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Nr. 343 Ministerrat, Wien, 19. März 1870 – Protokoll I - (PDF)

RS. fehlt; Abschrift mit dem Vermerk 19. 3. 1870 Ava., Ministerratsprotokolle . Teilnehmer und Tagesordnung: Ava., Ministerratsprotokolle, Tagesordnungen; Wortlaut und Datum der Ah. Entschließung: Hhsta., Kab. Kanzlei, Protokoll 1869.

P. Artus; VS. Kaiser; anw. Plener, Giskra, Herbst, Brestel, Wagner, Banhans, Stremayr.

[Tagesordnungspunkte]
KZ. 814 – MRZ. 37

19. März 1870 unter Vorsitz des Kaisers: Wahlreform

I. Frage der Reichsratswahlreform - (PDF)

[I.] ℹ️ Se. Majestät geruhen die Besprechung der Wahlreformfrage als den Gegenstand der heutigen Sitzung zu bezeichnen und die Minister aufzufordern, ihren Ansichten über diese nötige und wohl zu überlegende Angelegenheit Ausdruck zu geben1.

Hasner, [Minister]Präsident, glaubt, dass wenn Se. Majestät früher Allerhöchstihren Wunsch dahin kundzugeben geruht haben, dass die Reichsratswahlreformfrage mit Schritten in die Richtung der Versöhnung der abseits von der Verfassung stehenden Parteien geschehen solle, seitens des Ministeriums solche Schritte getan worden seien2. Wenn dieselben von dem erwünschten Erfolge nicht unmittelbar begleitet waren, so trage die Regierung hieran keine Schuld. Insoferne aber mit den Versuchen, zu einer Verständigung mit den außerhalb der Verfassung stehenden Parteien zu gelangen, nicht abgeschlossen und in dieser Richtung eventuell eine Erweiterung der Kompetenz der Landtage in Aussicht genommen werden würde, müsste es sich notwendig darum handeln, in eben dem Maße, in welchem die Landesautonomie ausgedehnt wird, die Reichsvertretung zu kräftigen, um in derselben ein Zentrum zu erhalten, welches, indem es von den Landtagen unabhängig gemacht würde, geeignet wäre, die für die gedeihliche Entwicklung des Staatslebens unerlässliche Einheit sicherzustellen. Eine diesen Zweck verfolgende Wahlreform scheine ihm daher ein Gebot der politischen Pflicht, die Wahrung des österreichischen Standpunktes zu sein. Die Rechtsfrage sei eingehend erörtert worden, und haben sich sowohl für das Recht der Landtage als für das alleinige Recht des Reichsrates Autoritäten erklärt. Einer grammatikalisch unanfechtbaren Auslegung stehe aber die Textierung der Verfassungsbestimmungen entgegen3. Die Rechtsfrage müsse daher als eine kontroverse angesehen werden. Sei dieses der Fall, dann sei die politische Opportunität entscheidend. Diese weise unbedingt darauf hin, dass in Beziehung auf die Wahlreform eine Aktion stattfinde, weil sonst in der Tat das Verfassungsleben im Sand verrinnen müsste. Die Rücksicht auf eine etwaige Missstimmung in einigen Ländern falle insoferne nicht sehr nicht so sehr in das Gewicht, als dieselbe gegen die Verfassung überhaupt gerichtet und namentlich in Böhmen einer Steigerung kaum mehr fähig sei. Die Rechtsfrage sei vielleicht für gewissenhafte Anhänger der Verfassung von großer Bedeutung, von viel minderem Belange aber gewiss für diejenigen, welche die Verfassung überhaupt bestreiten. Hasner muss es daher als für die Regierung notwendig betrachten, in Absicht auf die Reichsratswahlreform in Aktion zu treten, um Zuständen vorzubeugen, welche ohne eine Remedur die Verfassung in den wesentlichen Bedingungen ihres Bestandes gefährden müssten.

