im April 1882 allerdings bezüglich der Landtagswahlen in Galizien vehement ab und tat dies auch im Oktober dieses Jahres in Bezug auf Krain. Daher ließ Taaffe den von ihm präferierten Weg, den bisherigen Usus beizubehalten, fallen, allerdings ohne dabei dem Finanzminister zuzustimmen. Es musste also eine Lösung gefunden werden, die beiden Positionen gerecht wurde. Dies war die Auflösung des Landtages noch vor Ende der vom Zeitpunkt der Wahlen her berechneten und daher früher endenden Wahlperiode. Damit war zwar Conrad nicht einverstanden, weil in Krain „die Auflösung auf einen großen Teil der Bevölkerung einen ungünstigen Eindruck machen würde“, dennoch beschloss der Ministerrat „die Auflösung des Krainer Landtages in Aussicht zu nehmen und wird als Zeitpunkt des Vorgehens mit der Maßregel Frühjahr 1883 ins Auge gefasst“826.

ℹ️Ohne dass ein förmlicher Beschluss in der Sitzung gefasst wurde, scheint das Fazit der Konferenz gewesen zu sein, prinzipiell beim bisherigen Usus, der Berechnung der Wahlperiode vom ersten Zusammentritt des Landtags an, zu bleiben, außer der Wunsch nach einer alternativen Berechnung gehe vom konkret betroffenen Landtag aus827. Dabei wurde die Schaffung eines Präzedenzfalls umgangen, indem man formell den Landtag frühzeitig auflöste.

d) Jubiläen und Gedenktage

Die ℹ️Silberhochzeit Franz Josephs mit Elisabeth am 24. April 1879 beschäftigte auch den Ministerrat bezüglich des Empfangs von Deputationen, Auszeichnungen, Begnadigungen oder Stiftungen. Für die Stiftung von Stipendien dankten schließlich die Universitäten828. Weitere Jubiläen betrafen die Zugehörigkeit der Kronländer zur Habsburgermonarchie. ℹ️Erwähnt wurden bereits die Feierlichkeiten der 500-jährigen Zugehörigkeit Triests 1882 zur Monarchie, das im Schatten des Attentats auf Franz Joseph und der Hinrichtung Oberdans (Kaiserreise nach Triest 1882) stand, und ℹ️die 600-jährige Zugehörigkeit Krains 1883, die zur frühzeitigen Auflösung des Landtags führte (Landtagswahlperiode). ℹ️Kurz vor das Krainer 600-jährige Herrschaftsjubiläum fiel dasjenige Nieder- und Oberösterreichs. Mit diesen beiden Ländern hatte Rudolf I. seine Söhne Albrecht und Rudolf am 27. Dezember 1282 belehnt. Am 25. November 1882 beriet der Ministerrat über die Bitte des niederösterreichischen Landtages und des Episkopats des Erzbistums Wiens, aus diesem Anlass dem Monarchen ihre Loyalität bekunden zu dürfen. Weil „es nicht am Platz wäre, von seiner [Taaffes] Seite in dieser Angelegenheit einen au. Antrag zu stellen“, wollte der Ministerpräsident „daher nur die Angelegenheit sowie die Anfrage des Landmarschalls zur Ah. Kenntnis Sr. Majestät bringen, damit Se. Majestät die Ah. Entscheidung fällen könne“829. Der Monarch stimmte diesen Huldigungen zu und die feierlichen Empfänge fanden am 27. Dezember 1882 statt. Die Wiener Zeitung berichtete ausführlich über die Huldigungsreden und die Antworten des Monarchen830. Schließlich brachte der Ministerrat Franz Joseph im Wege des Protokolls „den Ausdruck der au. Huldigung der Vertretung der Hochschule für Bodenkultur anlässlich des 600-jährigen Jubiläums des Ah. Kaiserhauses“ zur Kenntnis831.

