Nr. 53 Ministerrat, Wien, 28. Februar 1872
RS.Reinschrift und bA.; P. Weber; VS.Vorsitz Auersperg; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Auersperg 28. 2.) Lasser 4. 3., Banhans 4. 3., Stremayr, Unger, Chlumecký 4. 3., Pretis, Horst (bei I und II) 9. 3.; außerdem anw.anwesend Wehli (bei IV); abw.abwesend Glaser
- I. Vertrauensadresse der tschechischen Gemeinde Wrazow.
- II. Zeitpunkt der Einbringung des Pferdekonskriptionsgesetzes.
- III. Rundschreiben des Kultusministers an die Landeschefs betreffend den Standpunkt der Regierung in der altkatholischen Frage.
- IV. Präzisere Formulierung des Ministerratsbeschlusses in Betreff der Konzessionierung von Aktiengesellschaften.
- I. Vertrauensadresse der tschechischen Gemeinde Wrazow
- II. Zeitpunkt der Einbringung des Pferdekonskriptionsgesetzes
- III. Rundschreiben des Kultusministers an die Landeschefs betreffend den Standpunkt der Regierung in der altkatholischen Frage
- IV. Präzisere Formulierung des Ministerratsbeschlusses in Betreff der Konzessionierung von Aktiengesellschaften
|| || Protokoll des zu Wien am 28. Februar 1872 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. Durchlaucht des Herrn Ministerpräsidenten Fürsten Auersperg.
I. Vertrauensadresse der tschechischen Gemeinde Wrazow
I. ℹ️ Der Ministerpräsident teilt den Wortlaut einer an das Gesamtministerium eingelangten Adresse der 3.000 durchaus slawische Einwoh|| || ner zählenden Gemeinde Wrazow in Mähren mit, worin der Regierung für die unparteiische, von jeder Nationalitätsschwärmerei und jedem Kastengeiste freie Amtsführung gedankt, der der slawischen Bevölkerung gegönnte freie Spielraum als zur geistigen Heranbildung derselben im nationalen Sinne vollkommen ausreichend erklärt, die Fernhaltung von jenen Ausschreitungen und gefährlichen Doktrinen, für welche gewisse Agitatoren die slawische Bevölkerung zu gewinnen sich bemühen, zugesichert, und schließlich der Wunsch ausgesprochen wird, die Vorsehung möge das Wirken des Ministeriums begünstigen, damit dasselbe den Völkern den heißersehnten inneren Frieden herbeizuführen vermöge.1
II. Zeitpunkt der Einbringung des Pferdekonskriptionsgesetzes
II. ℹ️ Der Leiter des Landesverteidigungsministeriums bringt || || [] zur Kenntnis, [] auf seine Anfrage über [] von der ungarischen Regierung beabsichtigten Vorgang rücksichtlich der Einbringung des Pferdekonskriptionsgesetzes von dem Vorstand der Militärzentralkanzlei Se. Majestät im telegrafischen Wege erhalten hat.2
Die Antwort lautet, die Einbringung des erwähnten Gesetzes vor den Wahlen werde von der ungarischen Regierung als untunlich erklärt, dieselbe wäre dort erfolglos, weil zur Durchbringung die nötige Zeit mangelt, und nach den Wahlen alle nicht erledigten Gesetze neu eingebracht werden müssen. Dem ungeachtet erwarten Se. Majestät, dass die diesseitige Regierung den Gesetzentwurf im Reichsrat einbringt, indem die Resolution wegen baldiger Vorlage des Pferdekonskriptionsgesetzes von der cisleithanischen Delegation gefasst worden ist, daher durch die Einbringung || || desselben nur diesem Wunsche entsprochen wird.3
