Nr. 65 Ministerrat, Wien, 3. April 1872 – Protokoll I
RS.Reinschrift und bA.; P. Weber; VS.Vorsitz Auersperg; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Auersperg 3. 4.); Lasser 7. 4., Banhans 8. 4., Stremayr, Glaser, Unger, Chlumecký 11. 4., Horst; abw.abwesend Pretis.
- I. Mitteilung des Ministerpräsidenten betreffend den Entschluss Sr. kaiserlichen Hoheit des Großherzogs von Toskana und Sr. kgl. Hoheit des Herzogs von Modena, sich der Stimmabgabe in Böhmen zu enthalten.
- II. Zeitungsnotizen über die Ausübung des Wahlrechtes durch Se. Majestät den Kaiser.
- III. Au. Antrag auf Verleihung des Ritterkreuzes vom Leopold-Orden an den Hof- und Gerichtsadvokaten Dr. Ludwig Flesch.
- IV. Brief des Statthalters von Böhmen in der ad I) besprochenen Angelegenheit.
- I. Mitteilung des Ministerpräsidenten betreffend den Entschluss Sr. kaiserlichen Hoheit des Großherzogs von Toskana und Sr. kgl. Hoheit des Herzogs von Modena, sich der Stimmabgabe in Böhmen zu enthalten
- II. Zeitungsnotizen über die Ausübung des Wahlrechtes durch Se. Majestät den Kaiser
- III. Au. Antrag auf Verleihung des Ritterkreuzes vom Leopold-Orden an den Hof- und Gerichtsadvokaten Dr. Ludwig Flesch
- IV. Brief des Statthalters von Böhmen in der ad I) besprochenen Angelegenheit
|| || Protokoll I des zu Wien am 3. April 1872 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. Durchlaucht des Herrn Ministerpräsidenten Fürsten Auersperg.
I. Mitteilung des Ministerpräsidenten betreffend den Entschluss Sr. kaiserlichen Hoheit des Großherzogs von Toskana und Sr. kgl. Hoheit des Herzogs von Modena, sich der Stimmabgabe in Böhmen zu enthalten
I. ℹ️ Der Ministerpräsident, von seiner Urlaubsreise nach Salzburg zurückgekehrt, sieht sich veranlasst, der Konferenz folgendes zu eröffnen: Während seines Aufenthalts || || in Salzburg habe er bei Sr. kaiserlichen Hoheit dem Großherzoge Ferdinand von Toskana eine Audienz erbeten und erhalten. Unter den verschiedenen Gegenständen, die bei dieser Audienz zur Sprache kamen, wurden die böhmischen Angelegenheiten von Sr. kaiserlichen Hoheit nur sehr flüchtig berührt, und der Konversationsgegenstand sofort gewechselt, als der Ministerpräsident in diese Frage näher einzugehen versuchte.1
Dagegen geruhten Se. kaiserliche Hoheit noch an demselben Tage nachmittags den Ministerpräsidenten mit einem Besuche zu beehren, und nachdem einige Zeit über andere Gegenstände gesprochen worden war, als eigentlichen Zweck des höchsten Besuches die Mitteilung zu bezeichnen, dass Se. kaiserliche Hoheit sich entschlossen haben, Höchstseine Stimme nicht für die Regierung abzugeben, sondern sich, gleich Sr. Majestät dem Kaiser Ferdinand, || || der Wahl zu enthalten.2 Seine kaiserliche Hoheit geruhte sich dabei in den gnädigsten und beifälligsten Worten sowohl über die Person des Ministerpräsidenten, als auch über die Höchstdenselben das vollste Vertrauen einflößende Aktion des Ministeriums zu ergehen, wie nicht minder dem Wunsche und der Überzeugung Ausdruck zu geben, dass die Regierung in Böhmen reüssieren werde, erklärte aber mit großem Bedauern, sich von seinem katholischen Standpunkte der Stimmabgabe enthalten zu müssen. Da der Entschluss bereits gefasst war, musste sich der Ministerpräsident darauf beschränken, Sr. kaiserlichen Hoheit mit derselben Offenheit, die Höchstderselbe ihm gegenüber an den Tag gelegt, die Tragweite dieses Entschlusses auseinanderzusetzen. Er wisse, dass dies nicht die einzige Stimme sei, die dem Ministerium seitens der Mitglieder der Ah. Fa|| || milie entgehe. Se. kgl. Hoheit Erzherzog Franz, Herzog von Modena, habe nach einer mehrstündigen Besprechung mit dem Grafen Leo Thun, Letzterem das Versprechen gegeben, nicht für die Regierung zu stimmen.3 Es seien dies zwei Stimmen, welche bis auf den heutigen Tag bei jeder Wahl, zuletzt noch bei den direkten Wahlen in Böhmen, stets für die jeweilige Regierung abgegeben wurde. Durch die Wahlenthaltung der beiden Herren Erzherzoge entgehen aber der Regierung nicht bloß zwei Stimmen, da sehr viele Mitglieder des Adels gewohnt sind, sich nach der Abstimmung der Mitglieder des kaiserlichen Hauses zu richten. Er für seine Person, denn den Ansichten der andern Kabinettsgliedern könne er nicht vorgreifen, müsste, wenn infolge dieses von Mitgliedern der kaiserlichen Familie der Regierung erteilten Misstrauensvotums der Wahlerfolg scheitern sollte || || ernstlich mit sich darüber zu Rate gehen, ob er angesichts der dem Ministerium [noch] bevorstehenden hochwichtigen, und schwer durchzubringenden Fragen, dann noch weiter an der Aktion desselben Teil zu nehmen imstande wäre.