Plener war immer der Anschauung, dass wenn einmal eine Verfassung gegeben sei, es immerhin misslich erscheine, nach kurzer Zeit daran zu rütteln und dass es sich jedenfalls mehr empfehle, allenfalls notwendige Änderungen sich auf Grund längerer Erfahrung aus der Verfassung selbst entwickeln zu lassen. Er war daher von vorneherein gegen die Wahlreform, sofern nicht zwingende Gründe hiefür eintreten würden. Gegenwärtig aber liegen die Umstände anders, da die Erfolglosigkeit des letzten versöhnlichen Schrittes den Tschechen gegenüber, welchen diese zurückgewiesen haben, obwohl sie über die redlichen Absichten der Regierung keine Zweifel haben konnten, die Rücksichten auf die Anbahnung des Friedens, welche auch seinen Wünschen entsprochen hätten, jedenfalls in den Hintergrund treten lasse4. Werde der gegenwärtige Zustand des Abgeordnetenhauses und die Eventualität in das Auge gefasst, dass eine weitere Abschwächung desselben durch den Austritt der Galizianer, vielleicht auch der Triestiner eintreten werde, die sich bereits mit solchen Gedanken tragen, dann erscheine die fragliche Maßregel als ein Gebot der Selbsterhaltung, der Notwendigkeit, um die Verfassung zu retten. Er schmeichelt sich keineswegs, dass alle renitenten Länder infolge der Dekretierung der direkten Wahlen künftighin im Reichsrate vertreten sein werden. Hinsichtlich der Tschechen werde dieses gewiss nicht der Fall sein, aber aus Galizien dürften wohl die Ruthenen kommen, auch die Südtiroler, welche zunächst den Weg durch den Innsbrucker Landtag perhorreszieren. Dieses Ergebnis dürfte eintreten, und würde das jedenfalls eine Kräftigung des Reichsrates zur Folge haben. Die Rücksicht auf das Recht der Landtage war auch für ihn jederzeit sehr maßgebend. Aber da es sich darum handle, um jeden Preis aus einer kaum haltbaren Lage herauszukommen, so scheine ihm wohl, dass die Suszeptibilität in diesem Punkte zurückstehen und schweigen müsse. In dieser Beziehung käme insbesondere in Betracht, dass es sicherlich einen großen Eindruck machen würde, wenn sich eine große Majorität des Reichsrates für die Berechtigung desselben erklären würde. Er würde daher meinen, dass der Versuch bezüglich der direkten Wahlen allerdings und zwar zunächst dahin zu machen sei, dass unter den Reichsratsmitgliedern hierüber weitere Umfrage gehalten werde, damit sie sich in sicherstellender Weise darüber äußern, ob sie für die projektierte Wahlreform eintreten oder nicht. Habe [man] sich auch auf diesem Wege der Majorität versichert, dann könne die Einbringung einer bezüglichen Vorlage seitens der Regierung unbedenklich erfolgen. Ob eine Zweidrittelmajorität zu erzielen sein werde, scheine ihm sehr zweifelhaft, dieses dürfe aber die Regierung von weiteren Schritten nicht abhalten, um nicht den Vorwurf auf sich zu laden, dass sie ihrerseits nichts getan habe, um den Reichsrat zu retten. Ob es möglich wäre, die Wahlreform noch im Laufe der jetzigen Session durchzubringen, scheine ihm ebenfalls fraglich, da die Session nur mehr von kurzer Dauer sein dürfte. Er halte es aber vom Standpunkte des Ministeriums für unerlässlich, dass in der Sache jedenfalls eine Aktion stattfinde.

Giskra hat sich erlaubt, Sr. Majestät bereits früher mündlich seine Überzeugung darzulegen, dass die Notwendigkeit einer Aktion in der Richtung der Einführung direkter Wahlen unbedingt anstehe. Er glaube daher, heute auf die damalige umfassende Begründung dieser seiner Anschauungen sich berufen und nur noch hervorheben zu dürfen, dass dadurch, dass seit längerer Zeit sich die Aufmerksamkeit der politischen Kreise sich auf die Frage der Wahlreform konzentriere, das Drängen zu einer fortschreitenden Bewegung auf andern heiklern Gebieten entschieden in den Hintergrund getreten sei. Ebenso scheine ihm auch die Erwägung von überwiegendem Gewicht, dass die direkten Wahlen zur Reichsvertretung insoferne der alleinige Weg seien, um zum Frieden mit den dissentierenden Parteien zu gelangen, als dadurch allein die Umwandlung der nationalen Parteien in politische ermöglicht werde, was in Folge des Systems der direkten Wahlen in Ungarn zum Teile bereits erfolgt sei. Indem er von einer Wiederholung der Sr. Majestät bereits dargelegten Motive seiner Ansichten absehen zu dürfen glaube, erlaube er sich, diese Ansichten dahin zusammenzufassen, dass die Wahlreform im Interesse der Erhaltung der Verfassung unbedingt notwendig und Rücksichten auf die politische Lage opportun erscheine, und dass seiner innersten Überzeugung zufolge die Unterlassung einer Aktion in dieser Richtung oder eine Verzögerung derselben für die höchsten Interessen des Staates verderblich sein müsste.