Die Konferenz einigt sich, den erwähnten Gesetzentwurf einzubringen, und nur die Vorsicht zu gebrauchen, dass damit etwa zwei bis drei Tage zugewartet wird, bis die Mitglieder des für das Kavalleriegesetz4 zu wählenden Ausschusses, für welchen in der morgigen Klubsitzung die Liste aufgestellt wird, und welchem voraussichtlich auch das Pferdekonskriptionsgesetz zugewiesen werden dürfte, bekannt ist. Das Ministerium hätte auf eine solche Zusammensetzung des Ausschusses für das Kavalleriegesetz hinzuwirken, dass die Geneigtheit desselben auf die Intentionen der Regierung in Betreff des Pferdegesetzes einzugehen, in Aussicht genommen werden kann, eventuell aber Einfluss zu nehmen, dass für das letztere Gesetz ein anderer Ausschuss eingesetzt wird.5
III. Rundschreiben des Kultusministers an die Landeschefs betreffend den Standpunkt der Regierung in der altkatholischen Frage
|| || [III. ℹ️ Der] Kultusminister er[] dass in dem vom Minister[rat] eingesetzten Komitee zur Schlussredaktion des in Angelegenheit der Altkatholiken an die Landeschefs zu erlassenden Rundschreibens, vollständige Einigung über den aus der Beilagea ersichtlichen Erlasse, den er zur Verlesung bringt, erzielt worden ist.6
Dieser Erlass wird einhellig genehmigt, und um den Schein zu vermeiden, als ob die Regierung etwa durch den in der gestrigen Abgeordnetenhaussitzung eingebrachten Waldertschen Antrag wegen gesetzlicher Regelung der Verhältnisse der Altkatholiken eine Pression auf sich hätte üben lassen, beschlossen, dem Rundschreiben jenes Datum zu geben, an welchem das Ministerium über die Erlassung und den Inhalt desselben faktisch schlüssig geworden ist.7
IV. Präzisere Formulierung des Ministerratsbeschlusses in Betreff der Konzessionierung von Aktiengesellschaften
|| || IV. ℹ️ Der Minister des Innern lässt durch den Sektionschef Freiherrn von Wehli, als Vorsitzenden des Ministerialvereinskomitees, die von dem letzteren entworfene Formulierung der Grundsätze vortragen, welche hinsichtlich der Konzessionierung von Aktienunternehmungen, um dem maßlosen Gründungsschwindel entgegenzuwirken, von nun an bis zur Erlassung eines Aktienvereinsgesetzes einzuhalten wären.8
Diese Grundsätze sind: 1) Die Emission junger Aktien vor erfolgter Volleinzahlung der früher Emittierten ist ausnahmslos nicht zu gestatten. 2) Bei Banken und Kreditinstituten wird nur die Emission von volleingezahlten, auf 200 fr. lautenden Aktien zugelassen. Um Umgehungen zu verhindern, dürfen dieselben nicht in Aktienanteile zerlegt werden. || || [3)] [Industrie]unternehmun[gen (]mit Einschluss von Eisen[bahnen] und Versicherungsgesellschaften) wird a) die Emission von auf 200 fr. lautenden Aktien mit 40% Einzahlung, oder b) von auf 100 fl. lautenden Aktien mit Volleinzahlung gestattet. In allen Fällen findet kein Unterschied zwischen auf Namen oder auf den Überbringer lautenden Aktien statt. In den Fällen sub 3) bleibt es dem Vereinskomitee überlassen, unter Berücksichtigung der geringeren Höhe des Grundkapitals, des Umfangs der Unternehmung und der lokalen Verhältnisse, sowohl in Betreff des Nominalbetrags als der Höhe der Einzahlungen, Ausnahmen zuzugestehen. Die bestehende Praxis bezüglich der Behandlung der bäuerlichen Zuckerfabriksgesellschaften wäre beizubehalten, und hätte die dem Vereinskomitee erteilte Er|| || mächtigung zur kurrenten Erledigung der bezüglichen Konzessionsgesuche aufrecht zu bleiben.