ℹ️Bei Betrachtung dieser Huldigungen am 27. Dezember 1882 darf allerdings nicht vergessen werden, dass eine Woche zuvor, am 20. Dezember, Oberdan gehängt worden war. Was Pino am 31. Oktober 1882 nur auf das 500-jährige Jubiläum Triests bezog, gilt daher auch generell für das gesamte Jahr: „Außerdem schiene es ihm penibel, die Feier des 500-jährigen Anschlusses Triests an das Ah. Kaiserhaus mit einem Justifizierungsakte enden zu lassen.“832

Die ersten drei Jahre der Regierung Taaffe

ℹ️In den ersten Jahren von Taaffes zweiter Ministerpräsidentschaft kamen eine Reihe von wichtigen Gesetzen und Verordnungen zustande oder wurden in die Wege geleitet, die als Ergebnis des Regierungswillens Taaffes verstanden werden. ℹ️Es ist aber auffallend, dass bei vielen dieser gesetzlichen Regelungen die Regierung gar nicht die treibende Kraft, bei vielen nicht einmal mittelbar beteiligt war. Sie gingen vielmehr aus dem Reichsrat hervor, bevor sie schließlich unter Befürwortung der Regierung die Sanktion des Monarchen erhielten. Darunter befinden sich sehr zentrale Gesetzesinitiativen wie das ℹ️Wahlgesetz, ℹ️die Revision des Volksschulgesetzes oder das – vom deutschliberalen Abgeordneten Weeber ausgehende – ℹ️Wuchergesetz. Die Regierung brachte andere Gesetzesvorlagen in den Reichsrat ein oder erließ entsprechende Verordnungen, an denen zwar einzelne Regierungsmitglieder ein unmittelbares Interesse hatten, nicht aber die Regierung als Gesamtinstitution. ℹ️Es waren dies Zugeständnisse an die sie tragenden Parteien des Abgeordnetenhauses. ℹ️Dies betraf die Gesetzesinitiative zur Teilung der Prager Universität ebenso wie die ℹ️Taaffe-Stremayr’schen Sprachenverordnungen für Böhmen und Mähren 1880 oder die Justizministerialverordnungen Pražáks 1882 zur Verwendung der slowenischen Sprache vor Gericht in den Oberlandesgerichtssprengeln von Graz und Triest und zur Verwendung der tschechischen und polnischen Sprache vor Gericht in Schlesien.

ℹ️Unmittelbar interessierten die Regierung die militärischen Gesetze (Verlängerung der §§ 11 und 13 des Wehrgesetzes 1879, Revision des Wehrgesetzes 1882 mit dessen Umsetzung in Süddalmatien), ℹ️die politische, wirtschaftliche und verkehrstechnische Integration Bosnien-Herzegowinas, ℹ️die „Herstellung des Gleichgewichts im Staatshaushalte“833 mit den damit zusammenhängenden Finanzgesetzen und schließlich Änderungen in der ℹ️Wirtschafts- und Sozialpolitik. ℹ️Diese bezogen sich besonders auf eine gezielte Politik der Verstaatlichung der Eisenbahnen, ℹ️den sozialpolitischen Ausbau der Gewerbeordnung (Abschnitt VI über die Hilfsarbeiter) und ℹ️die Regulierungen von Arbeitszeiten sowie von Frauen- und Kinderarbeit. ℹ️Will man die unmittelbaren Ziele der Regierung Taaffe definieren, so handelt es sich zum einen um die sogenannten Staatsnotwendigkeiten, also die anstehenden mit Ungarn gemeinsamen Angelegenheiten (Militär und Bosnien-Herzegowina) sowie Agenden, die zum Bereich des Staatshaushalts gehörten (Budget und Steuern). Zum anderen waren es Maßnahmen zur Überwindung der wirtschaftlichen Depression, die Cisleithanien seit dem Börsenkrach 1873 im Griff hielt (Eisenbahnverstaatlichung und Soziales). Für die Erreichung dieser Ziele war die Regierung bereit, die Wünsche der parlamentarischen Unterstützer in der Sachpolitik (Sprachen-, Bildungs- und Wahlrechtsfragen) mitzutragen.