Herbst teilt im Wesentlichen die Ansichten des Handelsministers. Für ihn war vermöge seiner Individualität die Rechtsfrage immer die zunächst maßgebende. Er wolle aber zugeben, dass dieselbe zweifelhaft sei und dass sie den Opportunitätsrücksichten gegenüber, namentlich dann in den Hintergrund treten könne, wenn sich diese Meinung im Reichsrate überwiegend geltend machen würde. Darum halte er das Einvernehmen mit den Abgeordneten in der von Plener angedeuteten Weise vor der Einbringung der Vorlage ebenfalls für unbedingt nötig. Es empfehle sich dies schon deswegen, weil dadurch die Ah. Person Sr. Majestät in den vorbereitenden Stadien der Sache gänzlich außer Frage bliebe. Was die Majorität für eine solche Vorlage betreffe, so handle es sich nicht sowohl um die Notwendigkeit der Wahlreform, als um die Art der Ausführung. Und wenn auch für das Prinzip eine große Majorität vorhanden sei, so bestehe doch ein bedeutender Dissens in den Anschauungen hinsichtlich der Durchführung. Zu verkennen sei nicht, dass es von großer Wichtigkeit wäre, die Reichsvertretung unabhängig zu machen, weil dieselbe damit insoferne an Kraft gewinnen müsste, als die Drohungen mit dem Austritte an Bedeutung verlieren würden. Er wäre daher mit Plener dafür, dass man sich in bestimmter Weise über den Stand der Ansichten im Hause versichere. Wenn sich aber die erwünschte Majorität nicht ergeben sollte, dann wäre von der Einbringung einer Vorlage während dieser Session abzusehen und die Session sobald als möglich zu schließen, da der Versuch der Einbringung einer solchen Vorlage mit der Gefahr, einen Echec zu erleiden, ihm sehr bedenklich scheine. Ebenso würde er die Einbringung mit dem Hintergedanken, dass dieselbe während der jetzigen Session nicht erledigt werde, mit Rücksicht auf den Spielraum für durchaus nicht wünschenswert halten, welcher der Kritik eine längere Zeit hindurch eingeräumt würde. Dagegen könne er die Auffassung nicht teilen, dass, wenn die Wahlreformfrage diesmal wirklich scheitern sollte, dies die Stellung des Reichsrates in dem angedeuteten Maß abträglich beeinflussen würde.

Brestel war die Frage, ob dem Reichsrat das Recht zukomme, über die Wahlen zum Reichsrate allein zu beschließen, nie zweifelhaft und er hat sich schon im Jahre 1867 in diesem Sinne ausgesprochen. Es bestehen aber Kontroversen hierüber, über welche hinwegzugehen sich nur dann empfehle, wenn man des Nutzens und des Erfolges also darüber im Vorhinein versichert sei, im Reichsrate durchzudringen. In Fragen dieser Art seien aber bloße Versuche durchaus nicht rätlich. Unter der Voraussetzung des sicheren Erfolges wäre er wohl für die Maßregel, deren Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit sich namentlich wegen der Beseitigung des Druckes nicht verkennen lasse, welchen die Austrittsdrohungen auf die Session des Reichsrates ausüben. Dass ein eventuelles Scheitern des Projektes der direkten Wahlen die besorgten tiefgreifenden Folgen in Absicht auf den Reichsrat haben würde, glaube er ebenso wenig als der Justizminister. Die Sache würde allerdings viel schwieriger, aber doch nicht unmöglicher werden. Es müsste dann sukzessive auf die Aufklärung der öffentlichen Meinung und auf die Beseitigung der Schwierigkeiten hingewirkt werden. Die Schwierigkeiten liegen nicht sowohl im Prinzipe der Wahlreform als in den konkreten Bestimmungen des Gesetzes hinsichtlich der Aufrechthaltung oder Alterierung des bisherigen Gruppensystems. In dieser Beziehung könne er nun die Tatsache nicht übersehen und nicht unterschätzen, dass, wie die Stimmung im Abgeordnetenhause sei, einzelne der der Wahlreform sich Zuneigenden derselben nur dann zustimmen dürften, wenn der Modus der Durchführung ihren Anschauungen entspricht. Darin liege eben seines Erachtens die große Schwierigkeit. Er sei also für die Einbringung, wenn das Resultat im Vorhinein gesichert sei, woran er jedoch zweifle. Wenn aber eine Vorlage eingebracht würde, dann müsste sie unter allen Umständen noch in dieser Session durchgeführt werden. Wenn nicht, wäre die Session alsbald zu schließen.