Zu Mitteln, wie sie Graf Leo Thun anwendet, der von Haus zu Haus geht, um zu versichern, dass das Ministerium die Klöster aufheben, die Kirchengüter einziehen und die ganze Monarchie entchristlichen wolle, könne das jetzige Ministerium unter keinen Umständen greifen, und es sei schwer, gegen solche Mittel anzukämpfen. Auch könne man die Gründe nicht mitteilen, aus welchen die Herren Erzherzoge nicht stimmen. Die Wahlenthaltung werde aber von den Gegnern als Misstrauensvotum ausgebeutet werden, um so mehr als es das erste Mal ist, dass von dieser Seite das Stimmrecht || || nicht für die Regierung ausgeübt wird. Se. Majestät der Kaiser Ferdinand, auf Allerhöchstwelchen Se. kaiserliche Hoheit hingewiesen, habe nie gewählt, daher auch diesmal die Wahlenthaltung Allerhöchstdesselben keinen der Regierung nachteiligen Eindruck machen werde. Se. kaiserliche Hoheit habe hierauf wiederholt sein Bedauern ausgesprochen, und bemerkt, dass es höchst dessen fester Entschluss sei, nicht zu wählen. Tags darauf habe der Ministerpräsident erfahren, dass es ein briefliches Ersuchen Sr. königlichen Hoheit des Herzogs von Modena war, welches den Großherzog von Toskana zu dem Versprechen bestimmt hatte, sich der Wahl enthalten zu wollen. Der Ministerpräsident glaubt dies der Konferenz mitteilen zu sollen, weil er darin ein wichtiges Moment || || [in] der Richtung erblickt, ob es dem Ministerium möglich sein wird, in der galizischen Angelegenheit4 und in anderen schwerwiegenden Fragen, die dasselbe gegen die [N]eigung des Reichsrates noch durchzubringen hat, mit Erfolg einzutreten, wenn die Wahlen in Böhmen scheitern sollten. Ja selbst falls sie gelängen, werde es immer misslich sein, wenn die Gegner geltend machen können, dass außer Sr. kaiserlichen Hoheit dem Erzherzog Wilhelm5, Höchstwelcher als Großmeister des Deutschen Ordens immer verfassungstreu gestimmt hat, diesmal alle Mitglieder der kaiserlichen Familie sich der Wahl enthalten haben. Er könne sein Bedauern darüber nicht verhehlen, dass von so hoher Seite solchen Verleumdungen Gehör geschenkt wird, wie sie die Gegner des Ministeriums in Szene setzen. In Salzburg habe er neuer|| || lich Gelegenheit gehabt, von einem Brief Einsicht zu nehmen, in welchem der Baronin Dlauhoveski6 nahegelegt wird, wie ihre Kinder sie noch im Grabe verfluchen werden, wenn sie für die Verfassungstreuen stimmt, wie ihre Kindeskinder keine Religion mehr haben werden u. dgl.
Der Justizminister nimmt von jenem Teil der Eröffnung des Ministerpräsidenten, welcher zwischen der Person Sr. Durchlaucht und den übrigen Kabinettsmitgliedern unterscheidet, Anlass, der vollständigsten Solidarität des Ministeriums erneuerten Ausdruck zu geben. Der Minister des Innern fügt, unter Zustimmung des Ministerpräsidenten und der übrigen Konferenzmitglieder bei, dass in den vom Ministerpräsidenten gemachten Mitteilungen für die Regierung noch kein Grund liege, den begonnenen Kampf aufzugeben.7
II. Zeitungsnotizen über die Ausübung des Wahlrechtes durch Se. Majestät den Kaiser
|| || II. ℹ️ Minister Dr. Unger hat nach der Rückkehr von seinem Urlaubsausflug zu seiner Überraschung in den Journalen Notizen und Telegramme gefunden, wornach Se. Majestät Ah. sein Wahlrecht durch den Fürsten Colloredo ausüben werden.8
Die Frage wurde auch schon zum Gegenstand von Leitartikeln gemacht, und selbst die „Neue Freie Presse“ war taktlos genug, diesen angeblichen Entschluss Sr. Majestät als einen ganz begreiflichen zu besprechen.9 Minister Dr. Unger sieht in den obigen Nachrichten nur ein Wahlmanöver der Gegenpartei, welche – während die Regierung im Interesse der Krone im Vorhinein Se. Majestät au. gebeten hat, Ah. Sich ein für alle Mal der Wahl enthalten zu wollen – sich nun bemüht, die Ah. Person in das Wahlgetriebe hineinzuziehen und den Schein zu erzeugen, als ob Se. Majestät hätte wählen wollen, wodurch es der || || Gegenpartei möglich wird, die Wahlenthaltung umso wirksamer als einen Ausdruck des Ah. Misstrauens gegen das Ministerium ausbeuten zu können. Er hält es für notwendig, durch angemessene aufklärende Besprechung in den Blättern dahin zu wirken, dass diese Machinationen der Gegner durchschaut und durchkreuzt werden.