Der Finanzminister bemerkt, die Regierung müsse sich, insolange sie durch das bestehende Konzessionssystem berufen ist, die Zustimmung der Aktienunternehmungen zu erteilen, die ihr daraus erwachsende Verantwortlichkeit gegenwärtig halten, und dürfe nicht durch Zulassung von Konzessionsbestimmungen, die sie zu verweigern oder zu beschränken berechtigt ist, den Schwindel gewissermaßen autorisieren. Die von ihm vorgeschlagenen und nun durch den Antrag des Vereinskomitees vervollständigten Punktationen verfolgen diesen Zweck, seien durchführbar, und werden von der Bevölkerung gewiss dankbar akzeptiert werden. Auch die Presse habe im großen Ganzen || || [den Gedanken] der Restriktion [bei]fällig aufgenommen. [Er könne] die Anträge des Vereinskomitees nur entschieden befürworten. Der Ministerpräsident hält die beantragten Restriktionen im Hinblick auf die Schädigung des Publikums, insbesondere der kleinen Leute durch den Ankauf uneingezahlter Aktien, wie auch auf die Benachteiligung, welche die soliden Anstalten und Unternehmungen durch die Winkelbanken und den Schwindel erleiden, für sehr wohltätig, und bestätigt aus selbst vernommenen Äußerungen, dass diese Maßregel vom Publikum zustimmend und dankbar aufgenommen werden wird.b Der Handelsminister erkennt die vorgeschlagenen Beschränkungen mit Rücksicht auf die vorgekommenen Unzukömmlichkeiten allerdings || || als zweckmäßig an. Doch könne man sie dem Geiste unserer Handelsgesetzgebung nicht gerade sehr zusagend nennen. Auch besorge er, dass sich die Regierung manche Unannehmlichkeiten dort zuziehen wird, wo aus bereits bestehenden Statuten, oder aus von der Regierung erhaltenen Zusagen in Bezug auf Statutenänderungen, Ansprüche deduziert werden sollten, welche mit den vorgeschlagenen Beschränkungen nicht im Einklange stehen. Der Minister des Innern bemerkt, dass die zu beschließenden Maßregeln selbstverständlich keine rückwirkende Kraft haben. Nachdem übrigens das Prinzip, dass junge Aktien vor Einzahlung der alten nicht emittiert werden dürfen, schon seit langem Ministerratsbeschluss ist, so könne er sich nicht denken, || || [dass irgend]welche diesem [Beschluss] entgegenstehende Zu[] bestehen sollten. Der Ministerpräsident glaubt, dass dem Geiste des Handelsgesetzes besser entsprochen, und für die Interessen des Handels mehr Nutzen gestiftet wird, wenn man bestrebt ist, nur solide Unternehmungen ins Leben treten zu lassen, als wenn man dem maßlosen Schwindel untätig zusieht. Eine strenge Handhabung der Gesetze habe immer mehr Unannehmlichkeiten im Gefolge als die Konnivenz. Dadurch, dass die beantragte Maßregel eine Reihe von Persönlichkeiten unangenehm berühren wird, dürfe sich die Regierung nicht abschrecken lassen. Übelstände, die sie wahrnimmt, so weit abzustellen, als das Gesetz es ihr gestattet, insoferne aber das Gesetz nicht ausreicht, auf eine Änderung desselben hinzuwirken. || || Der Ackerbauminister befürwortet gleichfalls die Einleitung restringierender Maßregeln. Er sei zwar prinzipiell für die freieste Bewegung des Verkehrs überhaupt, somit auch des Assoziations- und Aktienwesens. Solange aber die Regierung durch eine bestimmte, auf dem System der Konzessionen beruhende Gesetzgebung mitverantwortlich ist, müsse dieses Prinzip cum grano salis angewendet werden, zumal unter den abnormen Verhältnissen unserer mit Riesenschritten fortschreitenden wirtschaftlichen Entwicklung, und in Anbetracht der Rückwirkung, welche abgesehen von dem tatsächlichen materiellen Aufschwung in Österreich, die großen europäischen Verhältnisse auf unseren Geldmarkt ausüben. Das ausländische Kapital nehme so große Quantitäten österreichischer Werte in sich auf, dass eine geänderte Richtung in der europäischen Geldlage || || [zu einer] Krise führen kann, [die] die österreichische Welt [] gar nie gesehen hat. Solange also die Regierung mitverantwortlich