Wagner hält ebenfalls die Wahlreform für eine politische Notwendigkeit, um den zum Nachteile der geregelten Entwicklung sich geltend machenden Gegensätzen die Spitze abzubrechen und den Parteien, welche unter dem Vorgeben materieller Interessen die Verfassung fortan gefährden, die Waffen aus der Hand zu nehmen. Das Resultat könne möglicherweise nicht nach allen Seiten hin befriedigen, das sollte aber die Regierung von dem Versuche nicht abhalten, vielleicht auf diesem Wege zu einem Zustande des erwünschten Friedens zu gelangen.

Banhans, Ackerbauminister, war früher kein Freund der Reichsratswahlreform. Er hat noch im Vorjahre als Berichterstatter im Reichsrate die Frage als eine damals noch nicht reife erklärt5. Seither aber haben sich namentlich in den Ländern mit gemischter Nationalität die Verhältnisse wesentlich geändert. In Böhmen zumal wurde die Einführung der direkten Wahlen einerseits im Interesse des Gesamtstaates, andererseits als die Voraussetzung erkannt, unter welcher es möglich wäre, dass von Seite der Verfassungspartei in die Landtagswahlreform eingegangen werde, welche die Tschechen in erster Reihe anstreben, die an dem Reichsrate gar kein Interesse haben. Die Rechtsfrage halte auch er für zweifelhaft. Indes habe er in seiner früheren Stellung bei dem Ministerium des Innern Gelegenheit gehabt, aus den Mitteilungen von Persönlichkeiten, welche bei der Formulierung des Februarstatutes und der Landesordnungen mitgewirkt haben, sich dahin zu orientieren, dass die Fassung der betreffenden Bestimmung der Landesordnung „Der Landtag hat zu entsenden“ der ursprünglichen Formulierung „Der Landtag hat das Recht zu entsenden“ eben aus dem Grunde substituiert wurde, weil man die Entsendung der Mitglieder in den Reichsrat eben nicht als ein unveränderliches Recht der Landtage angesehen hat und so hingestellt wissen wollte, sondern der Ansicht war, dass mit der über Motive des jetzigen Statthalters Freiherrn v. Lasser gewählten Textierung „hat zu entsenden“ der Rücksicht auf das Oktoberdiplom genügend Rechnung getragen, der Lösung der als offen betrachteten Rechtsfrage aber dennoch nicht vorgegriffen würde6. Bei dieser Sachlage hält er es wohl für erlaubt zu sagen, dass die nicht völlig klar gestellte Rechtsfrage kein Hindernis bilden könne, dem österreichischen Vertretungskörper das jedem anderen Vertretungskörper zustehende Recht vorzuenthalten, über die Wahl seiner Mitglieder selbständig Bestimmungen zu treffen. Er könne sich daher nur für die Wahlreform aussprechen, zumal, wenn sie fallen gelassen würde, die Landtagswahlreform in Böhmen wieder in Frage gestellt wäre, deren Wichtigkeit nicht unterschätzt werden könne.