Die Konferenz teilt diese Ansicht und spricht ihr Bedauern aus, dass bei dem letzten Wahlakt die Wahlenthaltung von Seite des Bevollmächtigten Sr. Majestät nicht so durchgeführt wurde, wie es im Wunsche des Ministeriums lag, nämlich in der Art, dass sie als ein prinzipieller Ah. Entschluss für alle Zukunft erschienen wäre. Dieser Umstand sei wohl der Regierung, nicht aber den Anhängern der Gegenpartei bekannt, infolgedessen der || || ganze Akt der Regierung zum Nachteil gereiche.
III. Au. Antrag auf Verleihung des Ritterkreuzes vom Leopold-Orden an den Hof- und Gerichtsadvokaten Dr. Ludwig Flesch
III. ℹ️ Dem Ministerpräsidenten ist vom Kabinettsdirektor Sr. Majestät, Staatsrat von Braun, ein Schreiben nachstehenden Inhalts zugekommen: Graf Lónyay habe Sr. Majestät unter den Persönlichkeiten, deren eifrigen Bemühungen die definitive Regelung der Angelegenheit der unter der Ah. Vormundschaft stehenden minderjährigen Kinder weiland des Erbprinzen Maximilian von Thurn und Taxis vorzüglich zuzuschreiben ist, den Hof- und Gerichtsadvokaten Dr. Ludwig Flesch genannt, welcher bei den verschiedenartigsten Unterhandlungen unter Ablehnung jedes pekuniären Vorteils mit ganz besonderem Erfolg gewirkt hat.10
Graf Lónyay habe den Dr. Flesch der Ah. Gnade || || empfehlen zu sollen geglaubt, und die Ansicht ausgesprochen, dass die Verleihung des Ritterkreuzes vom Leopold-Orden dessen verdienstlichen Leistungen entsprechen dürfte. Se. Majestät haben den Kabinettsdirektor zu beauftragen geruht, den Ministerpräsidenten hievon mit der Anfrage in Kenntnis zu setzen, ob die kaiserliche Regierung mit diesem Antrage einverstanden sei. Minister Dr. Unger erklärt, dass er den Dr. Flesch seit Jahren als einen durch und durch redlichen, anständigen, wahrhaft ausgezeichneten Mann kenne. Derselbe habe als Advokat einen glänzenden Ruf, und es seien dem Votanten unter den hiesigen Advokaten wenige bekannt, die der kaiserlichen Gnade in so hohem Grade würdig wären als Dr. Flesch. Er stimme aus vollster Überzeugung dafür, bei Sr. Majestät auf die in Anregung || || gebrachte Auszeichnung au. einzuraten. Nachdem auch der Justizminister und der Minister des Innern sich in gleichem Sinne ausgesprochen, beschließt die Konferenz einhellig, den Dr. Ludwig Flesch Sr. Majestät zur Ag. Verleihung des Ritterkreuzes vom Leopold-Orden au. anzuempfehlen.
Der Ministerpräsident wird hiernach das oberwähnte Schreiben sofort beantworten.11
IV. Brief des Statthalters von Böhmen in der ad I) besprochenen Angelegenheit
IV. ℹ️ Im Laufe der Konferenz ist das in Abschrift beigeschlossene Schreiben des Statthalters von Böhmena, betreffend die Wahlenthaltung Sr. kaiserlichen Hoheit des Herrn Großherzogs von Toskana und Sr. königlichen Hoheit, des Herrn Erzherzogs Franz von Modena eingelangt, welches der Minister|| || präsident mit Bezug auf seine früher sub I) gemachte Mitteilung der Konferenz zur Kenntnis bringt.12
Wien, am 3. April 1872. Auersperg.
Ah. E.Allerhöchste Entschließung Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Wien, 20. April 1872. Franz Joseph.