ℹ️Dass es sich dabei nur allzu oft um Kompromisse handelte, zeigte sich u.a. an der Unzufriedenheit der Tschechen mit den Sprachenverordnungen oder den Regelungen zur tschechischen Universität in Prag, da diese Maßnahmen zwar die tschechische Sprache aufwerteten, sie aber keineswegs der deutschen gleichstellten. Allerdings mussten nicht nur die Regierungsparteien, sondern auch die Regierung bei ihren Wünschen Abstriche machen. ℹ️So scheiterte die Reform der Personensteuern (Erwerb-, Aktien-, Renten- und Personaleinkommensteuer) bereits an der Hürde des Steuerausschusses des Abgeordnetenhauses.

ℹ️Besonders deutlich zeigten sich Differenzen zwischen Regierung und Parlamentsmehrheit bei der Reform der Gewerbeordnung, die letztlich zustande kam, aber nur, weil die Regierung bereit war, ihre Interessen zurückzustellen. Bereits am 24. November 1879, zu Beginn der neuen Legislaturperiode, legte Handelsminister Korb dem Abgeordnetenhaus einen Gesetzentwurf zur Reform des VI. Hauptstückes der Gewerbeordnung vor, mit dem die Rechte der Arbeiter ausgebaut, die Institution der Gewerbeinspektoren geschaffen und die gewerblichen Hilfskassen samt Musterordnung festgelegt werden sollten. Weitere Änderungen der Gewerbeordnung wurden zunächst nicht verfolgt, wie „die Förderung der gewerblichen Interessen, insbesondere durch Kräftigung des Kleingewerbes“834, weil die Lösung der Arbeiterfrage „besonders wünschenswerth und dringlich“ erschien835. Nachdem aber im Ausschuss des Abgeordnetenhauses über ein Jahr kein Fortschritt zu verzeichnen war, musste der neue Handelsminister Kremer den Entwurf wieder zurückziehen, brachte aber einen neuen ein836. Dieser berücksichtigte das Verlangen des Abgeordnetenhauses „bei dem Zusammenhange, welcher zwischen den einzelnen Theilen der Gewerbeordnung besteht“, die „Revision der Gewerbeordnung in ihrem ganzen Umfange einheitlich vorzunehmen“837. Das von Franz Joseph dann am 15. März 1883 sanktionierte Gesetz des Reichsrates „betreffend die Änderung und Ergänzung der Gewerbeordnung“838 unterstrich aber keineswegs den Zusammenhang aller Teile der Gewerbeordnung. Denn das Gesetz vom 15. März 1883 regelte zuerst nur alle Teile ausgenommen das VI. Hauptstück über die Hilfsarbeiter. Ausgerechnet der Teil, den die Regierung für „besonders wünschenswerth und dringlich“ hielt, wurde zurückgestellt und erst am Ende der VI. Legislaturperiode vom Reichsrat 1885 parlamentarisch erledigt839. Zudem entsprach das vom Reichsrat 1883 votierte Gesetz über die Änderung der anderen Abschnitte der Gewerbeordnung keineswegs den Richtlinien, auf die sich die Regierung ursprünglich geeinigt hatte: Am 23. November 1882 musste sie ihren vorherigen Standpunkt durch Ministerratsbeschluss förmlich aufheben, wobei diese Entscheidung besonders Pino, Conrad und Dunajewski schwerfiel, da diese Reform mit der klaren Aufwertung der berufsständischen Korporationen eine fundamentale Abkehr von der bisherigen liberalen Gewerbeordnung bedeutete840. Nur der konservative Minister des Kabinetts, Falkenhayn, hielt mit Befriedigung fest, diese Forderung des Abgeordnetenhauses nach Aufwertung der Korporationen sei immer schon seine Position gewesen. Insofern macht die Diskussion um die Gewerbeordnung deutlich, dass die Regierung abseits der Staatsnotwendigkeiten durchaus kompromissbereit und flexibel war.