Stremayr, Kultus und Unterricht, möchte bei der Frage der Wahlreform in drei Teile unterscheiden: I. die politische Notwendigkeit, II. die Rechtsfrage, III. die Art der Durchführung. Die politische Notwendigkeit finde er zunächst in der Notwendigkeit gewisser Konzessionen in Bezug auf die freie Bewegung der einzelnen Länder begründet, welche eben nur in der Voraussetzung eines Gegengewichtes möglich seien, das in der Einigung im Wege der Vertretung ohne Rücksicht auf die Länder zu finden sei. Was die Rechtsfrage betreffe, so sei, wenn auch in Beziehung auf das Recht des Reichsrates das Votum einer so hervorragenden Autorität wie des Freiherrn v. Lichtenfels sehr bedeutend in die Waagschale falle, doch nicht zu leugnen, dass sie eine streitige sei. Bei streitigen Fragen des Staatsrechtes wirke aber, wie dies die Erfahrung lehre, die politische Opportunität auf das Rechtsbewusstsein in allerentschiedendster Weise ein. Tatsächlich seien vor zwei Jahren die Anschauungen vielmehr dem Rechte der Landtage zugewendet gewesen. Seither sei die gegenteilige Auffassung in immer weitere Kreise gedrungen, was bewirkte, dass nunmehr auch in rechtsgelehrten Kreisen das Recht des Reichsrates viele und hervorragende Vertreter gefunden habe. Mit Rücksicht auf den jetzigen Stand des allgemeinen Bewusstseins könne daher die Rechtsfrage einem weiteren Vorgehen in der Sache durch den Reichsrat kaum entgegenstehen, zumal wenn die Wahlreformfrage nicht allein durch den Reichsrat gelöst werden könnte, hiemit die Unmöglichkeit ausgesprochen wäre, sie überhaupt je zur Lösung zu bringen. Denn wenn das Recht der Landtage anerkannt würde, so wäre es klar, dass die Wahlreform nicht anders durchführbar wäre, als wenn sämtliche Landtage zustimmen und hiemit wäre aber die absolute Stabilität zum Prinzipe erhoben. Ihm scheine daher schon jetzt entschieden, dass die Reform Sache der Reichsgesetzgebung sei und sein müsse. Was die Durchführung betrifft, so gehen die Meinungen in dem Momente auseinander, in welchem die beiden ersten Fragen bejaht wurden. Gewiss ist, dass über die Frage der durchgängigen Gruppenverdopplung innerhalb des Vertretungskörpers divergierende Ansichten bestehen, da ein Teil der Abgeordneten für Böhmen und Mähren sich durch stillschweigende Vereinbarungen gebunden erachte, an der Gruppenverdopplung, namentlich so weit es den Großgrundbesitz betrifft, festzuhalten, während die Innerösterreicher der entgegengesetzten Ansicht huldigen. Er zweifle, dass diesfalls eine Einigung erzielt würde. Unter diesen Umständen kommt er zum Schlusse, dass es notwendig wäre, durch die Fortsetzung der Besprechung mit den Abgeordneten in Bezug auf diese Vorfrage Klarheit zu schaffen, welche in Absicht auf die eventuelle Lösung dieser Frage sicher Kombinationen ermöglichen würde. Würden sich für die Lösung der Wahlreformfrage günstige Konstellationen ergeben, dann möge man noch im Laufe dieser Session zur Lösung dieser Frage schreiten, da ein weiteres Hinausschieben derselben nur zu einem neuen Aufwühlen der öffentlichen Meinung und infolgedessen nur zu neuen größeren Schwierigkeiten den Anlass geben würde.

Se. Majestät geruhen zu bemerken, dass einige Minister, wie namentlich der Justizminister, auf die großen Schwierigkeiten, welchen die Frage der Wahlreform in den Kreisen der Abgeordneten begegne, und darauf hingewiesen haben, dass der Erfolg einer diesfalls einzubringenden Vorlage als ein zweifelhafter erscheine. Wenn daher der Versuch im Wege der Fortsetzung der Besprechungen mit den Abgeordnetenhausmitgliedern, für eine eventuelle Vorlage sich die Zweidrittelmajorität zu sichern, nicht gelingen sollte, wäre Se. Majestät jeder Entscheidung in der Sache enthoben. Se. Majestät glauben aber dennoch nicht, dass es angemessen sei, die Minister im Unklaren zu lassen, zunächst weil es ihnen auch selbst darum zu tun sei, über die Ah. Ansichten im Gegenstande der Frage im Klaren zu sein. Se. Majestät haben infolge der eingehenden Ausführungen, welche Sr. Majestät sowohl von Seite Hasners als Giskras vorgetragen wurden, sehr reiflich nachgedacht und sind endlich zu folgendem Resultate gelangt: Die von dem Ministerrate in Aussicht genommene Wahlreform geht im Wesentlichen darauf hinaus, an die Stelle der gegenwärtigen Vertretung der Landtage im Reichsrate eine Vertretung durch direkte Wahlen treten zu lassen, und zwar einfach im Wege der Reichsgesetzgebung ohne vorgängige Zustimmung der Landtage. Se. Majestät wollen die Möglichkeit nicht ausschließen, dass die Einführung direkter Wahlen für den Reichsrat unter Bedingungen und Verhältnissen eine ersprießliche sein könnte, welche eine friedliche Konsolidierung der Verfassung gewährleisten. Die jetzt vorgeschlagene Reform müsse unter zweifachen Gesichtspunkten geprüft werden, unter dem der verfassungsmäßigen Zulässigkeit und unter jenem der Zweckmäßigkeit.