ist, sei sie verpflichtet, im Wege der Handhabung des Gesetzes die Schleusen tunlichst zu sperren. Die Möglichkeit, dass letztere durch die Gewalt der Strömung umgangen werden können, was von allen Schranken gilt, enthebe die Regierung nicht von der Verpflichtung, selbe so wirksam, als es eben möglich ist, zu ziehen. Schon die Manifestation, dass die Regierung nicht gewillt ist, zu konnivieren, werde ihre gedeihliche Wirkung üben, und etwaigen neuen Umwegen zur Umgehung werde die Regierung in Handhabung des Gesetzes neue Dämme entgegenzusetzen in der Lage sein. Er stimme daher, soweit das Zustandekommen wirklich förderlicher Institute, und die gesunde Entwicklung || || der Industrie nicht gehemmt wird, für die schärfsten Einschränkungen. Der Ministerpräsident fügt, indem er die Ansichten des Ackerbauministers vollkommen zu teilen erklärt, bei, eine der guten Wirkungen der beantragten Restriktionen werde auch darin bestehen, dass zu den warnenden Äußerungen der öffentlichen Meinung sich nun auch die warnende Stimme der Regierung hinzugesellen wird. Der Finanzminister sieht sich als Antragsteller verpflichtet zu betonen, dass auch er die freieste Bewegung und somit die Verzichtleistung der Regierung auf das Konzessionssystem wünsche. Er würde die Anträge nicht gestellt haben, wenn er sie mit dem Geiste der Handelsgesetzgebung, welche die Freiheit der Bewegung, nicht aber die Zügellosigkeit will, nicht im Einklang gefunden hätte. || || Der Handelsminister zieht [die] Bedenken in Folge der [Äuße]rung des Ministers des Innern zurück, und schließt sich den vorgeschlagenen Restriktionsmaßregeln aus Opportunitätsrücksichten an. Der Unterrichtsminister kommt von dem ganz allgemeinen Gesichtspunkte der Konsequenz nur zu dem einen Bedenken, dass während man in bestimmte Aussicht nimmt, von dem Konzessionswesen in kürzester Zeit abzugehen, man auf dem Wege hiezu zu einer Mittelaktion gelangt, die nach der entgegengesetzten Richtung der Entwicklung führt. Er schließt daran die Bemerkung, dass bei den Beschränkungen, die man jetzt einführen will, schon auf das Rücksicht genommen werden sollte, was man mit dem neuen Aktiengesetze im Auge hat. Der Minister des Innern erwidert, dass durch die heutigen Beschlüsse, die eben auf || || dem jetzt bestehenden Konzessionssystem und der der Regierung hieraus obliegenden Verantwortlichkeit beruhen, dem neuen Gesetze in keiner Weise vorgegriffen werde. Der Grundsatz ad 1) werde jedenfalls in dem Gesetze Platz finden müssen, die andern Bestimmungen über die Höhe des Nominalbetrags und der Einzahlung haben mehr den Charakter von Versuchen, an denen man Erfahrungen machen wird, die nach Umständen die Aufnahme in das Gesetz oder die Ausschließung, oder eine Modifizierung zur Folge haben können. Der Unterrichtsminister gibt sich damit zufrieden.c
Nach dieser Diskussion, welche den einhelligen Beschluss ergab, zu restringierenden Maßregeln zu schreiten, werden die einzelnen Punktationen durchberaten. Der Punkt 1) und der Punkt 3) || || [] [werden einhellig] genehmigt. Zugleich wird über Antrag des Finanzministers einhellig beschlossen, dass die ad 3) erwähnten Aktien zur Notierung auf der Börse zugelassen werden, wenn bei einem Nominalbetrag von 200 fl. eine 40% und bei einem Nominalbetrag von 100 fl. die Volleinzahlung stattgefunden hat, und dass diese Bestimmung in die Erledigung der Konzessionsgesuche mit aufzunehmen ist. Der Punkt 2) gelangte nicht zum Abschluss. Die Konferenz einigte sich in Anbetracht einiger bei der Beratung aufgetauchter Bedenken und der Abwesenheit des Ministerpräsidenten, dann des Justizministers und des Ministers Dr. Unger, diesen Punkt bis zur morgigen Konferenz in suspenso zu belassen.9
Wien, am 28. Februar 1872. Auersperg.
Ah. E.Allerhöchste Entschließung Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Ofen, 11. März 1872. Franz Joseph.