ℹ️Die Regierung konnte sich in der Wirtschaftspolitik dann ohne Abstriche durchsetzen, wenn es eine Interessengemeinschaft mit den Regierungsparteien gab, wie in der Frage des Einstiegs in das Staatseisenbahnsystem. Denn Bau und Betrieb der großen Hauptlinien waren seit 1873 den Privatinvestoren zu wenig lukrativ mit der Folge, dass der Eisenbahnbau sehr schleppend voranschritt, worunter besonders Galizien litt. Dieser Stillstand konnte nur durch staatliche Initiativen durchbrochen werden.

ℹ️Somit verfolgte die Regierung Taaffe in den ersten Jahren letztlich drei Ziele: erstens die Staatsnotwendigkeiten durchzusetzen, zweitens die Wirtschaftskrise von 1873 zu überwinden und drittens ihre Regierungsmehrheit im Abgeordnetenhaus zu erhalten. Dass sich die Regierung dabei auf den Eisernen Ring aus Tschechen, Polen und einem konservativen Sammelbündnis stützte, war nicht das ursprüngliche Ziel der Regierung gewesen, die eigentlich mit einer Politik der „Versöhnung und Verständigung“ zumindest Teile der Deutschliberalen nicht als Regierungsunterstützer verlieren, die Polen halten und die Tschechen und die Konservativen gewinnen wollte. Da sich die deutschliberalen Klubs, die fast die Hälfte aller Mandate im Abgeordnetenhaus innehatten, der Regierung aber komplett verweigerten, machte dies die Regierung vom Eisernen Ring abhängig. In vielen Fragen musste die Regierung ihre eigentlich deutschen und liberalen Standpunkte aufgeben, wie in der Frage der Staatsprüfungen an der juridischen Fakultät der tschechischen Universität in Prag oder in den Diskussionen um die Reform der Gewerbeordnung.

ℹ️Der Versuch der Deutschliberalen, mit ihrer Verweigerungspolitik die Regierung Taaffe zu unterwerfen, gelang zwar, aber die Regierung unterwarf sich nicht dem Wunsch der Deutschliberalen und demissionierte, ℹ️sondern sie unterwarf sich dem Eisernen Ring. Somit entpuppte sich der scheinbare deutschliberale Sieg über Taaffe als Bumerang, dem die Deutschliberalen schließlich selbst zum Opfer fielen: parteipolitisch durch ihre Zersplitterung und das Abdriften in deutschnationale Fahrwasser, und inhaltlich, indem liberale Bollwerke, wie das Reichsvolksschulgesetz von 1869 oder die Entmachtung der Zünfte in der Gewerbeordnung von 1859, nun von Taaffe geopfert wurden841, um die parlamentarische Mehrheit des Eisernen Rings für die Regierung zu erhalten842.

Zur Überlieferung der Protokolle

ℹ️Die Protokolle des cisleithanischen Ministerrates wurden 1927 Opfer des Justizpalastbrandes, der große Teile des Bestandes vernichtet hat. ℹ️Von den im Zeitraum 17. Februar 1879 bis 28. Dezember 1882 abgehaltenen 445 Ministerratssitzungen fanden 40 in der Zeit der Übergangsregierung Stremayr und 405 unter Ministerpräsident Taaffe statt. Die letzte Sitzung unter dem Vorsitz Stremayrs fand am 28. Juli 1879 statt, die erste mit Taaffe als Ministerpräsident am 19. August 1879. Die 40 Protokolle der Übergangsregierung Stremayr hatten 219 Tagesordnungspunkte, von denen keiner erhalten geblieben ist. Die 405 Protokolle während der Ministerpräsidentschaft Taaffes bis Ende 1882 hatten 1.946 Tagesordnungspunkte, von denen sechs vollständig in Abschriften und 379 im Original als Brandakten, zusammen also 385 erhalten geblieben sind. Somit sind von allen 2.165 Tagesordnungspunkten dieses Bandes 17,7% vorhanden.