Sr. Majestät drängen sich in beiden Beziehungen gewichtige Bedenken gegen die Art und Weise auf, in welcher der Ministerrat die Frage zu lösen beabsichtigt. Was zunächst die verfassungsmäßige Zulässigkeit betrifft, so seien Se. Majestät eingedenk, dass Herbst bei einer früheren Beratung sich mit voller Bestimmtheit äußerte, dass dem Reichsrate verfassungsmäßig das Recht nicht zustehen würde, einseitig und ohne Zustimmung der Landtage jene Reform zu beschließen. In dem Ausspruche dieser Autorität habe die Ah. Auffassung Sr. Majestät ihre Bekräftigung gefunden, eine Auffassung, von welcher Se. Majestät bei den Grundgesetzen und den sie einleitenden Patenten ausgegangen sind und welche in allen einschlägigen Bestimmungen daselbst ihren bestimmten unzweideutigen Ausdruck finden. Wenn jetzt in dem Ministerrate die Ansicht zur Geltung gelangt, dass es sich um eine kontroverse Frage handle, über welche schließlich die Opportunität und staatliche Rücksichten zu entscheiden haben, so scheint es Sr. Majestät nicht vergessen werden zu dürfen, dass, soferne hier überhaupt eine Kontroverse besteht, sie zwischen dem Rechte des Reichsrates und dem der Landtage stattfindet und daher nicht wohl dem Reichsrate zustehen würde, in propria causa zu entscheiden. Soweit dagegen die Zweckmäßigkeit in Frage kömmt, so sei ein weites Feld an Konjekturen eröffnet, die man sich teils günstig, teils ungünstig vorstellen könne. Wollte man auch von dem möglichen, ja wahrscheinlichen Falle absehen, dass verschiedene Landtage gegen das vorgeschlagene Verfahren Widerspruch erheben werden, so stelle sich die Alternative entgegen, dass die direkten Wahlen entweder unter oder ohne Teilnahme der nationalen Opposition stattfinden. Im ersten Falle stehen Wirkungen in Aussicht, welche das Ministerium allein berühren, im zweiten dagegen, welcher der wahrscheinlichere ist, tritt ein Zustand ein, der Se. Majestät nicht gleichgültig lassen könne und welchen Se. Majestät als eine Verbesserung des gegenwärtigen Zustandes nicht betrachten könnten. Denn während jetzt wenigstens der Reichsrat die Vertretung beschlussfähiger Landtage und also einen äußerlich geordneten Zustand darstelle, würden alsdann die nationalen Abstentionen eine auch nach außen hervortretende Linke in großem Maßstabe erkennen lassen. Se. Majestät wollen hiemit den Ministern Allerhöchstihre Ansichten in dieser Frage ausgesprochen haben, von welchen Se. Majestät nicht abgehen können und daher auch die Minister nicht autorisieren könne, in der Sache weiter vorzugehen. Hinsichtlich des künftigen Vorganges der Minister dem Reichsrate gegenüber geruhen Se. Majestät anzudeuten, dass es sich empfehlen möchte, denselben nach Annahme des Budgets und Durchbringung der wichtigen Eisenbahnvorlagen, namentlich der galizischen, sobald als möglich zu vertagen7.

Se. Majestät geruhen hierauf die Sitzung zu schließen8.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Wien, 15. April 1870. Franz Joseph.