ℹ️Bei den sechs Abschriften handelt es sich um einen Tagesordnungspunkt aus dem Jahr 1880, der vom Handelsministerium angefertigt wurde und die „Verhandlungen wegen Erwerbung der Kaiserin-Elisabeth-Westbahn für den Staat“ betraf843, und fünf Tagesordnungspunkte aus dem Jahr 1881, die sich mit der „Kuchelbader Schlacht“ und ihren politischen Folgen beschäftigten. Bei den Letzteren handelte es sich um Abschriften, die der tschechische Historiker und Archivar Karel Kazbunda in der Zwischenkriegszeit anfertigen ließ. Abschriften davon stellte er wiederum nach dem Brand des Justizpalastes der Republik Österreich zur Verfügung. Heute befinden sie sich im Bestand „Ministerratsprotokolle“ des Allgemeinen Verwaltungsarchivs des Österreichischen Staatsarchivs844.

ℹ️Die erhaltenen Originalprotokolle beginnen mit Tagesordnungspunkt IX der Sitzung vom 14. April 1882 und bilden danach einen geschlossen erhaltenen Bestand bis zum Ende dieses Bandes (Sitzung vom 28. Dezember 1882). Auch wenn bei einigen Protokollen die Brandstellen größer sind, in keinem Fall sind sie so gravierend, den Gedankenfluss und das Verständnis des besprochenen Inhalts insgesamt zu stören.

Brandstellen wurden da, wo sich die fehlenden Stellen inhaltlich oder aufgrund von regelmäßigen Floskeln ergaben, in [eckigen Klammern], dort, wo sie sich aufgrund von Quellen rekonstruieren ließen, unter Angabe der Quelle, aber ohne eckige Klammern ergänzt.

ℹ️Somit fehlen für viele wichtige im Ministerrat besprochene Themen alle Tagesordnungspunkte, etwa den Verwaltungsaufbau Bosnien-Herzegowinas oder dessen Integration in das gemeinsame Verwaltungsgebiet betreffend. Bei anderen Themen sind nur die Beratungen in den letzten Sitzungen vorhanden, etwa bezüglich der Änderung des Wehrgesetzes 1882 oder der Wahlreform 1882. Schließlich umfasst eine dritte Gruppe Themen, wo wir den Beginn der Auseinandersetzung in den erhaltenen Tagesordnungspunkten erfahren, die aber erst später zu einem Abschluss kamen, besonders die Unfallversicherung und die Regelung der Sonntags-, Frauen- und Kinderarbeit. Diese Einleitung verfolgt die Regierungstätigkeit zum einen anhand der erhaltenen Protokolle und zeichnet zum anderen, wo die Protokolle nicht erhalten geblieben sind, diese anhand der Verzeichnisse der Tagesordnungspunkte zumindest kursorisch, gestützt auf andere gedruckte Quellen wie die Parlamentsprotokolle nach.

ℹ️Die Protokolle April 1882 bis Ende des Jahres zeigen eine Regierung, die sich mit Sachthemen beschäftigte und nicht mit sich selbst. Dies wurde besonders dadurch ermöglicht, dass die einzelnen Minister ihren Platz hatten, kannten und diesen nicht infrage stellten: Jeder spielte die ihm zugewiesene Rolle, von den einflussreichen Ministern wie Pražák oder Dunajewski bis zu den fast ohnmächtigen wie Pino und besonders Conrad. Diese verließen dann auch als erste die Regierung, Conrad am 5. November 1885 und wenige Monate nach ihm, am 16. März 1886, Pino.